Die RAF und die Frage nach dem Warum

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1998 erklärte die Rote Armee Fraktion (RAF) ihre Selbstauflösung. Nun ist die Polizei mutmaßlichen ehemaligen Mitgliedern auf die Spur gekommen. Die Vorwürfe beziehen sich nicht nur auf die mögliche Verstrickung in nicht restlos aufgeklärte Taten aus RAF-Zeiten, sondern auch auf Taten danach, wie bewaffnete Überfälle auf Geldtransporter, die mutmaßlich das Leben in der Illegalität finanzieren sollten. Bei all dem ist die RAF auch weiter ein politischer Fall, der in weiten Teilen der Linken nie aufgearbeitet wurde. Der Beitrag geht auf die Entstehung der RAF ein und hinterfragt ihren Begriff von Politik. Er endet in einer ganz einfachen Frage.

PS: Versprecher: Das Attentat von München erfolgte nicht am 5. März 1972, sondern am 5. September. An der Bewertung ändert das nichts. Sorry.
Audio
09:12 min, 8626 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.03.2024 / 15:26

Dateizugriffe: 38

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Mittagsmagazin
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 14.03.2024
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die RAF und die Frage nach dem Warum

Ein zackiger roter Stern mit einer Maschinenpistole und den Buchstaben RAF, das war das Emblem der selbsternannten Rote Armee Fraktion. Eine Maschinenpistole als genuines Symbol einer sich als links verstehenden Gruppe, wo doch Gewaltsymbolik sonst eher am rechten, faschistischen Rand des politischen Spektrums gepflegt wird. Und welches reduzierte, personalisierte und dämonisierte Politikverständnis spricht aus dieser Symbolik? Zum Vergleich: Im Weltbild mancher Corona-Leugner*innen würde es Sinn machen, einfach Bill Gates zu ermorden und schwupp, die Welt wäre erlöst.
Politisch wäre die RAF von heute betrachtet eine der vielen längst vergessenen K-Gruppen ihrer Zeit. Das Alleinstellungsmerkmal, von dem sogar eine gewisse Strahlkraft ausging, war eben dass sie bei der Gewaltanwendung, andere militante Gruppen in Deutschland einfach übertraf. Es waren Linke, die als Einzelpersonen so gefährlich waren, dass Staat und Medien sie ernst nehmen mussten. Intellektuell oder politisch waren sie dagegen keine Herausforderung. Da half ihre Existenz eher bei der Legitimation schärferer Gesetze und der Verteufelung der Linken. Alle politischen Äußerungen der RAF waren nur darauf ausgerichtet, die Gewaltpraxis irgendwie zu rechtfertigen. Folgerichtig nahmen sie auch nicht an Debatten in der Linken Teil. Dabei ging es ihnen ja eigentlich um eine politische Rechtfertigung ihrer Gewaltpraxis. Sie sollte eine positive politische Veränderung bewirken und umso mehr dies vor der eigenen Haustüre unwahrscheinlich wurde, verstand man sich als Teil eines weltweiten antiimperialistischen Kampfes, der aber auch immer abstrakter wurde. Blieb der Hinweis auf die Repression des Staates, mit dem Solidarität eingefordert wurde. Es war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit mit den Hardlinern der Inneren Sicherheit, die ja umgekehrt von der Existenz der RAF profitierten.
Die RAF war eine der Antworten auf das was politisch interessierte Jugendliche insbesondere in der zweiten Hälfte der 1960-ger Jahre in Deutschland erlebten. Die Elterngeneration der jungen linken Aktivist*innen hatte zum größten Teil ihre Verstrickung in den Nationalsozialistischen Mörderstaat nie aufgearbeitet. Viele Leute, die ihre Karrieren unter Hitler begonnen hatten, hatten sie nach dem Krieg fortgesetzt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand der CDU-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. In die NSDAP war er am 1. Mai 1933 eingetreten. Nach späterem Bekunden aber nur aus lauteren Motiven, um Exzesse zu verhindern. Trotz seiner angeblichen Abneigung gegen die NS-Ideologie fiel Kiesinger die Karriereleiter genau dort nach oben, wo die Nazis ihre Ideologie eintüteten. Kiesinger war im Auswärtigen Amt unter anderem für Rundfunkpropaganda und die Verbindung zu Goebbels Propagandaministerium zuständig. In seiner Amtszeit als Bundeskanzler wurde eine Gesetzesänderung beschlossen, mit der sich eine Hintertüre für die Verjährung schwerster NS-Verbrechen öffnete. Dann kam als einschneidendes Ereignis der Schah-Besuch in Berlin. Jubelperser und Berliner Polizei prügelten gemeinsam auf Demonstrant*innen ein und der Polizist Karl-Heinz Kurras erschoss den Studenten Benno Ohnesorg. Kurras wurde darauf von der bundesdeutschen Justiz durch alle Instanzen freigesprochen. Es folgte ein Attentatsversuch eines von der Bildzeitung aufgehetzten Kleinbürgers auf Rudi Dutschke, das dieser nur schwerverletzt überlebte. Auf der internationalen Ebene des Protestes wurde die Ablehnung des Vietnamkrieges der USA immer stärker.
Dann ereignete sich ein Kaufhausbrand in Brüssel, bei dem nach Angaben der Feuerwehr 323 Menschen starben. Wegen einer Ausstellung mit US-Waren wurde vermutet, dass der Brand aus Protest gegen den Vietnamkrieg gelegt wurde, was keineswegs bewiesen ist. Flugblätter der Kommune 1 in Berlin feierten den Brand, trotz der vielen Toten. Nun wollte man es mit zwei Kaufhäusern in Frankfurt nachmachen. Es sollte aber nur Sachschaden entstehen. Der Anschlag erfolgte 3 Tage nachdem US-Präsident Johnson Nordvietnam Verhandlungen angeboten hatte. Vier Täterinnen wurden gefasst und schließlich zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Einer davon war Andreas Baader. Seine Genossinnen wollten einen Besuch in einem Archiv, der ihm unter Bewachung gestattet worden war, benutzen um Baader, der fast die Hälfte seiner Haft bereits abgesessen hatte zu befreien. Aus ungeklärten Gründen wurde gleich zu Beginn ein Mitarbeiter der Bibliothek niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Beteiligt war auch die linke Kolumnistin Ulrike Meinhof, die eigentlich nicht fliehen wollte. Doch als wohl ungeplant Schüsse fielen blieb allen nur noch die Flucht.
So landete die Gruppe teils unbeabsichtigt in der Illegalität und im bewaffneten Kampf. Dafür sollten dann politische Begründungen her. Die mussten auch überdecken, dass eine Hand voll Bewaffneter mit einer hauchdünnen Basis von Unterstüzer*innen gegen einen Staat mit damals 60 Millionen Einwohnerinnen völlig chancenlos war. Man erklärte einfach:
„Dass der bewaffnete Kampf als ‚die höchste Form des Marxismus-Leninismus‘ jetzt begonnen werden kann und muss, dass es ohne das keinen antiimperialistischen Kampf in den Metropolen gibt.“
Und mehr so hochtrabenden Quark. Ich habe nicht vor, die Geschichte der RAF nun nachzuerzählen. Politisch war es nur kontraproduktiv. Die RAF-Mitglieder hätten sich besser an der Gründung der TAZ beteiligt, als wild Menschen zu ermorden und auch ihr eigenes Leben zu ruinieren.
An einen der schlimmsten Tiefpunkte möchte ich aber noch erinnern. Am 5. September 1972 überfielen palästinensische Terroristen israelische Sportler im Olympiadorf bei München. Zwei Israelis wurden zu Anfang der Geiselnahme ermordet, neun weitere gefesselte Geiseln und ein Polizist bei einem missglückten Befreiungsversuch. Ulrike Meinhof schrieb dazu:
„Die Aktion des Schwarzen September hat das Wesen imperialistischer Herrschaft und des antiimperialistischen Kampfes auf eine Weise durchschaubar und erkennbar gemacht wie noch keine revolutionäre Aktion in Westdeutschland oder Westberlin. Sie war gleichzeitig antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch.“
Da lobt Ulrike Meinhof, die noch immer von vielen wie eine Ikone hochgehalten wird, den Mord an wehrlosen jüdischen Geiseln, eben weil sie Juden waren als antifaschistische Tat. Einst waren die späteren RAF-Mitglieder politisch wachgerüttelt worden durch die Schuld der Generation ihrer Väter und Mütter und auch durch die schrecklichen Bilder aus Vietnam. Dann loben sie den Mord an willkürlich angetroffenen jüdischen Menschen.
Der Kampf der RAF ging mit neuem Personal noch Jahre weiter ohne je die Frage nach dem Warum irgendwie glaubhaft zu beantworten. Schließlich haben sie auf weitere Morde verzichtet. Das war das Beste, was die RAF je gemacht hat. Dafür hätte ich den verbliebenen Ex-RAFlern einen ruhigen Lebensabend in Freiheit gegönnt. Aber jetzt zu Solidaritätsdemos aufzurufen, heißt dass man sich vor einer politischen Bewertung der RAF wieder einmal drückt und nebenbei ihre Taten verharmlost.
Es gibt historische Situationen wo auch Gewalt von links gerechtfertigt ist. Aber was ist mit einer Gruppe, die sich eine solche Situation lediglich herbeianalysiert, um schießen zu können? Wer weckt die Toten wieder auf, wenn man sich halt doch geirrt hat? Welchen Grund gibt es in der Geschichte der RAF, um mit ihr solidarisch zu sein? Wofür mussten so viele Menschen sterben? Kann das jemand beantworten?

Kommentare
23.03.2024 / 18:23 jero (Pi Radio), PiRadio
Übernommen für das Abendmagazin bei Pi Radio
Danke für den Beitrag, wurde versendet.