Nachruf auf den Lyriker und coloRadio-Sendungsmachenden Peter Rother (1. Juli 1952-19. Dezember 2024)

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Peter Rother war mit seiner Literatur- und Musiksendung "Der aphasische Dichter reitet den Pegasus" seit 2007 eines der großen Aushängeschilder von coloRadio. Am 19. Dezember verstarb der Lyriker und Radiomacher in einem Krankenhaus in Dresden.
Jenz Steiner blickt in seinem Nachruf zurück auf Peter Rothers bewegtes Leben voller Höhen und Tiefschläge.
Mehr Informationen über Peter Rother findet Ihr auf unserer Website coloradio.org.
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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Sport, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Jenz Steiner
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 23.12.2024
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
 
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11:19 min, 26 MB, mp3
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Skript
Hey Peter,

wenn das hier im Radio läuft, bist Du schon einige Tage tot.
Deine Sendung „Der aphasische Dichter reitet den Pegasus“ lief am 3. Dezember zum letzten Mal live über den Äther. Gundel hat Dir assistiert. Alles schien irgendwie wie immer.

Drei Tage später bist Du zuhause gestürzt, kamst ins Krankenhaus in der Dresdner Friedrichstadt und solltest eigentlich schnell wieder entlassen werden.
Dann bist Du kollabiert. Du musstest über 30 Minuten reanimiert werden, bevor zumindest Dein Puls wieder da war.
Die nächsten 13 Tage hast Du im Koma auf der Intensivstation verbracht. Dein alter Wegbegleiter Anna-Thilo hat Dich dort zweimal besucht. Er stand an Deinem Bett und hat Dir Deine eigenen Gedichte vorgetragen.

Deine Schwester aus Gera, Deiner alten Heimat, hat bei uns im Radio angerufen und auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ihre Sorge war groß, ihr Lagebild realistisch.
Ich hab in den letzten Tagen dreimal mit ihr telefoniert, um Absprachen zu treffen und Klarheit zu gewinnen.

Deine Familie wünscht sich eine anonyme Bestattung.
Das heißt aber nicht, dass Deine Radio-Crew, Deine Freunde und Wegbegleiter keine Abschiednahme von Dir brauchen. Wir kümmern uns drum. Keine Sorge.

Ich wünschte, Du hättest mal so einen Lebenslauf und ein Werksverzeichnis verfasst. Die beiden Zeitungsartikel, die man im Internet über Dich findet, verraten wenig.
Dabei warst Du so viel. Du warst Radiomoderator, Lyriker, Du warst Volleyballtrainer und Volleyball-Fan, Du warst Syrien-Experte, Jazz-Kenner, Du warst Stadtschreiber, Du hast Lesungen gehabt, Du hast eine Aphasie-Selbsthilfegruppe aufgebaut und Menschen bekräftigt, nicht aufzugeben, in Lebensphasen, die wahrscheinlich ihre schwersten waren. Du warst zweifacher Vater, Du hast den Alkohol besiegt.
Du warst bestens vernetzt, hattest einen riesigen Bekanntenkreis und eine generationsübergreifende Fangemeinde. Das weiß ich von Dir.

Jetzt versuche ich gerade, die ganzen Puzzlestücken Deines Lebens zusammenzufügen.

Deine Familie scheint es Dir ganz schön krumm genommen zu haben, dass Du nicht den Weg eingeschlagen hast, den alle einschlagen und stattdessen Deinen Träumen gefolgt bist.
Peter Rother, der bunte Hund, das schwarze Schaf, der Tagträumer, der brotlose Künstler.
Nein, nicht die Ausbildung bei Carl Zeiss Jena, nicht das angefangene Studium an der TU Dresden, die Lyrik hatte es Dir angetan. Die Poesie.

Die großen Namen der Verskunst Deiner Zeit: Peter Huchel, Erich Ahrendt, Elke Erb und vor allem ihr damaliger Mann Adolf Endler. Du hast sie kennen und schätzen gelernt. Die Staats-Lyriker wie die Untergrund-Poeten, die Samizdat-Verleger der späten DDR.
Du wurdest einer von ihnen.
In Leipzig lerntest Du die junge Tamara Danz von Silly kennen. Ihr wart gleich alt, kamt beide aus Thüringen. Das war in den späten Siebzigern am Leipziger Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Die Musik von Silly lief in Deiner Sendung rauf und runter. Du hast oft von ihr gesprochen. Du hast so viel von ihr gewusst. Was weiß ich nicht über Euch?

Ich hab manchmal den Eindruck, dass Dein Studium in Leipzig der absolute Höhepunkt Deines Lebens war. Da hast Du geglüht. Da hast Du viel geschaffen, wurdest geschätzt als der, der Du warst und für das , was Du kannst. An kaum einem Ort in der DDR konnte man als bunter Hund soviel Freiheit spüren wie dort. Vielleicht wäre ich unter den Umständen zu der Zeit auch glühender Kommunist geworden, trotz Biermann-Ausbürgerung.

Danach kam die Zeit als Leiter des von Dir mit aufgebauten Instituts für Literatur für den Bezirk Dresden. Klar, Du hattest Privilegien, die andere Leute nicht hatten. Aber das Fahrwasser wurde wilder. Du bist immer wieder angeeckt. Deine große Fresse, wie Du selbst mal meintest und Deine manchmal ganz schön patzige Art kamen nicht überall gut an. Du kannst Du wissen.

Dann die Einberufung als Reservisten zur NVA. Nur ein paar Monate. Aber das war der erste große Cut. Ein Einschnitt. Ein Rückschlag. Sehe ich das richtig? Es gab kein zurück mehr.
Du hast mir mal gesagt, dass dort im Literatur-Institut immer jemand von der Stasi saß, der Dir genau auf die Finger geguckt hat.

In der Wendezeit sahst Du Dich selbst Vorwürfen ausgesetzt, IM für das Ministerium für Staatssicherheit gewesen zu sein. Kein Wunder. Du hattest Privilegien, die niemand sonst hatte, außer vielleicht Bettina Wegner, mit der Du nie richtig warm geworden bist.
Reisefreiheit, Kontakte mit Musik- und Literaturstars im Westen.
Was ist dran an den IM-Vorwürfen gegen Dich? Deine Familie könnte jetzt Akteneinsicht im Bundesarchiv beantragen.
Sie wird es nicht tun.

Was Du in den späten Neunzehnhundertachtzigern gemacht hast, würde man heute als Event-Management bezeichnen. Du hattest Dein Auskommen, irgendwie.

Dann kam die Wende. Der Kulturbetrieb im Osten stand nicht nur Kopf, er war tot und Dein Lebensmodell auch. Der zwei große Cut.
Eigentlich der Dritte. Deine kleine Familie, Deine beiden Kinder, die jetzt wahrscheinlich in der Schweiz leben, Deine Eltern, die Deinen Werdegang nicht anerkennen wollten, Deine Alkoholsucht. Das ging schon zu DDR-Zeiten nicht mehr zusammen.

Von der Zeit, in der Du hier in Dresden das Jugendzentrum AZ Conni in der Conradstraße mitbegründet hast, hast Du immer wenig erzählt. Ich weiß, dass Du zu der Zeit gut polarisieren konntest, dass nicht alle Dich mochten, dass Du viele Menschen verloren hast als Freunde, als Wegbegleiter und Mitstreiter und dass einige wenige an Deiner Seite blieben, als das schon ganz schön hart war.

Dann bist Du schonmal gestorben. In Deinem Hirn ist eine Ader geplatzt. Irgendwie war das alles zu viel. Vollbremsung. Du lagst ewig im Krankenhaus. Die, denen Du was bedeutet hast, standen an Deinem Krankenbett als Du im Koma lagst und konnten es einfach nicht fassen.

Als Du wieder zu Dir kamst, warst Du ein anderer Mensch. Der große Lyriker und Kultur-Manager hatte seine seine Sprache verloren. Für immer, so schien es.
Abstellgleis, Pflegefall. Alkoholiker, Aphasiker.
Nein, nicht mit Peter Rother.
Keine Ahnung, woher Du die Kraft gezogen hast. Vielleicht aus den Menschen, die trotzdem noch zu Dir gestanden haben? Die Dir beigestanden haben, solange sie konnten. Die bei Dir standen, am Krankenbett als Du keine Regung machtest

Mühsam, Schritt für Schritt hast Du Dir das Sprechen wieder selbst beigebracht.
Alkohol, nie wieder. Zurück ins Leben – auf Teufel komm raus.
Wie hast Du das geschafft?

2007 schleppte Dich der inzwischen verstorbene Werner Jahn in die coloRadio-Studios in der Dresdner Jordanstraße.
Radio. Das kanntest Du schon. Du hast 1990 schon einmal bei einer Radiosendung auf dem Deutschlandsender mitgewirkt. Stimme der DDR hieß der vorher. Das weiß ich. Die würde ich gerne mal hören.
Musik und Lyrik. Ganz offensichtlich war das die Blaupause für Deine Show, mit der Du dann bei coloRadio auf Sendung gingst bis zum Ende Deines Lebens.
„Hier ist der aphasische Dichter, der den Pegasus reitet“.

Zuerst hattest Du eine Stunde Sendezeit, später zwei und die letzten Jahre sogar rekordverdächtige zweieinhalb Stunden pro Woche. Genug Platz für Gianna Nannini, Dota, Sissy Gonzales, Czeslaw Niemen, Judas Priest, Rammstein, Bruce Springsteen, DJ Krypton, AC/DC, den Goldenen Anker, Renft, AG Geige und Kraftklub.

Afrika, Syrien, Volleyball, Hilfe für Aphasiker – diese Schlagwörter fielen in jeder Sendung. Sie gaben Dir Halt und Struktur und Dein Radiopublikum wusste, wen es eingeschaltet hatte.

Du hattest zuhause keinen Internetanschluss. Den brauchtest Du auch nicht. Solange es ging, liefst Du die Prager Straße rauf und runter, trankst einen Traubensaft und sprachst mit allen möglichen Leuten, erzähltest von Deiner Sendung. Vor der Show riefst Du Freunde und Bekannte an, um sie zum Hören einzuladen. „Hör mal zu, mein Lieber. Heute mache ich extra für Dich eine Sondersendung zu der Dichterin Mascha Kaleko. Die magst Du doch so.“

Während der corona-Ferien musste Deine Live-Sendung öfter mal ausfallen. Wir haben Wiederholungen gesendet. Das hat Dich ganz schön aus dem Takt gebracht.
Im neuen Studio brauchtest Du nun technische Unterstützung, da und dort und immer mehr auch redaktionelle Zuarbeit. Wir haben diese Hilfe bei uns auf verschiedene Schultern verteilt.

Trotzdem warst Du bis 2023 immer noch im Kulturleben der Stadt unterwegs. Du gingst in kleine Punker-Schuppen, zu Filmpremieren und zu Großkonzerten von Patti Smith oder Udo Lindenberg.

Wegen der Bombenfunde in der Friedrichstadt musstest Du zuhause zweimal evakuiert werden und die Nächte in einer Schule verbringen. Das Rote Kreuz hatte dort in Windeseile Schlafsäle für Deine Nachbarschaft eingerichtet. Das ging Dir sehr nahe und Deine Erlebnisberichte mir sehr unter die Haut.

In den letzten Jahren bist Du zweimal gestürzt. Das Laufen klappte nicht mehr so gut. Peter, dir fehlten die regelmäßige Bewegung, die Herausforderungen. Deine Aphasie-Selbsthilfegruppe hatte sich aufgelöst. Deine Lesungen fielen aus. Der Wasserschaden in Deiner Wohnung, die Hausverwaltung, die Schuldenberge, das setzte Dir ganz schön zu. Aber Du machtest weiter, bis zum drittletzten Tag Deines aktiven Lebens.

Wenn ich mit Menschen auf der Straße über coloRadio ins Gespräch kam, sprachen sie mich oft auf den „alten Kommunisten an, der immer Gedichte ins Mikrofon schreit und Ostrock mit Techno mischt“, wie jemand mal zu mir meinte. Ich hoffe, das bleibt auch noch eine Weile so.
Wir werden Dich jedenfalls nicht vergessen.

Kommentare
23.12.2024 / 20:51 emilian, Radio Zett Zittau
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Diese Nachricht hat mich sehr traurig gemacht. Während meines Praktikums hatte ich das Glück, ihn kennenzulernen – ein unglaublich sympathischer und inspirierender Mensch. Mein Mitgefühl gilt allen, die ihn schmerzlich vermissen.