"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Alternativwährungen
ID 77509
Da, wo ich wohne, gibt es eine Gruppe, welche sich mit einer Alternativwährung beschäftigt. Das ist nichts besonders Neues oder Revolutionäres; in Österreich gibt es zum Beispiel seit längerer Zeit den Waldviertler, der eben im Waldviertel in Umlauf ist, in einem Teil von Niederösterreich, wo rund 200'000 Personen leben.
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08:09 min, 19 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.06.2016 / 10:18
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Dateizugriffe: 2270
Klassifizierung
tipo: Kommentar
idioma: deutsch
áreas de redacción: Politik/Info, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung
autoras o autores: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
fecha de producción: 07.06.2016
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Eine Besonderheit des Waldviertlers ist die, dass er pro Quartal 2% an Wert verliert; damit soll die zügige Zirkulation dieses Geldes sichergestellt werden, abgesehen davon, dass sie vor allem lokale beziehungsweise regionale Güter zirkuliert. Die Idee mit der Geldentwertung bringt vor allem zum Ausdruck, dass es sich hier um ein antispekulatives Projekt handelt, welches dem Geld die Fähigkeit entzieht, sich in Zins und Profit treibendes Kapital zu verwandeln. Kann man gut finden oder weniger gut, aber auf jeden Fall hält sich das Geld wie gesagt schon länger und hat wohl vor allem einigen kleineren Betrieben einen gewissen Auftrieb beschert.
Unsere Alternativwährung soll «Gefallen» heißen, und zunächst erinnere ich mich natürlich an einen Vorläufer mit Namen «Talent», dem ich vor etwas mehr als zehn Jahren mal über den Weg gekrochen bin. Es gab da eine Liste mit Dingen, welche man für beziehungsweise gegen Talente tauschen konnte, und, meiner Treu, diese Liste war nichts anderes als ein Sammelsurium von Gammelprodukten. Offensichtlich erhofften sich die Talent-BetreiberInnen, unter dem Deckmantel einer antikapitalistischen Währung doch noch einen maßlos übertriebenen Preis für ihren Schrott einzuheimsen. Im Nachhinein habe ich nicht den Eindruck, dass auch nur eine einzige Transaktion für oder gegen Talente zustande kam. «Talent» war der Name für eine Bauernfängerei, auf welche nicht mal die Bauern reinfielen.
Der neue Anlauf mit dem «Gefallen» hat noch keine solche Gestalt angenommen, aber eines missfällt mir schon jetzt, genau so, wie es mir schon beim Talent missfallen hat: Neben einem eigenen Warenkreislauf, für den es möglicherweise gewisse Gründe gibt, stützen die InitiantInnen in erster Linie darauf ab, freiwillige Handlungen geldwert zu entschädigen. Das halte ich für ein gewaltiges Denkloch. Von dem Moment an, da ich mich dafür entgelten lasse, dass ich jemandem einen Gefallen tue, tue ich ihm keinen Gefallen mehr, sondern erbringe eine Dienstleistung. Damit betreiben diese BetreiberInnen eines antikapitalistischen Projektes nichts anderes als den Versuch, die Geldwirtschaft mehr oder weniger bis in die Intimsphäre hinein zu tragen. Es ist der Schluss- und Endpunkt hinter jeder Leistung, die sich als freiwillig versteht – in Zukunft gibt es Freiwillligkeit nur noch gegen harte Währung.
Ich kann mir auch bei uns Bereiche vorstellen, wo eine Alternativwährung funktionieren kann; so steht zum Beispiel der Aufbau eines Quartierladens an, und da ist absolut denkbar, dass man Bezugsscheine ausgibt unter dem Propagandabegriff einer Alternativwährung. Es ist sogar möglich, solche Bezugsscheine oder Währungen auszudehnen auf weitere Quartiere, Städte, Länder, auch wenn der entsprechende Prozess nicht eben einfach erscheint. Aber Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, bei uns anstelle des schummrig-ominösen «Gefallen»-Geldes justament den Waldviertler einzusetzen mit seinen eigenen Bedingungen, unter anderem dem Wertzerfall. Dieser Wertzerfall erinnert mich übrigens an sein Gegenteil, nämlich an Zinscoupons und daran, dass vor hundertfünfzig Jahren durchaus diskutiert wurde, ob man die offiziellen Banknoten nicht mit Zinscoupons ausgeben solle, was sie neben der Eigenschaft als Zahlungsmittel auch noch zu einem Wert- und Anlagepapier gemacht hätte. Aber Erfahrungen liegen damit meines Wissens keine vor.
In ihrem Anwendungsbereich weist die Alternativwährung dann idealerweise nach, wie die Waren innerhalb des Kreises der BenutzerInnen zirkuliert, also wie viel Umsatz tatsächlich regional, lokal oder sogar mikrolokal gemacht wird. Grundsätzlich aber müssten die InitiantInnen noch einige Fragen beantworten, damit das Projekt nicht zum überragenden Humbug gedeiht, namentlich über das Verhältnis der lokalen Wertschöpfung zur internationalen Wertschöpfung, welche mit dem offiziellen Geld zirkuliert wird. Für mich gilt der Grundsatz, dass regionale Anstrengungen schön und gut sind und auch meinen Applaus verdienen, wenn es sich um gute Ware handelt; aber es handelt sich um Zusatzdienste, um Erzeugnisse, welche auf einer soliden Grundlage der globalen Warenproduktion möglich sind. Sie können nicht an die Stelle dieser globalen Warenproduktion treten. Mindestens vorderhand nicht.
Selbstverständlich ist es eine Binsenwahrheit, dass uns vor lauter Globalisierung und Automatisierung die Arbeit ausgeht, und von da her betrachtet, würde diese lokale Aktivität auch beschäftigungstechnisch eine Alternative aufbauen, zumal ja neben den Produkten auch die Produktionsmittel globalisiert und automatisiert werden und bald allen zur Verfügung stehen. Viele Leute sprechen schon davon, sich alle Dinge des täglichen Gebrauchs mit einem 3-D-Drucker selber herzustellen. Aber das ist nicht nur energietechnisch ein Unsinn, auch die Technologie ist dafür noch nicht bereit.
Um aber auf das Geld zurückzukommen: Selbstverständlich stehen wir alle vor dem Phänomen, wie sich Geld in mehr Geld verwandelt, manchmal in der Form der Inflation, manchmal in der Form der Transsubstantiation von Geld zu Kapital, wir alle also stehen vor diesem Phänomen wie die Taschenlampe vor der Sonne. Neben Alternativwährungen gibt es auch die Bemühungen, die Thesen von Silvio Gesell mit dem Vollgeld wieder zu beleben, also für eine volle Deckung aller Geldbestände, welche die Nationalbanken ausgeben, zu sorgen. Dem stehen allerdings verschiedene Dinge im Weg, zum Beispiel die Tatsache, dass es sich bei der Europäischen Zentralbank unterdessen um eine Internationalbank ohne Länderbezug handelt, vor allem aber, dass die Kapital- und Finanzmärkte global eine derartige Bedeutung angenommen haben, dass man sie in keinem Fall einfach abschaffen kann, einmal abgesehen davon, dass die Frage, wer das denn wäre, wer so etwas abschafft, schon mit der nötigen Klarheit zeigt, wie illusorisch so ein Unterfangen ist. Mindestens in der Praxis; für ein paar theoretische Überlegungen ist die Übung dann natürlich wieder jederzeit gut.
Zu den Geldmengen verschafft ein Überblick über die Bilanzsummen der großen Notenbanken die notwendige Unklarheit: Zwischen 2003 und 2016 sind die Bestände der neun größten Institute, vor allem der EZB, der Federal Reserve und der Chinesischen Nationalbank, von etwas über 3 Billionen US-Dollar auf 18 Billionen angestiegen, und zwar neben einem klaren Ausschlag im Jahr 2008 relativ konstant. Das globale Bruttoinlandprodukt hat sich in diesem Zeitraum aber nicht versechsfacht, sondern bloß verdoppelt und beträgt rund 75 Billionen US-Dollar, was übrigens eine recht hübsche Relation zur Quartals-Zirkulationsgeschwindigkeit des Waldviertlers ergibt, die allerdings keine weitere Aussagekraft haben dürfte. Immerhin lässt sich sagen, dass es rein grundsätzlich schön wäre, wenn in, sagen wir mal zehn Jahren der Waldviertler als Welt-Referenzwährung dominieren würde. Zu diesem Zwecke müssten allerdings die Grausel-Zausel von den Rechtspopulisten abstinken in Österreich. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Notenbanken-Bilanzsumme 18 Billionen US-Dollar, Brutto-Inlandprodukt 75 Milliarden US-Dollar, und das globale Vermögen belief sich per Ende 2015 auf 250 Billionen US-Dollar, was ein Vermögen von Wirtschafts-Output zu Vermögen von 3 zu 10 bzw. 333% ergibt, wiederum leicht unter dem von Piketty ermittelten Kapital-Einkommens-Verhältnis per 2010 von etwas über 400% liegt, aber die Werte sind ja nicht deckungsgleich. Immerhin scheinen hier die Größenordnungen mindestens empirisch noch einigermaßen im Bereich der Wahrscheinlichkeit zu liegen, ganz im Gegensatz eben zu allen anderen Ereignissen rund um die Geldschöpfung, die den Horizont der Empirie komplett aushebeln, sodass auch wir vielleicht bald wie das AfD-Liebchen Alice Weidel nur noch über die Abschaffung der 500-Euro-Note stöhnen und jodeln können, weil alles andere sich dem Zugang vollständig verschließt.
Unsere Alternativwährung soll «Gefallen» heißen, und zunächst erinnere ich mich natürlich an einen Vorläufer mit Namen «Talent», dem ich vor etwas mehr als zehn Jahren mal über den Weg gekrochen bin. Es gab da eine Liste mit Dingen, welche man für beziehungsweise gegen Talente tauschen konnte, und, meiner Treu, diese Liste war nichts anderes als ein Sammelsurium von Gammelprodukten. Offensichtlich erhofften sich die Talent-BetreiberInnen, unter dem Deckmantel einer antikapitalistischen Währung doch noch einen maßlos übertriebenen Preis für ihren Schrott einzuheimsen. Im Nachhinein habe ich nicht den Eindruck, dass auch nur eine einzige Transaktion für oder gegen Talente zustande kam. «Talent» war der Name für eine Bauernfängerei, auf welche nicht mal die Bauern reinfielen.
Der neue Anlauf mit dem «Gefallen» hat noch keine solche Gestalt angenommen, aber eines missfällt mir schon jetzt, genau so, wie es mir schon beim Talent missfallen hat: Neben einem eigenen Warenkreislauf, für den es möglicherweise gewisse Gründe gibt, stützen die InitiantInnen in erster Linie darauf ab, freiwillige Handlungen geldwert zu entschädigen. Das halte ich für ein gewaltiges Denkloch. Von dem Moment an, da ich mich dafür entgelten lasse, dass ich jemandem einen Gefallen tue, tue ich ihm keinen Gefallen mehr, sondern erbringe eine Dienstleistung. Damit betreiben diese BetreiberInnen eines antikapitalistischen Projektes nichts anderes als den Versuch, die Geldwirtschaft mehr oder weniger bis in die Intimsphäre hinein zu tragen. Es ist der Schluss- und Endpunkt hinter jeder Leistung, die sich als freiwillig versteht – in Zukunft gibt es Freiwillligkeit nur noch gegen harte Währung.
Ich kann mir auch bei uns Bereiche vorstellen, wo eine Alternativwährung funktionieren kann; so steht zum Beispiel der Aufbau eines Quartierladens an, und da ist absolut denkbar, dass man Bezugsscheine ausgibt unter dem Propagandabegriff einer Alternativwährung. Es ist sogar möglich, solche Bezugsscheine oder Währungen auszudehnen auf weitere Quartiere, Städte, Länder, auch wenn der entsprechende Prozess nicht eben einfach erscheint. Aber Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, bei uns anstelle des schummrig-ominösen «Gefallen»-Geldes justament den Waldviertler einzusetzen mit seinen eigenen Bedingungen, unter anderem dem Wertzerfall. Dieser Wertzerfall erinnert mich übrigens an sein Gegenteil, nämlich an Zinscoupons und daran, dass vor hundertfünfzig Jahren durchaus diskutiert wurde, ob man die offiziellen Banknoten nicht mit Zinscoupons ausgeben solle, was sie neben der Eigenschaft als Zahlungsmittel auch noch zu einem Wert- und Anlagepapier gemacht hätte. Aber Erfahrungen liegen damit meines Wissens keine vor.
In ihrem Anwendungsbereich weist die Alternativwährung dann idealerweise nach, wie die Waren innerhalb des Kreises der BenutzerInnen zirkuliert, also wie viel Umsatz tatsächlich regional, lokal oder sogar mikrolokal gemacht wird. Grundsätzlich aber müssten die InitiantInnen noch einige Fragen beantworten, damit das Projekt nicht zum überragenden Humbug gedeiht, namentlich über das Verhältnis der lokalen Wertschöpfung zur internationalen Wertschöpfung, welche mit dem offiziellen Geld zirkuliert wird. Für mich gilt der Grundsatz, dass regionale Anstrengungen schön und gut sind und auch meinen Applaus verdienen, wenn es sich um gute Ware handelt; aber es handelt sich um Zusatzdienste, um Erzeugnisse, welche auf einer soliden Grundlage der globalen Warenproduktion möglich sind. Sie können nicht an die Stelle dieser globalen Warenproduktion treten. Mindestens vorderhand nicht.
Selbstverständlich ist es eine Binsenwahrheit, dass uns vor lauter Globalisierung und Automatisierung die Arbeit ausgeht, und von da her betrachtet, würde diese lokale Aktivität auch beschäftigungstechnisch eine Alternative aufbauen, zumal ja neben den Produkten auch die Produktionsmittel globalisiert und automatisiert werden und bald allen zur Verfügung stehen. Viele Leute sprechen schon davon, sich alle Dinge des täglichen Gebrauchs mit einem 3-D-Drucker selber herzustellen. Aber das ist nicht nur energietechnisch ein Unsinn, auch die Technologie ist dafür noch nicht bereit.
Um aber auf das Geld zurückzukommen: Selbstverständlich stehen wir alle vor dem Phänomen, wie sich Geld in mehr Geld verwandelt, manchmal in der Form der Inflation, manchmal in der Form der Transsubstantiation von Geld zu Kapital, wir alle also stehen vor diesem Phänomen wie die Taschenlampe vor der Sonne. Neben Alternativwährungen gibt es auch die Bemühungen, die Thesen von Silvio Gesell mit dem Vollgeld wieder zu beleben, also für eine volle Deckung aller Geldbestände, welche die Nationalbanken ausgeben, zu sorgen. Dem stehen allerdings verschiedene Dinge im Weg, zum Beispiel die Tatsache, dass es sich bei der Europäischen Zentralbank unterdessen um eine Internationalbank ohne Länderbezug handelt, vor allem aber, dass die Kapital- und Finanzmärkte global eine derartige Bedeutung angenommen haben, dass man sie in keinem Fall einfach abschaffen kann, einmal abgesehen davon, dass die Frage, wer das denn wäre, wer so etwas abschafft, schon mit der nötigen Klarheit zeigt, wie illusorisch so ein Unterfangen ist. Mindestens in der Praxis; für ein paar theoretische Überlegungen ist die Übung dann natürlich wieder jederzeit gut.
Zu den Geldmengen verschafft ein Überblick über die Bilanzsummen der großen Notenbanken die notwendige Unklarheit: Zwischen 2003 und 2016 sind die Bestände der neun größten Institute, vor allem der EZB, der Federal Reserve und der Chinesischen Nationalbank, von etwas über 3 Billionen US-Dollar auf 18 Billionen angestiegen, und zwar neben einem klaren Ausschlag im Jahr 2008 relativ konstant. Das globale Bruttoinlandprodukt hat sich in diesem Zeitraum aber nicht versechsfacht, sondern bloß verdoppelt und beträgt rund 75 Billionen US-Dollar, was übrigens eine recht hübsche Relation zur Quartals-Zirkulationsgeschwindigkeit des Waldviertlers ergibt, die allerdings keine weitere Aussagekraft haben dürfte. Immerhin lässt sich sagen, dass es rein grundsätzlich schön wäre, wenn in, sagen wir mal zehn Jahren der Waldviertler als Welt-Referenzwährung dominieren würde. Zu diesem Zwecke müssten allerdings die Grausel-Zausel von den Rechtspopulisten abstinken in Österreich. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Notenbanken-Bilanzsumme 18 Billionen US-Dollar, Brutto-Inlandprodukt 75 Milliarden US-Dollar, und das globale Vermögen belief sich per Ende 2015 auf 250 Billionen US-Dollar, was ein Vermögen von Wirtschafts-Output zu Vermögen von 3 zu 10 bzw. 333% ergibt, wiederum leicht unter dem von Piketty ermittelten Kapital-Einkommens-Verhältnis per 2010 von etwas über 400% liegt, aber die Werte sind ja nicht deckungsgleich. Immerhin scheinen hier die Größenordnungen mindestens empirisch noch einigermaßen im Bereich der Wahrscheinlichkeit zu liegen, ganz im Gegensatz eben zu allen anderen Ereignissen rund um die Geldschöpfung, die den Horizont der Empirie komplett aushebeln, sodass auch wir vielleicht bald wie das AfD-Liebchen Alice Weidel nur noch über die Abschaffung der 500-Euro-Note stöhnen und jodeln können, weil alles andere sich dem Zugang vollständig verschließt.