"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Afrika 2016

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Man kann nicht sagen, dass uns der südafrikanische Präsident Jacob Zuma enttäuscht hätte; dafür wäre eine unerlässliche Voraussetzung, dass wir von ihm etwas erwartet hätten, was nicht der Fall ist. Trotzdem bleibt es ein Rätsel, weshalb der alte Zulu Zuma alles unternimmt, um die Vorurteile der damaligen Apartheid-BefürworterInnen zu bestätigen: Misswirtschaft, Korruption, Clan­wirt­schaft und Klientelismus anstelle einer modernen staatlichen und gesellschaftlichen Organisation.
Audio
10:57 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 03.05.2016 / 20:19

Dateizugriffe: 1452

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 03.05.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Nun ja, genau besehen muss Jacob Zuma beziehungsweise der African National Council noch sehr viel mehr Unheil anrichten, wenn sie einigermaßen gleichziehen wollen mit dem früheren weißen Rassisten-Regime, das doch immerhin drei Viertel der Bevölkerung vollständig entrechtet hat. Aber ein bisschen mehr Anstand oder auch nur Diplomatie oder nur ein Minimum an Public Relations wäre doch irgendwie drin. Selbstverständlich wissen wir, dass wir von den Befreiungsbewegungen keinesfalls und nirgendwo lupenreine DemokratInnen erwarten dürfen, wenn sie an die Macht gekommen sind, das haben wir nicht nur aus der Geschichte der lateinamerikanischen und der afrikanischen Dekolonialisierung gelernt ebenso wie aus unserer eigenen, sondern es ist eine Kraft, welche in der Entwicklung selber steckt: Weshalb sollten die erfolgreichen AufrüherInnen keine eigenen Eliten ausbilden? Wo nicht, würde dies über kurz oder lang nur dazu führen, dass die früheren Eliten sich wieder an der Macht installieren täten. Es gibt dann aber doch noch Unterschiede, sowohl im Ausmaß der Pfründe, welche sie sich selber unter den Nagel reißen, als auch und vor allem in der Beziehung, wie sie den Staats- und Machtapparat einrichten. Der Trick der modernen Staatsorganisation ist es doch genau, dass man sich durchaus persönlich bereichern kann und gleichzeitig auch noch halbwegs das Wohl der Gesamtheit im Augenwinkel behält. Davon zeigt sich bei Jacob Zuma und seinem Clan überhaupt nichts.

Eigentlich hätte man sich erhofft, dass Südafrika nach der Machtübernahme durch den ANC als legitime Vertreterin der schwarzen Bevölkerungsmehrheit sich zu einem Vorbild für ganz Schwarzafrika entwickelt, aber so ganz ist die Rechnung noch nicht aufgegangen. Vor allem im Herzen des Kontinentes schwelen alte Konflikte weiter und werden oft mit steinzeitlichen Methoden ausgetragen. Die Auseinandersetzungen zwischen Hutis und Tutsis in Ruanda und Burundi flackern immer wieder auf. In Zentralafrika hat Faustin-Archange Touadéra Mitte April sein Kabinett vorgestellt, nachdem er im Februar in weitgehend friedlichen Wahlen an die Macht gekommen war. Zuvor durchlief das Land allerdings eine mehrjährige Phase von Gewalt und Unsicherheit; die moslemische Rebellenorganisation Seleka und die christlichen Anti-Balaka-Milizen hatten sich zum Teil barbarische Kämpfe geliefert, bis im Jahr 2013 die Franzosen mit bis zu 2500 Soldaten eingriffen im Rahmen der Sangaris-Mission, unterstützt von 12'000 Uno-Soldaten. Die neue Regierung umfasst keine Rebellen-Vertreter, dafür aber verschiedene Minister aus Vorgänger-Regierungen, einen Sohn des ehemaligen Präidenten Bokassa sowie insgesamt vier Frauen von insgesamt 23 Ressorts.

Und schon wieder sind wir beim alten Thema des Postkolonialismus. Aus neutraler Sicht muss man den Franzosen schon fast auf Knien dafür danken, dass sie in den letzten Jahren immer wieder militärisch eingegriffen haben in Afrika, sei es in Mali oder wo auch immer sonst, weil nämlich die französische Armee als mehr oder weniger einziger zivilisatorischer Lichtblick erscheint in den periodischen Gemetzeln, einmal abgesehen davon, dass im Norden Schwarzafrikas häufig die angeblich islamischen Idioten am Werk sind, welche sich den jeweils grad amtierenden Welt­meis­tern im Islamismus an den Hals werfen. Die Wahrheit dahinter ist aber umfassender und steckt oft darunter, zum Beispiel in Zentralafrika in den Uranvorkommen, welche zu 90% dem französischen Weltmeister in der Atomkrafttechnologie Areva gehören. In Benin befindet sie sich dann wieder an der Oberfläche, nämlich beim Bau der Eisenbahnverbindung Njamey–Cotonou durch den fran­zö­sischen Magnaten Vincent Bolloré, dem der Konzern Vivendi gehört mit unter anderem dem Fernsehsender Canal+, wo er unverhohlen direkten persönlichen Einfluss auf die Programm­ge­s­tal­tung nimmt, in erster Linie durch das Verbot gewisser unliebsamer Sendungen. Und das wiederum bringt uns einen Schritt weiter zu den Chinesen, denen bekanntlich immer vorgeworfen wird, in Afrika im, hihi, Dunkeln oder sogar im Schwarzen zu fischen und eigene Interessen, namentlich Rohstoff-Interessen zu vertreten, während sie in ihrem eigenen chinesischen Reich die Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit mit Füßen treten. So schaut das nämlich aus in diesem riesigen afrikanischen Mobile.

In Nordafrika wetteifert Abdel Fattah Al-Sisi mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in Sachen Pressefreiheit. Am 1. Mai stürmte die ägyptische Polizei die Räumlichkeiten der Journalisten­ge­werkschaft und verhaftete zwei Journalisten, welchen vorgeworfen wird, zu Protesten gegen die Regierung Al Sisi aufzurufen. Den Norden des Kontinentes mit dem Süden verbindet dagegen die Geschichte von der Fußball-Nationalmannschaft Eritreas, welche im Oktober letzten Jahres in Botswana um politisches Asyl nachgesucht hat. Bereits im Jahr 2012 war die Vorgänger-Mannschaft aus Uganda verschwunden, um im jahr 2014 in corpore in den Niederlanden aufzutauchen, wo sie dann auch prompt Asyl erhielten. In Westafrika wiederum eröffnet am heutigen 3. Mai die zwölfte Kunst-Biennale von Dakar ihre Türen. Angesichts des Interesses des globalen Kunstmarktes an moderner afrikanischer Kunst dürfte der Anlass auf maximale Aufmerksamkeit stoßen und einen ansehnliche Mittelzu- und Kunstabfluss bewirken. Laut dem Kunsthändler Jean-Philippe Aka befand sich an der Spitze der afrikanischen Kunstrangliste im letzten Jahr der Ghanese El Anatsui, ein 72-jähriger Metall-Skulpteur, der in Nigeria tätig ist und an der letzten Biennale in Venedig einen goldenen Löwen abräumte, gefolgt von der 46-jährigen Julie Mehretu, die in New York figürliche und abstrakte Werke herstellt und aus Äthiopien stammt. Dann kommt der Südafrikaner William Kentridge, Jahrgang 1955, der sich der Filmkunst widmet. Ebenfalls aus Südafrika stammt die viertplatzierte Irma Stern, die allerdings schon vor 50 Jahren gestorben ist, eine Expressionistin deutscher Herkunft, welche aus dem Grund auf dieser Liste figuriert, weil sie nach Umsatzzahlen bei Kunstauktionen erstellt wurde. Rang fünf belegt der Nigerianer Yinka Shonibare. Er lebt und arbeitet in London, vor allem mit Plastiken, wobei er häufig westliche Kunstwerke zur Vorlage nimmt und sie afrikanisiert. Marlene Dumas, Nummer 6, stammt ebenfalls aus Südafrika. Sie malt realistische Bilder, vor allem des menschlichen Körpers, und sie ist 63 Jahre alt. Der siebtplatzierte Kenianer Wangechi Mutu hat mit einem Film, einer Skulptur und einem Bild bei der letzten Biennale in Venedig für Aufsehen gesorgt. Sein Afrofuturismus hebt die Grenzen zwischen Natur, Maschine, Tieren und so weiter auf. Der südafrikanische 85-jährige Fotograf David Goldblatt steht auf Rang 8, dahinter folgt der 66-jährige Roger Ballen, ebenfalls aus Südafrika, ein Porträtmaler, der sich in letzter Zeit offenbar auf Puppenbilder kapriziert hat, und Nummer 10 ist dann der 60-jährige Cheri Samba, ein kongolesischer Maler, der seine naiven Bilder mit langen Kommentaren ausstattet.

Das ist die Rangliste aus dem Jahr 2015, die diesjährige Tabelle wird in den nächsten Monaten veröffentlicht. Am Wochenende veröffentlicht wurde dagegen, dass die Alternative für Deutschland nun endlich ein Programm habe, wonach ich mich auf der Webseite vorderhand allerdings vergebens umgesehen habe; stattdessen bin ich auf eine Verlautbarung des Vorstandsmitglieds Alice Weidel gestoßen, welche in der Abschaffung des 500-Euro-Scheins per 4. Mai messerscharf analytisch sieht was folgt, ich zitiere: «Anscheinend ist das Aus für Teile unseres Bargeldes bereits still und heimlich gefallen: Die EZB hat bereits 500-Euro-Scheine im Wert von rund zehn Milliarden Euro vernichtet – ohne Beschluss und ohne Auftrag. Es ist klar: Hier sollen Fakten geschaffen werden. Eine Befragung der Bürger ist nicht vorgesehen.» – Du liebes bisschen – wurdet Ihr denn befragt, als diese 500-Euro-Scheine eingeführt wurden, oder wurdet ihr überhaupt je zu den Zahlungsmitteln beziehungsweise Geldscheinen um eure Meinung gebeten? Daran mag ich mich gar nicht erinnern. Die Weidelalice offenbar schon, aber vielleicht weiß sie nicht mehr so genau, wo. Und dann hat die EZB ihre Scheine sogar ohne Beschluss vernichtet – das ist allerdings ein vernichtendes Urteil über jene Bank, welche täglich mehrere Milliarden Euro neu ausgibt. Da kommt sie natürlich nicht mehr dazu, Beschlüsse zu fassen über die Vernichtung von Geld, dieses Geld vernichtet sich quasi von selber oder wird von wild gewordenen Sekretärinnen durch den Schredder gejagt, die vermutlich genau so aussehen wie Alice Weidel. Mit ihr könnte man allerdings auch Werbung für eine Versicherung machen, zum Beispiel für die Allianz-Versicherung für Deutschland. Sie fährt aber noch fort: «Wieder einmal überschreitet die EZB auf unde­mo­kra­tische Weise massiv ihre Kompetenzen. Doch die Abschaffung des 500-Euro-Scheins ist nur der Anfang. Nach und nach sollen alle größeren Scheine abgeschafft werden, bis das Argument glaubhaft vermittelt werden kan, man brauche überhaupt kein Bargeld mehr. Die Entmündigung der Bürger hat begonnen. Denn Bargeld ist gelebte Freiheit.»

Das ist natürlich mehr, als jedes Programm bieten kann. «Bargeld ist gelebte Freiheit.» All jene Trottel, welche ihre Milliarden in Wertpapieren offshore angelegt haben, sind ja sowas von doof und unfrei. Die Freiheit besteht im 500-Euro-Schein in der Gesäßtasche.

Nun gut. Solche BürgerInnen kann man natürlich nicht mehr mit dem Entzug von Geldscheinen entmündigen; solche Bürgerinnen sind gar nie in die Mündigkeit hinein gewachsen, denn diese setzt ein halbwegs intaktes Hirn voraus. Und wenn das Parteiprogramm auch in den anderen Teilen so aussieht wie Frau Weidel, dann muss ich davon ausgehen, dass die Europäische Union unter anderem auch verantwortlich ist für die kalten Temperaturen, welche hier noch zu Beginn des Monats Mais herrschen. Das erinnert mich übrigens daran, dass es vor zwei Jahren um diese Jahreszeit herum im Norden Finnlands, am Polarmeer volle 30 Grad warm war, während wir hier im Straßenverkehr Mühe hatten, einen Bogen um all den Atemdampf zu schlagen, den die eiligen Passanten in die Nachmittagsluft bliesen.