25 Jahre Chemikatastrophe Bhopal - No Justice-No Business - Teil1

ID 30940
 
Zeitzeugen und Aktivisten aus Bhopal, Indien berichten (in nachgesprochener Übersezung) von der fortdauernden Katastrophe. Zusammen mit Teil 2 ist das eine Sendung von 59 min zum Thema, unter Verwendung von zusätzlichem Material.
Audio
29:36 min, 34 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.12.2009 / 22:23

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales
Entstehung

AutorInnen: Redaktion Treffpunkt Eine Welt bei Radio Darmstadt zusammen mit der Radiogruppe von ai Jena
Radio: RadaR, Darmstadt im www
Produktionsdatum: 02.12.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Anmod:

Willkommen zu "amnesty international im Radio", eine Sendung der Hochschulgruppe von ai in Jena. Die Gruppe stellt in der nächsten Stunde eine Auschnitt ihrer Arbeit für die Menschenrechte vor. Denn die Jenaer ai-ler beherbergten am 28. Oktober Zeitzeugen und
Aktivisten einer Busttour zu Bhopal durch Europa.

Und sie hatten dazu auch einen Stand im Campus und eine Abend-Veranstaltung in der Universität organisiert.
Vor 25 Jahren passierte in Indien, in Bhopal, der bisher wohl folgenschwerste Chemie-Unfall.
Rachna Dhingra, Safreen Khan, Sanjay Verma, Becky Moss und Liz Campbell informierten zusammen mit den lokalen Amnesty-Gruppen auch in 8 weiteren deutschen Städten über die aktuelle Situation in Bhopal, und Über die schleppende juristische Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverletzungen.
Organisiert wurde die Tour von Amnesty International, der International Campaign for Justice in Bhopal und dem Bhopal Medical Appeal.
Was Rachna zu berichten wusste, das hören Sie gleich übersetzt auf Deutsch. Sie sagte:

[Übersetzter O-Ton durch weibl. Stimme nachgesprochen]
Guten Abend, liebe Freunde!
Mein Name ist Rajna, ich bin Aktivistin für Bhopal seit 7 Jahren.
Und ich arbeite für eine Gruppe namens "International Campaign for Justice in Bhopal“.
Und das ist Safreen, Sie haben sie wahrscheinlich erkannt in dem Film, den sie eben sahen.
Sie ist Gründerin einer Kinder-Gruppe namens "Kinder gegen Dow Carbide" und lebt mit ihrer Familie in einer Gemeinde, wo das Wasser verseucht ist durch den Giftmüll der Union Carbide – Fabrik. Und das ist Sanjay Varma. Er war sechs Monate alt zum Zeitpunkt der Katastrophe. Und er hat sich ebenfalls aktiv in den Kampf um Gerechtigkeit eingebracht.
Die beiden werden noch über ihre Geschichten und ihre Kampagnen sprechen.
Ich werde nur eine kurze Einführung geben, was geschehen ist, und warum wir hier sind.
Dieser 3. Dezember 2009 ist der 25. Jahrestag der schlimmsten Industrie-Katastastrophe Welt, die in Indien, in Bhopal, in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1984, passiert ist.
Die meisten der Menschen, mit denen wir in Deutschland sprachen, haben gehört, dass da etwas ganz Schlimmes passiert im Jahr 1984, und denken, alles ist OK jetzt.
Viele Menschen haben haben auch noch gar nichts davon gehört. Menschen die jetzt Anfang zwanzig sind, oder Ende zwanzig oder Anfang dreißig sind, wissen oft nichts davon.
Also, in der Nacht des 2. Dezember, war Gas ausgetreten, aus einer Pestizid-Fabrik, die von einem amerikanischen Unternehmen betrieben wurde: Der Union Carbide Corporation, und die stellten Pflanzenschutzmittel her. In jener Nacht, sind über 40 Tonnen eines sehr giftiges Gas, Methylisocyanat, aus dieser Pestizidfabrik ausgetreten.
Die Fabrik war gebaut worden in einem dicht besiedelten Gebiet. Es wohnten eine Menge Menschen rund um die Fabrik.
Und niemand von denen hatte eine Ahnung, daß es eine Fabrik in der Nachbarschaft gab., die so giftige und tödliche Produkte verarbeitete. Als das Gas auszutreten begann, hatten die Menschen ein brennendes Gefühl in ihren Augen, begannen zu husten , fingen an zu Erbrechen, aber man wusste nicht, dass es ein Gasleck gab. Manche Leute dachten, dass da jemand viel Chilli verbrennt, und deshalb wäre der Rauch, Die Leute begannen wegzulaufen. Raus aus ihren Häusern, um dieser Qual zu entfliehen.
Und weil sie anfingen zu rennen, haben sie viel von diesen Gasen inhaliert. Wenn sie liefen, und wenn sie viel einatmeten, starben sie sofort. Weil sie durchs Einatmen alle dies Gifte aufnahmen. Die Fabrik hat niemals gewarnt hat, dass, falls es eine Undichtigkeit gibt, man nicht wegrennen soll, sondern sich in einen geschlossenen Raum flüchten soll, damit man nicht mit dem Gas in Kontakt kommt, oder durch nasse Tücher atmen soll. Also, je schneller sie liefen, desto mehr haben sie eingeatmet und desto schneller starben sie.
Und so hat diese ganze Tragödie begonnen. Innerhalb von 72 Stunden, innerhalb von drei Tagen gab es etwa 8000 Menschen, die gestorben sind. Die indische Regierung schätzte die Anzahl der Todesopfer auf ca. 3000. Aber wir haben mit den LKW-Fahrern gesprochen, die die Leichen abfuhren und sie in den Fluss kippten, oder in den Dschungel. Und wir haben sie auch geschätzt aufgrund der Zahl der Tücher, die verteilt wurden, um die Menschen zu begraben.
Als das Unglück passierte, gab es Tausende von Menschen die in die Krankenhäuser drängten, mit allen möglichen Problemen. Und die Ärzte hatten keine Ahnung, was sie mit ihnen tun sollen. Sie wussten nicht, was Besserung bringen könnte, und wie sie zu behandeln wären. Sie kannten kein Gegenmittel. gegen MIC. So riefen sie bei er Union Carbide Fabrik, an, und alles, was Union Carbide sagte, war: "Gebt ihnen einfach Wasser. Es ist wie Tränengas. Nichts giftiges. Nur Wasser geben, und sie werden sich besser fühlen. .
Und niemand fühlte sich besser, nur mit Wasser, die Leute starben.
Aber, UC: weigerte sich – und weigert sich bis zum heutigen Tag - die Toxikologie der Gase herauszugeben, weil es ihr Geschäftsgeheimnis sei. Wir wissen, es war nicht nur MIC, sonden eine Kombination mehrerer giftiger Gase, und U.C. nannte sie uns nicht, weil sie sagten, es würde den Prozess offenbaren, wie sie diese
Schädlingsbekämpfungsmitteln herstellen,
Sie nannten es ein Betriebsgeheimnis. So setzte sich diese Katastrophe fort.
Die Leute begannen, an langfristigen gesundheitlichen Problemen leiden, und außerdem, - wissen Sie - dass ist nicht nur ein Unglück, das da passiert ist in dieser Nacht. Es war eine gemachte Katastrophe.
Der Grund, einer der Hauptgründe, warum das Gas ausgetreten war, ist folgender : MIC muss auf
einer tiefen Temperatur gehalten werden. Und um Geld zu sparen, wurde bei U.C. regelmäßig die Kälteanlage abgeschaltet. Um 30 Dollar pro Tag zu sparen. Und das machten die routinemäßig. Und dabei wurde eine exotherme Reaktion ausgelöst. Mehrere Einrichtungen der Anlage waren in der Nacht des Unglücks nicht in Betrieb.
Im Jahr 1989 gab es einen aussergerichlichen Vergleich UC gab etwas Geld für die Opfer, als Entschädigung. Dies waren etwa 500 bis 600 Euro für bleibende Gesundheitsschäden, für jemanden, der dem Gas direkt ausgesetzt war, und etwa 1500 bis 2000 Euro für einen Toten in der Familie. Diese Zahlen sind erbärmlich, und sie sind wirklich eine Schande. Zu sehen, dass ein Menschenleben so wenig wert ist.
Das war eine sehr gut durchdachte und gut geplante Übung für sie, weil Indien in den USA Klage gegen Unternehmen UC erhob. Aber der Richter in New York sagte, er könne kein Verfahren eröffnen. Der Fall müsse in Indien geklärt werden. Die indische Regierung nahm Verhandlungen auf mit UC Indien, und dass war dann der Betrag, den sie ausgehandelt haben, 470 Millionen Dollar als Entschädigung für mehr als eine halbe Million Menschen. UC tat alles, um sicherzustellen, das sie für möglichst wenig hafteten.
Ich nenne folgende Beispiel, weil es die Grausamkeit einer Firma zeigt.
Also, als die Leute sehr krank waren, gab es einen deutschen Wissenschaftler, der im Januar '85 nach Bhopal kam. Und er sagte, wenn die Menschen den chemischen Stoff Sodiumthiosulfid injiziert bekämen, wird es ihnen helfen, sie würden sich dann besser fühlen. Es würde den Körper entgiften, im Grunde wäre es ein Gegenmittel gegen MIC. Also, U.C. sagte, ja, es sollte angewendet werden, und alle begannen mit diesen Injektionen, die staatliche Krankenhäuser, Privatkliniken, die Menschen, die aus der ganzen Welt gekommen waren, um den Leuten in Bhopal zu helfen, alle. Alle Kliniken begannen mit diesen Injektionen.
Nch einem Monats gab es ein Rundschreiben UC
Corporation, das sagte: Wir glauben nicht, dass dieses Sodiumthiosulfid hilft. Und die indische Regierung gab schon am nächsten Tag ein Rundschreiben heraus, das anwies, diese Behandlung, diese Injektionen sollten gestoppt werden.
Wir betrieben eine Klinik zu diesem Zeitpunkt, und die Mitarbeiter wurden verhaftet und kamen für 28 Tage ins Gefängnis, alle unsere Patientendaten wurden beschlagnahmt, praktisch eine Razzia in der Klinik, und die Klinik wurde geschlossen.
Und später fanden wir heraus, warum das gemacht wurde:
Denn wenn Sie anfangen ein Gegenmittel, diese Spritzen, zu geben, dann entgiften sie die Opfer, und die schieden das Gift mit dem Urin aus. Das bedeutet, die Schäden sind nicht mehr äußerlich zu sehen, die bleibt aber in den inneren Organen des Körpers. Das heißt, ihr Blut, verschiedene innere Körperteile sind betroffen, und das bedeutet für die Haftung des Unternehmens, das die Schadenssumme enorm steigt. Das Unternehmen muss nicht nur einmalige Entschädigungen für Schäden an äußeren Körperteilen bezahlen, für eine Hand, ein Bein, einen Arm, sondern für lebenslange Behinderungen. Für eine zukünftige Mutter, für eine Frau, die schwanger war, die Schäden an der Gebärmutter erlitten haben.
Das war alles sehr gut durchdacht, und deshalb hatten wir solch einen ungünstige Schadensersatzregelung.
Unmittelbar nach der Katastrophe verließ das Unternehmen Indien. Und sie verließen die Fabrik, so wie sie war.
Sie hatten - zwischen 1969 und 1984 alle möglichen Arten von giftigen Abfällen in und um die Fabrik wild abgelagert. Und sie wussten, im Jahr 1981, also 3 Jahre vor der Katastrophe, dass die den Boden vergifteten. Das steht in ihren Dokumenten, auf die wir jetzt Zugriff haben. Sie wussten also, dass sie mit der Art und Weise, wie sie ihre Abfälle entsorgen, Boden-und Wasserverschmutzung verursachen. Aber sie taten nichts.
Im Jahr 1989 haben sie in der Fabrik das Grundwasser getestet, aus diesen Bohrbrunnen, und sie stellten fest, daß es ein 100%iges Fischsterben verursacht, auch noch nach 10-facher Verdünnung des Wassers.
Es gab nie eine entsprechende Information an die Menschen, die neben der Fabrik lebten, oder an die Regierung. Und nun haben wir die Situation:
Es gibt mehr als 30.000 Menschen, die in den Gemeinden neben UC Fabrik leben, die dieses verschmutzte Grundwasser trinken, seit 18 Jahren. Es werden viele Kinder mit Missbildungen geboren.
Die Menschen kämpften gegen die abgeschlossene Schadenersatz-Regelung, sie kämpften für eine bessere Gesundheits­versorgung.
Im Jahr 2001 kam UC auf eine bessere Lösung, um ihre Haftung zu umgehen: Sie ließen sich von einem sehr großen Chemie-Unternehmen aufkaufen, der Dow Chemical Company. Dow hat sich schon einen Namen gemacht. Während des Vietnam-Kriegs machten sie Napalm und Agent Orange, um die Menschen in Vietnam zu töten. Hunderte und Tausende von Kindern in Vietnam werden mit Missbildungen geboren, weil sie Agent Orange ausgesetzt waren, also Dioxin im Wesentlichen.
Und auch in ihrem eigenen Hauptquartier in Midland, Michigan, kämpfen sie eine Kampf gegen sich wehrende Bewohner, weil sie die Luft, den Boden und das Wasser dort völlig verschmutzt hatten.
Also, diese Dow Chemical übernahm UC, und sagten: Wir werden auch keine Verbindlichkeiten übernehmen für UC, wir nehmen zwar alle Vermögenswerte, aber wenn es um die Haftung geht, die übernehmen wir nicht. Ihr werdet uns nicht dazu zwingen.
Es ist ein ständiger Kampf gegen Dow C., solange wir da sind. Weil Dow C. gewarnt wurde, bevor sie UC übernahmen, dass Sie bei einer Fusion nicht nur das Vermögen nehmen, und die Verbindlichkeiten abschlagen können. Will sagen: Wenn darum geht, in den USA Verbindlichkeiten von U.C. Zu übernehmen: In den USA
hat Dow C. die übernommen. Dort zahlte Dow C. 2,1 Millionen Dollar an 12 Arbeiter, die Asbest, einem anderen UC Produkt, ausgesetzt waren.
Aber wenn es um Bhopal geht, dann messen sie wirklich mit zweierlei Maß. Es ist, wie Sie wissen, der 25. Jahrestag, und es ist ein sehr langer Kampf. Die Menschen in Bhopal haben gekämpft und werden weiter kämpfen, nicht nur gegen das Unternehmen, sondern gegen die eigene Regierung, die immer auf der Seite des Unternehmen stand, und nie auf Seiten ihrer Leute in Bhopal.
Wir sind hier, weil wir denken, der Kampf ist nicht nur für die Menschen in Bhopal. Der Kampf ist für alle Gemeinden, die leiden wie Bhopal. Und wenn Sie sicher gehen wollen, , dass sich nicht noch mehr Bhopals wiederholen, dann müssen Sie darauf achten, dass es Gerechtigkeit gibt. Dass ein Präsident an der Macht ist, der festgelegt, dass die Unternehmen nicht einfach kommen können, und zu töten und zu verschmutzen, und dann verschwinden ohne jegliche Haftung.
Und das ist ein Job, der nicht nur von den Menschen Bhopal getan werden kann. Dazu müssen sich die Menschen dieser Welt zusammentun, und kämpfen gegen diese Ungerechtigkeit. Denn was sagt uns das jetzt: Zur Zeit können sich die Firmen alles erlauben, und kommen ziemlich gut weg damit.
Da steht zwar der Vorsitzende und CEO von UC, Warren Anderson, in Indien unter Anklage. Er kam 5 Tage später, nach der Katastrophe, zahlte eine Kaution von 500 Dollar, sagte, er würde zurückkehren, und ist nicht zurückgekehrt. Er lebt ein tolles Leben in New York, und wahrscheinlich ist die Mitgliedschaft in seinem Golfclub mehr wert, als sie uns jemals an Entschädigung bezahlt haben.
Das ist es, warum wir hierher gekommen sind. Wir sind mit einem Bus unterwegs. Und wo wir hinkommen auf unser Tour, bitten wir, dass jeder von Ihnen im Rahmen seiner individuellen Fähigkeiten, im Rahmen der Möglichkeiten der Organisationen, mit denen Sie verbunden sind, vorangeht, und aktiv wird gegen diese Ungerechtigkeit. Danke.

Indische Musik, noch mehrere Text-Blocks folgen.

Kommentare
03.12.2009 / 20:40 theo,
gesendet 3.12.2009 / 20.30 in - siehe Titel
danke für Teil 1+2
 
04.12.2009 / 15:14 RDL, Radio Dreyeckland, Freiburg
Teil 1 und 2 gesendet
O-Ton Playback vom 4. Dezember - Dankeschön!