Die nationale Identität im richtigen Leben

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Nationale Identität im richtigen Leben

Was macht denn einen Österreicher oder eine Österreicherin tatsächlich aus? Was sind die unterstellten positiven, schätzens- und schützenswerten Eigenschaften der österreichischen Art, der österreichischen Menschensorte? Deren Eigenschaften, Verhaltensweisen, oder Werte?
Zur Abgrenzung eine Erinnerung: Die triviale Grundlegung der existierenden Republik Österreich ist da in der Regel nicht angesprochen. Die besteht darin, dass mit der Aufteilung der Welt unter die diversen Staaten nicht nur die Territorien gegeneinander abgegrenzt sind, auch die Menschen sind den jeweiligen Staaten zugeordnet und in verschiedene Sorten aufgeteilt: Österreicher, Deutsche, Italiener etc. Natürlich „muss“ es ein Österreich in diesem Konzert nicht unbedingt geben. Da besteht keinerlei höhere Notwendigkeit, das ist schlicht und einfach eine Gewaltfrage. Genauer: Es ist die Kombination aus Gewalt von oben und Opportunismus – oder „Realismus“ – von unten.
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22:55 min, 17 MB, mp3
mp3, 101 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 04.09.2024 / 16:48

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Klassifizierung

Type: Kommentar
Language: deutsch
Subject area: Politik/Info, Internationales
Series: Kein Kommentar
Entstehung

Author/s: Kein Kommentar
Radio: , Wien im www
Production Date: 04.09.2024
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Nationale Identität im richtigen Leben
Was macht denn einen Österreicher oder eine Österreicherin tatsächlich aus? Was sind die unterstellten positiven, schätzens- und schützenswerten Eigenschaften der österreichischen Art, der österreichischen Menschensorte? Deren Eigenschaften, Verhaltensweisen, oder Werte?
Zur Abgrenzung eine Erinnerung: Die triviale Grundlegung der existierenden Republik Österreich ist da in der Regel nicht angesprochen. Die besteht darin, dass mit der Aufteilung der Welt unter die diversen Staaten nicht nur die Territorien gegeneinander abgegrenzt sind, auch die Menschen sind den jeweiligen Staaten zugeordnet und in verschiedene Sorten aufgeteilt: Österreicher, Deutsche, Italiener etc. Natürlich „muss“ es ein Österreich in diesem Konzert nicht unbedingt geben. Da besteht keinerlei höhere Notwendigkeit, das ist schlicht und einfach eine Gewaltfrage. Genauer: Es ist die Kombination aus Gewalt von oben und Opportunismus – oder „Realismus“ – von unten. Ein seit 1945 wieder österreichischer Bürger konnte, so er es altersmäßig geschafft und die großen Kriege überlebt hat, in die ihn „sein“ jeweiliger Staat geschickt hat – der konnte unter Umständen vier Staatsangehörigkeiten und die damit einhergehenden Metamorphosen seiner nationalen Identität absolvieren: Bis 1918 bestand die damalige Großmacht Österreich-Ungarn, die sich als Vielvölkerstaat verstanden hat; danach war deren ehemaliger Bürger in den von den Siegern gezogenen Grenzen eventuell ein Österreicher in der Ersten Republik mit dem weitverbreiteten Bedürfnis nach dem Anschluss an Deutschland; das Bedürfnis wurde 1938 erfüllt und der ordentliche Bürger war Deutscher; nach 1945 war er wieder Österreicher in der Zweiten Republik – nichts als Gewaltfragen. Ein unverwüstliches Exemplar hatte also die Gelegenheit, seiner Pflicht zum Dienst am Staat gegenüber nicht weniger als vier verschiedenen Vaterländern zu gehorchen – und der gute Bürger hatte in aller Regel noch immer nicht „die Schnauze voll davon“, wie er es während seiner Zeit als ostmärkischer Reichsdeutscher formuliert haben könnte!
Die „Vielvölker“ im Habsburgerreich haben übrigens in der einen und entscheidenden Hinsicht allemal als ein einiges Volk funktioniert – sie haben sich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs verheizen lassen. Nach der Enttäuschung durch die Niederlage durften sie sich nach den Vorstellungen der Siegermächte prompt „selbst“ bestimmen, worauf einige mit der nationalen Unabhängigkeit sofort wieder unzufrieden wurden und sich zusammenschlossen, zum Staat der Slowenen, Kroaten und Serben, bzw. zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Nicht, weil sie so viele Gemeinsamkeiten entdeckt hatten, sondern weil ihnen klar war, dass die Kleinstaaten am Balkan nach den Maßstäben der modernen Welt des Imperialismus nicht wirklich handlungsfähig waren, nicht souverän sein konnte, woran sich bis heute übrigens nichts geändert hat. Ein ähnliches Motiv hatte das frischgebackene Parlament des restlichen „Österreich“, das am 12. November 1918 den Beitritt zur Deutschen Republik beschloss, der von den Siegern untersagt wurde. Das Bedürfnis nach dem Anschluss war sicher nicht einem Faible gegenüber der deutschen Sprache oder der Geschichte geschuldet – sondern weil in Ansehung der Niederlage der vorigen relativen Großmacht Österreich-Ungarn die Zweifel an der „Existenzfähigkeit“ des „Rest“-Kleinstaats überall gegeben waren.
Die Völker sind das Werk der staatlichen Mächte, die sich eine solche Menschensammlung zuordnen. Was „die Österreicher“ zu Österreichern macht, das sind nicht gemeinsame Eigenschaften oder Haltungen, die vorhanden sein mögen oder auch nicht, das Gemeinsame liegt außerhalb von ihnen bzw. über ihnen: Die österreichische Herrschaft. Ironischerweise wird diese Tatsache gerade dann handfest und sinnfällig, wenn sich ein Kollektiv selbst als ein völkisches definiert, es sich darüber in einem real existierenden Staat nicht gut aufgehoben fühlt, und sein „Recht auf Selbstbestimmung“ verlangt. Es beharrt dann auf einem „eigenen“ Staat, weil es instinktiv weis, dass es „ein Volk“ – von mir aus ein katalanisches etwa oder ein schottisches oder ein palästinensisches – nur sein kann, indem es sich einer „eigenen“ souveränen Macht unterwirft. Sogar und erst recht dann, wenn es sich mit seiner neuen Freiheit zur Selbstbestimmung stante pede gern anderen Staaten in einer Europäischen Union etwa anschließen würde! Da kann es in Sachen „Sprache, Religion, Kultur, Geschichte“ vielerlei geben oder auch nicht – aber solche Gemeinsamkeiten bedeuten gar nichts, es sei denn, es wird sich von politischen Interessenten darauf berufen. Katalanisch etwa daherreden dürfen die Beteiligten ja ohnehin, „ihre“ „gemeinsame“ Geschichte, die ist längst gelaufen, die kann ihnen also ohnehin niemand wegnehmen – wenn sich durch solche Scherze tatsächlich ein „Volk“ konstituieren würde, dann wäre dieses Volk längst fix und fertig und unantastbar obendrein …
Es mag zwischen 1938 und 1945 schon Leute gegeben haben, die gern in einem österreichischen Staat gelebt hätten, die wurden mit der kommenden Niederlage auch immer zahlreicher – aber wer dieses Bedürfnis seinerzeit durch die Auskunft vertreten hat: „Ich bin doch Österreicher!“, der liegt sachlich völlig verkehrt, aber national-ideologisch völlig richtig. Ideologisch erwünscht ist die ausdrücklich unpolitische Vorstellung, man sei ein österreichischer Mensch unabhängig davon, ob das österreichische Gewaltmonopol überhaupt existiert und einen zum Österreicher macht; mehr noch, man habe gerade als diese Österreicher-Figur ohne Staat ein Recht auf einen solchen und sei ohne einen solchen ziemlich schlimm dran, womöglich unterdrückt. Weil nämlich in die Beziehung zwischen den regierenden „Oberen“ und den regierten „Unteren“ nur dadurch eine Sicherung gegen Unterdrückung eingebaut sein kann, indem beide Beteiligten, die Herrscher und die Beherrschten, vom selben Menschenschlag, Angehörige einer einzigen Menschensorte sein müssen, damit aus der Herrschaft garantiert keine Fremdherrschaft wird – von den Prinzipien, nach denen regiert wird, ist in dem Gemälde erst einmal nicht die Rede.
Nachdem diese nationalen Faxen – die gemeinsame „Sprache, Religion, Kultur, Geschichte“ – bürgerliches Allgemeingut sind, vielleicht nicht in jeder einzelnen Ausprägung, aber ganz bestimmt in der abstrakten Vorstellung einer irgendwie beschaffenen, auf alle Fälle vorhanden sein sollenden österreichischen „Identität“, war den Parteien SPÖ und ÖVP diese nationale Frage unmittelbar nach 1945 immer etwas unangenehm. Weil diese traditionellen Versatzstücke halt nun einmal keinen halbwegs abgegrenzten, identifizierbaren österreichischen Menschen hergeben. Dem von der FPÖ seinerzeit vorgetragenen Vorwurf, „wir“ Österreicher seien „eigentlich“ Deutsche, dem ist man eher ausgewichen, hat aber jedes Jahr um den Nationalfeiertag in Meinungsumfragen penibel nachzählen lassen, wie viele Österreicher denn nun das Land für eine Nation zu halten belieben, und hat zufrieden die wachsende Zustimmung bilanziert. Immer mehr Bewohner sind sicher, dass Österreich „ihr“ Staat ist. Die gewohnheits- und darauf aufbauend sogar die gefühlsmäßige Unterwerfung unter ein und dieselbe Herrschaft, die gemeinsame Betroffenheit der Untertanen von einer Politik, die keine Probleme mit der Eigenstaatlichkeit hat und die daher auch keine diesbezügliche Skepsis im Volk verbreitet, die hat ein österreichisches Volk und dadurch eine österreichische Identität erzeugt; ein Volk, das sich selbstbewusst als ein solches empfindet. So verlief das österreichische „nation-building“! Das hat schließlich auch der FPÖ eingeleuchtet.
Das „nation-building“ ist komplett, wenn der österreichische Mensch auf eine sehr eigenartige Weise von sich und vom Staat spricht, nämlich in der ersten Person Plural, in der „wir“-Form, in der diese community, die vom Staat hergestellt wird, wie ein eigenständiges handelndes Subjekt gedacht ist; oder wenn sogar ein Possessivpronomen missbraucht wird, indem Leute von „ihrem“ Land sprechen, auch wenn sie keine Großgrundbesitzer sind. Dabei ist das Besitzverhältnis, wenn schon, dann ein genau umgekehrtes. Momentan wird einem das unübersehbar vorgeführt von der Ukraine, die auf die einzig senkrechte Art ihr „nation-building“ betreibt: Mit Gewalt, indem der ukrainische Mensch, auf den sich die Regierung beruft, von eben dieser Regierung hergestellt wird, durch Ent-Russifizierung. Indem also die weit verbreitete russische Sprache, die russisch-orthodoxe Religion, die russische Kultur unterdrückt wird. Das tatsächliche Besitzverhältnis von ukrainischem Staat und ukrainischem Menschen wird sinnfällig: Der Mensch gehört dem Staat, der ihn zwangsweise für das Militär rekrutiert und ihn zum Dienst an den diversen Fronten abkommandiert, mit guten Chancen, dabei kaputt zugehen. Das alles im Namen seiner Freiheit, die in der Freiheit „seines“ Staates besteht, ihn zu benutzen.
(Vgl. etwa eine Publikation des öst. Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2007:
https://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikat...)
Die völkischen Requisiten fingieren die vorpolitische Gemeinschaft
Die völkischen Versatzstücke dieser Vorstellung von Nation – Sprache, Geschichte, Kultur, manchmal auch die Abstammung, eventuell die Religion, ganz bestimmt die nationalen „Werte“ – bedeuten für sich genommen und sachlich gar nichts. Die Entdeckung, dass die real existierenden nationalen Kollektive innerhalb ihrer jeweiligen Staatsgrenzen, und die regionale Verbreitung dieser Versatzstücke oft ganz schön auseinanderfallen – nun, die ist leicht zu haben. Ihre Kritik geht anders.
Beispiel Sprache
Was soll politisch daraus folgen, wenn Leute ein und dieselbe Sprache sprechen? Es gibt kein gemeinsames politisches oder ökonomisches Interesse, das bloß wegen einer gemeinsamen Sprache zwischen denen aufkommt, die sie sprechen. Die Sprache steht ihnen allen zur Verfügung, um Anschauungen, Interessen, Ziele und Anliegen zu formulieren – diese selbst ergeben sich aber nicht aus der Sprache, und schon gar nicht ergibt sich daraus ein von allen Sprachkundigen zwangsläufig geteilter nationaler Standpunkt. Dass umgekehrt vor der Gemeinsamkeit der Sprache alle politischen Differenzen und ökonomischen Gegensätze bedeutungslos seien, ist ein aufgelegter Unsinn und höchstens eine komische Übersetzung des Postulates, dass vor der Nation und den Dienstpflichten ihr gegenüber alle divergierenden Standpunkte zurückzustehen hätten. Eine und dieselbe Sprache zu sprechen begründet keine politische Gemeinsamkeit und gibt keinen Grund dafür ab, in irgendeiner Hinsicht gemeinsame Sache zu machen, auch nicht beim Staatenbilden. Die Vorstellung ist zwar bürgerliches Allgemeingut; der FPÖ kommt das Verdienst zu, es ausformuliert zu haben:
„Die Sprache ist die wichtigste Trägerin des kulturellen Ausdruckes. Die Muttersprache ist das Ergebnis einer biographischen und familiären Prägung. Sie ist daher die Sprache, in der man denkt, fühlt und träumt. Die jeweilige Muttersprache ist daher als Trägerin des kulturellen Ausdrucks das bestimmende Kriterium der Zuordnung zu einer größeren Kulturgemeinschaft. Sprache ist nicht nur ein Verständigungsmittel, sondern auch ein Hort der geistigen Überlieferung – ein geistiger und ideeller Schatz, der von Generation zu Generation weitergegeben wird.“ (Handbuch freiheitlicher Politik. Ein Leitfaden für Führungsfunktionäre und Mandatsträger der Freiheitlichen Partei Österreichs. Wien 4. Auflage/2013, S. 259. Im Folgenden zitiert als HANDBUCH)
Wer eine Sprache spricht, ist damit und deswegen und völlig unfrei und ungefragt bereits als Mitglied einer „Gemeinschaft“ „zugeordnet“, behauptet zumindest die FPÖ; zumindest in Bezug auf die Muttersprache, und nicht generell auf Sprachkenntnisse allgemein. So banal es ist, dass man sich die „Muttersprache“ nicht aussucht, so falsch ist, dass man dadurch unrettbar geprägt ist, also bestimmt ist in seinem Denken und Fühlen und Träumen, nämlich national determiniert ist. Da steht die Welt auf dem Kopf: Nicht der Mensch beherrscht eine Sprache, sondern diese ist ein Vehikel, das ihn einordnet. Hier soll die doppelte Bedeutung von „deutsch“ ausgeschlachtet werden. Wer einerseits deutsch denkt, bedient sich der deutschen Sprache als Mittel seiner Urteile; damit steht nicht fest, zu welchen kritischen oder affirmativen Urteilen über Deutschland oder Österreich er gelangt. Wer andererseits deutsch denkt, betrachtet die Welt von einem deutschen nationalen Standpunkt aus, er kennt deutsche Interessen und Rechte, und beurteilt den Rest der Welt nach deren Geltung. Nach Meinung der FPÖ fällt beides zusammen – eine Sprache zu beherrschen bedeutet, als Teil einer nationalen Gemeinschaft zugeordnet zu sein und zwangsläufig einen nationalen Standpunkt einzunehmen. Das ist übrigens der Grund für die Forderung an Migranten, sich durch Sprachkurse nicht nur besser verständigen zu können, sondern sich zu integrieren: Die Newcomer sollen sich ihren früheren Nationalismus im Wege einer durch Sprachkenntnisse ermöglichen Teilhabe am hiesigen Geistesleben, am hiesigen „geistigen und ideellen Schatz“ abgewöhnen. Ein „Schatz“, der übrigens gleichgültig gegen seine Bestandteile nur dadurch wertvoll ist, dass er der eigene ist.
Die tatsächliche Gemeinsamkeit der Sprache kommt übrigens in der Regel umgekehrt in die Welt, nämlich durch die Politik, die einen Dialekt oder ein Idiom in ihrem Herrschaftsgebiet heraushebt, als Amtssprache oder Hochsprache definiert, sie im Schulwesen und im Umgang mit Behörden obligatorisch macht und dadurch andere Varianten diskriminiert. Auf dem Feld der Sprache werden politische Standpunkte durchgesetzt, das ist nicht nur in der Ukraine eine Form der Pflege des Nationalismus. Eine der ersten Leistungen der frischgebackenen österreichischen Wissenschaft nach 1945 bestand in der Herausgabe eines Österreichischen Wörterbuches; und um der Anschauung zu begegnen, die Österreicher seien Deutsche, wurde damals das traditionelle Schulfach „Deutsch“ in „Unterrichtssprache“ umbenannt und prompt vom Volksmund als „Hurdistanisch“ verspottet, nach dem damaligen Unterrichtsminister Felix Hurdes.
Mitmachen-Müssen in der „Gemeinschaft“ als persönliche Eigenschaft
Was alle diese völkischen Versatzstücke leisten sollen, ist die Vereinnahmung der Bürger zur Untertanenmannschaft, die sich nicht in dieser tristen Rolle, sondern als Auftraggeber „ihrer“ Herrschaft sieht, und die deswegen von vornherein parteilich ist, dabei und dafür ist. Und zwar jenseits jeder willentlichen Entscheidung zum Staat – diese Parteilichkeit soll eben eine eingeprägte Eigenschaft des Individuums sein, wg. Sprache, Kultur etc., früher mal wegen des Blutes bzw. heute öfter wieder wegen der Biologie oder der DNA. Die relevante Frage, warum ein Vereinnahmter denn bei Österreich mitmachen soll, vielleicht noch entlang des Kriteriums, was denn hier verlangt und was geboten wird, ob es sich also halbwegs lohnt – die kann sich in diesem Verständnis gar nicht stellen. Man ist durch Faktoren, die sich nicht vermeiden lassen – Sprechen, Lebensgewohnheiten innerhalb des nationalen „way of life“ ausbilden, die Vergangenheit, die Gene etc. – immer schon national dabei, jenseits jeder gut oder schlecht begründeten individuellen Entscheidung. Und man ist nicht nur dabei, man ist – was ja nicht identisch sein muss – zwangsläufig auch noch dafür, weil man diese Versatzstücke als „eigene“ individuelle Ausprägungen zu begreifen hat, weswegen man immer schon für das gleich gestrickte Kollektiv eintritt! Die Idee der nationalen Identität steht für das bombenfeste, alternativlose, verbindliche Mitmachen des Individuums, aber ohne äußerlichen Zwang oder Befehl, sondern als individuelle Determination; also noch verlässlicher als jede erzwungene Teilnahme, wo Auflehnung immerhin möglich wäre, und insofern bedingungslos strapazierfähig. Dass ein Deutscher von vornherein parteiisch für Deutschland ist, das muss der Staat nicht verlangen, weil dem nun einmal so ist, und das ist dem Deutschen auch nicht vorzuwerfen, eben weil dem einfach so ist, als politischer Naturzustand. Jede allfällige Kritik und jede Missbilligung hat daran ihren Maßstab und ihren Bezugspunkt: Vom Erfolg der Nation her darf und soll – zumindest in der Demokratie – schon problematisiert und kritisiert werden, für die Nation und in deren Interesse darf und soll auch allerlei Verbesserungsbedarf angemeldet werden, aber eben dafür. „Wir“ sind also keinesfalls Leute, die sich eine Qualitätskontrolle vorbehalten; die zuerst überprüfen, was sie denn in der Republik Österreich realiter vor sich haben, welches System der politischen Ökonomie hier eingerichtet ist und verwaltet wird, nach welchen Gesichts-punkten sich Arbeit und Reichtum so eindeutig verteilen – und zwar, bevor „wir“ „uns“ ans Weltverbessern machen. „Wir“ sind je schon dabei und dafür.
Aus der Zugehörigkeit zur Heimat folgt – zwar nur im Rassenwahn, dort aber konsequent – dass die sprachlich und kulturell etc. homogene Volksgemeinschaft aus Individuen besteht, die einander ideell gleichen und deswegen mental und moralisch verbunden sind, was vielleicht sogar optisch an der Hautfarbe und am Gewand kenntlich sein mag, die daher jedenfalls „alle an einem Strang ziehend“ eine „Gemeinschaft“ bilden. Diese Vorstellung passt zwar nicht wirklich gut zur kapitalistischen Konkurrenz- oder „Ellenbogengesellschaft“, sie besteht aber auf dem Imperativ, dass die Volksgenossen von ihrer Identität her gar nicht anders können, als zwangsläufig und ganz generell ein umfassendes positives soziales Miteinander auszuleben. Übergriffe, Gemeinheiten, Vergewaltigungen bis zu Mord und Totschlag müssen daher irgendwie „von außen“ kommen; aus diesem Weltbild kommt sie nämlich, die „Ausländerkriminalität“. Eine damalige Staatssekretärin im Innenministerium hat während der türkis-blauen Koalition in diesem Sinn mit der rassistischen Konstruktion des „Nachahmungstäters“ aufgewartet – es ging angesichts einer Häufung einschlägiger Ereignisse um die einfach nicht zu leugnende Tatsache, dass waschechte österreichische (Ehe)Männer ihre (Ex)Partnerinnen umbringen:
Staatssekretärin Edtstadler „musste der verblüfften Moderatorin Claudia Reiterer auch erklären, ob sie folgende Aussage tatsächlich ernst meint: ‘Man gewinnt den Eindruck, dass hier Nachahmungstäter am Wort (sic) sind, Menschen, die sich in dieser schrecklichen Wertehaltung wohl bestätigt fühlen. Offensichtlich ist die Hemmung, gegen Frauen vorzugehen, bis hin zum Mord, gesunken.’ Reiterer fragte nach: ‘Meinen Sie das ernst, dass ein Österreicher eine Frau ermordet, weil Flüchtlinge hier sind?’ Edtstadler meint es ernst. Sie schwurbelte über Erkenntnisse der Kriminologie und über den Werther-Effekt. Was hängenblieb: In Österreich gibt es keine patri-archalen Strukturen, alles ist importiert.“ (Der Standard 21.1.2019)
Man wundert sich ein wenig, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn ausgerechnet der „Verfassungsschutzbericht 2018“ des zum Innenministerium ressortierenden damaligen „Bundesamts für Verfassungsschutz“ das positive rassistische Ideal seines damaligen Dienstherrn Kickl und der damaligen Staatssekretärin in ebendiesem Ministerium zusammenfasst, im Kapitel „Rechtsextremismus“:
„Von Teilen rechtsextremer Szenen, Bewegungen und Gruppierungen wird u.a. die Position vertreten, dass das ‘eigene Volk’ zu keinen Verbrechen fähig ist. Dagegen werden Gewalt- oder Sexualverbrechen, die beispielsweise von Migranten oder Personen mit Asylstatus begangen werden, in einschlägigen (Online-)Publikationen bzw. in sozialen Medien soweit instrumentalisiert, dass strafrechtsrelevante Tathandlungen ausnahmslos von diesen verübt werden können.“ (BM für Inneres, Verfassungsschutzbericht 2018. Wien 2019, S. 31)
Mit diesen „positiven“ Ansprüchen an die „eigenen“ Volksgenossen steht auch schon das Wesentliche über Leute fest, die nicht zu diesem feinen Kollektiv gehören: Sie gehören eben nicht dazu, sie verfügen nicht über die bedingungslose mache-alles-mit-Identität des echten Österreichers, kenntlich durch Sprache, Religion, Sitten etc. Schlimmer noch: Ausländer gehören schon dazu, aber eben zu einem anderen Volkskörper, zu einem anderen Kollektiv, dem sie ebenso unerschütterlich verpflichtet sind, wie sich die „nationale Identität“ das bei den „Eigenen“ plausibel macht. „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ – aber negativ. Jedes Individuum ist durch die Zugehörigkeit zum Kollektiv, zum Menschenschlag – zur Rasse hätte man früher gesagt – determiniert. Sie sind eben Teil eines anderen Volkes, und damit irgendwo zwischen „verdächtig“ und „feindlich“ einzustufen; alle individuellen Interessen, Bedürfnisse, Anschauungen sind demgegenüber unbedeutend und nichtig.