Lagebericht aus der Region Afrin

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Ostermontag, 02.04.2018
Frankfurter Ostermarsch 2018, Hauptkundgebung auf dem Römer
Rede von Dr. Michael Wilk:
Er kam wenige Tage zuvor zurück aus Afrin. Er sprach über die derzeitige Situation vor Ort und die Zusammenarbeit mit MEDICO International. Er ist seit 2014 immer wieder in dieser Region als Notarzt tätig. Er zeichnete ein Bild über die Situation der Flüchtlinge in dieser Region, berichtete, was mit ihnen passiert ist, was die türkische Invasion dort angerichtet hat und der „Beitrag“ der deutschen Regierung und der westlichen Staaten zu diesen desaströsen Zuständen.
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13:03 min, 12 MB, mp3
mp3, 127 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 05.04.2018 / 13:08

Dateizugriffe: 2213

Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Religion, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Friede, Freiheit, Menschenrechte
Entstehung

AutorInnen: Radio-Quer Mainz-Wiesbaden, Helmut
Radio: RadioQuer, Wiesbaden im www
Produktionsdatum: 05.04.2018
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Lagebericht aus der Region Afrin

Ostermontag, 02.04.2018
Frankfurter Ostermarsch 2018, Hauptkundgebung auf dem Römer
Rede von Dr. Michael Wilk:
Er kam wenige Tage zuvor zurück aus Afrin. Er sprach über die derzeitige Situation vor Ort und die Zusammenarbeit mit MEDICO International. Er ist seit 2014 immer wieder in dieser Region als Notarzt tätig. Er zeichnete ein Bild über die Situation der Flüchtlinge in dieser Region, berichtete, was mit ihnen passiert ist, was die türkische Invasion dort angerichtet hat und der „Beitrag“ der deutschen Regierung und der westlichen Staaten zu diesen desaströsen Zuständen.

Nachstehend das Manuskript seiner Rede, die er zwei Tage zuvor beim Mainz-Wiesbadener Ostermarsch 2018 in Wiesbaden gehalten hat und die nahezu identisch mit der in Frankfurt ist:

Rund 21 Millionen Einwohner lebten in Syrien, ca. 500.000 sind gestorben, ca. 11 Millionen
sind auf der Flucht, 5 Millionen davon im Ausland.
Mit der Besetzung Afrins geht das Morden und Sterben weiter- erreicht das Elend einen
neuen Höhepunkt.
Hunderttausende sind erneut auf der Flucht. Ich war noch vor wenigen Tagen im Gebiet
Afrin/Sheba nördlich von Aleppo. Zehntausende kampieren noch unter freiem Himmel, es
fehlt an allem: Unterbringung, Nahrung, medizinischer Versorgung.
Die türkische Aggression wäre nicht möglich ohne die Duldung und Unterstützung durch
BRD und EU. Es sind nicht nur Waffengeschäfte, es geht um Einflußzonen und
ökonomisch/militärischen Machterhalt. Der Euphrat wird zur Grenze zwischen russischem
und iranischem Machtbereich südlich des Stroms und nordamerikanischer und europäischer
Einflusszone im Norden. Das ist der durchschaubare Plan. Die kurdische Bewegung wird
dabei hemmungslos funktionalisiert. Die jungen Frauen und Männer, die ihr Leben und
Gesundheit gegen den IS opferten, haben ihren Zweck erfüllt.
An den Händen der Mächtigen klebt das Blut Afrins. Die Regierenden Europas sind
Verbrecher - aktiv, oder mindestens durch Unterlassung.
Die Besetzung Afrins durch die türkische Armee und fundamental-islamistische Hilfstruppen,
wird durch eine Propagandaschlacht ungeheuren Ausmaßes flankiert. Es wird gelogen,
Falschinformationen werden gezielt verbreitet, mit dem Ziel, Erdoğans Krieg als sauberen
Einsatz gegen Terroristen dastehen zu lassen. Eine dreiste Lüge. Attacken ausgehend vom
Gebiet Afrin gegen die Türkei hat es nicht gegeben.
Auch wird von Seiten der Aggressoren hartnäckig behauptet, es hätte keine oder kaum zivile
Opfer gegeben. Unzählige Dokumente bezeugen das Gegenteil. Hunderte Opfer (ca. 300)
wurden seit Beginn der Auseinandersetzung am 20.1. zumeist namentlich erfasst und zum
Beispiel durch den Kurdischen Roten Halbmond (Heyva sor a kurd) veröffentlicht. Mit der
Beschießung von Afrin-Stadt und sogar dem Krankenhaus, dürften die Zahlen noch weitaus
höher liegen. Die Dokumentationen wurden mit der Aufforderung zur Hilfe international
verbreitet. Erfolglos. Weder die internationale Staatengemeinschaft, noch die EU, ganz zu
schweigen von der Bundesregierung, zeigten nennenswerte Reaktionen. Zeitgleich erfolgten
Waffenlieferungen an den Natopartner Türkei, wurden Unsummen zur Flüchtlingshilfe
gezahlt. Eingedenk der Tatsache, dass die militärische Intervention der Türkei nun gerade erst
eine Fluchtbewegung hunderttausender Menschen auslöst, eine absurde Perversion. Diese
Tatsache wurde jedoch noch an Perfidie übertroffen, indem man diejenigen, die hier gegen
den Terror auf die Straße gehen, kriminalisiert und drangsaliert, nur weil sie die Symbole der
kurdischen Verbände öffentlich zeigen, die im Bündnis mit u.a. den USA den IS vertrieben.
Die Opfer der türkischen Invasion und der fundamental-islamistischen Söldner sind bekannt.
Die Namen hunderter Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, die Verletzten und
Verstümmelten sind gut dokumentiert. Freunde von mir berichten über viele Verschüttete
nach den Bombardements durch türkische Flugzeuge, und die Unmöglichkeit sie zu bergen,
weil auch die Helfer und Helferinnen beschossen wurden. Es gibt vermehrt Berichte von
Vergewaltigungen und verschwundenen Menschen. Die Bilder von Plünderungen sind
bekannt.Die politischen Vertreter und die Verantwortlichen der Politik wissen von diesen Tatsachen.
Sie zeigen jedoch eine unglaubliche Ignoranz, Hemmungs- und Skrupellosigkeit.
Was die Bundesregierung von sich gibt, sind nicht nur Lippenbekenntnisse und Phrasen –
sondern es sind handfeste Lügen. Waffenlieferungen im Wert von 4,4 Millionen seit dem
Beginn des Krieges gegen Afrin bedeuten eine Mitschuld an der völkerrechtswidrigen
Besetzung Afrins durch türkische und fundamentalistische Aggressoren.
Die Regierung und führende VertreterInnen der Parteien reden davon, Fluchtursachen
bekämpfen zu wollen - ihre reale Politik aber bekämpft Menschen und treibt sie in die
Flucht...
Da sie die Moral nicht haben, da sie nicht über das Maß an Anstand und Respekt verfügen, da
sie nicht die Augen und Ohren haben, das Elend zu vermerken, das sie verursachen und keine
Scham kennen- liegt es an uns: Lasst nicht nach im Protest, tut alles was möglich ist. Die
Menschen hier wissen von euren Bemühungen, das gibt ihnen Hoffnung. Ob das soziale
Experiment Rojava eine Chance hat zu überleben, liegt auch an uns.
Widerstand fängt bei uns an. Da wo wir leben, arbeiten und zu Hause sind.


Quelle: http://www.dfg-vk-mainz.de/aktuell/oster...
(Nähere Infos auch auf dieser Seite. Ein Besuch dort lohnt sich!)