Apropos "Antideutsche"

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Dem Radio wird in letzter Zeit vorgeworfen eine "antideutsche Linie" zu vertreten. Bekennende Antideutsche gibt es im sendenden Personal aber garnicht. Es drängt sich der Verdacht auf, dass nur noch wenige wissen, für was das Adjektiv "antideutsch" einmal gestanden hat. Gelegenheit für einen kritischen Rückblick auf die turbulente Geschichte eines von Anfang an problematischen Begriffes dessen Erfinder Jürgen Elsässer sich mittlerweile weit rechts tummelt.
Audio
07:38 min, 17 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 25.07.2024 / 21:47

Dateizugriffe: 54

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Mittagsmagazin
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 25.07.2024
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In letzter Zeit hört man immer wieder von einer „antideutschen Linie“ bei Radio Dreyeckland. Nun wüsste ich eigentlich niemanden im Radio, der oder die sich als antideutsch bezeichnen würde. Es herrscht auch eine gewisse Unsicherheit darüber, was dieser Begriff eigentlich bedeutet. Nun macht es wenig Sinn, endlose Debatten nachzuzeichnen. Daher nur ein sehr gedrängter Blick in die Geschichte der antideutschen Szene, verbunden mit einer grundsätzlichen Kritik am Begriff.
1989/90 war eine kritische Zeit für deutsche Linke. Die DDR brach urplötzlich zusammen und die Linke hatte keine Antwort darauf. Wie konnte das geschehen und was nun? Gleichzeitig nahm die Gewalt gegen Geflüchtete weiter zu. Im Osten ging es plötzlich nichtmehr um Freiheit, sondern um „Deutschland, einig Vaterland“. Sich gegen diesen scheinbar grenzenlos um sich greifenden Nationalismus zu stellen, war durchaus angebracht, überdeckte aber dass man ansonsten nicht wusste wie weiter. In dieser Gemengelage schrieb der Politclown Jürgen Elsässer, der sich diese Bezeichnung mittlerweile redlich verdient hat, einen Artikel mit dem Titel „Weshalb die Linke antideutsch sein muss“. Erschienen im Februar 1990 im Arbeiterkampf, einer Zeitschrift, die dem Kommunistischen Bund nahestand und heute Analyse und Kritik heißt. Darauf wurde der Begriff „antideutsch“ und „Antideutsche“ immer wieder aufgegriffen und auch als Eigenbezeichnung verwendet. Sozusagen inoffizielles Zentralorgan der Antideutschen war die Zeitschrift Bahamas. Auch die Freiburger Initiative für ein Sozialistisches Forum um Jochen Bruhn schloss sich an, hatte aber seine eigene Geschichte.
Bleibendes Verdienst der Antideutschen war, dass sie den Antisemitismus in der Linken zwar nicht als erste, aber am nachhaltigsten kritisierten. Zur nachhaltigen Kritik gehörte auch eine Studiobesetzung bei Radio Dreyeckland. Der folgende Antisemitismusstreit in Radio Dreyeckland endete ohne ein gefordertes Mikrophonverbot, aber mit der ausdrücklichen Ablehnung von Antisemitismus im Redaktionsstatut. Damit enden aus meiner Sicht zu einem großen Teil die positiven Aspekte der antideutschen Strömung.
Die Antideutschen traten immer sehr absolut auf. Die Debatte war generell von der Lust an möglichst polemischen Wendungen und verdammenden Urteilen geprägt. Politischen Gegnern wurden unlautere Motive frei angedichtet, sie wurden psychologisiert und verächtlich gemacht. Das Argument gegen die Person war bei vielen Antideutschen ein Lieblingskind der Debatte. Der Stil erinnert sehr an die neue Rechte, mit der es später immer mehr Gemeinsamkeiten gab. Ein politisches Weiterkommen im Dialog war definitiv nicht das Ziel, auch nicht ausnahmsweise. Die Schärfe des Arguments überdeckte oft die Dürftigkeit der Begründung und mit Psychologisierung geht nahezu alles. Zum Beispiel wird die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien 2015 im Editorial der Bahamas Nr. 73 damit erklärt, dass die Deutschen das übrige Europa wenigstens moralisch ins Hintertreffen bringen wollten, weil man es im 1. Weltkrieg nicht besiegen konnte. Da muss man erstmal drauf kommen.
Vielen Antideutschen wurde dieses Palaver der Herren, denn um solche handelte es sich fast ausschließlich, mit der Zeit auch zu bunt. Sie wendeten sich entweder ab oder bezeichneten sich in Abgrenzung zur Bahamas als Links-Antideutsche.
Die Beiträge der Antideutschen waren, soweit ich es mitbekommen habe, auch immer sehr deutschzentrisch. Ich gebrauche das nicht als Totschlagsargument und sehe darin auch kein Alleinstellungsmerkmal der antideutschen Szene, aber es ist etwas was man auch mal erwähnen sollte.
Der anfängliche Erfolg des Begriffes „antideutsch“ hing damit zusammen, dass er gut in die Zeit der Orientierungslosigkeit der westdeutschen Linken nach dem Zusammenbruch der DDR passte. Zum einen gab es eine seltsame Überschätzung der Rolle eines vereinigten Deutschlands in der Welt, nicht nur bei der Linken. Von der Gefahr, durch ein viertes Reich war die Rede, so als wäre Deutschland gerade auf dem Wege ein bestimmender Faktor der Weltpolitik zu werden.
Andererseits betrieb man mit der Aufwertung des Adjektivs „deutsch“ so etwas wie negativen Nationalismus, keinen Antinationalismus. Wenn auch negativ wurde die Gültigkeit eines Begriffes aus der Ideenwelt des Nationalismus anerkannt. Eine über der jeweiligen geschichtlichen Gegenwart und allen inneren Gegensätzen wabernde Nation.
Natürlich kann man in der deutschen Geschichte Traditionen ausmachen, die in der einen oder anderen Form bis heute fortbestehen und diese kritisieren. Aber viel Analysearbeit wurde darauf nicht verwendet. Bei manchen vielleicht auch deshalb, weil ein nicht hinlänglich definierter Begriff in der politischen Diskussion viel praktischer ist.
Die im Begriff „antideutsch“ angelegte Anerkennung der Nation als geschichtsbildendender Kraft, ist damals kaum jemandem als analytisch problematisch aufgefallen. Vielleicht wollte man es einfach nicht sehen. Sie führte über die Jahre nicht nur zu so abstrusen Erklärungen wie, dass Deutsche Flüchtlinge aufnehmen, um es den anderen Nationen wegen einer militärischen Niederlage vor 100 Jahren zu zeigen. Die negative Akzeptanz rechter Denkmodelle bereitete auch für einige den Weg nach rechts. So hatte es eine gewisse Folgerichtigkeit, dass sich Jürgen Elsässer und einige andere aus dem Umfeld der Bahamas einige Jahre später an der Seite der AfD und des Kremls bei der völkischen Rechten wiederfanden. Ähnlichkeiten mit Sahra Wagenknecht sind zum Teil verblüffend auch wenn sie keinen Umweg über die Antideutschen genommen hat.
Nun, was hat das alles mit Radio Dreyeckland zu tun? Ich meine die Verwechslung beruht auf einem einzigen stark emotional besetzten Punkt. Radio Dreyeckland wird von vielen als pro-israelisch wahrgenommen. Die Antideutschen waren ebenfalls bekannt für eine manchmal dezidiert pro-israelische Haltung. Die durchaus berechtigte Kritik am israelbezogenem Antisemitismus wurde durch eine bequem zu handhabende Affirmation von allem was der Staat Israel tat oder nicht tat ersetzt. Zwischentöne, Einzelheiten, wie immer unerwünscht.
Aber muss man ein Antideutscher oder eine Antideutsche sein um sich wegen Antisemitismus Sorgen zu machen? Der Palästina-Konflikt hat mehr als eine Seite und unser Programm, das wesentlich von der Initiative einer kleinen Zahl weitgehend unbezahlter Redakteur*innen abhängt, wird nie alle abdecken können. Wenigstens bin ich froh, dass wir auch ein paar Aspekte ansprechen, die allgemein zu kurz kommen. Das geschieht nicht in der Absicht andere berechtigte Aspekte zu verdrängen, wie etwa wenn die israelische Regierung in Gaza und in der West Bank Unrecht begeht oder zulässt. Nehmt das Radio als eine Quelle, nicht als das Medium, das alles kräftig untermalt, was Ihr eh denkt.

Kommentare
26.07.2024 / 18:10 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 26.07.. Vielen Dank !