Zwischen Ceuta und La Jonquera I: Das Desaster der Prestige

ID 3399
 
Die mit diesem Beitrag begonnene Serie "Zwischen Ceuta und La Jonquera" soll in unregelmäßiger Regelmäßigkeit aus verschiedenen Bereichen der spanischen Politik berichten. Diese erste Ausgabe behandelt den Untergang des Öltankers "Prestige" und seine Folgen. Mit O-Tönen von der Demo am 23. Februar in Madrid. Anregungen und Kritik bitte an: zculj@yahoo.es
Audio
09:44 min, 7986 kB, mp3
mp3, 112 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 28.02.2003 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Umwelt, Politik/Info
Serie: Zwischen Ceuta und La Jonquera
Entstehung

AutorInnen: Johannes Mahn
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 28.02.2003
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
DAS DESASTER DER PRESTIGE

Dimisión - Rücktritt der Regierung - so lautete eine der Forderungen auf den großen Anti-Kriegs-Demos am 15. Februar. In ganz Spanien gingen mehrere Millionen Menschen auf die Straße. Allein in Madrid demonstrierten nach Angaben der VeranstalterInnen zwei Millionen Menschen gegen den bevorstehenden Irakkrieg und gegen die spanische Regierung, die derzeit zu den wichtigsten Unterstützern der Bush-Administration zählt.
Am Sonntag, den 23. Februar wurde der Rücktritt der spanischen Regierung erneut gefordert. Wieder legte ein großer Demonstrationszug Madrids Innenstadt für mehrere Stunden lahm. Der Grund für diese Demo war allerdings nicht der Irakkrieg, sondern die Umweltkatastrophe des Tankers "Prestige".
Hundert Tage ist es jetzt her, dass der Öltanker mit gut 77.000 Tonnen Schweröl vor der galicischen Küste versank. Nun forderten knapp eine Million Demonstrierende, politische Konsequenzen aus dem Unglück zu ziehen. Nach Regierungsangaben dagegen waren es nur 100.000 DemonstrantInnen. Aber diese Zählweise bestätigt nur, was in den letzten drei Monaten offensichtlich geworden ist. Nämlich, dass in Spanien lauter Inkompetente regieren...

Tatsächlich, so viel ist inzwischen fast allen klar, war das Krisenmanagement während des Tankerunglücks vollkommen chaotisch. Der wohl folgenreichste Fehler bestand darin, den schwer lädierten Tanker bei starkem Seegang aufs offene Meer zu schleppen, statt ihn in einen Hafen zu bringen und dort zu entladen. Die zuständigen Stellen nahmen dabei den Untergang des Schiffs in Kauf und rechneten damit, dass sich die Ölfracht in 3500 Metern Meerestiefe verfestigen würde. Diese Rechnung ging allerdings nicht auf. Schon während der sechstägigen Irrfahrt vor der spanischen Atlantikküste verlor die havarierte Prestige mehrere tausend Tonnen Öl. Am 19. November zerbrach der Tanker schließlich in zwei Teile und ging unter. Doch das Öl verfestigte sich nicht und seitdem traten viele weitere tausend Tonnen Öl aus den Tanks des Schiffs aus. Da die Prestige rund 270 Kilometer von der Küste entfernt auf Grund liegt, konnte sich das Öl auf die gesamte spanische Nordküste sowie Teile der französischen Atlantikküste und Portugals nördliche Küste verteilen. Die Folge ist eine Ölpest ungekannten Ausmaßes. Hunderte von Stränden sind verseucht, tausende von Tieren jämmerlich gestorben. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Noch immer treten täglich zwei Tonnen Öl aus dem Tanker aus. Und der "Chapapote" genannte Ölschlamm verseucht stets von neuem Küstengebiete, die vielleicht gerade gereinigt worden waren.

Zu diesem ökologischen Desaster kommt die verheerende Katastrophenbewältigung der galicischen Regionalregierung und der spanischen Zentralregierung. Deren Strategie lässt sich so umschreiben: ablenken, abstreiten, herunterspielen, diffamieren, blockieren. Aber effektiv nichts unternehmen.
Manuel Fraga, der galicische Regierungschef, der schon unter Franco Minister war, glänzte von Anbeginn durch Abwesenheit. Während die Prestige ihre Irrfahrt Richtung offenes Meer unternahm, vergnügte sich Fraga bei der Jagd.
Die spanische Zentralregierung verdächtigte unterdessen ihren Lieblingsfeind Gibraltar als eigentlich für die Katastrophe verantwortlich. Als die ersten Strände bereits pechschwarz von Ölschlamm waren, behaupteten Regierungssprecher noch, es gebe keine Ölpest und verhängte eine Art Nachrichtensperre. Derweil kratzten tausende von Freiwilligen aus ganz Spanien ohne Schutzmasken oder Schutzanzüge das Öl von den Felsen. Erst nach etwa einem Monat und auf starken öffentlichen Druck hin schickte die Regierung Soldaten, die dann zwar pressewirksam mit Hubschraubern und Schnellbooten anrückten, sonst aber wenig gegen den Ölschlamm ausrichten konnten.
Am härtesten von der Katastrophe betroffen sind die FischerInnen. In der strukturschwachen Region Galicien hängt das Einkommen vieler Menschen vom Meer ab. Sie stehen nun vor dem Nichts. Und von der spanischen Regierung können sie nur wenig Hilfe erwarten. Während FischerInnen mit einem Hungerstreik auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam zu machen versuchten, hatten José María Aznar und seine Regierung bereits neue Sündenböcke ausgemacht. Schuld sei die Opposition, die das Elend der Ölpest ausnutze, um daraus politischen Gewinn zu ziehen. Einen Antrag auf einen parlamentarischen Untesuchungsausschuss der Katastrophe blockte die Regierung mit ihrer absoluten Mehrheit natürlich ab. Und dem Untersuchungsausschuss des galicischen Regionalparlaments verweigerte die Aznar-Regierung nicht nur die Einsicht in alle relevanten Dokumente. Sie untersagte auch allen Regierungsbeamten die Aussage vor dem Ausschuss, der so zur Farce verkam.

Nunca maís ist galicisch und heißt "Nie wieder". Und so nennt sich auch ein Netzwerk, das sich in Folge des Tankerunglücks bildete. Denn die Prestige war nicht der erste Tanker, der vor Galiciens Küste kenterte. Und - so fürchten viele - sie wird auch nicht der letzte sein. Nunca maís kämpft aber nicht nur gegen die ökologische Zerstörung an. Das Netzwerk mischt sich auch auf politischer Ebene ein und will nie wieder derart verantwortungslose PolitikerInnen. Daher fordert es den Rücktritt von Fraga, Aznar und weiteren zentralen Figuren der spanischen Politik. Prompt startete die Regierung eine Kampagne gegen "Nunca Maís", in der sie das Netzwerk der Veruntreuung von Spendengeldern bezichtigte.
Mit einer bunten, phantasievollen, lauten und gut gelaunten Demo protestierten jetzt also erstmals auch in Madrid Hunderttausende gegen die Tankerkatastrophe, und ihre verheerenden Folgen sowie für eine Benennung der Verantwortlichen, für deren Rücktritt und für politische Konsequenzen. Etwa für ein sofortiges Verbot von Öltankern ohne Doppelboden.
Zwar gewinnt in Folge der Ölkatastrophe der galicische Nationalismus an Bedeutung und der Aufschwung der galicischen Nationalpartei BNG ist nicht von der Hand zu weisen. Auf der Abschlusskundgebung wurde aber auch deutlich, dass das Desaster der Prestige nicht vom Himmel fiel, sondern eine logische Folge kapitalistischer Wirtschaft ist:
"Und schließlich glauben wir, dass die Untätigkeit der galicischen und der spanischen Regierung, der Europäischen Kommission und des Europarats nur die Kehrseite der Medaille eines kurzsichtigen Entwicklungsmodells ist, das soziale und Umweltrisiken vervielfacht, immer zum Nutzen der Mächtigen und auf Kosten der Schwächsten. Und wir sind davon überzeugt, dass eine soziale Mobilisierung die geeignete Form ist, dass sich solche ökologische Katastrophen nie wieder wiederholen."