Krieg sei mit uns

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Die öffentliche Debatte in der besten aller möglichen Gesellschaften. Wenn gegen den Wunsch nach Gewaltlosigkeit zu Felde gezogen wird...
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04:37 min, 4324 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 08.01.2010 / 10:05

Dateizugriffe: 355

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Hagen Kleemann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 07.01.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In den vergangenen Tagen wurde in sämtlichen deutschen Medien viel über die Äußerung der evangelischen Bischöfin Margot Käßmann debattiert, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan sei mit der evangelischen Ethik in keinem Falle vereinbar. Vom linksliberalen Spektrum wurde ihr politische Naivität attestiert, von konservativer Seite wurde noch deutlich schärfer gegen sie geschossen. Unverständnis bis hin zu Entrüstung machte sich breit. Der prominenten Protestantin wurde vorgeworfen, sie untergrabe den Rückhalt für die deutschen Truppen am Hindukusch und gefährde somit die Aufbauhilfe für das zerrüttete Land in Zentralasien. Denn dieser Aufbau, so die fast einhellige Meinung, könne nur unter massiver militärischer Aktivität gelingen. Und sicher, kaum jemand möchte in einigen Jahren nach einem sofortigen Rückzug der westlichen Truppen Berichte darüber in den Nachrichten sehen, wie fanatische Taliban im ganzen Land Frauen erneut entrechten, ins Burka-Verlies sperren, sie tagtäglich ihrer männlichen Willkür aussetzen, unterdrücken und morden. Jedes „Das ist eine andere Kultur und wir dürfen denen nicht unsere Wertvorstellungen vorschreiben“, jeder Relativismus solcher Art ist ignorant und zynisch. Das zweite wesentliche Argument für den Kriegseinsatz ist die Eindämmung der islamistischen Terrorgefahr in unseren eigenen Breiten. Diese Gefahr ist zwar für die meisten Menschen immernoch eine ziemlich abstrakte, aber auch sie ist nicht vollständig von der Hand zu weisen. Statistiken von Unfalltoten gegenzurechnen verbietet sich genauso wie der schon angesprochene kulturelle Relativismus. Es ist nämlich sehr wohl ein wichtiger Unterschied, ob Menschen mit dem Auto verunglücken oder durch den Knopfdruck eines sinnentleerten Freaks, dessen Achtung vor dem eigenen wie dem Leben anderer vollkommen erloschen ist. Der Unterschied besteht eben gerade in der menschlichen Entscheidung, die dem zugrunde liegt. Es geht hierbei um menschliche Maßstäbe und um Vorstellungen über unser Leben, es geht um menschliche Moral. Diese Feststellung gilt dann aber genauso für den deutschen Bürgersohn, der an seiner Schule Amok läuft. Vergleichen wir jedoch die jeweiligen Reaktionen unserer westlichen Staaten und ihrer Öffentlichkeit auf diese beiden Varianten des Mordens, stellt sich schon die Frage, welche Moral, welche Maßstäbe dieser Gesellschaft, ihrem Staat und seinen Gewalten zugrunde liegen. Wenn in Erfurt und Winnenden Menschen durch die Hand eines anderen sterben herrscht totale Ohnmacht und wir werden von den Rednerpulten der Betroffenheit dazu aufgefordert, schnell wieder zur Normalität zurückzufinden, also wieder arbeiten zu gehen und besser nicht zu lange darüber nachzudenken. Hingegen wird uns die islamistischeTerrorgefahr täglich zelebriert. Kriegseinsätze werden damit gedeckelt und der Tod Unbeteiligter, also der sogenannten Zivilisten, als unvermeidlich hingenommen.
Bringt nun jemand dagegen eine grundsätzliche Haltung der Gewaltlosigkeit in Stellung, wie es Frau Käßmann getan hat, wird er oder sie, wie eingangs beschrieben, von vielen Seiten attakiert. Es scheint also in unserer Öffentlichkeit einen breiten, bestimmenden Konsens zu geben, in dem eine Haltung zu grundsätzlicher Gewaltfreiheit keine Stimme mehr haben darf. Das macht deutlich, daß bei aller Beschwörung der Rede- und Meinungsfreiheit in der öffentlichen Debatte unserer Demokratie längst nicht alles für jeden erlaubt ist zu sagen, daß diese Debatte nicht wirklich nach allen Seiten offen ist, sondern eine Richtung hat, der sich die Bestimmung von Ethik und Moral unterzuordnen hat. Wir betrachten demnach eine Gesellschaft, die eben gerade nicht eine Ethik bzw. eine Moral als äußeren Rahmen entwirft, in dessen Inneren sie die menschlichen Angelegenheiten und Sachen ordnet. Es ist vielmehr genau umgekehrt: Es sind wieder einmal die Sachzwänge einer welweiten Konkurrenzgesellschaft und ihrer derzeitigen Lage, die sich überall Moral und Ethik gefügig machen. Frau Käßmann wurde unter anderem „Realitätsverweigerung“ vorgeworfen. Dieser Vorwurf ist in gewisser Weise nicht einmal falsch . Wichtiger jedoch ist, daß dieser Vorwurf zeigt, daß wir nicht von einer gesellschaftlichen Realität sprechen, die von den menschlichen Gliedern der Gesellschaft bestimmt wird, sondern von von einer zwanghaften und selbstzweckhaften Eigendynamik, die Mensch und Moral vor sich herschiebt. Nur ist diese Dynamik keine außerirdische Übermacht. Sie ist ganz irdisch und letztlich auch ganz menschlich, denn sie geschieht mit unserem Willen.

Kommentare
07.01.2010 / 14:17 Ralf, Radio Corax, Halle
wird bei Corax gesendet - im Morgenmagazin 8.1.
von wem ist denn der Kommentar?
 
08.01.2010 / 10:06 johannes,
und der Autor ist...
... Hagen Kleemann. Habe das jetzt auch im Artikel geändert
 
26.02.2010 / 10:46 theo,
gesendet 9.1.2010 zw. 19-20 Uhr in - siehe Text + Titel
vielen Dank, gesendet in "Afghanistan: Nicht wie weiter, sondern endlich raus!"