"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Das AfD-Programm

ID 97942
 
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Bin ich ein AfDler? Ich glaube es zwar nicht, aber so richtig sicher kann ich mir erst nach einem Abgleich mit dem Parteiprogramm sein. Also ran an den Speck. Ich nehme mir die Kurzversion vor von der AfD-Webseite. Wie folgt:
Audio
10:40 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 22.10.2019 / 11:45

Dateizugriffe: 2070

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Religion, Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 22.10.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das Programm beginnt im Vorwort mit der nationalen Einheit Deutschlands, und mit der habe ich sowieso nichts am Hut, und es ist sowieso Unsinn – die wird von niemandem in Frage gestellt, man könnte auch sagen, wenn es regnet, regnet es, und wenn die Sonne scheint, scheint die Sonne. Im Übrigen beginnt das konkrete AfD-Programm dann nicht mal mit der nationalen Einheit Deutschlands, sondern mit «Volks­abstim­mun­gen nach Schweizer Vorbild». Direkte Demokratie – wer könnte da aus neutraler Sicht dagegen sein! Das anschließende Kapitel über Europa lasse ich mal beiseite, weil bekannt; und dass wir alle Europa nicht nur brauchen, sondern bereits haben, ist eine derart offensichtliche Tatsache, dass es sogar der Pegida in ihren krausgedanklichen Namen hinein gerutscht ist. Das AfD-Nein zum Euro und zur sogenannten Bankenunion ist ebenfalls geschenkt; was für eine Funktion Banken und Währungen in der modernen Welt des Finanz­kapita­lismus spielen, ist weder für die AfD-Wählerin noch für deren Programm­kom­mis­sion fassbar, kein Wort zu diesen Themen, weder hier noch weiter hinten. Innere Sicherheit und Justiz übergehe ich ebenso; ich kenne keine Partei, welche sich gegen die nachhaltige Bekämpfung der organisierten Kriminalität ausspricht, und der Schutz der Grenzen Deutschlands ist eine seit über 1000 Jahren feststehende Praxis, manchmal auch mit innovativen Methoden, siehe hierzu im Abschnitt Deutsche Geschichte die Kapitel I. und II. Weltkrieg. Eine Außen- und Sicherheitspolitik betreibt euer Land ebenfalls seit geraumer Zeit; die AfD-Innovationen halten sich zu dem Thema in engen deutschen Grenzen, zum Beispiel mit der Forderung nach einem besseren Verhältnis zu Russland oder mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Im Bereich Arbeitsmarkt und Sozialpolitik finden sich neben der Forderung nach Auflösung der Bundesagentur für Arbeit durchaus ehrenwerte Anliegen, zum Beispiel die Beibehaltung des Mindestlohnes, wobei ich mir angesichts des Personals der AfD vorstelle, dass sie den dann halbieren würden, aber das wäre dann ja ein anderes Kapitel. Dass sie von einer aktivierenden Grundsicherung spricht anstelle eines Grundeinkommens, ist nicht a priori unlogisch, geht aber unter im Chor gleich lautender Forderungen aus praktisch allen Parteien des aktuellen sozialdemokratischen Universums; anders macht es da zum Beispiel im fernen Ausland das Bündnis Zukunft Österreich, das ehemalige Kampfvehikel des ehemaligen Politclowns Jörg Haider, dessen fesch verschmalzter Nationalismus als Vorbild zunächst für Karl-Heinz Grasser diente, welcher als Belohnung die Svarovski-Erbin zur Gemahlin erhielt, und jetzt für den feschen Sebastian Kurz, dessen Belohnung wohl noch aussteht – wir sind gespannt. Das Bündnis Zukunft Österreich fordert in seinem Programm tatsächlich ein bedingungsloses Grundeinkommen – allerdings nur für Trägerinnen des österreichischen Bundes-Ehrenkreuzes in der Form der ur-österreichischen Staatsangehörigkeit. Hallo, AfD, aufgemerkt! Nicht immer nur in die Schweiz kucken, lasst euch vom beschränkten Horizont eurer Weidelalice nicht anstecken, besorgt euch für euren deutschen Nationalismus auch mal einen kleinen Braunen aus Österreich!

Das Familien- und Kinder-Bild der AfD lasse ich hier ebenfalls beiseite und unterstelle es als bekannt, da kann man sich im Parteiprogramm von CDU und CSU aus den 1950-er Jahren umsehen. Das gleiche gilt für den Abschnitt Kultur, Sprache und Identität, wobei ich den Untertitel «Die deutsche Sprache als Zentrum unserer Identität» mit besonderem Interesse gelesen habe. Darauf werde ich bei Gelegenheit zurückkommen. Über den nächsten Abschnitt mit dem Titel «Der Islam gehört nicht zu Deutschland» kann man diskutieren, und zwar innerhalb der AfD selber, nachdem sie grundsätzlich wie alle anderen sozialdemokratischen Parteien Religionsfreiheit, unter anderem für den Islam, proklamiert. Und die Forderung nach Abschaffung der Fernsehgebühren beziehungsweise der Einführung eines reinen Bezahlfernsehens überrascht nicht wirklich, wobei ich in diesem Punkt ebenfalls ein paar Fragen hätte, aber nicht, weil ich mit den Beiträgen des Staatsfernsehens nicht einverstanden wäre, sondern weil ich gegenwärtig kaum eine Ahnung habe, wie die Entwicklung der Medien mit dem Mittel des Internet von sich gehen soll und wird.

Bei Schule, Hochschule und Forschung fällt der AfD gerade mal die Abschaffung von Gender Studies ein, selbstverständlich abgesehen von der Wiedereinführung eines Bildungssystems wie anno dunnemal, also zu Zeiten von CDU und CSU Ende der fünfziger Jahre. Im Punkt neun, Einwanderung, Integration und Asyl, haben wir von der AfD derart viel Geschrei gehört, dass es unmöglich ist, sich damit im Ernst zu beschäftigen. Mehr Aufklärung verspricht der Punkt zehn, Wirtschaft, Digitale Welt, Verbraucherschutz, wobei sich der Abschnitt zur Digitalen Welt auf den Schutz des Darknet beschränkt. Dass die Verwaltung mit quelloffener Software arbeiten soll, damit, ich zitiere: «im Vorfeld überprüft werden kann, ob unautorisierte Zugriffe möglich sind», ist wohl nicht einmal ein Scherz – aber für eine Partei, welche ihre Vorstellungen in den fünfziger Jahren zusammensucht, wäre es wohl eher übertrieben, auch nur ansatzweise digitale Kompetenzen zu erarbeiten. Daneben finden wir hier den traditionellen Mix aus Verbraucherschutz und Eigentums-Fetischismus mit Forderungen, welche alle Parteien periodisch stellen: Bürokratie abbauen, staatliche Subventionen reduzieren und Mittelstand stärken – gerade die Forderung nach Reduktion der staatlichen Subventionen ist in aller Regel eine nach staatlichen Subventionen für die eigene Klientel.

Unter Punkt 11 werden Finanzen und Steuern abgehandelt. Mit einem einfacheren und gerechteren Steuersystem bzw. niedrigen Steuern sollen vor allem Mittel- und Geringverdiener finanziell entlastet werden. Toll. Nämlich wie? Ein höherer Steuerfreibetrag, selbstverständlich, aber sonst? Da es hier doch etwas konkreter geht und da der Vorwurf im Raum steht, die AfD sei in diesem Punkt nicht sozialdemokratisch wie alle anderen, sondern neoliberal, schaue ich hier mal in der ausführlicheren Programmversion nach. Dort finde ich zunächst die Forderung nach einer Deckelung nicht der Mietzinsen, sondern der Steuern und Abgaben als bestimmten Prozentsatz im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt; die Staatsquote, wie das auch genannt wird, soll also gesetzlich festgeschrieben werden. Nur: auf welcher Höhe denn? Und was ist damit zu finanzieren? Das wissen wir nicht, stattdessen sollen aber die Vermögens- und Erbschaftssteuern abgeschafft und die Gewerbesteuer reduziert werden. Die entsprechenden Ausfälle bei den Kommunen soll durch den «Zugang zu anderen Steuerquellen» kompensiert werden – geht das auch ein bisschen konkreter? – Nein. Na dann – Dafür setzt sich die AfD ein für den Wettbewerb der nationalen Steuersysteme und für die Wiedereinführung des Bankgeheimnisses; diese beiden Punkte hat sicher die Weidelalice aus einer Broschüre der schweizerischen Wirtschaftsförderung aus dem Jahr 1993 abgeschrieben. – Föderalismus und Eigenständigkeit dagegen will ich hier im Einklang mit euren Rechtsnationalen preisen und loben, bloß müsste man meines Erachtens dazu im Kapitel über Finanzen und Steuern etwas mehr aussagen, als dass die Nehmer-Bundesländer beim Finanzausgleich nicht besser gestellt sein sollten als die Geber-Länder. Das ist nämlich ein sogenannter Allgemeinplatz. Und zum Schluss fordert das fiskalpolitische Genie der AfD noch die Repatriierung der Goldbestände – auch hier hat die AfD direkt der Schweizer SVP abgeschrieben, welche eine solche Repatriierung gar mit einer Volksinitiative forderte, die allerdings in der Abstimmung vor fünf Jahren von einer überwältigenden Mehrheit abgelehnt wurde, noch deutlicher als zwei Jahre später die Grundeinkommens-Initiative.

Im Punkt 12, nämlich bei der Energiepolitik, kennen wir die AfD als sogenannte Klimaleugnerin, das heißt, sie bestreitet den Einfluss des Menschen, konkret aller Menschen, auf die Klimaerwärmung, und das tut sie denn auch im Programm; das ist bekannt, die Forderungen nach Beendigung der Subventionierung der Bioenergie und nach der Verlängerung der KKW-Laufzeiten ebenso. Auch der unkontrollierte Ausbau der Windenergie soll gestoppt werden, obwohl das dann schon als Forderung unter dem nächsten Punkt 13, Natur, figuriert, gerade vor dem Abschnitt «Tiere sind fühlende Wesen», der sich so gut macht in einem politischen Grundsatzprogramm. Auch der Landwirtschaft werden mehr Wettbewerb und weniger Subventionen verschrieben, ganz im Sinne des Tierwohls und der Naturverbundenheit. Fantastisch! Bei Punkt 14, Infrastruktur , Wohnen und Verkehr wird, wie nicht anders zu erwarten war, die freie Nutzung der Verkehrsmittel ohne Schikanen gefordert, also Freiheit für alle Offroader und Tempobolzerinnen, und der wichtigste Programmpunkt folgt zum Schluss: Die AfD braucht mehr Mitglieder und Ihre Spende.

Gut, von mir jetzt nicht. Ich bin kein AfD-ler, wie mir das Programm zeigt. Es handelt sich um ein hundskommunes, handelsübliches Papier, wie man es in jedem Supermarkt erstehen kann, einfach in der Abteilung «Anti-Europa», was aber keine AfD-Spezialität ist; gerade die bayrische CSU hat über Jahre hinweg auf die EU gespuckt, während man ihre Gelder kommentarlos entgegennahm. Das hat sich in der Zwischenzeit geändert, vielleicht auch wegen der polternden AfD, die da etwas miss­ver­stan­den hat, nämlich dass die Anti-EU-Rhetorik nur Theaterdonner ist im Rahmen des Schauspiels einer Demokratie, dessen dramaturgische Regeln man eben auch einmal akzeptieren muss. Die erste dieser dramaturgischen Regeln ist natürlich diejenige, dass die Subjekte dieser Form von Demokratie nicht auf der Bühne stehen, sondern im Publikum sitzen und keinen Text haben. Daran knüpft die AfD wohl vor allem im Osten an, wo die Bürgerinnen und Bürger dieses Theater noch nicht so lange eingeübt haben und wo die Bürgerinnen und Bürger gerne mal rufen: Ja, die machen was!, wenn sie die AfD-ler ganz außerhalb ihres Programmes herumtrompeten hören. Ich kann euch, geschätzte Hörerinnen und Hörer, aber auch die Bürgerinnen und Bürger beruhigen: Die machen goa nix. Davon zeugt ihr porentief konventionelles Parteiprogramm. Das einzige, was sie von den anderen Parteien unterscheidet, ist ihre Bereitschaft, rechtsextremen Idioten und Antisemiten und sonstigen politisch motivierten Verbrechern Deckung zu bieten. Das ist nicht nix, aber es ist nicht das politische Ziel der gesamten Partei.