Neue Audiobotschaft von Roland Koch aufgetaucht - mit einem Kommentar der AStA-Vorsitzenden von Marburg
ID 12769
"Wir lassen uns nicht einschüchtern, sondern werden die Freiheit des Bildungssystems mit den gebotenen Mitteln verteidigen", entgegnet AStA-Vorsitzende Lena Behrendes. "Die Bevölkerung steht hinter uns."
Der Marburger AStA antwortete heute mit einem eigenen Audiobeitrag, in dem die Positionen Kochs Satz für Satz kommentiert und widerlegt werden. Sie können die Beiträge unter folgenden Adresse herunterladen:
Der Marburger AStA antwortete heute mit einem eigenen Audiobeitrag, in dem die Positionen Kochs Satz für Satz kommentiert und widerlegt werden. Sie können die Beiträge unter folgenden Adresse herunterladen:
Audio
13:37 min, 16 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 29.05.2006 / 11:48
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Klassifizierung
Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales, Wirtschaft/Soziales
keine Linzenz
Skript
Zudem haben wir ein Transskript des kommentierten Beitrags angefügt. Die Botschaften Kochs sind in Anführungszeichen hervorgehoben:
»Die Hessische Landesregierung hat die Entscheidung getroffen dem Parlament vorzuschlagen, auch in Hessen Studienbeiträge einzuführen. In meinen Gesprächen stelle ich fest, dass es über diese Entscheidung und ihre Auswirkungen sehr viel Informationsbedarf und auch gerade unter Studentinnen und Studenten sehr viele Missverständnisse gibt.«
In der Tat herrscht massiver Aufklärungsbedarf, und wir als Studierendenvertretung bemühen uns bereits seit Jahren darum, fehlenden oder falschen Informationen entgegenzuwirken. Die Studierenden Hessens sind allerdings über die Vorhaben der Landesregierung weit besser informiert, als es dieser lieb ist. Vor allem also die Bürgerinnen und Bürger Hessens möchten und müssen wir mit unseren Protestaktionen auf die wirklichen Folgen des geplanten Gesetzes aufmerksam machen. Wir bitten sie darum, die Pläne unserer Landesregierung genau zu betrachten. Die Versuche des Wissenschaftsministers, das Gebührenmodell in Bierflaschen und Zigarettenschachteln umzurechnen, sind sicher nicht als sachliche Information zu werten. Eine tatsächliche Versachlichung der Diskussion können wir nur sehr begrüßen und nutzen gerne die Möglichkeit, sie mit den Fakten zum Thema Studiengebühren zu informieren, die ihnen Herr Koch in seiner Ansprache eingangs in Aussicht stellte, aber auch dieses mal nicht liefern konnte. Beachten sie dabei bitte, dass das von verschiedenen Bundesländern im Augenblick gebrauchte Wort "Studienbeiträge" bereits eine bewusste Verniedlichung darstellt, um in der Öffentlichkeit ein falsches Bild zu erzeugen. Wann immer von Studienkonten, Studienguthaben, Bildungsgutscheinen oder eben Studienbeiträgen die Rede ist, sind damit Studiengebühren gemeint. Wir verwenden daher durchgehend diesen Begriff.
»Andere Bundesländer um uns herum haben ja schon längst die Gesetzgebung zur Frage von Studienbeiträgen eingeleitet. Aber jetzt steht fest, Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, um uns herum werden die Studienbeiträge erheben.«
Das Argument, Studiengebühren seien notwendig, weil alle anderen sie auch einführen, ist nicht stichhaltig. Die Länder in Europa, in denen Bildung groß geschrieben wird, wie beispielsweise Finnland oder Schweden, verzichten bewusst auf Studiengebühren.
»Hessen muss sich überlegen, ob das zu einem wesentlichen Anstieg der Studierendenzahlen an hessischen Universitäten führen würde, die dann logisch zur Folge haben, dass hessische Schülerinnen und Schüler beim Übergang auf die Universität mit einem höheren Numerus Clausus zu rechnen haben, als in den Nachbarländern. Das scheint mir nicht vertretbar. Zudem würde es gleichzeitig bedeuten, dass die Studienbedingungen an hessischen Universitäten schlechter sind als an vergleichbaren Universitäten in der Nachbarschaft.«
Die Hessische Landesregierung begründet ihre vermeintlich "guten" Gebühren mit den "bösen" Gebühren der anderen Bundesländer: Die dort eingeführten Studiengebühren werden, nach Ansicht des Ministerpräsidenten, zu derart hohen Abwanderungsquoten führen, dass dies die hessischen Hochschulen überlastet. Warum befürchtet Herr Koch, dass so viele Studierende ihre Universitäten verlassen werden, wenn Studiengebühren doch die Qualität der Lehre auch in diesen Bundesländern angeblich sehr verbessern? Mit dieser Argumentation gibt Roland Koch zwischen den Zeilen selbst zu, dass die geplanten Gebühren für Tausende von Studierenden eine existenzbedrohende Mehrbelastung darstellen, denn immerhin sollen im Jahr bis zu 3900 Euro gezahlt werden. Gleichzeitig behauptet der hessische Wissenschaftsminister Udo Corts, die hessischen Studiengebühren werden nicht zu massenhaften Studienabbrüchen oder Wanderungen führen. Das passt nicht zusammen. Studiengebühren werden keine Verbesserung der Lehre mit sich bringen und aus sozialen Gründen viele zwingen, an einem anderen Ort weiter zu studieren, oder das Studium ohne Abschluss zu beenden.
»Auch das ist nicht vertretbar. Die Hoffnungen mancher, der Staat können aus seinem Haushalt die dann fehlenden Gelder ersetzen, ist sicherlich ein Irrtum.«
Vor wenigen Tagen bewilligte die hessische Landesregierung 10 Mio. Euro für die zusätzliche Finanzierung von privaten Schulen. Wenn Herr Koch behauptet, in der Staatskasse sei kein Geld für das öffentliche Bildungssystem, ist dies eine glatte Lüge. Studiengebühren sind gewissermaßen eine Teilprivatisierung öffentlicher Hochschulen. Wenn diese weniger öffentliche Mittel erhalten, ist dies eine politische Entscheidung der Regierung, die selbst die Prioritäten für ihre Arbeit setzt. Wäre dies nicht so, bräuchten wir gar keine Regierung, sondern nur eine zentrale Verwaltung.
»Wir haben noch lange mit großen Schulden zu kämpfen.«
Daran werden Studiengebühren nichts ändern: 2003 erwartete Koch durch Langzeitstudiengebühren Einnahmen von 24 Mio. Euro, tatsächlich waren es nur 9,1 Mio., weil sich Tausende von Studierenden exmatrikulieren oder das Bundesland wechseln mussten. Auch jetzt sind die erwarteten Summen von 135 Mio. Euro und mehr aus der Luft gegriffene Augenwischerei, es gibt überhaupt kein nachvollziehbares Rechenmodell. Wenn die Landesregierung diesen Zahlen traute, würde sie sich gesetzlich dazu verpflichten, im Falle geringerer Einnahmen den fehlenden Betrag selbst auszugleichen. So jedoch verspricht sie den Hochschulen eine erfundene Summe, für dessen Höhe sie im nachhinein nicht einstehen muss. Wir halten dies für professionellen Betrug.
»Deshalb: Die Studienbeiträge werden ausschließlich zur Verbesserung der Qualität der Lehre an den einzelnen Universitäten in Hessen eingesetzt.«
Spätestens 2010 wird sich das Land Hessen aus der Finanzierung seiner Hochschulen weiter zurückziehen. Eine fortschreitende Erhöhung der Gebühren wird dadurch unvermeidlich. Sie können diese Entwicklung in Ländern beobachten, in denen Studiengebühren bereits erhoben werden, beispielsweise in Australien. Die öffentliche Bildung, die allen Bürgerinnen und Bürgen zur Verfügung stehen soll, muss öffentlich finanziert bleiben. Private Bildungseinrichtungen dürfen den öffentlichen Kindergärten, Schulen und Hochschulen nicht die finanzielle Grundlage nehmen. Diese Fehlentwicklung wird auch durch Studiengebühren enorm verschärft.
»Studierende haben in Zukunft einen Anspruch darauf, dass dieses Studium so organisiert und das die Angebote so gestaltet werden, dass sie ihr Studium gut leisten können.«
Diesen Anspruch haben sie nicht erst in Zukunft, sondern bereits jetzt. Das Land hat als Bildungsträger schon heute dafür zur sorgen, dass ein reibungsloses und erfolgreiches Studium möglich ist. Den Eindruck zu erwecken, diese staatliche Pflicht sei an die Einführung von Studiengebühren geknüpft, empfinden wir als arglistige Täuschung. Es ist unredlich von unserem Ministerpräsidenten, seinen Bürgerinnen und Bürgern etwas teuer verkaufen zu wollen, das diese bereits haben. Es spricht zudem für sich, dass diesen warmen Worten keine rechtlichen Taten folgen werden, denn es wird trotz Studiengebühren nicht möglich gemacht, diesen Anspruch auf ein gutes Studium vor Gericht einzuklagen. Nordrhein-Westfalen beispielsweise ließ seine "Geld-zurück-Garantie" für Studiengebühren schnell wieder unter den Tisch fallen. Diese Regierungen glauben selbst nicht daran, dass Gebühren ihren Hochschulen wirklich helfen werden.
Darüberhinaus besteht nicht nur ein Recht auf ein problemloses, sondern sogar auf ein kostenloses Hochschulstudium. Die Hessische Verfassung untersagt die Erhebung von Bildungsgebühren, Roland Koch missachtet die eigene Verfassung, auf die er seinen Amtseid ablegte. Zudem verstoßen die Pläne der Landesregierung gegen geltendes Völkerrecht. Neben der Allgemeinen Menschenrechtserklärung verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1966 den sogenannten Sozialpakt. Er wurde 1976 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert, durch ein Vertragsgesetz zu einem formellen Bundesgesetz erhoben und stellt einen völkerrechtlichen Vertrag dar. In Artikel 13 dieses Vertrages heißt es:
"Die Vertragsstaaten erkennen an, dass [...] der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss."
Auch diese Formulierung ist Eindeutig und Unmissverständlich, die Unentgeltlichkeit des Studiums wird nicht nur erwähnt sondern insbesondere betont. Die eigene Verfassung sowie die Achtung der Menschenrechte auf der einen Seite, und die Einführung von Studiengebühren auf der anderen, sind unvereinbar.
»Und: alle Studierenden müssen in der Zeit ihres Studiums kein zusätzliches Geld aufbringen. Jeder Student hat das Anspruch auf eine vollständige Finanzierung der Studienbeiträge zu sehr fairen Bedingungen.«
Auch hier behauptet Roland Koch nachweislich die Unwahrheit. Es haben nämlich nur bestimmte Studierende Anspruch auf diese Finanzierung, die im übrigen aus einem verzinsten Kredit besteht. Hiervon ausgeschlossen wird beispielsweise, wer nicht das richtige Alter oder die richtige Staatsangehörigkeit hat, oder auch wer nicht zum ersten mal studiert. Unter Umständen muss er zudem sogar bis zu dreimal so hohe Gebühren zahlen. Es ist eine dreiste Lüge öffentlich zu behaupten, niemand müsse zusätzliches Geld aufbringen.
Das geplante Kreditsystem ist darüber hinaus alles andere als sozial. Selbstverständlich werden nur Studierende aus einkommensschwachen Familien oder gerade in finanziellen Notlagen überhaupt einen Kredit zur Gebührenfinanzierung aufnehmen müssen. Finanziell Bessergestellte werden so faktisch bevorzugt, da sie zum einen von den Zinsen befreit sind, die bis zu 7,5% betragen werden. Zum anderen müssen sie nicht mit mehreren Tausend Euro schulden ins Berufsleben starten. Darlehenfinanzierte Studiengebühren führen zu einer gezielten Verschuldung von Kindern aus einkommensschwachen Familien.
»Und sollte er später kein ausreichendes Einkommen haben zum Zurückzahlen, dann wird er auch nicht verpflichtet sein, zurück zu zahlen.«
Dieses angeblich ausreichende Einkommen zur Rückzahlung beträgt derzeit 1060 Euro, die Kreditrückzahlung liegt damit über der Einkommenssteuer. In Interviews behauptet Wissenschaftsminister Corts gerne, nach dem Studium würde man zwischen 35.000 und 45.000 Euro jährlich verdienen. Wenn er wirklich an diese Zahlen glaubt fragen wir uns, wieso der Entwurf nicht auch erst hier die Rückzahlungsgrenze anlegt. Studierte haben tatsächlich bessere Berufschancen, doch auch hier ist die Zahl der Arbeitslosen beträchtlich, und viele arbeiten gezwungenermaßen nicht in dem Bereich, den sie studierten. Wir fragen daher auch, wieso angehende Akademikerinnen und Akademiker bereits einen Schuldenberg anhäufen sollen, ohne zu wissen, ob sie später überhaupt eine Anstellung finden werden. Es gibt einen gerechteren und sozialeren Weg: Tatsächlich Besserverdienende sollten durch einen angemessenen Steuersatz zur Finanzierung des öffentlichen Bildungssystems herangezogen werden. Dass die Koch-Regierung diesem Finanzierungsvorschlag abweisend gegenübersteht verwundert kaum, schließlich würden sie sich damit auch selbst zur Kasse bitten. Gegen steuerfinanzierte Modelle bringt Koch gerne das Argument, Geringverdienende würden dadurch das Studium von gut situierten Kindern finanzieren, die Krankenschwester bezahle das Studium des Arztsohnes. Gleichzeitig kündigt die Landesregierung an, die Gebühren würden den Hochschulen zusätzlich zukommen, ohne Abzug der Staatsfinanzierung -- Geringverdiener werden also überhaupt nicht entlastet. Vielmehr sollen ihre Kinder für ein Hochschulstudium auch noch zusätzlich einen Gebührenkredit aufnehmen müssen. Nach der Logik von Koch und Corts bezahlt die Krankenschwester also weiterhin das Studium des Arztsohnes, und muss für ihre eigene Tochter zusätzliche Studiengebühren entrichten. Studiengebühren sind in keinem Fall eine Lösung, sondern ein zusätzliches soziales Problem.
»Ich bin sicher, damit eine Lösung vorzuschlagen, die den Studierenden gerecht wird und zugleich moderne und leistungsfähige Hochschulen für die Zukunft sichert.«
Wir sind sicher, mit diesen Kommentaren einige von Herrn Koch vorgebrachte Falschaussagen klargestellt zu haben. Abschließend möchten wir um ihr Verständnis und ihre Unterstützung bitten, wenn durch öffentlichkeitswirksame Protestaktionen unsererseits Alltagsabläufe für kurze Zeit behindert werden. Auch wir würden am liebsten weiterstudieren, stellen uns sicher nicht zum Spaß auf die Straße und riskieren den Einsatz von Schlagstöcken und Reizgas. Die Pläne der Hessischen Landesregierung sind jedoch eine massive Bedrohung für unser freies Bildungssystem, die wir nicht regungslos akzeptieren dürfen. Wir protestieren, um sie auf diese gefährlichen Entwicklungen aufmerksam zu machen, und um auch für ihre Kinder, Enkelkinder und zukünftige Generationen ein offenes und freies Bildungssystem auszubauen und zu erhalten. Unsere Wut richtet sich nicht gegen die hessische Bevölkerung, sondern gegen eine Landesregierung, die mit bewussten Unwahrheiten und beschönigenden Begriffen die Errungenschaften unseres Bildungs- und Sozialsystems schrittweise abbaut. Bitte sprechen sie mit Studierenden, informieren sie sich über die Hintergründe von Studiengebühren, Bildungs- und Sozialabbau. Hinterfragen sie das Vertrauen, das sie der Hessischen Landesregierung entgegenbringen.
Wir demonstrieren nicht für uns allein, sondern für uns alle.
Freie Bildung ist ein Menschenrecht.
»Die Hessische Landesregierung hat die Entscheidung getroffen dem Parlament vorzuschlagen, auch in Hessen Studienbeiträge einzuführen. In meinen Gesprächen stelle ich fest, dass es über diese Entscheidung und ihre Auswirkungen sehr viel Informationsbedarf und auch gerade unter Studentinnen und Studenten sehr viele Missverständnisse gibt.«
In der Tat herrscht massiver Aufklärungsbedarf, und wir als Studierendenvertretung bemühen uns bereits seit Jahren darum, fehlenden oder falschen Informationen entgegenzuwirken. Die Studierenden Hessens sind allerdings über die Vorhaben der Landesregierung weit besser informiert, als es dieser lieb ist. Vor allem also die Bürgerinnen und Bürger Hessens möchten und müssen wir mit unseren Protestaktionen auf die wirklichen Folgen des geplanten Gesetzes aufmerksam machen. Wir bitten sie darum, die Pläne unserer Landesregierung genau zu betrachten. Die Versuche des Wissenschaftsministers, das Gebührenmodell in Bierflaschen und Zigarettenschachteln umzurechnen, sind sicher nicht als sachliche Information zu werten. Eine tatsächliche Versachlichung der Diskussion können wir nur sehr begrüßen und nutzen gerne die Möglichkeit, sie mit den Fakten zum Thema Studiengebühren zu informieren, die ihnen Herr Koch in seiner Ansprache eingangs in Aussicht stellte, aber auch dieses mal nicht liefern konnte. Beachten sie dabei bitte, dass das von verschiedenen Bundesländern im Augenblick gebrauchte Wort "Studienbeiträge" bereits eine bewusste Verniedlichung darstellt, um in der Öffentlichkeit ein falsches Bild zu erzeugen. Wann immer von Studienkonten, Studienguthaben, Bildungsgutscheinen oder eben Studienbeiträgen die Rede ist, sind damit Studiengebühren gemeint. Wir verwenden daher durchgehend diesen Begriff.
»Andere Bundesländer um uns herum haben ja schon längst die Gesetzgebung zur Frage von Studienbeiträgen eingeleitet. Aber jetzt steht fest, Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, um uns herum werden die Studienbeiträge erheben.«
Das Argument, Studiengebühren seien notwendig, weil alle anderen sie auch einführen, ist nicht stichhaltig. Die Länder in Europa, in denen Bildung groß geschrieben wird, wie beispielsweise Finnland oder Schweden, verzichten bewusst auf Studiengebühren.
»Hessen muss sich überlegen, ob das zu einem wesentlichen Anstieg der Studierendenzahlen an hessischen Universitäten führen würde, die dann logisch zur Folge haben, dass hessische Schülerinnen und Schüler beim Übergang auf die Universität mit einem höheren Numerus Clausus zu rechnen haben, als in den Nachbarländern. Das scheint mir nicht vertretbar. Zudem würde es gleichzeitig bedeuten, dass die Studienbedingungen an hessischen Universitäten schlechter sind als an vergleichbaren Universitäten in der Nachbarschaft.«
Die Hessische Landesregierung begründet ihre vermeintlich "guten" Gebühren mit den "bösen" Gebühren der anderen Bundesländer: Die dort eingeführten Studiengebühren werden, nach Ansicht des Ministerpräsidenten, zu derart hohen Abwanderungsquoten führen, dass dies die hessischen Hochschulen überlastet. Warum befürchtet Herr Koch, dass so viele Studierende ihre Universitäten verlassen werden, wenn Studiengebühren doch die Qualität der Lehre auch in diesen Bundesländern angeblich sehr verbessern? Mit dieser Argumentation gibt Roland Koch zwischen den Zeilen selbst zu, dass die geplanten Gebühren für Tausende von Studierenden eine existenzbedrohende Mehrbelastung darstellen, denn immerhin sollen im Jahr bis zu 3900 Euro gezahlt werden. Gleichzeitig behauptet der hessische Wissenschaftsminister Udo Corts, die hessischen Studiengebühren werden nicht zu massenhaften Studienabbrüchen oder Wanderungen führen. Das passt nicht zusammen. Studiengebühren werden keine Verbesserung der Lehre mit sich bringen und aus sozialen Gründen viele zwingen, an einem anderen Ort weiter zu studieren, oder das Studium ohne Abschluss zu beenden.
»Auch das ist nicht vertretbar. Die Hoffnungen mancher, der Staat können aus seinem Haushalt die dann fehlenden Gelder ersetzen, ist sicherlich ein Irrtum.«
Vor wenigen Tagen bewilligte die hessische Landesregierung 10 Mio. Euro für die zusätzliche Finanzierung von privaten Schulen. Wenn Herr Koch behauptet, in der Staatskasse sei kein Geld für das öffentliche Bildungssystem, ist dies eine glatte Lüge. Studiengebühren sind gewissermaßen eine Teilprivatisierung öffentlicher Hochschulen. Wenn diese weniger öffentliche Mittel erhalten, ist dies eine politische Entscheidung der Regierung, die selbst die Prioritäten für ihre Arbeit setzt. Wäre dies nicht so, bräuchten wir gar keine Regierung, sondern nur eine zentrale Verwaltung.
»Wir haben noch lange mit großen Schulden zu kämpfen.«
Daran werden Studiengebühren nichts ändern: 2003 erwartete Koch durch Langzeitstudiengebühren Einnahmen von 24 Mio. Euro, tatsächlich waren es nur 9,1 Mio., weil sich Tausende von Studierenden exmatrikulieren oder das Bundesland wechseln mussten. Auch jetzt sind die erwarteten Summen von 135 Mio. Euro und mehr aus der Luft gegriffene Augenwischerei, es gibt überhaupt kein nachvollziehbares Rechenmodell. Wenn die Landesregierung diesen Zahlen traute, würde sie sich gesetzlich dazu verpflichten, im Falle geringerer Einnahmen den fehlenden Betrag selbst auszugleichen. So jedoch verspricht sie den Hochschulen eine erfundene Summe, für dessen Höhe sie im nachhinein nicht einstehen muss. Wir halten dies für professionellen Betrug.
»Deshalb: Die Studienbeiträge werden ausschließlich zur Verbesserung der Qualität der Lehre an den einzelnen Universitäten in Hessen eingesetzt.«
Spätestens 2010 wird sich das Land Hessen aus der Finanzierung seiner Hochschulen weiter zurückziehen. Eine fortschreitende Erhöhung der Gebühren wird dadurch unvermeidlich. Sie können diese Entwicklung in Ländern beobachten, in denen Studiengebühren bereits erhoben werden, beispielsweise in Australien. Die öffentliche Bildung, die allen Bürgerinnen und Bürgen zur Verfügung stehen soll, muss öffentlich finanziert bleiben. Private Bildungseinrichtungen dürfen den öffentlichen Kindergärten, Schulen und Hochschulen nicht die finanzielle Grundlage nehmen. Diese Fehlentwicklung wird auch durch Studiengebühren enorm verschärft.
»Studierende haben in Zukunft einen Anspruch darauf, dass dieses Studium so organisiert und das die Angebote so gestaltet werden, dass sie ihr Studium gut leisten können.«
Diesen Anspruch haben sie nicht erst in Zukunft, sondern bereits jetzt. Das Land hat als Bildungsträger schon heute dafür zur sorgen, dass ein reibungsloses und erfolgreiches Studium möglich ist. Den Eindruck zu erwecken, diese staatliche Pflicht sei an die Einführung von Studiengebühren geknüpft, empfinden wir als arglistige Täuschung. Es ist unredlich von unserem Ministerpräsidenten, seinen Bürgerinnen und Bürgern etwas teuer verkaufen zu wollen, das diese bereits haben. Es spricht zudem für sich, dass diesen warmen Worten keine rechtlichen Taten folgen werden, denn es wird trotz Studiengebühren nicht möglich gemacht, diesen Anspruch auf ein gutes Studium vor Gericht einzuklagen. Nordrhein-Westfalen beispielsweise ließ seine "Geld-zurück-Garantie" für Studiengebühren schnell wieder unter den Tisch fallen. Diese Regierungen glauben selbst nicht daran, dass Gebühren ihren Hochschulen wirklich helfen werden.
Darüberhinaus besteht nicht nur ein Recht auf ein problemloses, sondern sogar auf ein kostenloses Hochschulstudium. Die Hessische Verfassung untersagt die Erhebung von Bildungsgebühren, Roland Koch missachtet die eigene Verfassung, auf die er seinen Amtseid ablegte. Zudem verstoßen die Pläne der Landesregierung gegen geltendes Völkerrecht. Neben der Allgemeinen Menschenrechtserklärung verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1966 den sogenannten Sozialpakt. Er wurde 1976 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert, durch ein Vertragsgesetz zu einem formellen Bundesgesetz erhoben und stellt einen völkerrechtlichen Vertrag dar. In Artikel 13 dieses Vertrages heißt es:
"Die Vertragsstaaten erkennen an, dass [...] der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss."
Auch diese Formulierung ist Eindeutig und Unmissverständlich, die Unentgeltlichkeit des Studiums wird nicht nur erwähnt sondern insbesondere betont. Die eigene Verfassung sowie die Achtung der Menschenrechte auf der einen Seite, und die Einführung von Studiengebühren auf der anderen, sind unvereinbar.
»Und: alle Studierenden müssen in der Zeit ihres Studiums kein zusätzliches Geld aufbringen. Jeder Student hat das Anspruch auf eine vollständige Finanzierung der Studienbeiträge zu sehr fairen Bedingungen.«
Auch hier behauptet Roland Koch nachweislich die Unwahrheit. Es haben nämlich nur bestimmte Studierende Anspruch auf diese Finanzierung, die im übrigen aus einem verzinsten Kredit besteht. Hiervon ausgeschlossen wird beispielsweise, wer nicht das richtige Alter oder die richtige Staatsangehörigkeit hat, oder auch wer nicht zum ersten mal studiert. Unter Umständen muss er zudem sogar bis zu dreimal so hohe Gebühren zahlen. Es ist eine dreiste Lüge öffentlich zu behaupten, niemand müsse zusätzliches Geld aufbringen.
Das geplante Kreditsystem ist darüber hinaus alles andere als sozial. Selbstverständlich werden nur Studierende aus einkommensschwachen Familien oder gerade in finanziellen Notlagen überhaupt einen Kredit zur Gebührenfinanzierung aufnehmen müssen. Finanziell Bessergestellte werden so faktisch bevorzugt, da sie zum einen von den Zinsen befreit sind, die bis zu 7,5% betragen werden. Zum anderen müssen sie nicht mit mehreren Tausend Euro schulden ins Berufsleben starten. Darlehenfinanzierte Studiengebühren führen zu einer gezielten Verschuldung von Kindern aus einkommensschwachen Familien.
»Und sollte er später kein ausreichendes Einkommen haben zum Zurückzahlen, dann wird er auch nicht verpflichtet sein, zurück zu zahlen.«
Dieses angeblich ausreichende Einkommen zur Rückzahlung beträgt derzeit 1060 Euro, die Kreditrückzahlung liegt damit über der Einkommenssteuer. In Interviews behauptet Wissenschaftsminister Corts gerne, nach dem Studium würde man zwischen 35.000 und 45.000 Euro jährlich verdienen. Wenn er wirklich an diese Zahlen glaubt fragen wir uns, wieso der Entwurf nicht auch erst hier die Rückzahlungsgrenze anlegt. Studierte haben tatsächlich bessere Berufschancen, doch auch hier ist die Zahl der Arbeitslosen beträchtlich, und viele arbeiten gezwungenermaßen nicht in dem Bereich, den sie studierten. Wir fragen daher auch, wieso angehende Akademikerinnen und Akademiker bereits einen Schuldenberg anhäufen sollen, ohne zu wissen, ob sie später überhaupt eine Anstellung finden werden. Es gibt einen gerechteren und sozialeren Weg: Tatsächlich Besserverdienende sollten durch einen angemessenen Steuersatz zur Finanzierung des öffentlichen Bildungssystems herangezogen werden. Dass die Koch-Regierung diesem Finanzierungsvorschlag abweisend gegenübersteht verwundert kaum, schließlich würden sie sich damit auch selbst zur Kasse bitten. Gegen steuerfinanzierte Modelle bringt Koch gerne das Argument, Geringverdienende würden dadurch das Studium von gut situierten Kindern finanzieren, die Krankenschwester bezahle das Studium des Arztsohnes. Gleichzeitig kündigt die Landesregierung an, die Gebühren würden den Hochschulen zusätzlich zukommen, ohne Abzug der Staatsfinanzierung -- Geringverdiener werden also überhaupt nicht entlastet. Vielmehr sollen ihre Kinder für ein Hochschulstudium auch noch zusätzlich einen Gebührenkredit aufnehmen müssen. Nach der Logik von Koch und Corts bezahlt die Krankenschwester also weiterhin das Studium des Arztsohnes, und muss für ihre eigene Tochter zusätzliche Studiengebühren entrichten. Studiengebühren sind in keinem Fall eine Lösung, sondern ein zusätzliches soziales Problem.
»Ich bin sicher, damit eine Lösung vorzuschlagen, die den Studierenden gerecht wird und zugleich moderne und leistungsfähige Hochschulen für die Zukunft sichert.«
Wir sind sicher, mit diesen Kommentaren einige von Herrn Koch vorgebrachte Falschaussagen klargestellt zu haben. Abschließend möchten wir um ihr Verständnis und ihre Unterstützung bitten, wenn durch öffentlichkeitswirksame Protestaktionen unsererseits Alltagsabläufe für kurze Zeit behindert werden. Auch wir würden am liebsten weiterstudieren, stellen uns sicher nicht zum Spaß auf die Straße und riskieren den Einsatz von Schlagstöcken und Reizgas. Die Pläne der Hessischen Landesregierung sind jedoch eine massive Bedrohung für unser freies Bildungssystem, die wir nicht regungslos akzeptieren dürfen. Wir protestieren, um sie auf diese gefährlichen Entwicklungen aufmerksam zu machen, und um auch für ihre Kinder, Enkelkinder und zukünftige Generationen ein offenes und freies Bildungssystem auszubauen und zu erhalten. Unsere Wut richtet sich nicht gegen die hessische Bevölkerung, sondern gegen eine Landesregierung, die mit bewussten Unwahrheiten und beschönigenden Begriffen die Errungenschaften unseres Bildungs- und Sozialsystems schrittweise abbaut. Bitte sprechen sie mit Studierenden, informieren sie sich über die Hintergründe von Studiengebühren, Bildungs- und Sozialabbau. Hinterfragen sie das Vertrauen, das sie der Hessischen Landesregierung entgegenbringen.
Wir demonstrieren nicht für uns allein, sondern für uns alle.
Freie Bildung ist ein Menschenrecht.
Kommentare
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01.06.2006 / 17:01 | katharina , Radio Darmstadt |
gesendet am 31. 5. im alltag-und-geschichte-magazin
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sehr schoener kommentar, aber aufgepasst, die koch-o-toene sind phasenverkehrt! am besten im schnittprogramm in zwei kanaele aufsplitten und dann nur einen von beiden senden. | |