Von Bargeld, Buchgeld, Cryptowährungen und Alternativwährungen (Moneycracy #12)

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Geld - da stellen sich die meisten Menschen Münzen und Scheine vor. So sind wir aufgewachsen, aber die Gewohnheit täuscht: das meiste Geld liegt gar nicht als physisches Bargeld vor, das macht sogar nur einen sehr kleinen Teil des universellen Machtmittels unserer Zivilisation aus. Im diesem Podcast beschäftigen wir uns mit den Formen, die das Geld annehmen kann und damit, dass in den letzten Jahrzehnten Geld zu einer immatriellen Größe in Computersystemen geworden ist, die nur virtuell existiert und an die wir alle glauben müssen.
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29:27 min, 31 MB, mp3
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Upload vom 27.04.2024 / 12:56

Dateizugriffe: 1014

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Moneycracy
Entstehung

AutorInnen: F. Liberatout
Radio: corax, Halle im www
Produktionsdatum: 27.04.2024
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Geld - da stellen sich die meisten Menschen Münzen und Scheine vor. So sind wir aufgewachsen, aber die Gewohnheit täuscht: das meiste Geld liegt gar nicht als physisches Bargeld vor, das macht sogar nur einen sehr kleinen Teil des universellen Machtmittels unserer Zivilisation aus. Im diesem Podcast beschäftigen wir uns mit den Formen, die das Geld annehmen kann und damit, dass in den letzten Jahrzehnten Geld zu einer immatriellen Größe in Computersystemen geworden ist, die nur virtuell existiert und an die wir alle glauben müssen.

Der Moneycracypodcast hat sich über 11 Folgen mit der Macht des Geldes beschäftigt. Dabei hat das Mittel dieser universellen Macht innerhalb unseres Gesellschaftssystem oft selbst eine bedeutende Rolle gespielt.
Zur 12. und damit letzten Folge er ersten Staffel wollen wir uns noch einmal mit den unterschiedlichen Formen des Geldes beschäftigen und legen dabei einen Schwerpunkt auf die Kryptowährungen, die seit rund 10 Jahren den Geldmarkt aufmischen.
Wer sich an den Hauptpodcast über Geld erinnert, sonst gerne noch auf diesem Portal nachhören, weiss, dass die Entwicklung vom Metallbrocken, über Goldscheiben zu Münzen und letztlich Papiergeld viele Jahrhunderte in Anspruch genommen hat. In der Moderne wurde das reale Geld stark zurückdrängt, nur noch etwa 5 Prozent der Geldmenge liegt als physisches Bargeld vor, der Rest ist Buchgeld, also letztliche Zahlen in einer Computerdatenbank.
Die Bedeutung des Bargelds soll nach dem Willen der Herrschenden aber auch der Wirtschaft weiter zurückgehen. In Länder wie Schweden, Norwegen aber auch den USA ist der Einsatz von Bargeld inzwischen exotisch und manche Waren und Dienstleistungen können gar nicht mehr mit Realgeld gekauft werden.
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und teilweise durchaus fragwürdig. So verfolgt die EU ein langfristiges Konzept zur weitgehenden Abschaffung des Bargeldes, weil das die Kontrolle über die Geldströme extrem vereinfacht. Unter dem Vorwand, dadurch Schwarzgeldkanäle, Steuerbetrug und organisierte Kriminalität zu verringern, werden die BürgeriNNen zu gläsernen KonsumentInnen, deren Kaufverhalten jederzeit nachvollziehbar ist. Während wir schon über unsere persönliche Wanze, dem Handy, unseren Standort und unsere Kommunikationspartner in aller Breite preisgeben, lässt die bargeldlose Wirtschaft uns auch hinsichtlich aller möglicher anderer privater Entscheidungen völlig nackt und transparent dastehen.
Aber nicht nur das Macht- und Kontrollbedürfnis der Herrschenden fördert die Abschaffung des Bargelds, auch die Industrie und der Handel sind höchst interessiert. Jede/r der schon einmal bei einem selbstorganisierten Event Einlass oder Bar gemacht hat, kennt den Aufwand für die Kasse. Bargeld muss organisiert werden, später gezählt, zugeordnet und wieder zur Bank gebracht werden – alles mit viel Aufwand und für einen Wirtschaftsbetrieb mit Kosten verbunden. Der Einzelhandel würde daher lieber heute als morgen auf Bargeld ganz verzichten. Auch weil seit Jahrzehnten bekannt ist, dass das unsichtbare Geld auf der elektronischen Karte viel lockerer sitzt als die Münzen und Scheine im Geldbeutel.
Deutschland und die Schweiz scheinen die einzigen Staaten, die dieser drohenden Abschaffung des Bargelds noch gewissen gesellschaftlichen Widerstand entgegensetzen – wie wir denken aus gutem Grund. Vielleicht werden wir einmal die utopischen Verhältnisse erreichen, wo alle Güter allen Menschen frei und unentgeltlich zur Verfügung stehen – bis es soweit ist, stellt der anonyme Kauf über Bargeld ein bedeutsames Freiheitsgut dar, das nicht weiter eingeschränkt werden sollte.
Das Beispiel China zeigt dramatisch, wohin eine derartige digitale Kontrolle der Geldmittel führen kann. Wenn dein Verhalten nicht dem gewünschten oder befohlenen entspricht, dann kannst du eben mit deiner Geldkarte nicht mehr alles kaufen. Transaktionen, von denen dein Staat überzeugt ist, dass sie nicht stattfinden sollen, kann er von vornherein unterbinden und natürlich kann ein autoritäres Regime dir auch ständig mit teilweise oder vollständigen Entzug deiner Geldmittel drohen.
Wer meint, wir würden hier zu schwarz sehen, muss nur in Nachbarländer der EU schauen, wo es in vielen Ländern bereits Bargeldobergrenzen gibt. Den Gebrauchtwagen bar zu bezahlen, das ist beispielsweise in Italien oder Frankreich nicht mehr möglich.
So wundert es nicht, dass es seit den Zehner-Jahren Gegenbewegungen gibt, die von den staatlich kontrollierten und bis ins Detail überwachten Geldströmen wegkommen wollen.
Eine bedeutende Form sind hier die Cryptowährungen. 2011 stellte die bis heute anonyme Person mit dem Pseudonym Sakoshi Nakamoto den Bitcoin als digitale Lösung des Problems vor. Wir hatten bei der Erörterung des kulturellen Phänomens Geld festgestellt, dass es ein zentrales Problem darin besteht, wie der Wert der jeweiligen Geldeinheit gesichert werden kann. In alten Zeiten wurde das über den Materialwert des Geldstücks bewältigt, heute garantiert der Staat den Wert, wobei das eine eher symbolische Garantie darstellt, da Banknoten anders als im 19. Jahrhundert nicht mehr in Gold oder andere Edelmetalle umgetauscht werden können. Im Prinzip funktioniert unser heutiges Geld deshalb, weil wir alle an seinen Wert glauben und darauf vertrauen, dass wir zum Beispiel für einen Zehn-Euro-Schein überall Waren kaufen können, die eben Zehn Euro kosten. Beim bargeldlosen Bezahlen mit der Karte kommt es darauf an, dass der Verkäufer darauf vertrauen kann, dass die virtuelle Geldsumme auf sein Konto transferiert wird und er mit diesem virtuellen Geld erneut wieder Güter seiner Wahl kaufen kann.
Also musste Nakamoto vor allem sicherstellen, dass sein Bitcoin nicht gefälscht werden konnte und dass der Käufer auch wirklich im Besitz der Bitcoin war, die er zum Kauf verwenden wollte. Er wählte dafür die Methode der Blockchain, bei der jede Transaktion in einen Datensatz eingegeben wird und deren aktuelle Version die allein gültige darstellt. Alle TeilnehmerInnen am Bitcoinhandel verfügen über die aktuelle Version und können daher überprüfen, ob die angebotenen Bitcoin echt und der Käufer auch der zuletzt eingetragene Besitzer ist. Da alle Transaktionen verschlüsselt ablaufen und die digitalen Konten der Nutzer, hier Wallet also Geldbörse genannt, ebenfalls verschlüsselt sind, wurde der Begriff Cryptowährung geboren. Damit sollten die gesamten Aktionen einer staatlichen Überwachung und Kontrolle entzogen sein. Diese Annahme erwies sich als nicht dauerhaft. Nachdem der Bitcoin eine entsprechende Bedeutung für kriminelle Transaktionen erreicht hatte, entwickelten die Behörden durchaus Kontrollinstrumente.
Dennoch hat die Grundidee eines sicheren digitalen Austauschwertes unabhängig von staatlichem Geld durchaus Charme. Leider entwickelte sich die Bitcoin-Idee ungünstig weiter.
Zum einen war die Konstruktion der ständig erweiterten Blockchain als Verifizierungsinstrument extrem aufwändig. Bitcoin-Transaktionen verschlingen eine Unmenge Energie. Das gilt noch mehr für das Minen, also das Schürfen oder Schaffen neuer Bitcoins, was durch die Lösung aufwendiger mathematischer Rechenoperationen bewerkstelligt wird. Hier einige Zahlen, um das Ausmaß dieser Energieverschwendung in Zeiten der Klimakrise zu verdeutlichen:
Der Bitcoin-Hype verbraucht aktuell 133 Terawattstunden Strom im Jahr - natürlich weiß niemand etwas mit dieser Zahl anzufangen. Daher zum Vergleich: das entspricht dem Gesamtstromverbrauch der Schweiz oder der Niederlande – oder auch der gesamte Braunkohle und Steinkohle Stromproduktion in Deutschland pro Jahr!
Eine einzelne Transaktion (entspricht Überweisung) erzeugt soviel CO2 Emmission wie 1.8 Millionen normalen Überweisungen – oder auch dem Stromverbrauch eines deutschen Haushalts während drei Monaten!
Der praktische Einsatz von Bitcoins ist daher extrem begrenzt. Normale Zahlvorgänge werden wegen der hohe Transaktionsgebühren, welche teilweise das Validieren, also die damit verbundene Rechenarbeit bezahlen, aktuell praktisch nicht mehr stattfinden.
Beispiel:
Ein Bitcoinuser bezahlt eine Dienstleistung im Wert vom 28 Euro – also mit 0.001 Bitcoin
Es entstehen aber Stromkosten von mehr als 100 Euro. Den größten Teil dieser Kosten wird zwar durch das Mining abgedeckt, das heißt der Miner wird durch neue Bitcoins bezahlt. Eine gewissen Anteil bezahlt aber auch der Käufer in Form von Transaktionsgebühren, die umso höher ist, je schneller er seine Transaktion bestätigt haben will. In unserem Beispiel werden die Transaktionsgebühren für den Kunden den Kaufpreis verdoppeln und Unmengen Strom verpulvern.
Also wenn wir die Sache mit der Klimakrise auch nur ein bisschen ernst nehmen, hat sich der Bitcoin dadurch nachhaltig disqualifiziert.

Der zweite negative Aspekt von Bitcoin besteht darin, dass es ab etwa 2017 zu einem reinen Spekulationsobjekt geworden ist und das große Casino der Finanzzocker um einen weiteren Spielplatz erweitert hat. Eigentlich wäre für eine Cryptowährung - wie für jede Währung oder Geldform - zu wünschen, dass der Wert über absehbare Zeiträume konstant bleibt. Nur so kann das Geld, in welcher Form auch immer, seine Tauschfunktion innerhalb der vielfältigen Warentransaktionen erfüllen. Cryptowährungen und hier speziell der Bitcoin wurde aber von den Finanzinvestoren, die nicht wissen wo sie ihre herumliegenden Millionen investieren sollen, als Spekulationsobjekt entdeckt und so vervielfachte sich der Wert innerhalb kürzester Zeit. Von wenigen Dollar pro Bitcoin schnellte der Kurs auf bis über 30.000 Dollar hoch. Für die 30.000 Dollar erhalten die KäuferInenn keinen realen Gegenwert, keinen kleinen Elektrowagen oder eine dreimonatige Luxusweltreise – nein für das Jahreseinkommen vieler Menschen ergibt nur den Eintrag in eine riesige Zeichenkette und man wird BesitzerIN eines nur digital existierenden Bitcoins. Wer mit diesem Bitcoin nun in besagtes Elektrofahrzeug oder die Reise bezahlten will, braucht VerkäuferInnen, die diesen Wert von 30.000 Dollar für die Zeichenkette akzeptieren. Das findet sich heutzutage verrückterweise durchaus. Selten konnte der lediglich zugeschriebene Wert einer Geldeinheit so plastisch dargestellt werden, wie beim Bitcoin.
Dass diese Zuschreibungen nicht immer konstant vorhanden sind, zeigt der stark schwankende Kurs, der sich durchaus innerhalb von Tagen halbieren kann. Auch als Spekulationsobjekt ist der Bitcoin unethisch, umweltschädigend, nicht nachhaltig und letztlich ein Schneeballsystem, bei dem es darauf ankommt, einen weiteren Dummen zu finden, der den Preis bezahlt.

Das vernichtende Urteil über den Bitcoin soll aber nicht heißen, dass alle derartigen Ansätze grundsätzlich schlecht sind. Es gibt über 1000 Cryptowährungen, eine Vielzahl davon sind Finanzbetrugsmaschen nach dem Schneeballsystem. Dennoch ist ein Cryptoansatz mit einer anderen Absicherung als der Blockchain und einem immanenten Werthaltungsalgorythmus vorstellbar, der helfen könnte, Geldformen zu etablieren, die unabhängig von staatlicher Kontrolle in der digitalen Welt funktionieren. Denn Geld ist Macht und wenn dies auch noch der Kontrolle der AkteurInnen unterworfen, die schon die politische Macht in den Händen halten, so ist für die Freiheit und Selbstbestimmung der BürgerInnen höchste Gefahr geboten.
Geld ist geprägte Freiheit – ein berühmtes Zitat von Fjodor Dostojewski, der auf die universellen Gestaltungsmöglichkeiten anspielt, die Bargeld in unserem Gesellschaftssystem vermittelt. Aber diese Freiheit wird immer stärker bedroht und Wert- und Tauscheinheiten jenseits der staatlich kontrollierten und beschränkten Zahlungsmittel sind sicher kein ganz dummer Gedanke.

Damit kommen wir zu Alternativgeldansätzen wie den Regionalwährungen und den Not- und Ersatzgeld.
Notgelder gab es zeitlich und räumlich begrenzt immer wieder, wenn in Kriegs- und Krisenzeiten die eigentliche Währung dysfunktional geworden war oder nicht ausreichend zur Verfügung stand. Sie waren selten von längerer Dauer, da nicht ein bestimmter alternativer Wirtschaftsgedanke dahinterstand, sondern einer Notlage abgeholfen werden sollte. Das bekannteste Beispiel auf deutschen Boden aus jüngerer Vergangenheit war die Zigarettenwährung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die eigentliche Währung, die Reichsmark, war durch Hitlers verlorenen Angriffskrieg praktisch wertlos geworden. Niemand wollte die ohnehin knappen Waren gegen diese Reichsmark mit dem Konterfei des spätestens ab Mai 1945 recht unbeliebten Diktators verkaufen.
Als Ersatzgeld etablierten sich Zigaretten. Das wirkt auf uns heute erstaunlich, aber eigentlich war es eine sehr sinnvolle und nachvollziehbare Wahl. Die Knappheit der Zigaretten sorgte dafür, dass diese sich jederzeit in nahezu alle anderen Waren des täglichen Bedarfs tauschen ließen. Gleichzeitig sind Zigaretten leicht und kompakt, man konnte als durchaus einiges an Wert mitnehmen für eventuelle Käufe oder genauer gesagt Tauschaktionen. Der größte Nachteil der Zigarettenwährung war wohl ihre geringe Resistenz gegen Wasser- und mechanische Schäden. Dennoch findet sich bis heute in den Handbüchern mancher etwas abgedrehter Prepper-Freaks der Ratschlag, einige Dutzend Stangen Zigaretten für die Zeit nach der nächsten Apokalypse zu bunkern.
Das Fürstentum Liechtenstein benutzte bis 1918 das Geld des großem und mächtigen Nachbarn Österreich. Nach dem Ersten Weltkrieg war Österreich weder groß noch mächtig und sein Geld nichts mehr wert. Die Liechtensteiner schwenkten zum stabilen Franken der nicht ganz so mächtigen Schweiz um. Bis das aber vertraglich geklärt war, was einige Jahre dauerte, brauchte es Übergangsgeld. Eine richtige eigene Währung einzuführen, schien für die kurze Zeit zu aufwändig, also behalf man sich mit bunten Papierbildchen, unterschrieben vom Präsident des Landtages.
Wir sehen, sehr viele Dinge können als Geld funktionieren, wenn die Menschen sich darauf einlassen.
Aber der Wunsch nach eigenen Geld hat oft viel weiter reichende Gründe, als solche der praktischen Lebensführung. Einer der ersten Handlungen vieler revolutionärer Bewegungen ist die Ausgaben einer eigenen Währung als Akt der Befreiung und der Souveränität.
Teilweise wurden aber mit den Alternativgeldansätzen auch ganz bestimmte gesellschaftliche und wirtschaftstheoretische Prinzipien vertreten. Das gilt im Besonderen für die zahlreichen Regionalgeldwährungen die sich an die Freigeld-Theorie von Silvio Gesell anlehnen. Gesell war ein Sozial- und Bodenreformer und Finanztheoretiker, er lebte von 1862 bis 1930. Heute wird Gesell teilweise angegriffen, weil viele seiner Ideen in abgewandelter Form auch im Nationalsozialistischen Gedankengut auftauchen. Dennoch war Gesell selbst kein Nazi und auch kein Antisemit, wir können uns daher durchaus zunächst wertfrei seine Überlegungen anschauen.
Wie wir aus einigen früheren Podcast wissen, ist es das Wesen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, dass Geldbesitz viel mehr wert ist, als Warenbesitz oder Arbeit. Dieser Umstand ist lange bekannt und wurde auch von Denkern wie Karl Marx, dem anarchistischen Vordenker Proudhon oder auch dem Philosophen Max Stirner problematisiert. Um die Vorteile des Geldbesitzes zu reduzieren wurde daher verschiedentlich vorgeschlagen, den Geldwert über die Zeit zu reduzieren. Ein solches Konzept ist der Kern des sogenannten Freigelds von Gesell. Dem nominalen Wert der Banknote wird in bestimmten Abständen ein fest Prozentsatz abgezogen, beispielsweise 5 Prozent jedes Jahr – der neue Wert ist dann aufgestempelt oder über eine Wertmarke mit einer bestimmten Gültigkeitsdauer festgelegt.
Durch den ständigen Wertverlust werden GeldbesitzerInnen ermuntert, ihr Geld auszugeben. Man spricht von sogenannten Umlaufgarantiertem Geld, weil das Geld eben nicht im Geldspeicher gehortet, sondern ausgegeben und somit in Umlauf gehalten wird. Man hat dabei das Zinsprinzip auf den Kopf gestellt. Während in der kapitalistischen Normalwirtschaft Geld auf der Bank als der modernen Form des Geldspeichers, in guten Zeiten 5 Prozent pro Jahr gewinnt, verliert das Freigeld diesen Prozentsatz. Weil damit Geld ähnlich wie Waren über die Zeit an Wert einbüßt, wird so der Vorteil von Geldbesitz reduziert. Gleichzeitig wird die Wirtschaft über den stimulierten Konsum angekurbelt.
In großem Stil wurde die Freigeld-Theorie nie praktisch angewendet. Das bekannteste historische Experiment machte die österreichische Gemeine Wörgl, wo eine parallele Schwundwährung während der großen Weltwirtschaftskrise eingesetzt wurde. Die Gemeinde gab diese Parallelwährung an Arbeitslose und ArbeiterInnen aus, die Gemeindearbeiten verrichteten. Das Alternativgeld konnte überall in der Gemeinde eingesetzt werden. Das Experiment wurde sehr bekannt und auch später wissenschaftlich untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass Wörgl mit dem Freigeld wesentlich besser durch die Depression gekommen war als vergleichbare Umlandgemeinden. Dies ist allerdings kein wissenschaftlicher Beweis für das Funktionieren von Freigeld.
Generell besteht der Haupteffekt darin, dass die BenutzerInnen des Freigelds für einen bestimmten guten Zweck auf einen Teil ihres Geldwertes verzichten, was auch der zentrale Aspekt aller heutigen Regionalwährungen mit festgelegtem Wertschwund ist. Damit braucht es, um den oft karitativen oder regional fördernden Aspekt des Regio-Geldes zu realisieren, die Existenz einer Realwährung, die eben diesem Prinzip nicht unterliegt. Nur so können die zu Förderenden (also Arbeitslose, LandwirtInnen, Sturmgeschädigte, HintertalbewohnerInnen etc.) den entstehenden Vorteil auch realisieren. Gäbe es nur das Freigeld fielen diese Gewinne weg und es bliebe nur der Anreiz, das Geld rasch auszugeben, bevor es weniger Wert ist. Ob dieser konsumfördernde Aspekt ausreicht, um effektiver als das heutige Geldsystem zu sein, bleibt fraglich.
Bei Gesell ist das System auch ausgefeilter: hier sollte die jährliche Entwertungsrate auch von der Geldstabilität abhängen. Bei Inflation, also zu viel Geld, sollte die Entwertung stärker sein, bei Deflation, also zu wenig Geld, wäre die Entwertung schwächer. Ob dies funktioniert, hat nie jemand ausprobiert.

Aktuell hat die Inflation wieder enorm zugenommen, und wie ihr aus dem Podcast zum Thema wisst, bedeutet Inflation nicht viel anderes, als dass der Staat seinen BürgerInnen das Geld stiehlt. Der Wunsch, diesem Diebstahl zu entkommen, wächst und so kommen auch alte und neue Ideen von Alternativgeld zum Zug. Beispielhaft seien die Arbeitswerte des Talent aus Österrisch genannt, bei dem ein Talent dem Wert einer Arbeitsstunde von unterschiedlichen Gewerken entspricht. Das System ist beliebt bei modernen Tauschbörsen, wo nicht nur Waren, sondern auch Dienstleistungen getauscht werden. Systembrechend ist dabei der Ansatz, dass die einzelnen Dienstleistung oft 1 zu 1 getauscht werden, dass heißt die ZahnmedizinerInnenstunde ist soviel Wert wie die Reinigungskraftstunde – in unserem herrschenden System dürfte das Verhältnis bei 20 zu 1 liegen.
Auch hier wird darauf geachtet, dass es unattraktiv ist, die Talente zu horten, da ein regelmäßiger zeitbedingter Verfall eingebaut ist.
Außereuropäisch gibt es zahlreiche Alternativwährungen, mit denen sich die BewohnerInnen einzelner Landstriche gegen Ausbeutung und Wertverfall wehren. Viele Währungen in den Staaten des globalen Südens sind noch viel unbeständiger als unsere, weshalb der Wunsch, dem Wertverlust durch eine eigene Währung zu entkommen, auch größer ist. Einige ländliche Gegenden des globalen Südens sind auch schon wieder in eine direkte Tauschwirtschaft übergegangen und benutzen Alternativgeld als reine Verrechnungseinheiten.

Wer die Nachteile und Ungerechtigkeiten der bestehenden kapitalistischen Wirtschaftsweise verändern will, wird nicht umhinkommen, den zentralen Faktor des Systems, das Geld und die Zinswirtschaft selbst zu verändern.
Vorschläge wurden hierzu viele gemacht - einige haben wir in unterschiedlichen Podcast-Folgen besprochen. Noch ist keine ernsthafte Konkurrenz für das bestehende am Horizont aufgetaucht. Der Kapitalismus hat alle Krisen überstanden und die Herrschaft des Geldes ist heute so ungefährdet wie vor 100 Jahren.
Das muss nicht so bleiben. Geld ist eine menschliche Erfindung, eine kulturelle Errungenschaft. Es gibt keinen Grund, warum wir unser Tauschmittel nicht so gestalten können, dass es uns dient und wir nicht weiter die Sklaven des Geldes sind.