Quergelesen 5. August 2008 Teil 1

ID 23560
 
Quergelesen sendet seit 1995 wöchentlich bei Querfunk
Auch in dieser Ausgabe wird die derzeit in der Jungle World stattfindende Debatte über Links- und Rätekommunismus dokumentiert. Diese Woche: der Beitrag von Biene Baumeister Zwi Negator "Damit es nicht so weitergeht".
Musik von den Moulinettes, Patti Smith, Blondie, ...
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29:23 min, 27 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.08.2008 / 16:55

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Klassifizierung

tipo: Magazin
idioma: deutsch
áreas de redacción: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Arbeitswelt, Kultur
serie: Quergelesen
Entstehung

autoras o autores: Redaktion Quergelesen
Kontakt: quergelesen(at)querfunk.de
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
fecha de producción: 04.08.2008
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Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
http://jungle-world.com/artikel/2008/31/...

Damit es nicht so weitergeht

von Autorenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator

Die Situationistische Internationale radikalisierte den Rätekommunismus und kritisierte ihn zugleich. Aber wie die­ser tendierte sie dazu, sich über den Zivilisations­bruch Au­schwitz hin­wegzusetzen.



Eine kritische Rettung des linken Kommunismus im Sinne einer neuen Konstruktion setzt seine Destruktion voraus. Es kann keinen Rückgriff auf den reinen unverfälschten und unschuldigen Links- und Rätekommunismus geben, der heute einfach wieder in sein Recht gesetzt werden könn­te. Nichts als »revolutionäre Ideologie« kann dabei herauskommen, wenn die Wirklichkeit so weit ausgeblendet wird, dass sie sich einem Bild aus der Vergangenheit einfügen lässt. Dazu ist zu Unfassbares geschehen, und daran hat der linke Kommunismus seine Grenzen offenbart, er teilt mit Partei- und Staatssozialismus ebenso wie mit den Anarchismen die ideologische Affirmation linker Verfallsgeschichte, »dass es ›so weiter‹ geht« (Walter Benjamin).

Bis 1936 schienen die linken Kommunistinnen und Kommunisten immer Recht zu behalten: Sie verteidigten so weit wie möglich die modernen Bedingungen für die communistische Weltrevolution gegen das hegemonial werdende Bild von »Sozialismus in einem Lande« mit staatlichem Au­ßenhandelsmonopol und seinem Ex­portschla­ger der nachholenden staatskapitalistischen Modernisierung. Sie stellten sich gegen die Konterrevolution unter roter Fahne, als welche Rosa Luxem­burg erstmals die deutsche So­zialdemo­kra­tie hatte erkennen müssen und die nun in ihrer russisch-orthodoxen Emblematik durch Hammer und Sichel konzentriert verbildlichte: »Sozialismus heißt: viel arbeiten.« (Friedrich Ebert).

Doch mit der Niederlage der sozialen Revolu­tion im Spanischen Bürgerkrieg, dem Zustandekommen des Hitler-Stalin-Pakts und somit dem vorläufigen Ende aller Aussichten auf eine proletarisch-revolutionäre Wiederaufnahme in anderen Ländern sollte sich das einfache linkskommu­nistische Weiterführen des »revolutionären Defätismus« aus dem Ersten Weltkrieg in dem jetzt sich abzeichnenden antifaschistischen Krieg im Weltmaßstab als abstrakter Analogieschluss, also historisch falsch erweisen. Man klinkte sich aus dem überlebensnotwendigen historischen Rückzugsgefecht gegen die blanke Barbarei aus, und das führte in der Konsequenz – wie dies Stephan Grigat (Jungle World 30/08) ausführlicher aufgewiesen hat – beispielsweise zu dem berüchtigten bordigistischen Text »Auschwitz oder das große Alibi« von 1961.

Ohne hinter jene kritisch-historische Reflexion zurückzufallen, folgt für eine kritische Rettung von historischen Erfahrungsmomenten links- und rätekommunistischer Bewegungen, dass die kollektive Kritik weiterhin gezwungen ist, »die endlich entdeckte politische Form, unter der die Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte« (Marx) neu zu erfinden. Die Situationistische Internationale (SI) hat beispielsweise die Marxsche Bestimmung der Pariser Commune als die Urform proletarischer Selbstorganisierung, einer »anti-staatlichen revolutionären Diktatur des Proletariats« (Debord), aktualisiert. Aber die Gestalt der notwen­digen Machtorgane zur Selbstaufhebung der Proletarität, zur weitestgehenden Minimierung notwendiger Arbeit und unmittelbarer Produktion, ist bisher noch viel zu undeutlich, d.h. unkonkret. »Pannekoek betonte gerade die Tatsache, dass die Wahl einer Macht der Arbeiterräte eher ›Probleme stellt‹ als eine Lösung bringt. Aber diese Macht ist gerade der Ort, wo die Probleme der Revolution des Proletariats ihre wahre Lösung finden können«, schrieb Guy Debord. Dieser neu zu findende Ort wäre nach allem mehr denn je Teil der Lösung, aber zugleich auch des Problems.

Aber auch die Kritik der SI sparte mit ihrem Be­schweigen der Shoah die ganze konkrete Dimension jener Niederlage aus, deren andere Momente in Hinblick auf die bisherigen revolutionären Anläufe sie ansonsten abstrakt so scharf herauszuarbeiten verstanden hatte, als sie einforderte, »die Niederlage des gesamten revolutionären Projektes im ersten Drittel unseres Jahrhunderts« müsse »in ihrem gesamten Ausmaß und ohne irgendeine tröstende Illusion« erkannt werden. Es zeigt sich, wie die sonst so genaue Wahr­nehmung der SI an diesem »Konzentrationspunkt« (Adorno) ausfällt, wo das Scheitern des Pro­jektes der Emanzipation unleugbar war: angesichts des nationalsozialistischen Mordes an den europäischen Jüdinnen und Juden, der nur durch die volksstaatliche Kollaboration und Exekution seitens des Proletariats in Deutschland geschehen konnte.

Diese Reflexion ist notwendige Bedingung, wenn es um die kritische Rettung des linkskommunis­tischen bzw. rätekommunistischen Gehalts geht. Entgegen der immer reaktionären leninistischen Stellvertreterpolitik ist die Erfahrung der Räte, Subjekt der eigenen Geschichte werden zu können, aus dem linken Kommunismus herauszusprengen als das Modernste in den modernen Produktions­bedingungen: nämlich jene Machtorgane als die avancierteste Erfindung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, die jede getrennte Avant­garde aufhebt, die aber historisch immer noch unabgegolten ist. Die SI formulierte, impulsgebend für die Bewegung der Fabrikbesetzungen im Mai 1968 in Frankreich, den bis heute konkretesten Maximalismus und experimentierte damit: Erst die communistische Produktionsweise verwirklicht die emanzipativen Möglichkeiten der Moderne, das Alltagsleben zu revolutionieren, sobald die gesellschaftlichen Individuen sich dazu selbsttätig gegen Kapital und Staat und auch deren linke Repräsentationen assoziieren lernen, d.h. den antiquierten Fetischglauben an diese überwinden durch die ungeteilte Souveränität der eigenen Klassenmacht.

Dieser Bildungsprozess, auf den alle kritische Theorie, gerade auch die Adornos, stets setzte, »hängt ganz und gar von dieser Notwendigkeit ab, dass die Massen zum ersten Mal die Theorie als Verständnis der menschlichen Praxis anerkennen und erleben müssen« (Debord). Die kritische Theorie der SI aber kann dabei nie auf den Staat als ideellen Gesamtpädagogen bzw. -zivilisa­tor »der Massen« setzen, sondern »fordert, dass die Arbeiter zu Dialektikern werden und dass sie der Praxis ihr Denken aufprägen«. Die revolutionäre Selbstorganisation zur »Klasse des Bewusstseins« ist schon die »Keimform« der ungeteilten Rätemacht, Verwirklichungsform »der totalen De­mokratie« (Debord).

Die SI verlässt um 1960 endlich auch den ökonomistisch-mechanischen Bannkreis der rätekommunistischen Konzeption, die mit dem Klassi­ker der »Gruppe Internationale Kommunisten«, »Grundsätze kommunistischer Produktion und Verteilung«, um 1930 Maßstäbe gesetzt hat, jedoch allzu ökonomistisch blieb. In diesem Rätemodell beschränkte sich die Vorstellung der Trans­formation noch auf eine gesamtgesellschaftliche Arbeitszeitrechnung und ein System der Verwaltung von Sachen. Erst die SI hebt eine fetischisierte Räte-Ideologie wieder auf in ihrer Aktuali­sie­rung der Pariser Commune, indem bei ihr nicht allein vom basalen »Reich der Notwendigkeit«, sondern zugleich schon vom möglichen »Reich der Freiheit« die Rede ist. In erstgenanntem sind die »notwendigen Bedürfnisse«, in letztgenanntem aber die »radikalen und enormen Bedürfnisse« angesiedelt, und diese bilden erst als Ensemble »das revolutionäre Begehren« (SI) und Movens für communistische Transformation.

Hier scheint uns der spezifische Unterschied zwi­schen der situationistischen Beschleunigung (ausgehend von der »Kritik des Alltagslebens« als »Kon­struktion von Situationen«) und dem attentistischen Objektivismus der Rätekommunisten zu liegen, zwischen linken Kommunistinnen und Kommunisten und situationistischen Neo­commu­nistinnen und Neocommunisten. Im Kern handelt es sich darum, wie »lesende Arbeiter« (Debord) theoretisch und praktisch das Katastrophische der spektakulären Produktionsweise abwenden können durch »das dialektische Bild« (Benjamin).

Zu Recht weist Birgit Schmidt (27/08) auf die moderneren Möglichkeiten z.B. bei der KPD hin, die aber nicht verwirklicht wurden im Sinne einer Entwendung, sondern die im Gegenteil die Erweiterung und »archaische Modernisierung« (Guy Debord) der aufkommenden spektakulären Vergesellschaftung beförderten.

»Entwendung« (détournement) steht bei der SI zentral für alle Überlegungen, wie aus den vorhandenen, modernen Möglichkeiten heraus der Sprung in eine antistaatliche Diktatur der radikalen Bedürfnisse des sich selbst aufhebenden Pro­letariats zu machen wäre. Konkret geht es um die Frage, wie die Ausstattung des spektakulären Monologs der Ware überall »dort, wo sich der Dialog bewaffnet hat, um seinen eigenen Bedingungen zum Sieg zu verhelfen« (Debord), sich für das todernste Spiel der menschlichen Emanzipation in Gebrauch nehmen ließe. Todernst, weil es um nichts anderes geht als um die Auflösung der Proletarität in ihrer Ambivalenz. Denn entweder setzt sich weiter die »Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol« der Akkumulation von Reichtum und menschlichen Möglichkeiten als Kapital (Marx) durch – bis in die Katastrophe, »Auschwitz und Ähnliches« (Adorno), hinein –, oder es gelingt die Entwicklung der Bildungselemente im Proletariat, seiner Kooperations- und Assoziationsfähigkeiten zur Selbstorganisation als »Klasse des Bewusstseins« (Lukács), deren Emanzipation durch niemanden repräsentiert werden kann.