Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt
ID 82563
Der Pazifismus ist eine Bewegung, die es immer schwer hatte und auch heute noch hat: Pazifisten werden von vielen belächelt, von manchen verteufelt und von anderen wiederum einfach ignoriert. In der Sendung geht es um die Geschichte des Pazifismus, aber auch mit Fragen dieser Art: wie begegnen Pazifisten heute der Herausforderung Krieg, welche Vorschläge zur friedlichen Lösung von Konflikten haben sie und wie wollen sie diese Vorschläge umsetzen? Dazu Stimmen von einer Tagung in Frankfurt, die Anfang des Jahres stattfand unter dem Titel „Die Zukunft des politischen Pazifismus“
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43:27 min, 40 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 18.04.2017 / 22:40
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Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Mod.:
Willkommen zu einer Sendung der
Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK. Bei uns geht es heute um eine Bewegung, die von vielen belächelt, von manchen verteufelt und von anderen wiederum einfach ignoriert wird. Und die sich dennoch über Jahrzehnte gehalten hat: den Pazifismus.
Zuspielung Zusammenschnitt O-Töne
Mod.:
Stimmen von einer Tagung in Frankfurt, die Anfang des Jahres stattfand unter dem Titel „Die Zukunft des politischen Pazifismus“. Veranstalter waren die Bertha-von-Suttner-Stiftung, das Bildungswerk der DFG-VK Hessen und die Frankfurter Gruppe der DFG-VK. Anlass für die Tagung war, dass vor jetzt 125 Jahren die Deutsche Friedensgesellschaft gegründet wurde.
Wir bringen in dieser Sendung Ausschnitte aus den Referaten in Frankfurt. Wir tauchen ein in die Geschichte des Pazifismus, wir beschäftigen uns aber auch mit Fragen dieser Art: wie begegnen Pazifisten heute der Herausforderung Krieg, welche Vorschläge zur friedlichen Lösung von Konflikten haben sie und wie wollen sie diese Vorschläge umsetzen?
Unser Thema heute: Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt.
Am Mikrofon HW.
Mod:
Pazifismus – der Begriff wird schon seit langem nahezu inflationär und meist recht undifferenziert gebraucht. Sehr oft werden alle diejenigen, die sich in der Friedensbewegung engagieren, pauschal als Pazifisten bezeichnet. Diese Erfahrung hat auch Dr. Gernot Lennert gemacht, Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen in Rheinland-Pfalz. Er referierte bei der Tagung in Frankfurt zum Thema „Strömungen des Pazifismus und Antimilitarismus.“
Zuspielung Lennert-FB-Paz
Mod:
Pazifismus ist also nicht gleich Friedensbewegung. Was genau aber bedeutet der Begriff dann? Pazifismus leitet sich ab vom Lateinischen „pacem facere“, „den Frieden machen“. Pazifisten – und natürlich auch Pazifistinnen – engagieren sich aktiv für den Frieden. Sie lehnen jede Art von Krieg ab, auch den so genannten Verteidigungskrieg. Und – das ist ganz wichtig, weil sie das von anderen Gruppen unterscheidet: Sie kämpfen für ihr Ziel, die Abschaffung von Militär und Krieg, ausschließlich mit gewaltfreien Mitteln. Das tun sie schon sehr lange. Gernot Lennert:
Zuspielung Lennert-paz. Strömungen
Mod:
Zu den Gegebenheiten, zu denen man sich als politisch aktive Gruppe verhalten muss, gehört zum Beispiel der Staat. Das war natürlich auch so in den Zeiten der frühen Pazifisten des 19. Jahrhunderts.
Zuspielung Lennert bürgerl. Paz 2
Mod.:
In Deutschland schlägt die Geburtsstunde des organisierten Pazifismus im Jahr 1892. Am 9. November jenen Jahres wird in Berlin die Deutsche Friedensgesellschaft gegründet. Ihre Mitglieder kommen aus dem kleinen und mittleren Bürgertum, sind Lehrer, Geistliche, Journalisten, Beamte, Selbständige. Dementsprechend gilt die Deutsche Friedensgesellschaft auch als Organisation des so genannten bürgerlichen Pazifismus. Der setzt auf Kriegsverhinderung durch eine starke internationale Rechtsordnung.
Zuspielung Lennert bürgerl. Paz 1
Mod.:
Führend beteiligt an der Gründung der Deutschen Friedensgesellschaft ist eine Frau – und zwar eine aus den so genannten „besseren Kreisen“: Bertha von Suttner, geboren in Prag 1843 als Gräfin Kinsky. Die Wiener Psycho-Analytikerin Dr. Susanne Jalka hat sich intensiv mit Leben und Wirken Bertha von Suttners befasst.
Zuspielung Jalka-1 kurz
Mod.:
Bertha von Suttner wird Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer prominenten Vertreterin des organisierten Pazifismus, und zwar in ganz Europa. 1905 erhält sie als erste Frau den Friedens-Nobelpreis. Bekannt ist sie zuvor schon als Autorin von Romanen. Der bekannteste trägt den Titel „Die Waffen nieder!“, in dem Suttner die Gräuel des Krieges zum Thema macht. Bertha von Suttner lebt in einer Zeit, in der zwar der Krieg heroisiert wird, in der aber auch die Ideen der Aufklärung und des wissenschaftlichen Fortschritts eine große Rolle spielen. Susanne Jalka:
Zuspielung Jalka-3
Mod.:
Mit dem Pazifismus ist es wie mit anderen politischen Bewegungen: Völlige Einigkeit findet man eher selten. Und so gab und gibt es auch verschiedene pazifistische Strömungen. Was sie unterscheidet, ist zum Beispiel die Analyse der Kriegsursachen. Noch einmal Gernot Lennert von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen in Rheinland-Pfalz:
Zuspielung Lennert Konfliktthemen
Mod.:
Leo Tolstoi, der berühmte Schriftsteller, macht in jungen Jahren direkte Erfahrungen mit dem Krieg: Er dient als Fähnrich in der zaristischen Armee, die 1851 im Kaukasus kämpft. Und er erlebt die Belagerung der Festung Sewastopol 1854 im Krimkrieg. Später wird er dann zu einem der führenden Vertreter des religiös begründeten Pazifismus. Tolstois Überzeugung: Krieg und Militarismus lassen sich unmöglich mit den Lehren Jesu und dem christlichen Gedanken der Nächstenliebe vereinbaren. Wenn es um radikalen Pazifismus geht, ist aber nicht nur Leo Tolstoi zu nennen.
Zuspielung Lennert rad. Pazifismus
Mod.:
Zum Gedankengut des radikalen Pazifismus gehört vor allem die Kriegsdienstverweigerung. Sie bedeutet: Der Wehrpflichtige verweigert dem Staat den Gehorsam und leistet keinen Militärdienst. Wenn das massenhaft geschieht, werden Kriege nicht mehr führbar. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges öffnet sich auch die Deutsche Friedensgesellschaft diesem Gedanken. Und neben dem bürgerlichen Pazifismus gewinnen auch andere Strömungen an Einfluss.
Zuspielung Lennert Annäherung Strömungen
Heftige Debatten gibt es in der Deutschen Friedensgesellschaft unter anderem um die Kriegsdienstverweigerung. Man streitet darüber, welchen Stellenwert die Verweigerung haben soll. Ob sie eher ein individuell auszuübendes Recht oder ein Kernstück pazifistischen Denkens und Handelns sein soll. 1922 setzt sich auf der Generalversammlung in Leipzig schließlich die Fraktion durch, die der Verweigerung eine zentrale Rolle zumisst. Im entsprechenden Beschluss von Leipzig heißt es, die Verweigerung sei – so wörtlich - „eine der vorzüglichsten Sicherungen gegen jeden Krieg.“
Heutzutage ist die Kriegsdienstverweigerung in vielen Staaten, vor allem in Westeuropa akzeptiert. Allerdings mit einer deutlichen Einschränkung: Es können nur die verweigern, die sich auf eine Gewissensentscheidung berufen. Eigentlich, so fordert es die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK, müsste die Verweigerung aber als Menschenrecht anerkannt sein. Als ein unveräußerliches Recht, das nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft ist. Mit dem Recht zur Kriegsdienstverweigerung, so wie es heute gilt, ist Gernot Lennert von der DFG-VK nicht zufrieden:
Zuspielung Lennert KDV Menschenrecht
Mod.:
Nach dem 2. Weltkrieg wird in der Bundesrepublik das Recht zur Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz verankert. Im entsprechenden Artikel heißt es: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das nähere regelt ein Bundesgesetz“. Eben dieses Gesetz schränkt die Verfassungsgarantie wieder ein: Verweigern geht nur auf Antrag, die Antragsteller müssen sich einer Gewissensprüfung unterziehen. Die findet jahrzehntelang in mündlicher Form statt, später hauptsächlich in schriftlicher Form. Beides wird von den Betroffenen als erniedrigend, als Gewissens-Inquisition empfunden. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 gibt es ein förmliches Verfahren nur noch für Soldaten, die bei der Truppe verweigern wollen. Aber die Gewissensprüfung könnte eines Tages wieder kommen, warnt Gernot Lennert. Nämlich dann, wenn die Wehrpflicht wieder eingeführt wird.
Zuspielung Lennert Wehrpflicht
Mod.:
Unser Thema heute: „Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt“.
Mitte der 50er Jahre wird die Wehrpflicht, von der gerade schon die Rede war, in der Bundesrepublik eingeführt. Gegen breiten Widerstand in der Gesellschaft. Der wird getragen von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, kirchlichen Gruppen und – nicht zuletzt – von Pazifisten. Einer ihrer führenden Köpfe ist Pastor Martin Niemöller. 1892 in ein deutsch-nationales Elternhaus hineingeboren, hat Niemöller Mitte des 20. Jahrhunderts schon einen bemerkenswerten Lebenslauf hinter sich: Im ersten Weltkrieg Dienst in der kaiserlichen Marine als U-Boot-Kommandant. Nach dem Krieg Theologie-Studium. Ablehnung der Weimarer Republik aufgrund seiner deutsch-nationalen Gesinnung, die er von den Eltern übernommen hat. In der Nazi-Zeit jedoch Verweigerung gegenüber dem Regime und Engagement in der bekennenden Kirche, deshalb Deportation ins KZ. Sein fester Glaube ist es, der Niemöller nach dem 2.Weltkrieg zu dem Entschluss bringt, dass er sich für den Frieden einsetzen muss. Der Theologe und Friedensaktivist Professor Martin Stöhr hat Niemöller persönlich gekannt. Und er kann deshalb Niemöllers Motivation gut einschätzen:
Zuspielung Stöhr Niemöller 3
Mod.:
Martin Niemöller bekleidet nach 1945 hohe Ämter in der Evangelischen Kirche und im Weltkirchenrat. Er ist viel auf Reisen, 1952 fährt er trotz heftiger Kritik zum ersten Mal nach Moskau. Die Außen- und Deutschlandpolitik der Adenauer-Regierung mit ihrer einseitigen Westorientierung lehnt er vehement ab. Ein Gespräch mit führenden deutschen Atomphysikern, die ihn über die Gefahren der Nuklearwaffen aufklären, lässt Niemöller zum Pazifisten werden. Professor Stöhr:
Zuspielung Stöhr Niemöller 1
Mod.:
Martin Niemöller plädiert für eine Wiedervereinigung Deutschlands – nicht weil er noch ein glühender Nationalist wäre. Sondern eben aus der Einsicht heraus, dass die gegenseitige Bedrohung der politischen Systeme in Ost und West eine tödliche Gefahr darstellt. Diese Gefahr ließe sich entschärfen, meint Niemöller, wenn sich ein wiedervereinigtes Deutschland zugleich auch für neutral erklären würde. Und er hat auch einen weiteren konkreten Vorschlag zur Entspannung in Europa:
Zuspielung Stöhr Niemöller 2
Mod.:
Mit dem Wort von der „Finnlandisierung“ Deutschlands zielt Strauß auf diejenigen in Deutschland ab, die sich wie Martin Niemöller für ein neutrales Deutschland einsetzen. Denn Finnland ist schon neutral, gehört also keinem der Militärblöcke an.
Das Konzept eines neutralen Deutschlands lässt sich aber nicht durchsetzen, zu groß sind die Widerstände in der etablierten Politik. Aber ein anderer Gedanke, den Pazifisten wie Martin Niemöller mit Verve vertreten, setzt sich in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts durch: Der Gedanke der friedlichen Koexistenz. Er besagt, dass die beiden Blöcke in Ost und West ungeachtet ihrer Gegensätze ein gemeinsames Interesse haben: Die Verhinderung einer Konfrontation, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer atomaren Katastrophe führen würde.
Auch die organisierten Pazifisten in der Bundesrepublik haben ein gemeinsames Interesse: die Bündelung der Kräfte . Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre findet eine Konsolidierung der in drei Verbände zersplitterten Bewegung statt. Die Verbände fusionieren in zwei Schritten. Übrig bleibt eine gemeinsame Organisation mit einem ziemlich sperrigen Namen: Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner, abgekürzt DFG-VK. Später wird das große „I“ im Namen eingeführt. Die Organisation heißt also Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen. In ihr finden sich nun Pazifisten der unterschiedlichsten Strömungen wieder. Gernot Lennert, der Geschäftsführer der DFG-VK Rheinland-Pfalz, erläutert:
Zuspielung Lennert DFG-VK
Mod.:
Eine der Auseinandersetzungen, die in den 70ern und 80er Jahren in der Friedensbewegung und auch in der Deutschen Friedensgesellschaft ausgetragen werden, hat mit der Großmacht im Osten zu tun, der Sowjetunion: Pazifisten und andere Friedensbewegte streiten darüber, wie die Rolle der Sowjetunion einzuschätzen ist. Ob die UdSSR als grundsätzlich friedliebend zu gelten hat. Oder, ob man strenge Maßstäbe an sie anlegen muss, z.B. auch ihre Aufrüstung kritisieren muss und die ihrer Bruderstaaten im Warschauer Pakt. Als der Ostblock Anfang der 90er Jahre zusammenbricht und der kalte Krieg zu Ende geht, ist dieses Thema dann erledigt. Gernot Lennert:
Zuspielung Lennert Disk Russland
Mod.:
Meinungsverschiedenheiten und Konflikte sind unter Pazifisten so alltäglich wie bei anderen politisch engagierten Menschen. Dabei geht es nicht nur darum, wie man z.B. zu Russland und seinen Militäraktionen in bestimmten Kriegs- und Krisengebieten steht. Es geht auch um Grundsatzfragen. Eine dieser Grundsatzfragen ist das Verhältnis von Pazifismus und Antimilitarismus. Gibt es da überhaupt einen Unterschied? werden sich vielleicht jetzt manche fragen. Tatsache ist, dass vielen Menschen der Unterschied nicht klar ist, weil sie die beiden Begriffe synonym verwenden. Und die Verwirrung in der politischen Diskussion ist ziemlich groß, wie Gernot Lennert erfahren hat.
Zuspielung Lennert Anitimil-Paz
Mod.:
Verstaubt und bürgerlich, diesen Vorwurf braucht sich der Pazifismus nicht unbedingt gefallen zu lassen. Schließlich rüttelt er an einer der Säulen des herkömmlichen Staatsverständnisses – indem er das Militär als legitimes Machtinstrument des Staates ablehnt. An diesem Punkt – Fundamentalkritik am Militär – werden auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Pazifisten und Antimilitaristen deutlich. Pazifisten lehnen Militär ab, insofern sind sie Antimilitaristen. Entscheidend ist aber: Pazifisten sind strikt gegen jede Art von militärischer Gewalt.
Bei Antimilitaristen sieht das oft anders aus: Sie billigen unter bestimmten Umständen den Einsatz von Gewalt, z.B. in Befreiungskriegen oder bei einem revolutionären Umsturz. Wie im Pazifismus so gibt es auch bei den Antimilitaristen verschiedene Strömungen. Gernot Lennert stellt sie vor.
Zuspielung Lennert Antimil Strömungen
Mod.:
Das Militär als Machtinstrument nach innen und nach außen – wie tritt man ihm entgegen? Nur mit Protest und ausschließlich gewaltfreien Methoden, oder auch mit Aktionen, bei denen zumindest Gewalt gegen Sachen nicht ausgeschlossen ist? Solche Aktionen werden von manchen linken Gruppen und Organisationen durchaus gutgeheißen. Für Pazifisten sollte die Haltung klar sein, sagt Thomas Rödl, bayerischer Landessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen.
Zuspielung Rödl Gewaltfreiheit
Mod.:
Wenn Pazifisten dafür eintreten, bei politischen Aktionen auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, dann stoßen sie nicht immer auf Verständnis. Viele, die sich als Antimilitaristen verstehen, halten ein gewaltsames Vorgehen z.B. gegen Militäreinrichtungen für legitim. So gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Brandanschlägen, bei denen Bundeswehr-Fahrzeuge in Flammen aufgingen. Auch manche Pazifisten mochten sich von den Gruppen, die solche Anschläge befürworten, nicht eindeutig distanzieren. Thomas Rödl aber warnt davor, diese Art von Gewalt gegen Sachen als gerechtfertigt zu akzeptieren:
Zuspielung Rödl Brandanschläge
Mod.:
Politische Aktionen müssen vermittelbar sein – an diesen Grundsatz fühlen sich manche Antimilitaristen der militanten Fraktion nicht gebunden. Thomas Rödl sagt, er erlebe es immer wieder, dass Antimilitaristen sagen: Unsere Sache ist gerecht, also sind auch unsere Mittel gerechtfertigt. Und darüber wollen wir auch gar nicht diskutieren. Wobei mit manchen militanten Gruppen gar keine Diskussion möglich ist.
Zuspielung Rödl Gewaltbefürworter
Mod.:
Unser Thema heute: „Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt“.
Pazifisten werden oft nicht ernst genommen, vielen gelten sie einfach als naiv. Frieden - gut und schön, heißt es dann. Aber wenn es drauf ankommt, wenn Konflikte nicht anders zu lösen sind, dann muss eben das Militär ran. Und es gibt auch massive Vorwürfe an die Adresse von Pazifisten. Es wird ihnen vorgehalten, sie würden sich schuldig machen, weil sie es ablehnten, das Böse wirksam, also mit Waffen zu bekämpfen. Argumente, denen Pazifisten durchaus etwas entgegenzusetzen haben. Bei der Tagung in Frankfurt übernahm diese Aufgabe Andreas Zumach. Er ist Journalist und berichtet vom UNO-Sitz Genf für Tageszeitungen und den Hörfunk – vor allem über Themen aus den Bereichen Menschenrechte, Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle. Zumach engagiert sich schon lange in der Friedensbewegung und ist auch Mitglied der DFG-VK. In seinem Vortrag unter dem Titel „Anforderungen eines wirksamen Pazifismus“ empfahl er eine Art Friedens-Offensive in der Öffentlichkeit. Pazifisten sollten nicht nur ihre grundsätzliche Ablehnung von Militär-Interventionen deutlich machen, sondern auch die Nützlichkeit solcher Interventionen in Frage stellen. Zumach glaubt, so ließen sich viele Menschen davon überzeugen, dass Militäreinsätze keineswegs geeignet sind, etwas wirklich besser zu machen.
Zuspielung Zumach Mil. Gescheitert 2
Mod.:
Das Scheitern militärischer Interventionen sollten Pazifisten noch stärker als bisher in den Fokus ihrer Argumentation stellen, meint Andreas Zumach. Ausserdem sollten sie kritisch nach allen Seiten sein, wenn sie Staaten bzw. Regierungen wegen ihres militärischen Vorgehens beurteilen. Es geht dabei darum, die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, sagt Zumach.
Zuspielung Zumach Glaubwürdigkeit
Mod.:
Militäreinsätze zu brandmarken und dabei glaubwürdig zu bleiben, das ist eine der Aufgaben von Pazifisten. Die andere: Alternativen zum Militär aufzuzeigen: Eine solche Alternative ist die zivile Bearbeitung von Konflikten. Konkret bedeutet das zum Beispiel, so genannte Friedensfachkräfte in Krisenregionen zu schicken. Ihre Aufgabe ist es, dort Gespräche und Verhandlungen mit den Konfliktparteien zu führen und so die bestehenden Gegensätze zu entschärfen. In Deutschland sind bisher über 1000 Friedensfachkräfte ausgebildet worden, für Einsätze in 40 Ländern. Das ist freilich weitgehend unbekannt. Und es ist bei weitem nicht genug. Angesichts der vielen Krisenregionen auf der Welt müsste viel mehr für zivile Konfliktbearbeitung getan werden. Ein Problem, auf das auch Andreas Zumach hinweist.
Zuspielung Zumach zivile Defizite
Mod.:
Auch eine umfassende Krisenprävention kann unter Umständen nicht verhindern, dass ein Konflikt eskaliert, dass Gewaltanwendung droht. Für solche Situationen, in denen politische und zivile Mittel zur Entschärfung eines Konflikts versagt haben, hat Andreas Zumach einen Vorschlag: In diesem Fall soll eine neutrale, am Völkerrecht und an Polizeiaufgaben orientierte Truppe eingreifen und gravierende Verbrechen verhindern. Zumach weiß, dass sein Vorschlag in der Friedensbewegung stark umstritten ist. Er betont deshalb, dass die Krisenprävention absolute Priorität haben muss und er stellt fest, dass sie in vielen Fällen gar nicht oder nur sehr unzureichend versucht worden ist. Zugleich betont er auch, wie wichtig der Pazifismus ist – als Korrektiv zu all den Militärkonzepten der etablierten so genannten Sicherheitspolitik.
Zuspielung Zumach Völkermord
Mod:
Für die meisten Entscheidungsträger in der Politik, aber auch für viele Bürgerinnen und Bürger ist klar: Gewalt muss mit Gewalt beantwortet werden. Wenn also ein Völkermord droht und man ihn verhindern will, dann ist der Einsatz von Militär unvermeidbar. Auf die gleiche Weise wird beim Thema Terrorismus argumentiert. Terror-Organisationen vom Schlage eines IS zum Beispiel, so heißt es, könne man nicht anders begegnen als mit militärischen Mitteln. Aber hält diese kategorische Aussage einer Überprüfung stand? Nein, meint Thomas Carl Schwoerer. Er ist seit mehr als 40 Jahren aktiv in der DFG-VK und seit gut zehn Jahren einer der Bundessprecher der Organisation. Bei der Tagung in Frankfurt referierte er zum Thema „Was schützt uns wirklich - Pazifistischer Umgang mit dem Terror“. Schwoerer ist der festen Überzeugung, dass dem Terrorismus auf militärische Art nicht sinnvoll zu begegnen ist. Er macht das am Beispiel des Kampfes gegen den IS deutlich.
Zuspielung Schwoerer mil. Illusionen
Mod:
Was also tun? Verhandeln, sagt Thomas Carl Schwoerer – auch mit dem IS. Das klingt provozierend. Denn schließlich handelt es sich beim IS um eine Organisation, die schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Mord begeht. Mit solchen Leuten könne man einfach nicht verhandeln – so die weit verbreitete Meinung. Schwoerer verweist dagegen darauf, dass diese Position in der Vergangenheit bei anderen Terror-Gruppen nicht durchgehalten, sondern über kurz oder lang aufgegeben wurde.
Zuspielung Schwoerer Terroristen
Mod:
Wie blutig der militärische Kampf gegen terroristische Gruppen ist, zeigt sich am so genannten „War on Terror", den die US- Regierung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgerufen hat. Dieser „Krieg gegen den Terror“ hat nach einer Untersuchung der Ärzteorganisation IPPNW bisher weit über 1 Million Tote gekostet. Schon angesichts der vielen Opfer, die der militärische Kampf gegen Terroristen fordert, muss man dringend über Alternativen nachdenken, meint Thomas Carl Schwoerer. Und die Verantwortlichen müssen über ihren eigenen Schatten springen.
Zuspielung Schwoerer Mut
Mod:
Diesen Umstand kann und muss man nützen, glaubt Thomas Carl Schwoerer. Man muss sich dafür aber auf die Überlegung einlassen, dass der IS nicht irrational handelt, sondern bestimmte Interessen verfolgt. Wenn man sich auf diese Überlegung einlässt, dann gibt es Chancen für Verhandlungen. Schwoerer kommt zu dem Schluss:
Zuspielung Schwoerer Verhandlungen
Mod.:
Es geht darum, die vom Terrorismus bedrohten Menschen möglichst zu schützen, und das geht mit Verhandlungen besser als mit Bomben – das ist die eine Strategie, die Thomas Carl Schwoerer vorschlägt. Die andere – das ist der Kampf um die Köpfe. Soll heißen: Es muss darum gehen, den Terror-Gruppen die Legitimation zu entziehen. Indem man erreicht, dass sie die Unterstützung der Bevölkerung verlieren. Das aber geht nur, wenn man im Westen umdenkt.
Zuspielung Schwoerer Anti-Terrorkrieg
Mod.:
Ein Krieg gegen den Terror ist nicht zu gewinnen - mit dieser Aussage formuliert Thomas Carl Schwoerer eine Position, die in der Friedensbewegung Konsens ist. Mit seinem Plädoyer für Verhandlungen vermittelt er darüber hinaus auch eine dezidiert pazifistische Perspektive in der Diskussion über die Frage, wie man mit Terroristen umzugehen hat. Und Schwoerer macht deutlich, dass diese Perspektive nichts mit Passivität zu tun hat, wie Pazifisten immer wieder unterstellt wird.
Zuspielung Schwoerer geringes Übel
Mod.:
Soweit Thomas Carl Schwoerer, einer der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft- Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK.
Und das war unsere Sendung „Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt“. Zusammengestellt wurde sie von der DFG-VK. Die im Originalton dokumentierten Aussagen stammten von der Tagung „Die Zukunft des politischen Pazifismus“, die im Januar in Frankfurt stattgefunden hat.
Verantwortlich für die Sendung und am Mikrofon: HW
Willkommen zu einer Sendung der
Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK. Bei uns geht es heute um eine Bewegung, die von vielen belächelt, von manchen verteufelt und von anderen wiederum einfach ignoriert wird. Und die sich dennoch über Jahrzehnte gehalten hat: den Pazifismus.
Zuspielung Zusammenschnitt O-Töne
Mod.:
Stimmen von einer Tagung in Frankfurt, die Anfang des Jahres stattfand unter dem Titel „Die Zukunft des politischen Pazifismus“. Veranstalter waren die Bertha-von-Suttner-Stiftung, das Bildungswerk der DFG-VK Hessen und die Frankfurter Gruppe der DFG-VK. Anlass für die Tagung war, dass vor jetzt 125 Jahren die Deutsche Friedensgesellschaft gegründet wurde.
Wir bringen in dieser Sendung Ausschnitte aus den Referaten in Frankfurt. Wir tauchen ein in die Geschichte des Pazifismus, wir beschäftigen uns aber auch mit Fragen dieser Art: wie begegnen Pazifisten heute der Herausforderung Krieg, welche Vorschläge zur friedlichen Lösung von Konflikten haben sie und wie wollen sie diese Vorschläge umsetzen?
Unser Thema heute: Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt.
Am Mikrofon HW.
Mod:
Pazifismus – der Begriff wird schon seit langem nahezu inflationär und meist recht undifferenziert gebraucht. Sehr oft werden alle diejenigen, die sich in der Friedensbewegung engagieren, pauschal als Pazifisten bezeichnet. Diese Erfahrung hat auch Dr. Gernot Lennert gemacht, Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen in Rheinland-Pfalz. Er referierte bei der Tagung in Frankfurt zum Thema „Strömungen des Pazifismus und Antimilitarismus.“
Zuspielung Lennert-FB-Paz
Mod:
Pazifismus ist also nicht gleich Friedensbewegung. Was genau aber bedeutet der Begriff dann? Pazifismus leitet sich ab vom Lateinischen „pacem facere“, „den Frieden machen“. Pazifisten – und natürlich auch Pazifistinnen – engagieren sich aktiv für den Frieden. Sie lehnen jede Art von Krieg ab, auch den so genannten Verteidigungskrieg. Und – das ist ganz wichtig, weil sie das von anderen Gruppen unterscheidet: Sie kämpfen für ihr Ziel, die Abschaffung von Militär und Krieg, ausschließlich mit gewaltfreien Mitteln. Das tun sie schon sehr lange. Gernot Lennert:
Zuspielung Lennert-paz. Strömungen
Mod:
Zu den Gegebenheiten, zu denen man sich als politisch aktive Gruppe verhalten muss, gehört zum Beispiel der Staat. Das war natürlich auch so in den Zeiten der frühen Pazifisten des 19. Jahrhunderts.
Zuspielung Lennert bürgerl. Paz 2
Mod.:
In Deutschland schlägt die Geburtsstunde des organisierten Pazifismus im Jahr 1892. Am 9. November jenen Jahres wird in Berlin die Deutsche Friedensgesellschaft gegründet. Ihre Mitglieder kommen aus dem kleinen und mittleren Bürgertum, sind Lehrer, Geistliche, Journalisten, Beamte, Selbständige. Dementsprechend gilt die Deutsche Friedensgesellschaft auch als Organisation des so genannten bürgerlichen Pazifismus. Der setzt auf Kriegsverhinderung durch eine starke internationale Rechtsordnung.
Zuspielung Lennert bürgerl. Paz 1
Mod.:
Führend beteiligt an der Gründung der Deutschen Friedensgesellschaft ist eine Frau – und zwar eine aus den so genannten „besseren Kreisen“: Bertha von Suttner, geboren in Prag 1843 als Gräfin Kinsky. Die Wiener Psycho-Analytikerin Dr. Susanne Jalka hat sich intensiv mit Leben und Wirken Bertha von Suttners befasst.
Zuspielung Jalka-1 kurz
Mod.:
Bertha von Suttner wird Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer prominenten Vertreterin des organisierten Pazifismus, und zwar in ganz Europa. 1905 erhält sie als erste Frau den Friedens-Nobelpreis. Bekannt ist sie zuvor schon als Autorin von Romanen. Der bekannteste trägt den Titel „Die Waffen nieder!“, in dem Suttner die Gräuel des Krieges zum Thema macht. Bertha von Suttner lebt in einer Zeit, in der zwar der Krieg heroisiert wird, in der aber auch die Ideen der Aufklärung und des wissenschaftlichen Fortschritts eine große Rolle spielen. Susanne Jalka:
Zuspielung Jalka-3
Mod.:
Mit dem Pazifismus ist es wie mit anderen politischen Bewegungen: Völlige Einigkeit findet man eher selten. Und so gab und gibt es auch verschiedene pazifistische Strömungen. Was sie unterscheidet, ist zum Beispiel die Analyse der Kriegsursachen. Noch einmal Gernot Lennert von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen in Rheinland-Pfalz:
Zuspielung Lennert Konfliktthemen
Mod.:
Leo Tolstoi, der berühmte Schriftsteller, macht in jungen Jahren direkte Erfahrungen mit dem Krieg: Er dient als Fähnrich in der zaristischen Armee, die 1851 im Kaukasus kämpft. Und er erlebt die Belagerung der Festung Sewastopol 1854 im Krimkrieg. Später wird er dann zu einem der führenden Vertreter des religiös begründeten Pazifismus. Tolstois Überzeugung: Krieg und Militarismus lassen sich unmöglich mit den Lehren Jesu und dem christlichen Gedanken der Nächstenliebe vereinbaren. Wenn es um radikalen Pazifismus geht, ist aber nicht nur Leo Tolstoi zu nennen.
Zuspielung Lennert rad. Pazifismus
Mod.:
Zum Gedankengut des radikalen Pazifismus gehört vor allem die Kriegsdienstverweigerung. Sie bedeutet: Der Wehrpflichtige verweigert dem Staat den Gehorsam und leistet keinen Militärdienst. Wenn das massenhaft geschieht, werden Kriege nicht mehr führbar. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges öffnet sich auch die Deutsche Friedensgesellschaft diesem Gedanken. Und neben dem bürgerlichen Pazifismus gewinnen auch andere Strömungen an Einfluss.
Zuspielung Lennert Annäherung Strömungen
Heftige Debatten gibt es in der Deutschen Friedensgesellschaft unter anderem um die Kriegsdienstverweigerung. Man streitet darüber, welchen Stellenwert die Verweigerung haben soll. Ob sie eher ein individuell auszuübendes Recht oder ein Kernstück pazifistischen Denkens und Handelns sein soll. 1922 setzt sich auf der Generalversammlung in Leipzig schließlich die Fraktion durch, die der Verweigerung eine zentrale Rolle zumisst. Im entsprechenden Beschluss von Leipzig heißt es, die Verweigerung sei – so wörtlich - „eine der vorzüglichsten Sicherungen gegen jeden Krieg.“
Heutzutage ist die Kriegsdienstverweigerung in vielen Staaten, vor allem in Westeuropa akzeptiert. Allerdings mit einer deutlichen Einschränkung: Es können nur die verweigern, die sich auf eine Gewissensentscheidung berufen. Eigentlich, so fordert es die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK, müsste die Verweigerung aber als Menschenrecht anerkannt sein. Als ein unveräußerliches Recht, das nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft ist. Mit dem Recht zur Kriegsdienstverweigerung, so wie es heute gilt, ist Gernot Lennert von der DFG-VK nicht zufrieden:
Zuspielung Lennert KDV Menschenrecht
Mod.:
Nach dem 2. Weltkrieg wird in der Bundesrepublik das Recht zur Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz verankert. Im entsprechenden Artikel heißt es: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das nähere regelt ein Bundesgesetz“. Eben dieses Gesetz schränkt die Verfassungsgarantie wieder ein: Verweigern geht nur auf Antrag, die Antragsteller müssen sich einer Gewissensprüfung unterziehen. Die findet jahrzehntelang in mündlicher Form statt, später hauptsächlich in schriftlicher Form. Beides wird von den Betroffenen als erniedrigend, als Gewissens-Inquisition empfunden. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 gibt es ein förmliches Verfahren nur noch für Soldaten, die bei der Truppe verweigern wollen. Aber die Gewissensprüfung könnte eines Tages wieder kommen, warnt Gernot Lennert. Nämlich dann, wenn die Wehrpflicht wieder eingeführt wird.
Zuspielung Lennert Wehrpflicht
Mod.:
Unser Thema heute: „Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt“.
Mitte der 50er Jahre wird die Wehrpflicht, von der gerade schon die Rede war, in der Bundesrepublik eingeführt. Gegen breiten Widerstand in der Gesellschaft. Der wird getragen von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, kirchlichen Gruppen und – nicht zuletzt – von Pazifisten. Einer ihrer führenden Köpfe ist Pastor Martin Niemöller. 1892 in ein deutsch-nationales Elternhaus hineingeboren, hat Niemöller Mitte des 20. Jahrhunderts schon einen bemerkenswerten Lebenslauf hinter sich: Im ersten Weltkrieg Dienst in der kaiserlichen Marine als U-Boot-Kommandant. Nach dem Krieg Theologie-Studium. Ablehnung der Weimarer Republik aufgrund seiner deutsch-nationalen Gesinnung, die er von den Eltern übernommen hat. In der Nazi-Zeit jedoch Verweigerung gegenüber dem Regime und Engagement in der bekennenden Kirche, deshalb Deportation ins KZ. Sein fester Glaube ist es, der Niemöller nach dem 2.Weltkrieg zu dem Entschluss bringt, dass er sich für den Frieden einsetzen muss. Der Theologe und Friedensaktivist Professor Martin Stöhr hat Niemöller persönlich gekannt. Und er kann deshalb Niemöllers Motivation gut einschätzen:
Zuspielung Stöhr Niemöller 3
Mod.:
Martin Niemöller bekleidet nach 1945 hohe Ämter in der Evangelischen Kirche und im Weltkirchenrat. Er ist viel auf Reisen, 1952 fährt er trotz heftiger Kritik zum ersten Mal nach Moskau. Die Außen- und Deutschlandpolitik der Adenauer-Regierung mit ihrer einseitigen Westorientierung lehnt er vehement ab. Ein Gespräch mit führenden deutschen Atomphysikern, die ihn über die Gefahren der Nuklearwaffen aufklären, lässt Niemöller zum Pazifisten werden. Professor Stöhr:
Zuspielung Stöhr Niemöller 1
Mod.:
Martin Niemöller plädiert für eine Wiedervereinigung Deutschlands – nicht weil er noch ein glühender Nationalist wäre. Sondern eben aus der Einsicht heraus, dass die gegenseitige Bedrohung der politischen Systeme in Ost und West eine tödliche Gefahr darstellt. Diese Gefahr ließe sich entschärfen, meint Niemöller, wenn sich ein wiedervereinigtes Deutschland zugleich auch für neutral erklären würde. Und er hat auch einen weiteren konkreten Vorschlag zur Entspannung in Europa:
Zuspielung Stöhr Niemöller 2
Mod.:
Mit dem Wort von der „Finnlandisierung“ Deutschlands zielt Strauß auf diejenigen in Deutschland ab, die sich wie Martin Niemöller für ein neutrales Deutschland einsetzen. Denn Finnland ist schon neutral, gehört also keinem der Militärblöcke an.
Das Konzept eines neutralen Deutschlands lässt sich aber nicht durchsetzen, zu groß sind die Widerstände in der etablierten Politik. Aber ein anderer Gedanke, den Pazifisten wie Martin Niemöller mit Verve vertreten, setzt sich in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts durch: Der Gedanke der friedlichen Koexistenz. Er besagt, dass die beiden Blöcke in Ost und West ungeachtet ihrer Gegensätze ein gemeinsames Interesse haben: Die Verhinderung einer Konfrontation, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer atomaren Katastrophe führen würde.
Auch die organisierten Pazifisten in der Bundesrepublik haben ein gemeinsames Interesse: die Bündelung der Kräfte . Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre findet eine Konsolidierung der in drei Verbände zersplitterten Bewegung statt. Die Verbände fusionieren in zwei Schritten. Übrig bleibt eine gemeinsame Organisation mit einem ziemlich sperrigen Namen: Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner, abgekürzt DFG-VK. Später wird das große „I“ im Namen eingeführt. Die Organisation heißt also Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen. In ihr finden sich nun Pazifisten der unterschiedlichsten Strömungen wieder. Gernot Lennert, der Geschäftsführer der DFG-VK Rheinland-Pfalz, erläutert:
Zuspielung Lennert DFG-VK
Mod.:
Eine der Auseinandersetzungen, die in den 70ern und 80er Jahren in der Friedensbewegung und auch in der Deutschen Friedensgesellschaft ausgetragen werden, hat mit der Großmacht im Osten zu tun, der Sowjetunion: Pazifisten und andere Friedensbewegte streiten darüber, wie die Rolle der Sowjetunion einzuschätzen ist. Ob die UdSSR als grundsätzlich friedliebend zu gelten hat. Oder, ob man strenge Maßstäbe an sie anlegen muss, z.B. auch ihre Aufrüstung kritisieren muss und die ihrer Bruderstaaten im Warschauer Pakt. Als der Ostblock Anfang der 90er Jahre zusammenbricht und der kalte Krieg zu Ende geht, ist dieses Thema dann erledigt. Gernot Lennert:
Zuspielung Lennert Disk Russland
Mod.:
Meinungsverschiedenheiten und Konflikte sind unter Pazifisten so alltäglich wie bei anderen politisch engagierten Menschen. Dabei geht es nicht nur darum, wie man z.B. zu Russland und seinen Militäraktionen in bestimmten Kriegs- und Krisengebieten steht. Es geht auch um Grundsatzfragen. Eine dieser Grundsatzfragen ist das Verhältnis von Pazifismus und Antimilitarismus. Gibt es da überhaupt einen Unterschied? werden sich vielleicht jetzt manche fragen. Tatsache ist, dass vielen Menschen der Unterschied nicht klar ist, weil sie die beiden Begriffe synonym verwenden. Und die Verwirrung in der politischen Diskussion ist ziemlich groß, wie Gernot Lennert erfahren hat.
Zuspielung Lennert Anitimil-Paz
Mod.:
Verstaubt und bürgerlich, diesen Vorwurf braucht sich der Pazifismus nicht unbedingt gefallen zu lassen. Schließlich rüttelt er an einer der Säulen des herkömmlichen Staatsverständnisses – indem er das Militär als legitimes Machtinstrument des Staates ablehnt. An diesem Punkt – Fundamentalkritik am Militär – werden auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Pazifisten und Antimilitaristen deutlich. Pazifisten lehnen Militär ab, insofern sind sie Antimilitaristen. Entscheidend ist aber: Pazifisten sind strikt gegen jede Art von militärischer Gewalt.
Bei Antimilitaristen sieht das oft anders aus: Sie billigen unter bestimmten Umständen den Einsatz von Gewalt, z.B. in Befreiungskriegen oder bei einem revolutionären Umsturz. Wie im Pazifismus so gibt es auch bei den Antimilitaristen verschiedene Strömungen. Gernot Lennert stellt sie vor.
Zuspielung Lennert Antimil Strömungen
Mod.:
Das Militär als Machtinstrument nach innen und nach außen – wie tritt man ihm entgegen? Nur mit Protest und ausschließlich gewaltfreien Methoden, oder auch mit Aktionen, bei denen zumindest Gewalt gegen Sachen nicht ausgeschlossen ist? Solche Aktionen werden von manchen linken Gruppen und Organisationen durchaus gutgeheißen. Für Pazifisten sollte die Haltung klar sein, sagt Thomas Rödl, bayerischer Landessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen.
Zuspielung Rödl Gewaltfreiheit
Mod.:
Wenn Pazifisten dafür eintreten, bei politischen Aktionen auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, dann stoßen sie nicht immer auf Verständnis. Viele, die sich als Antimilitaristen verstehen, halten ein gewaltsames Vorgehen z.B. gegen Militäreinrichtungen für legitim. So gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Brandanschlägen, bei denen Bundeswehr-Fahrzeuge in Flammen aufgingen. Auch manche Pazifisten mochten sich von den Gruppen, die solche Anschläge befürworten, nicht eindeutig distanzieren. Thomas Rödl aber warnt davor, diese Art von Gewalt gegen Sachen als gerechtfertigt zu akzeptieren:
Zuspielung Rödl Brandanschläge
Mod.:
Politische Aktionen müssen vermittelbar sein – an diesen Grundsatz fühlen sich manche Antimilitaristen der militanten Fraktion nicht gebunden. Thomas Rödl sagt, er erlebe es immer wieder, dass Antimilitaristen sagen: Unsere Sache ist gerecht, also sind auch unsere Mittel gerechtfertigt. Und darüber wollen wir auch gar nicht diskutieren. Wobei mit manchen militanten Gruppen gar keine Diskussion möglich ist.
Zuspielung Rödl Gewaltbefürworter
Mod.:
Unser Thema heute: „Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt“.
Pazifisten werden oft nicht ernst genommen, vielen gelten sie einfach als naiv. Frieden - gut und schön, heißt es dann. Aber wenn es drauf ankommt, wenn Konflikte nicht anders zu lösen sind, dann muss eben das Militär ran. Und es gibt auch massive Vorwürfe an die Adresse von Pazifisten. Es wird ihnen vorgehalten, sie würden sich schuldig machen, weil sie es ablehnten, das Böse wirksam, also mit Waffen zu bekämpfen. Argumente, denen Pazifisten durchaus etwas entgegenzusetzen haben. Bei der Tagung in Frankfurt übernahm diese Aufgabe Andreas Zumach. Er ist Journalist und berichtet vom UNO-Sitz Genf für Tageszeitungen und den Hörfunk – vor allem über Themen aus den Bereichen Menschenrechte, Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle. Zumach engagiert sich schon lange in der Friedensbewegung und ist auch Mitglied der DFG-VK. In seinem Vortrag unter dem Titel „Anforderungen eines wirksamen Pazifismus“ empfahl er eine Art Friedens-Offensive in der Öffentlichkeit. Pazifisten sollten nicht nur ihre grundsätzliche Ablehnung von Militär-Interventionen deutlich machen, sondern auch die Nützlichkeit solcher Interventionen in Frage stellen. Zumach glaubt, so ließen sich viele Menschen davon überzeugen, dass Militäreinsätze keineswegs geeignet sind, etwas wirklich besser zu machen.
Zuspielung Zumach Mil. Gescheitert 2
Mod.:
Das Scheitern militärischer Interventionen sollten Pazifisten noch stärker als bisher in den Fokus ihrer Argumentation stellen, meint Andreas Zumach. Ausserdem sollten sie kritisch nach allen Seiten sein, wenn sie Staaten bzw. Regierungen wegen ihres militärischen Vorgehens beurteilen. Es geht dabei darum, die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, sagt Zumach.
Zuspielung Zumach Glaubwürdigkeit
Mod.:
Militäreinsätze zu brandmarken und dabei glaubwürdig zu bleiben, das ist eine der Aufgaben von Pazifisten. Die andere: Alternativen zum Militär aufzuzeigen: Eine solche Alternative ist die zivile Bearbeitung von Konflikten. Konkret bedeutet das zum Beispiel, so genannte Friedensfachkräfte in Krisenregionen zu schicken. Ihre Aufgabe ist es, dort Gespräche und Verhandlungen mit den Konfliktparteien zu führen und so die bestehenden Gegensätze zu entschärfen. In Deutschland sind bisher über 1000 Friedensfachkräfte ausgebildet worden, für Einsätze in 40 Ländern. Das ist freilich weitgehend unbekannt. Und es ist bei weitem nicht genug. Angesichts der vielen Krisenregionen auf der Welt müsste viel mehr für zivile Konfliktbearbeitung getan werden. Ein Problem, auf das auch Andreas Zumach hinweist.
Zuspielung Zumach zivile Defizite
Mod.:
Auch eine umfassende Krisenprävention kann unter Umständen nicht verhindern, dass ein Konflikt eskaliert, dass Gewaltanwendung droht. Für solche Situationen, in denen politische und zivile Mittel zur Entschärfung eines Konflikts versagt haben, hat Andreas Zumach einen Vorschlag: In diesem Fall soll eine neutrale, am Völkerrecht und an Polizeiaufgaben orientierte Truppe eingreifen und gravierende Verbrechen verhindern. Zumach weiß, dass sein Vorschlag in der Friedensbewegung stark umstritten ist. Er betont deshalb, dass die Krisenprävention absolute Priorität haben muss und er stellt fest, dass sie in vielen Fällen gar nicht oder nur sehr unzureichend versucht worden ist. Zugleich betont er auch, wie wichtig der Pazifismus ist – als Korrektiv zu all den Militärkonzepten der etablierten so genannten Sicherheitspolitik.
Zuspielung Zumach Völkermord
Mod:
Für die meisten Entscheidungsträger in der Politik, aber auch für viele Bürgerinnen und Bürger ist klar: Gewalt muss mit Gewalt beantwortet werden. Wenn also ein Völkermord droht und man ihn verhindern will, dann ist der Einsatz von Militär unvermeidbar. Auf die gleiche Weise wird beim Thema Terrorismus argumentiert. Terror-Organisationen vom Schlage eines IS zum Beispiel, so heißt es, könne man nicht anders begegnen als mit militärischen Mitteln. Aber hält diese kategorische Aussage einer Überprüfung stand? Nein, meint Thomas Carl Schwoerer. Er ist seit mehr als 40 Jahren aktiv in der DFG-VK und seit gut zehn Jahren einer der Bundessprecher der Organisation. Bei der Tagung in Frankfurt referierte er zum Thema „Was schützt uns wirklich - Pazifistischer Umgang mit dem Terror“. Schwoerer ist der festen Überzeugung, dass dem Terrorismus auf militärische Art nicht sinnvoll zu begegnen ist. Er macht das am Beispiel des Kampfes gegen den IS deutlich.
Zuspielung Schwoerer mil. Illusionen
Mod:
Was also tun? Verhandeln, sagt Thomas Carl Schwoerer – auch mit dem IS. Das klingt provozierend. Denn schließlich handelt es sich beim IS um eine Organisation, die schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Mord begeht. Mit solchen Leuten könne man einfach nicht verhandeln – so die weit verbreitete Meinung. Schwoerer verweist dagegen darauf, dass diese Position in der Vergangenheit bei anderen Terror-Gruppen nicht durchgehalten, sondern über kurz oder lang aufgegeben wurde.
Zuspielung Schwoerer Terroristen
Mod:
Wie blutig der militärische Kampf gegen terroristische Gruppen ist, zeigt sich am so genannten „War on Terror", den die US- Regierung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgerufen hat. Dieser „Krieg gegen den Terror“ hat nach einer Untersuchung der Ärzteorganisation IPPNW bisher weit über 1 Million Tote gekostet. Schon angesichts der vielen Opfer, die der militärische Kampf gegen Terroristen fordert, muss man dringend über Alternativen nachdenken, meint Thomas Carl Schwoerer. Und die Verantwortlichen müssen über ihren eigenen Schatten springen.
Zuspielung Schwoerer Mut
Mod:
Diesen Umstand kann und muss man nützen, glaubt Thomas Carl Schwoerer. Man muss sich dafür aber auf die Überlegung einlassen, dass der IS nicht irrational handelt, sondern bestimmte Interessen verfolgt. Wenn man sich auf diese Überlegung einlässt, dann gibt es Chancen für Verhandlungen. Schwoerer kommt zu dem Schluss:
Zuspielung Schwoerer Verhandlungen
Mod.:
Es geht darum, die vom Terrorismus bedrohten Menschen möglichst zu schützen, und das geht mit Verhandlungen besser als mit Bomben – das ist die eine Strategie, die Thomas Carl Schwoerer vorschlägt. Die andere – das ist der Kampf um die Köpfe. Soll heißen: Es muss darum gehen, den Terror-Gruppen die Legitimation zu entziehen. Indem man erreicht, dass sie die Unterstützung der Bevölkerung verlieren. Das aber geht nur, wenn man im Westen umdenkt.
Zuspielung Schwoerer Anti-Terrorkrieg
Mod.:
Ein Krieg gegen den Terror ist nicht zu gewinnen - mit dieser Aussage formuliert Thomas Carl Schwoerer eine Position, die in der Friedensbewegung Konsens ist. Mit seinem Plädoyer für Verhandlungen vermittelt er darüber hinaus auch eine dezidiert pazifistische Perspektive in der Diskussion über die Frage, wie man mit Terroristen umzugehen hat. Und Schwoerer macht deutlich, dass diese Perspektive nichts mit Passivität zu tun hat, wie Pazifisten immer wieder unterstellt wird.
Zuspielung Schwoerer geringes Übel
Mod.:
Soweit Thomas Carl Schwoerer, einer der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft- Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK.
Und das war unsere Sendung „Weg mit den Waffen! – Pazifismus als Konzept für eine friedliche Welt“. Zusammengestellt wurde sie von der DFG-VK. Die im Originalton dokumentierten Aussagen stammten von der Tagung „Die Zukunft des politischen Pazifismus“, die im Januar in Frankfurt stattgefunden hat.
Verantwortlich für die Sendung und am Mikrofon: HW