AJZ Bunte Platte - Das Ende eines Freiraumprojektes

ID 37340
 
AnhörenDownload
Im Oktober gab der Bunte Platte e.V. offiziell die Schließung des von ihm verwalteten Alternativen Jugendzentrums in Leipzig-Grünau bekannt. Ein Interview zu den Hintergründen und dem wie weiter.
Audio
10:16 min, 9618 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 16.11.2010 / 01:52

Dateizugriffe: 1134

Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache:
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: linksdrehendes radio
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 16.11.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das Plattenbauviertel Leipzig-Grünau war Ende der 1990er Jahr schwerpunktmässiges Aktionsfeld von Neonazis. Nicht-rechte Jugendliche und MigrantInnen hatten dort kein ruhiges Leben. Informationsstände der PDS wurden angegriffen, in der „Völkerfreundschaft“ probten Rechtsrock-Bands wie Stroifoier oder Toitonen. In den Mittelpunkt rückte 1999 vor allem der so genannte Treff 2 im Kirschberghaus in der Heilbronner Straße.

In dem vom Jugendbildungsverein (JBV) betriebenen Treff 2 wurde „akzeptierende Jugendsozialarbeit“ praktiziert – die SozialarbeiterInnen hörten und schauten weg, wenn in den Bandproberäumen Hetztiraden gesungen wurden (hier probten u.a. die Bands "Odessa" und "Reichssturm") und wenn „ihre Jungs und Mädels“ rassistische Sprüche klopften. Vom Treff 2 aus wurden Fahrten zu Naziaufmärschen organisiert, NPD-Kader betrieben unbehelligt Nachwuchsrekrutierung.

Nachdem antifaschistische Strukturen, kritische SozialarbeiterInnen und PDS- und Grünen-Politiker das offensichtliche Naziproblem öffentlich skandalisiert hatten und die rechte Gewalt parallel zur medialen Aufmerksamkeit wuchs, wurde dem „Jugendbildungsverein“ die Trägerschaft des „Kirschberghauses“ im März 1999 entzogen.

Die Stadt reagierte mit der Einrichtung einer Fachstelle für jugendpolitische Sonderaufgaben und Extremismus und einem Maßnahmekatalog zur Eindämmung politischer Jugendgewalt. Ein Teil dieses Maßnahmekataloges war die Übergabe des Kirschberghauses an einen neuen Träger. Den Zuschlag bekam der „Kinder- und Jugendtreff e.V.“, dem an einer politischen Auseinandersetzung mit dem Problem rechter Denk- und Handlungsweisen nicht gelegen war.

Die jungen antifaschistischen GrünauerInnen, die einen großen Anteil an der Öffentlichmachung des Naziproblems hatten, blieben unberücksichtigt. Zahlreiche Besuche bei den politischen Verantwortlichen der Stadt, eine Demonstration und ein Straßenfest konnten kein Verständnis für ihr berechtigtes Anliegen wecken, nach dem eigene Räume zum Aufbau einer humanistischen, bunten Kultur das beste Konzept gegen beschränkte rechte Ideologien und den schweigenden Rest sind.

Die Forderung nach einem alternativen Jugendzentrum in Grünau verhallte ungehört, die jungen Leute zogen weg. In Grünau wurde es ruhig, zumindest was die Bemühungen zur Etablierung einer zum rechten Mainstream alternativen Jugendkultur betraf.

Es war im Sommer 2004 als in Leipzig-Grünau unbemerkt von der Öffentlichkeit ein Projekt entstand, das die Idee wieder aufnahm. Mit Unterstützung von Streetworkern konnte eine Grünauer Jugend-Clique einen kleinen Plattenbau in der Nähe des Kulkwitzer Sees beziehen. Die selbstverwaltete „Bunte Platte“ wurde zum Ort von Kultur, Politik und Projekten.

2007 wurde das Klima rauer – die Bunte Platte,die stärker politisch nach außen trat, wurde vermehrt Ziel neonazistisch motivierter Übergriffe. (Im Mai 2007 gab es bspw. einen Übergriff auf Mitglieder der Bunten Platte, an dem unter anderem der führende Kopf der Leipziger Neonazis-Szene Istvan R. beteiligt war, er wurde im März 2010 deswegen wegen Beihilfe zur tätlichen Körperverletzung verurteilt). Im Juni 2007 veranstalteten die Aktiven der Bunten Platte deswegen die Demonstration Grünau bleibt bunt. Alternatives Zentrum verteidigen“.

Nur wenige Monate später, im November 2007, mussten sie ihr Domizil am Kulkwitzer See räumen. Als Grund für die Kündigung gab die Verwaltungsgesellschaft des Gebäudes, die See GmbH, an, dass die Auseinandersetzungen im Umfeld des Objektes die Ruhe und Ordnung stören würden und dies den BewohnerInnen und BesucherInnen im Umfeld nicht mehr zuzumuten sei. Dass die BetreiberInnen der Bunten Platte nicht Verursachende sondern Betroffene dieser vermehrten Nazi-Angriffe waren, spielte für die Vermieterin keine Rolle.

Nun begannen für die jungen Leute eine fast zweijährige Suche nach einem neuen Raum. Verschiedene Objekte wurden ins Auge gefasst, Verhandlungen geführt, allein ein Ergebnis kam nicht zustande.

Im 2009 dann beschloss der Stadtrat zu Leipzig die Schließung des Offenen Treffs Olympic in Grünau. Die Räumlichkeiten in der Pfaffensteinstraße 12 wurden in die Hände des Bunte Platte e.V. gelegt.

Am 1.8.2009 eröffnete das AJZ Bunte Platte im Anschluss an den 3. Bunte Platte Fußball-Cup. Schon zu diesem Zeitpunkt war die Gruppe brüchiger geworden. Zwei Jahre nervenaufreibender Suche mit wiederholtem Scheitern, zwei Jahre ohne festen Treffpunkt hatten ihre Spuren hinterlassen.

Ein Jahr danach, kurz nach einer durchaus erfolgreichen Antirassismuswoche – mit Veranstaltungen, Party und dem 4. Bunte Platte-Cup, war der Entschluss gereift das Haus aufzugeben.

Der Fakt, dass viele der Aktiven inzwischen fest ins Berufs- und Familienleben eingespannt sind, wie die Bunte Platte in ihrer Erklärung vom 18.10.2010 anführt, reicht nicht um diesen Schritt zu erklären.

Die Stadt Leipzig muss sich vielmehr fragen lassen, warum sie nicht 2007, nachdem die Jugendlichen ihr Domizil verloren hatten, schneller reagiert hat. Spätestens im April 2008 war die Forderung lautstark mit einer Demonstration kund getan worden.
Auch wenn die bürokratischen Mühlen langsam mahlen, müsste insbesondere den mit Jugendarbeit vertrauten Akteuren bekannt sein, wie schwierig es für junge, ehrenamtlich aktive Leute ist, sich kontinuierlich mit Institutionen – ob Vermietern oder städtischen Ämtern, auseinanderzusetzen.

Schlussendlich zeigt der Weg des AJZ Bunte Platte auch, dass das Betreiben eines selbstverwalteten Zentrums nicht nebenbei zu machen ist. Wie soll eine Gruppe von Jugendlichen - neben Ausbildung, Berufstätigkeit und Privatleben - ein Haus samt inhaltlichen Angeboten betreiben, Fördermittel für Projekte akquirieren, Netzwerkarbeit im Stadtteil machen etc. - Aufgaben, für die andere Träger mehrere Stellen zur Verfügung haben?
Auch selbstverwaltete Jugend-Projekte brauchen sensible Unterstützung und Beratung, zum Beispiel durch das Jugendamt der Stadt. Dies zeigen auch die Erfahrungen mit Jugendpartizipationsprojekten: wenn die formalen Rahmenbedingungen stimmen, dann funktioniert´s auch inhaltlich, wenn nicht sind solche Projekte oft zum Scheitern verurteilt.

Die Bunte Platte sollte mehr sein als ein die existente Jugendhilfe-Landschaft ergänzendes Projekt. Das AJZ hatte den Anspruch Freiraum zu sein, ein Freiraum von Neonazis und Diskriminierungsdenken, ein Freiraum für die freie Entfaltung alternativer Jugendkultur und solidarisches Miteinander.

Grünau bedarf solcher Bemühungen weiterhin dringend. Der Stadtteil bleibt neben dem Osten der Stadt sowie Lindenau und Großzschocher Hauptaktionsfeld von Neonazis. Im Juli 2007, April 2009 und auch am 16.10.2010 marschierten dort Neonazis auf. Propaganda-Aktionen, das Stören von Veranstaltungen oder Einschüchterungsaktionen gehören in ihr Repertoire. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an den Brandanschlag auf das Kulturzentrum KOMM-Haus im November 2008. Widerspruch aus der BewohnerInnenschaft war kaum zu vernehmen, die kurzzeitig aktive BürgerInneninitiative „Buntes Grünau“ schlief aufgrund mangelnder Resonanz wieder ein.

Nicht zuletzt weisst Grünau typischen Merkmale einer ostdeutschen Plattenbausiedlung auf: Überalterung der Wohnbevölkerung und Ansiedlung einkommenschwacher Haushalte bilden verkoppelt mit dem Rückbau öffentlicher Infrastruktur ein Gemisch, das unweigerlich zu sozialen Spannungen führen kann.

Vor diesem Hintergrund ist die Schließung des AJZ Bunte Platte besonders dramatisch. Gleichwohl ihre Ankündigung als Gruppe in einem kleineren Raum weiterzumachen positiv stimmt.

(linxxnet.de)

+++

Bunte Platte e.V. beendet zum 31.12.2010 Freiraumprojekt „AJZ Bunte Platte“ in Grünau

Das AJZ Bunte Platte wird zum Jahresende 2010 schließen. Die InitiatorInnen und BetreiberInnen des selbstorganisierten Projektes haben sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Schließlich ging es dem Verein Bunte Platte mit der Eröffnung am 1.8.2009 darum, ein alternatives Jugend- und Kulturzentrum, ein Zentrum für demokratische Kultur, zu schaffen.
Nach über einem Jahr des Betreibens des AJZ Bunte Platte ist jedoch die Erkenntnis gereift, dass die Arbeit und damit das Aufrechterhalten des AJZ in der Pfaffensteinstraße für uns unmöglich geworden ist.

Ein kurzer Rückblick: Die bis November 2007 genutzten Räumlichkeiten nahe des Kulkwitzer Sees waren vom Vermieter gekündigt worden, da das Haus mehrfach Zielscheibe neonazistischer Angriffe geworden war. Mit hohem Krafteinsatz wurde nach einer neuen Räumlichkeit gesucht. Dabei mussten jedoch mehrere Rückschläge in Kauf genommen werden. Im Februar 2009 entschied der Stadtrat zu Leipzig den städtischen Jugendtreff Olympic zu schließen und die Räumlichkeit in die Hände des Bunte Platte e.V. zu geben. Rückblickend ist die Erkenntnis gereift, dass das Angebot der Stadt Leipzig viel zu spät kam. Ohne einen festen Ort, der Möglichkeiten zur selbstbestimmten Gestaltung von Angeboten und für soziale Zusammenkünfte bot, wurde die Gruppe brüchig. Für viele bestand kein Sinn mehr in Grünau wohnen zu bleiben.
Nichts desto trotz nahmen die verbliebenen AkteurInnen das Angebot der Stadt, die Räumlichkeiten des alten „Olympic“ zu nutzen, gern an.
Im ersten halben Jahr zahlte der Bunte Platte e.V. die monatliche Miete in Höhe von über 1000€ selbständig. Dies führte den Verein schnell an den Rand seiner finanziellen Möglichkeiten. Darüber hinaus stellte sich schnell heraus, dass das ehrenamtliche Betreiben des AJZ die Kräfte der wenigen Aktiven übersteigt.
Aus den vielen Jugendlichen, die sich in der Bunten Platte engagier(t)en wurden seit dem Verlust des Objektes am See junge Erwachsene, die berufstätig sind und teilweise Familien gegründet haben. Individuelle Ressourcen für die sehr anspruchsvolle Arbeit im AJZ waren dadurch weniger vorhanden.
Ohne eine bezahlte Personalstelle, die sich um Öffnungszeiten und tagtäglich anfallende Aufgaben kümmert, ist für uns das Betreiben eines Jugendzentrums nicht möglich. Die Aussichten auf solch eine Stelle waren jedoch von Anfang an sehr schlecht und ein erneuter, zäher politischer Kampf darum hätte trotz zahlreicher UnterstützerInnen erneut Kraft gekostet, die nicht mehr zu bündeln war.

Vor diesem Hintergrund und der schwer erreichbaren Lage des AJZ (am äußersten Rand der Stadt) ist es nicht gelungen, neue Jugendliche in die Arbeit einzubinden und das Angebot eines alternativen Freiraumes, in dem nicht-rechte Jugendliche ihre Freizeit verbringen und selbstbestimmt kreativ gestalten können, ausreichend zu popularisieren.
An alternativen Projekten, wie sie gerade ihre Blütezeit in Leipzig-Plagwitz haben, mangelt es nach wie vor in Grünau. Seit Ende der neunziger Jahre hat sich jedoch in Grünau einiges bewegt. So stehen die Offenen Freizeittreffs allen nicht-rechten Jugendlichen offen und werden auch durch diese genutzt.
Die Idee eines selbstorganisierten Freiraumes für alternative und demokratische (Jugend-) Kultur wird durch die Bunten Platte Aktiven und deren FreundInnen weiterhin nachdrücklich unterstützt. Solche Räume bieten die Möglichkeiten Kritikfähigkeit, Selbstbestimmung und Kreativität auszubilden, jenseits wirtschaftlicher Interessen sowie jenseits politischer Beliebigkeit. Sie sind und bleiben zentrale Möglichkeiten neonazistischen Jugendbewegungen vorzubeugen und stattdessen soziales, antifaschistisches Engagement und gegenseitiges Interesse zu fördern. Das Betreiben solcher Räume benötigt allerdings ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen.
Die Schließung des AJZ Bunte Platte ermöglicht uns, unsere knapper gewordene Zeit in andere Projekte zu investieren. Wir werden weiterhin im Stadtteil tätig bleiben. So soll unter anderem auch 2011 wieder zum “Bunte Platte Cup” gegen Rassismus und Diskriminierung gekickt werden. Die Internetpräsenz des Vereins wird weiterhin bestehen bleiben ebenso wie wir neue Aktionen, Events und politische Diskussionen anregen werden.

Engagierte und Interessierte, die mit uns gemeinsam aktiv werden wollen, können uns über Email (die auch auf der Homepage zu finden ist) kontaktieren .
Der Bunte Platte e.V. dankt last but not least allen, die sich in den vergangenen Jahren für das Projekt Alternatives Jugendzentrum eingesetzt haben. Wir wissen, dass wir mit unserer Entscheidung auch Enttäuschung auslösen. Wir sind als Gruppe und Bunte Platte e.V. weiterhin ansprechbar, stehen für individuelle Gespräche bereit und benötigen bei der fortlaufenden Tätigkeit auch weiterhin Unterstützung.
(Pressemitteilung Bunte Platte e.V., 18.10.2010)

Kommentare
16.11.2010 / 10:24 meike, Radio Dreyeckland, Freiburg
danke!
gespielt im mora am 16.11. bei rdl
 
17.11.2010 / 00:13 tagesaktuelle Redaktion, Radio Corax, Halle
Vielen Dank für das Interview! Ton wird zu Beginn leiser.
Haben Auszüge für die Regionalnachrichten verwendet. Diese laufen am Donnerstag in den Magazinen.
 
18.11.2010 / 13:40 Katharina Mann, Norbert Büchner, Dissent Medienwerkstatt
gesendet bei zip-fm am Donnerstag, 18. November 2010
Stark gekürzt, aber Danke!