Auf den Spuren von Radio Contact Liberec
ID 127364
Selten passiert es, dass ein finanzstarker, beleibter, aber auch inhaltlich wertvoller Radiosender einfach so verschwindet. Genau so passiert 2021 in Liberec. In diesem Beitrag geht es um die Geschichte von Radio Contact Liberec (RCL) - mit vielen Originalaufnahmen.
Audio
12:09 min, 28 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 11.03.2024 / 17:23
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Dateizugriffe: 509
Klassifizierung
tipo: Feature
lingua: deutsch
settore/i di redazione: Internationales, Musik, Politik/Info
Entstehung
autrici/autori: Emil Marche
Kontakt: emil.marche(at)radio-zett.org
Radio: Radio Zett, Zittau im www
data di produzione: 11.03.2024
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Dieser unverwechselbare Jingle wird vielen Radiointeressierten aus den Landkreisen Bautzen und Görlitz, aus dem Liberecký kraj, aber auch aus Polen und Brandenburg bekannt sein. Er stammt von Radio Contact Liberec. Kein Wunder, denn der Sender strahlte auf seiner starken Frequenz 101,4 vom Ještěd mit 20 Kilowatt weit aus und deckte ganz Böhmen, Südwestpolen und weite Teile Ostsachsens ab. Lediglich in Berlin störte Klassikradio und hinter Dresden der Brocken den Empfang. Radio Contact war das reichweitenstärkste Lokalradio in der Tschechischen Republik. Vor 33 Jahren erhielt der Sender von der Radiokomunikace, einer Behörde, die etwa die Aufgaben der Bundesnetzagentur und der Landesmedienanstalt zusammenfasst, eine Sendelizenz. Im September ging man schließlich on Air. Der Musikmix war eine einzigartige Mischung aus Musik der 1960er Jahre bis heute. Hier lag der Schwerpunkt auf Rock, Pop, Oldies, aber auch auf Polkas und Blasmusik. Gelegentlich wurden auch Charts eingestreut, wobei ihr Anteil unter 5 Prozent lag. Radio Contact gelang es mit diesem Musikmix vor allem in den 90ern, junge Zuhörer anzulocken. 1996 wurden stündliche Nachrichten eingeführt. Im gleichen Jahr wurde RCL erstmals zum meistgehörten Sender im Liberecký kraj. Dies sollte bis 2021 so bleiben. In den 2000er Jahren machte sich der Sender vor allem durch seine Sendungen „Vecerny Spectrum“ (Spektrum am Abend) und Grammobox RCL einen Namen. Letztere war eine tägliche einstündige Nachrichtensendung, die in Struktur und Präsentation große Ähnlichkeiten mit dem Programm von MDR AKTUELL aufwies. Grammobox wiederum war eine Sendung mit Musik von der Schallplatte.
In den 2010er Jahren sank die Profitabilität von Radio Contact. Hatte man 2005 noch einen Umsatz von 100 Millionen CZ-Kronen (ca. 4 Millionen Euro) erwirtschaftet, waren es 2015 nur noch 50 Millionen Kronen (etwa 2 Millionen Euro). Das Programm wurde merklich älter. Man versuchte nun ohne Veränderung der Musik die früheren Hörer anzusprechen, wechselte vom Du auf das Sie, die Nachrichten wurden länger, und die Moderationen wurden serviceorientierter. In den 2010er Jahren begann außerdem eine bis heute andauernde Werbeschlacht in Tschechien. In jeder größeren Stadt hingen Plakate, fuhren beklebte Straßenbahnen, und man fand überall Plakate für Radiosender. Auch Radio Contact beteiligte sich daran. Der Sender wurde mittlerweile von immer mehr Menschen als altbacken wahrgenommen. Immerhin wurden Logo und Jingles seit Sendestart nicht verändert. Auf seiner Webseite bot Radio Contact eine eigene Hitparade, die jeden Sonntag in einer einstündigen Sendung präsentiert wurde, unabhängig von den tschechischen Charts. In der Rubrik „Novinka RCL“ wurden aufstrebende Künstler in die Rotation aufgenommen, was mehreren Bands und Künstlern zum Durchbruch verhalf. Auch wenn der Stern von Radio Contact etwas schwächer strahlte als in der vorherigen Dekade, war Radio Contact wie ein Fels in der Brandung, der sich erfolgreich jedem Trend und Übernahmeversuch widersetzte. Der tschechische Radiomarkt ist äußerst umkämpft. Jede Firma spielt unsauber. Es gibt Orte, an denen ein Programm von drei Frequenzen von drei unterschiedlichen Standorten ausgestrahlt wird. Bei anderen Programmen ändert sich gefühlt wöchentlich der Eigentümer.
In den 90er Jahren bestand die Radiolandschaft aus vielen kleinen regionalen Privatradios. Radio Rubi, Radio Crystal, Radio CITY Praha, Radio Blanik, Radio Rock Max, alles regionale Radios. Auch die Media Bohemia besaß einen regionalen Radiosender, benannt nach dem bekannten Berg „Blanik“. Radio Blanik erhielt schnell weitere Frequenzen und wurde kommerziell extrem erfolgreich. Schnell war das Geld da, um weitere Regionalsender aufzukaufen. So war Media Bohemia schließlich Eigentümer von etwa 20 Programmen, darunter die landesweiten Programme Fajn Radio, Radio Blanik, Rock Radio und eine Reihe von Lokalsendern, die alle weitgehend eigenständig, aber bedeutungslos waren. Radio Contact musste sich also spätestens ab 2011 gegen landesweite Radioketten behaupten. Das gelang gut. RCL warb damit, nichts aufzuzeichnen, und hatte auf seiner Internetseite einen Webcamstream eingerichtet. Man konnte nachvollziehen, dass selbst „Nocni Link“ Nachtlink live moderiert wurde. Handgemachtes Radio live aus Liberec. Am 1. April 2019 startete jeden Tag zwischen 18 und 20 Uhr ein Bürgerradiofenster und war damit Pionier in Tschechien. Seit Oktober 2018 machte Media Bohemia den bisherigen Eigentümern immer wieder Übernahmeangebote, die stets abgelehnt wurden. 2020 kaufte sich die Firma hinter Blanik mit 15 % bei Contact ein, um Vertrauen zu fassen. Die Summen wurden immer höher. Das Ehepaar Pozick erhielt im März 2021 ein Angebot, das genug Geld bot, dass sie bereit waren, den Sender zu verkaufen. Es war klar, dass Radio Contact sich stark verändern würde. Es war nur nicht klar, in welche Richtung. Wollte man eine weitere Radiomarke aufbauen? Sollte Contact verschwinden? Contact war erfolgreich und bekannt. Konnte man es wirklich einfach so einstellen? So blieb monatelang alles beim Alten. Man merkte nur, dass die Aktivitäten drumherum weniger wurden. Es gab keine Gewinnspiele mehr, keine Werbung, eingeschränkte Öffentlichkeitsarbeit. Und so kam es, wie es kommen musste. Ab dem 30. August liefen auf RCL Jingles, die darauf hinwiesen, dass ab dem 6. September die Frequenz 101,4 von Radio Blanik Liberec – einer Regionalvariante des expansiven Lokalradios – übernehmen würde. Dass Blanik bereits Frequenzen in Liberec hatte, war kein Hindernis. Und so endete die Geschichte von Radio Contact Liberec weniger als einen Monat vor dem 30-jährigen Jubiläum recht unscheinbar. Bis Freitag wurde noch moderiert, am Wochenende lief dann nur noch Musik, und am 5. September um 23:59 lief der letzte Titel. Um 8:30 wurde Radio Blanik aufgeschaltet. Zwei Drittel der Angestellten wurden entlassen. Der Rest durfte sich nun mit der Regionalvariante von Radio Blanik befassen. Diese galt rechtlich als eigenständiger Sender, auch wenn er im Grunde nur das Hauptprogramm mit Lokalelementen war und nicht einmal ein Jahr überlebte. Ende April war Schluss mit Radio Blanik Liberec, da die Lizenzauflagen geändert wurden und Liberec mit drei Frequenzen für Blanik überversorgt war.
Der Name Radio Contact hat in den letzten 30 Jahren eine so große Bekanntheit erlangt, dass er dem anderen Lokalradio für das Liberecer Umland aufgezwungen wurde, woraufhin der Name Radio Crystal verschwand. Die nun landesweit gleichgeschalteten Lokalradios, die nun ein Hitradio vorangestellt bekommen haben, verloren jede Integrität und werden aus Prag produziert. Das neu entstandene und bis heute on Air befindliche Hitradio Contact hat mit RCL nichts mehr gemeinsam, außer dem Namen. Heute besitzt Hitradio Contact die Frequenzen 90,4, 93,3 und weitere. Besonders die 90,4 funkt trotz viel geringerer Leistung weit und ist einer der reichweitenstärksten Kleinstsender in Europa. So kann man Contact noch in den östlichen Vororten von Dresden auf der 90,4 vom Standort Warnsdorf mit 200 Watt Sendeleistung empfangen.
In den 2010er Jahren sank die Profitabilität von Radio Contact. Hatte man 2005 noch einen Umsatz von 100 Millionen CZ-Kronen (ca. 4 Millionen Euro) erwirtschaftet, waren es 2015 nur noch 50 Millionen Kronen (etwa 2 Millionen Euro). Das Programm wurde merklich älter. Man versuchte nun ohne Veränderung der Musik die früheren Hörer anzusprechen, wechselte vom Du auf das Sie, die Nachrichten wurden länger, und die Moderationen wurden serviceorientierter. In den 2010er Jahren begann außerdem eine bis heute andauernde Werbeschlacht in Tschechien. In jeder größeren Stadt hingen Plakate, fuhren beklebte Straßenbahnen, und man fand überall Plakate für Radiosender. Auch Radio Contact beteiligte sich daran. Der Sender wurde mittlerweile von immer mehr Menschen als altbacken wahrgenommen. Immerhin wurden Logo und Jingles seit Sendestart nicht verändert. Auf seiner Webseite bot Radio Contact eine eigene Hitparade, die jeden Sonntag in einer einstündigen Sendung präsentiert wurde, unabhängig von den tschechischen Charts. In der Rubrik „Novinka RCL“ wurden aufstrebende Künstler in die Rotation aufgenommen, was mehreren Bands und Künstlern zum Durchbruch verhalf. Auch wenn der Stern von Radio Contact etwas schwächer strahlte als in der vorherigen Dekade, war Radio Contact wie ein Fels in der Brandung, der sich erfolgreich jedem Trend und Übernahmeversuch widersetzte. Der tschechische Radiomarkt ist äußerst umkämpft. Jede Firma spielt unsauber. Es gibt Orte, an denen ein Programm von drei Frequenzen von drei unterschiedlichen Standorten ausgestrahlt wird. Bei anderen Programmen ändert sich gefühlt wöchentlich der Eigentümer.
In den 90er Jahren bestand die Radiolandschaft aus vielen kleinen regionalen Privatradios. Radio Rubi, Radio Crystal, Radio CITY Praha, Radio Blanik, Radio Rock Max, alles regionale Radios. Auch die Media Bohemia besaß einen regionalen Radiosender, benannt nach dem bekannten Berg „Blanik“. Radio Blanik erhielt schnell weitere Frequenzen und wurde kommerziell extrem erfolgreich. Schnell war das Geld da, um weitere Regionalsender aufzukaufen. So war Media Bohemia schließlich Eigentümer von etwa 20 Programmen, darunter die landesweiten Programme Fajn Radio, Radio Blanik, Rock Radio und eine Reihe von Lokalsendern, die alle weitgehend eigenständig, aber bedeutungslos waren. Radio Contact musste sich also spätestens ab 2011 gegen landesweite Radioketten behaupten. Das gelang gut. RCL warb damit, nichts aufzuzeichnen, und hatte auf seiner Internetseite einen Webcamstream eingerichtet. Man konnte nachvollziehen, dass selbst „Nocni Link“ Nachtlink live moderiert wurde. Handgemachtes Radio live aus Liberec. Am 1. April 2019 startete jeden Tag zwischen 18 und 20 Uhr ein Bürgerradiofenster und war damit Pionier in Tschechien. Seit Oktober 2018 machte Media Bohemia den bisherigen Eigentümern immer wieder Übernahmeangebote, die stets abgelehnt wurden. 2020 kaufte sich die Firma hinter Blanik mit 15 % bei Contact ein, um Vertrauen zu fassen. Die Summen wurden immer höher. Das Ehepaar Pozick erhielt im März 2021 ein Angebot, das genug Geld bot, dass sie bereit waren, den Sender zu verkaufen. Es war klar, dass Radio Contact sich stark verändern würde. Es war nur nicht klar, in welche Richtung. Wollte man eine weitere Radiomarke aufbauen? Sollte Contact verschwinden? Contact war erfolgreich und bekannt. Konnte man es wirklich einfach so einstellen? So blieb monatelang alles beim Alten. Man merkte nur, dass die Aktivitäten drumherum weniger wurden. Es gab keine Gewinnspiele mehr, keine Werbung, eingeschränkte Öffentlichkeitsarbeit. Und so kam es, wie es kommen musste. Ab dem 30. August liefen auf RCL Jingles, die darauf hinwiesen, dass ab dem 6. September die Frequenz 101,4 von Radio Blanik Liberec – einer Regionalvariante des expansiven Lokalradios – übernehmen würde. Dass Blanik bereits Frequenzen in Liberec hatte, war kein Hindernis. Und so endete die Geschichte von Radio Contact Liberec weniger als einen Monat vor dem 30-jährigen Jubiläum recht unscheinbar. Bis Freitag wurde noch moderiert, am Wochenende lief dann nur noch Musik, und am 5. September um 23:59 lief der letzte Titel. Um 8:30 wurde Radio Blanik aufgeschaltet. Zwei Drittel der Angestellten wurden entlassen. Der Rest durfte sich nun mit der Regionalvariante von Radio Blanik befassen. Diese galt rechtlich als eigenständiger Sender, auch wenn er im Grunde nur das Hauptprogramm mit Lokalelementen war und nicht einmal ein Jahr überlebte. Ende April war Schluss mit Radio Blanik Liberec, da die Lizenzauflagen geändert wurden und Liberec mit drei Frequenzen für Blanik überversorgt war.
Der Name Radio Contact hat in den letzten 30 Jahren eine so große Bekanntheit erlangt, dass er dem anderen Lokalradio für das Liberecer Umland aufgezwungen wurde, woraufhin der Name Radio Crystal verschwand. Die nun landesweit gleichgeschalteten Lokalradios, die nun ein Hitradio vorangestellt bekommen haben, verloren jede Integrität und werden aus Prag produziert. Das neu entstandene und bis heute on Air befindliche Hitradio Contact hat mit RCL nichts mehr gemeinsam, außer dem Namen. Heute besitzt Hitradio Contact die Frequenzen 90,4, 93,3 und weitere. Besonders die 90,4 funkt trotz viel geringerer Leistung weit und ist einer der reichweitenstärksten Kleinstsender in Europa. So kann man Contact noch in den östlichen Vororten von Dresden auf der 90,4 vom Standort Warnsdorf mit 200 Watt Sendeleistung empfangen.