SCHON WIEDER TOTE MIGRANTiNNEN - Die Tragödie von Rota (Zwischen Ceuta und La Jonquera III)
ID 5527
Die Straße von Gibraltar ist derzeit eines der größten Massengräber Europas. Grund genug, dem Thema einen Beitrag zu widmen, der neben der kürzlich geschehenen Tragödie auch auf Hintergründe und Reaktionen sowie auf die europäische Abschottungspolitik eingeht. Komentare und Vorschläge wie immer an: zculj@yahoo.es
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13:04 min, 12 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 23.11.2003 / 23:39
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Klassifizierung
Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Politik/Info
Serie: Zwischen Ceuta und La Jonquera
keine Linzenz
Skript
Strände mit sauberem, feinem Sand. Ein idealer Ort für Sport. Hauptstadt des Winds. Surferparadies. Eine moderne, bequeme Fähre bringt Sie im Handumdrehen nach Tanger. - Die touristischen Homepages über Tarifa sind voll des Lobes. Das kleine Städtchen an Spaniens äußerster Südspitze ist in den letzten Jahren zum beliebten Urlaubsort geworden. Der ständige Wind an der Straße von Gibraltar lockt vor allem die Surfer. Aus ganz Europa strömen sie hierher. Und so verkündet www.tarifa.net stolz: Tarifa verfügt über ein einzigartiges internationales Flair...
Jedoch werden nicht alle mit so offenen Armen empfangen wie die Surfer. Und für viele ist die bequeme Überfahrt in der modernen Fähre ein unerreichbarer Wunschtraum. Ihnen, denen der offizielle Weg nach Europa versperrt ist, stehen meist nur windige Ruder- und Schlauchboote zur Verfügung. Oft endet die Überfahrt in einem Alptraum.
"Mein Leben ließ ich zwischen Ceuta und Gibraltar" singt Manu Chao. In der Tat, die Straße von Gibraltar dürfte derzeit eines der größten Massengräber Europas sein. Zwar sind es keine fünfzehn Kilometer, die hier den afrikanischen Kontinent vom europäischen Festland trennen. Und die andere Uferseite scheint zum Greifen nahe. Aber der Estrecho, wie die Meerenge auf Spanisch heißt, der Estrecho hat es in sich. Zu den ständigen Winden und dem häufig schlechten Wetter kommen auch noch gefährliche Strömungen hinzu, da sich hier das Mittelmeer mit dem kälteren Atlantik vermischt. Eine Überfahrt ist alles andere als einfach. Zumal in einem nicht hochseetauglichen Boot. Und als ob das nicht schon genug wäre, wird das Überwachungsnetz auch noch ständig ausgebaut. Zu Wasser, vom Land aus und in der Luft versucht Spaniens paramilitärische Gendarmerie Guardia Civil mit modernster Technik, die Boote der MigrantInnen aufzuspüren, um die meist erschöpften Passagiere umgehend wieder nach Marokko abzuschieben. Spanien brüstet sich damit, in diesem Jahr schon über 70.000 Menschen abgeschoben und 500 angebliche Schleusernetze aufgedeckt zu haben.
Wie viele bei dem Versuch, die Einreisekontrollen nach Spanien zu umgehen, ihr Leben lassen, ist nicht genau bekannt. Nach Schätzungen dürften es über tausend Tote jährlich sein. Manche reden bereits von einem Genozid.
Bekannt dagegen ist, dass sich die MigrantInnen nicht davon abhalten lassen, dorthin zu gelangen, wo sie hin möchten. Daher treibt jede Aufrüstung der Grenze lediglich das Risiko nach oben. Wenn die Möglichkeit, einer klandestinen Einreise direkt am Estrecho nicht mehr gewährleistet ist, wird eben auf andere Regionen ausgewichen. So fahren etwa immer mehr Boote von der Westküste Marokkos aus zu den Kanarischen Inseln - eine Strecke von mindestens hundert Kilometern. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres nahm die Guardia Civil über 16.000 MigrantInnen beim Einreiseversuch fest - mit stark steigender Tendenz, was die Kanaren betrifft.
Auch ein mit knapp 50 Personen besetzter Zodiac, der am 24. Oktober in der Nähe von Tanger startete, wollte die verstärkten Kontrollen wohl durch einen großen Umweg umgehen. Einen Tag später kenterte das Schlauchboot bei starkem Seegang am Strand von Rota über 100 km Luftlinie von der marokkanischen Küste entfernt. Obwohl es bis zum rettenden Strand nur 200 Meter waren, schafften es nur fünf, dorthin zu schwimmen. Der Rest ertrank und wurde in den Tagen danach an die Strände gespült. Bisher wurden 38 Leichen angeschwemmt, die meisten durch Wasser, Wetter und Fische bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Trotz der in Spanien ausgebrochenen Hysterie angesichts der jüngst stattgefundenen Verlobung des Kronprinzen sorgte die Tragödie von Rota für Schlagzeilen. Und nicht nur, weil sie das bisher größte bekannte Unglück am Estrecho ist.
Puppennachrichten im spanischen Fernsehsender Canal Plus: Der spanische Innenminister Acebes ruft beim Verteidungsminister Trillo an und bittet ihn in der Angelegenheit eines Flüchtlingsboots um Hilfe. Trillo bietet an, er könne eine Rakete schicken und das Boot versenken...
Wie so oft treffen die Puppennachrichten den Nagel einigermaßen auf den Kopf. Der Hintergrund ist folgender: Ein in der Nähe ankerndes Schiff hatte per Seefunk mitgeteilt, den Zodiac gesehen zu haben. Ganze 50 Minuten vergingen von dieser Meldung bis zu dem Moment, in dem ein Rettungsschiff den Hafen von Cádiz verließ. Auch die spanische Marine, die just in Rota gemeinsam mit den USA eine Basis betreibt, war informiert, griff aber nicht zur Rettung ein.
Aber Vorsicht, die so vom Zaun gebrochene Debatte ist eindeutig zweideutig. Wer sich heute darüber aufregt, dass die Seestreitkräfte nichts zur Rettung unternommen hätten, sieht sich vielleicht schon morgen mit einer weiteren Militarisierung der Grenzen konfrontiert. In der Regel helfen den MigrantInnen in ihren Booten nicht mehr Patrouillen, sondern weniger Kontrollen.
Klar ist, dass den spanischen Behörden und der Regierung die Katastrophe von Rota gar nicht so ungelegen zu kommen scheint. Parallel zur großen Betroffenheit können sie nämlich weitere Schritte zur Abschottung unternehmen. Etwa mehr Druck auf Marokko ausüben. Die sollten doch gefälligst ihre Küsten so kontrollieren, dass niemand mehr in See stechen könne, dann ließen sich auch solche Katastrophen vermeiden. Die bürgerliche Presse sekundiert: erste Priorität gelte heute, so etwa die Tageszeitung El País, dem schonungslosen Kampf gegen die übelste nur vorstellbare Industrie, die allein mit der Sklaverei vergleichbar sei und die ... einen Menschenhandel errichtet habe, der oft in den Tod führe. Sie nähre sich von der Verzweiflung und verkaufe völlig skrupellos falsche Hoffnungen. Also, schlussfolgert der Kommentar, müssten die betroffenen Staaten bestmöglich zusammenarbeiten.
Die MigrantInnen werden auf diese Art zu reinen Opfern stilisiert. So als würden sie von bösen Schleppern in Boote gezwungen und würden nicht freiwillig darin Platz nehmen. So als würden sie sich in Europa nicht eine bessere Zukunft versprechen als dort, wo sie herkommen, sei es aus Marokko oder aus anderen Länder des Kontinents. Gewiss, es gibt am Estrecho sicherlich ein paar Menschenhändler, die teilweise auch wirklich skrupellos vorgehen. Aber wer verbietet es denn den MigrantInnen, in den bequemen Fähren Platz zu nehmen? Doch nicht die Schlepper. Und wie will man die engmaschigen Kontrollen umgehen, wenn nicht skrupellos?
Die betroffenen Staaten dagegen werden, folgt man diesem Zeitungskommentar, zum Hort des Menschlichen. Sie wollen demnach Leben retten und bewahren.
Aber ist es nicht skrupellos, dass die fünf Überlebenden der Tragödie umgehend wieder nach Marokko abgeschoben wurden?
Das grenzübergreifende Netzwerk Dos Orillas, zu deutsch zwei Ufer, hat anlässlich der Tragödie von Rota das Manifest zum Genozid am Estrecho verfasst. Darin heißt es zum offiziellen Betroffenheits-Blabla:
"Wir sind empört über die Klagen und Rechtfertigungen derer, die diese Situation provozieren, die sich ihrer Verantwortung entziehen und sie allein den Mafias und der Laxheit der marokkanischen Regierung in die Schuhe schieben.
...
Die Verantwortlichen dieses Genozids befinden sich auch in diesen sich demokratisch nennenden Ländern wie Spanien. Länder, die Menschenrechte verletzen, etwa das der Bewegungsfreiheit, indem sie Gesetze erlassen, die die Grenzen schließen. Länder, die Menschen zur billigen Ware machen, um mehr Gewinn zu erwirtschaften. Länder, die die Mafias schaffen, welche einzig dank der Ausländergesetze existieren, weil diese die legale Einreise verhindern und dazu zwingen, andere Mittel zu finden.
...
Der Genozid am Estrecho ist eine der Folgen dieses Systems des weltweiten Kapitalismus, das Personen und Gesellschaften zur Ware macht, das dem Kapital Tür, Tor und Grenzen öffnet, während es die Menschen dazu zwingt, ihr Leben aufs Spiel zu setzen und, so wie dieses Mal, zu verlieren."
Es ist also absehbar, dass die nächsten Leichen an die Strände Südspaniens gespült werden. Und allenfalls kleine Zeitungsmeldungen verursachen. Business as usual.
Zumindest Spanien und die EU tun ihr Bestes, um dieses Business am Laufen zu halten: Anfang Oktober verschärfte Spanien zum dritten Mal innerhalb von sieben Jahren sein Ausländergesetz - in einer großen Koalition übrigens: 95% der Parlamentsabgeordneten stimmten zu. Demnach wird die legale Einreise nach Spanien noch schwieriger, ebenso wie die Familienzusammenführung. Im Gegenzug werden Abschiebungen erleichtert und die Polizei erhält neue Kompetenzen beim Einsehen in Daten von Reiseunternehmen wie etwa Schifffahrts- oder Fluggesellschaften.
In die gleiche Richtung zielt ein Entwurf den Spanien in der Europäischen Kommission vorlegte. Er sieht vor, dass Transportunternehmen alle Daten der Personen, die sie in die EU hinein befördern, den Behörden mitgeteilt werden müssen. Einen ähnlichen Vorschlag hatte Spanien schon auf einem Treffen der Innenminister von Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und eben Spanien unterbreitet. Bei diesem Treffen, das am 19. und 20. Oktober in Frankreich stattfand, ging es - und allein das muss man sich schon auf der Zunge zergehen lassen - um Maßnahmen gegen den Terrorismus und die klandestine Immigration.
Und zeitgleich zur Tragödie von Rota kündigte Spaniens Innenminister an, das Abschiebeverfahren für alleinreisende Minderjährige zu erleichtern, die bislang noch nicht abgeschoben werden durften.
So werden die Toten am Estrecho sicherlich nicht weniger. Aber darum geht es den europäischen Regierungen ja auch gar nicht.
Jedoch werden nicht alle mit so offenen Armen empfangen wie die Surfer. Und für viele ist die bequeme Überfahrt in der modernen Fähre ein unerreichbarer Wunschtraum. Ihnen, denen der offizielle Weg nach Europa versperrt ist, stehen meist nur windige Ruder- und Schlauchboote zur Verfügung. Oft endet die Überfahrt in einem Alptraum.
"Mein Leben ließ ich zwischen Ceuta und Gibraltar" singt Manu Chao. In der Tat, die Straße von Gibraltar dürfte derzeit eines der größten Massengräber Europas sein. Zwar sind es keine fünfzehn Kilometer, die hier den afrikanischen Kontinent vom europäischen Festland trennen. Und die andere Uferseite scheint zum Greifen nahe. Aber der Estrecho, wie die Meerenge auf Spanisch heißt, der Estrecho hat es in sich. Zu den ständigen Winden und dem häufig schlechten Wetter kommen auch noch gefährliche Strömungen hinzu, da sich hier das Mittelmeer mit dem kälteren Atlantik vermischt. Eine Überfahrt ist alles andere als einfach. Zumal in einem nicht hochseetauglichen Boot. Und als ob das nicht schon genug wäre, wird das Überwachungsnetz auch noch ständig ausgebaut. Zu Wasser, vom Land aus und in der Luft versucht Spaniens paramilitärische Gendarmerie Guardia Civil mit modernster Technik, die Boote der MigrantInnen aufzuspüren, um die meist erschöpften Passagiere umgehend wieder nach Marokko abzuschieben. Spanien brüstet sich damit, in diesem Jahr schon über 70.000 Menschen abgeschoben und 500 angebliche Schleusernetze aufgedeckt zu haben.
Wie viele bei dem Versuch, die Einreisekontrollen nach Spanien zu umgehen, ihr Leben lassen, ist nicht genau bekannt. Nach Schätzungen dürften es über tausend Tote jährlich sein. Manche reden bereits von einem Genozid.
Bekannt dagegen ist, dass sich die MigrantInnen nicht davon abhalten lassen, dorthin zu gelangen, wo sie hin möchten. Daher treibt jede Aufrüstung der Grenze lediglich das Risiko nach oben. Wenn die Möglichkeit, einer klandestinen Einreise direkt am Estrecho nicht mehr gewährleistet ist, wird eben auf andere Regionen ausgewichen. So fahren etwa immer mehr Boote von der Westküste Marokkos aus zu den Kanarischen Inseln - eine Strecke von mindestens hundert Kilometern. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres nahm die Guardia Civil über 16.000 MigrantInnen beim Einreiseversuch fest - mit stark steigender Tendenz, was die Kanaren betrifft.
Auch ein mit knapp 50 Personen besetzter Zodiac, der am 24. Oktober in der Nähe von Tanger startete, wollte die verstärkten Kontrollen wohl durch einen großen Umweg umgehen. Einen Tag später kenterte das Schlauchboot bei starkem Seegang am Strand von Rota über 100 km Luftlinie von der marokkanischen Küste entfernt. Obwohl es bis zum rettenden Strand nur 200 Meter waren, schafften es nur fünf, dorthin zu schwimmen. Der Rest ertrank und wurde in den Tagen danach an die Strände gespült. Bisher wurden 38 Leichen angeschwemmt, die meisten durch Wasser, Wetter und Fische bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Trotz der in Spanien ausgebrochenen Hysterie angesichts der jüngst stattgefundenen Verlobung des Kronprinzen sorgte die Tragödie von Rota für Schlagzeilen. Und nicht nur, weil sie das bisher größte bekannte Unglück am Estrecho ist.
Puppennachrichten im spanischen Fernsehsender Canal Plus: Der spanische Innenminister Acebes ruft beim Verteidungsminister Trillo an und bittet ihn in der Angelegenheit eines Flüchtlingsboots um Hilfe. Trillo bietet an, er könne eine Rakete schicken und das Boot versenken...
Wie so oft treffen die Puppennachrichten den Nagel einigermaßen auf den Kopf. Der Hintergrund ist folgender: Ein in der Nähe ankerndes Schiff hatte per Seefunk mitgeteilt, den Zodiac gesehen zu haben. Ganze 50 Minuten vergingen von dieser Meldung bis zu dem Moment, in dem ein Rettungsschiff den Hafen von Cádiz verließ. Auch die spanische Marine, die just in Rota gemeinsam mit den USA eine Basis betreibt, war informiert, griff aber nicht zur Rettung ein.
Aber Vorsicht, die so vom Zaun gebrochene Debatte ist eindeutig zweideutig. Wer sich heute darüber aufregt, dass die Seestreitkräfte nichts zur Rettung unternommen hätten, sieht sich vielleicht schon morgen mit einer weiteren Militarisierung der Grenzen konfrontiert. In der Regel helfen den MigrantInnen in ihren Booten nicht mehr Patrouillen, sondern weniger Kontrollen.
Klar ist, dass den spanischen Behörden und der Regierung die Katastrophe von Rota gar nicht so ungelegen zu kommen scheint. Parallel zur großen Betroffenheit können sie nämlich weitere Schritte zur Abschottung unternehmen. Etwa mehr Druck auf Marokko ausüben. Die sollten doch gefälligst ihre Küsten so kontrollieren, dass niemand mehr in See stechen könne, dann ließen sich auch solche Katastrophen vermeiden. Die bürgerliche Presse sekundiert: erste Priorität gelte heute, so etwa die Tageszeitung El País, dem schonungslosen Kampf gegen die übelste nur vorstellbare Industrie, die allein mit der Sklaverei vergleichbar sei und die ... einen Menschenhandel errichtet habe, der oft in den Tod führe. Sie nähre sich von der Verzweiflung und verkaufe völlig skrupellos falsche Hoffnungen. Also, schlussfolgert der Kommentar, müssten die betroffenen Staaten bestmöglich zusammenarbeiten.
Die MigrantInnen werden auf diese Art zu reinen Opfern stilisiert. So als würden sie von bösen Schleppern in Boote gezwungen und würden nicht freiwillig darin Platz nehmen. So als würden sie sich in Europa nicht eine bessere Zukunft versprechen als dort, wo sie herkommen, sei es aus Marokko oder aus anderen Länder des Kontinents. Gewiss, es gibt am Estrecho sicherlich ein paar Menschenhändler, die teilweise auch wirklich skrupellos vorgehen. Aber wer verbietet es denn den MigrantInnen, in den bequemen Fähren Platz zu nehmen? Doch nicht die Schlepper. Und wie will man die engmaschigen Kontrollen umgehen, wenn nicht skrupellos?
Die betroffenen Staaten dagegen werden, folgt man diesem Zeitungskommentar, zum Hort des Menschlichen. Sie wollen demnach Leben retten und bewahren.
Aber ist es nicht skrupellos, dass die fünf Überlebenden der Tragödie umgehend wieder nach Marokko abgeschoben wurden?
Das grenzübergreifende Netzwerk Dos Orillas, zu deutsch zwei Ufer, hat anlässlich der Tragödie von Rota das Manifest zum Genozid am Estrecho verfasst. Darin heißt es zum offiziellen Betroffenheits-Blabla:
"Wir sind empört über die Klagen und Rechtfertigungen derer, die diese Situation provozieren, die sich ihrer Verantwortung entziehen und sie allein den Mafias und der Laxheit der marokkanischen Regierung in die Schuhe schieben.
...
Die Verantwortlichen dieses Genozids befinden sich auch in diesen sich demokratisch nennenden Ländern wie Spanien. Länder, die Menschenrechte verletzen, etwa das der Bewegungsfreiheit, indem sie Gesetze erlassen, die die Grenzen schließen. Länder, die Menschen zur billigen Ware machen, um mehr Gewinn zu erwirtschaften. Länder, die die Mafias schaffen, welche einzig dank der Ausländergesetze existieren, weil diese die legale Einreise verhindern und dazu zwingen, andere Mittel zu finden.
...
Der Genozid am Estrecho ist eine der Folgen dieses Systems des weltweiten Kapitalismus, das Personen und Gesellschaften zur Ware macht, das dem Kapital Tür, Tor und Grenzen öffnet, während es die Menschen dazu zwingt, ihr Leben aufs Spiel zu setzen und, so wie dieses Mal, zu verlieren."
Es ist also absehbar, dass die nächsten Leichen an die Strände Südspaniens gespült werden. Und allenfalls kleine Zeitungsmeldungen verursachen. Business as usual.
Zumindest Spanien und die EU tun ihr Bestes, um dieses Business am Laufen zu halten: Anfang Oktober verschärfte Spanien zum dritten Mal innerhalb von sieben Jahren sein Ausländergesetz - in einer großen Koalition übrigens: 95% der Parlamentsabgeordneten stimmten zu. Demnach wird die legale Einreise nach Spanien noch schwieriger, ebenso wie die Familienzusammenführung. Im Gegenzug werden Abschiebungen erleichtert und die Polizei erhält neue Kompetenzen beim Einsehen in Daten von Reiseunternehmen wie etwa Schifffahrts- oder Fluggesellschaften.
In die gleiche Richtung zielt ein Entwurf den Spanien in der Europäischen Kommission vorlegte. Er sieht vor, dass Transportunternehmen alle Daten der Personen, die sie in die EU hinein befördern, den Behörden mitgeteilt werden müssen. Einen ähnlichen Vorschlag hatte Spanien schon auf einem Treffen der Innenminister von Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und eben Spanien unterbreitet. Bei diesem Treffen, das am 19. und 20. Oktober in Frankreich stattfand, ging es - und allein das muss man sich schon auf der Zunge zergehen lassen - um Maßnahmen gegen den Terrorismus und die klandestine Immigration.
Und zeitgleich zur Tragödie von Rota kündigte Spaniens Innenminister an, das Abschiebeverfahren für alleinreisende Minderjährige zu erleichtern, die bislang noch nicht abgeschoben werden durften.
So werden die Toten am Estrecho sicherlich nicht weniger. Aber darum geht es den europäischen Regierungen ja auch gar nicht.
Kommentare
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26.12.2003 / 00:18 | wolli, Radio Unerhört Marburg (RUM) |
gelaufen bei RUM
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am 26.12.03 um 1:10 | |