Der Alman-Move – Interview mit Andrej Reisin
ID 92651
Während viele linke Stimmen den SPIEGEL-Artikel, „Der gefühlte Jude“, der Mitte Oktober die jüdisch-linke Geschichte des ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Pinneberg, Wolfgang Seibert platzen ließ, als antisemitische, deutsche Selbstermächtigung kritisieren, wird sich dazu, dass Seibert sich Ausschwitz-überlebende Großeltern ausgedacht und die Shoah für seine persönlich-politische Heldengeschichte brauchbar gemacht hat, gar nicht geäußert. Die Äußerungen zum Spiegelartikel verlassen hingegen teilweise den Rahmen sachlicher Kritik und changieren überwiegend zwischen platter Medienschelte und kruden Theorien über eine antilinke Verschwörung. Was – vor allem im FSK – in den letzten Wochen über andere Medien zu hören war, erinnerte vielfach an Donald Trump, wenn er über CNN twittert.
Dieses verbalradikale Abschotten gegen die im Artikel vorgebrachten Fakten steht zusammen mit einer ungebrochenen (falschen) Solidarität mit Seibert und mehr noch mit seiner erfundenen Biografie, deren exponierte Stellung viele derjenigen, die sich dazu geäußert haben, mitzuverantworten haben. Dies und der Umstand, dass angesichts der Fakten auch eine Selbstkritik seiner linken Rezipient*innen und Multiplikator*innen nötig wäre, legen den Verdacht nahe, dass wir es hier eher mit einer Komplizenschaft und weniger mit einer Anteilnahme an einem individuellen Schicksal zu tun haben. Schließlich haben viele der Linken, die jetzt besonders scharf in Richtung SPIEGEL schießen, ihn vielfach interviewt, Veranstaltungsreihen gemacht oder sogar Bücher über Seibert veröffentlicht. Mit dem Interview bemühen wir uns darum, den rosa Elefanten im Raum nicht weiter zu ignorieren, sondern eine politische Haltung zu Fragen der deutschen NS-Erinnerungspolitik und Schuldabwehr einzunehmen.
Unser Interviewpartner Andrej Reisin ist Journalist und arbeitet bei Panorama, hat selbst auch schon mal Artikel für Spiegel Online geschrieben und früher mal den Blog publikative.org mitgemacht.
Dieses verbalradikale Abschotten gegen die im Artikel vorgebrachten Fakten steht zusammen mit einer ungebrochenen (falschen) Solidarität mit Seibert und mehr noch mit seiner erfundenen Biografie, deren exponierte Stellung viele derjenigen, die sich dazu geäußert haben, mitzuverantworten haben. Dies und der Umstand, dass angesichts der Fakten auch eine Selbstkritik seiner linken Rezipient*innen und Multiplikator*innen nötig wäre, legen den Verdacht nahe, dass wir es hier eher mit einer Komplizenschaft und weniger mit einer Anteilnahme an einem individuellen Schicksal zu tun haben. Schließlich haben viele der Linken, die jetzt besonders scharf in Richtung SPIEGEL schießen, ihn vielfach interviewt, Veranstaltungsreihen gemacht oder sogar Bücher über Seibert veröffentlicht. Mit dem Interview bemühen wir uns darum, den rosa Elefanten im Raum nicht weiter zu ignorieren, sondern eine politische Haltung zu Fragen der deutschen NS-Erinnerungspolitik und Schuldabwehr einzunehmen.
Unser Interviewpartner Andrej Reisin ist Journalist und arbeitet bei Panorama, hat selbst auch schon mal Artikel für Spiegel Online geschrieben und früher mal den Blog publikative.org mitgemacht.
Audio
50:55 min, 55 MB, mp3
mp3, 152 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.12.2018 / 17:20
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Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Auszüge aus dem Interview:
AR: Die ganze Aufarbeitung muss halt genau umgekehrt stattfinden. Und das ist das, was hier meines Erachtens total schief geht oder in bestimmten Teilen total schief geht, nämlich dass man in so eine Verteidigungshaltungs springt, weil es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Oder man will diese Dimension nicht erkennen. Und das finde ich schon überraschend und auch ein Stück weit erschreckend, weil das ja zum Teil Leute sind, die gleichzeitig genau diese Dimension und genau diese Auseinandersetzung und all das seit Jahren bearbeiten und auch vor sich hertragen und auch anderen sozusagen andienen auf eine gewisse Art. Und da wird jetzt gesagt: "Ja, aber bei ihm... Hmm..." Und da, wie gesagt, ich hab jetzt den Vorteil, dass ich nie irgendwie zusammen mit ihm in einem Boot saß oder ihn irgendwie interviewt hab. Hätte natürlich auch passieren können. Von daher hab ich jetzt nicht diese persönlichen Verflochtenheit, aber aus meiner Perspektive kann ich nur sagen: Das gibt's doch alles gar nicht.
Da kann man nur sagen: "Ey, es tut mir echt leid, lieber Wolfgang, aber das ist irgendwie ein gravierendes Ding, was du hier gebaut hast, wo ich jetzt vielleicht auch erstmal eine Weile drüber nachdenken muss, aber ich würde dich schon bitten, dich aus unseren Zusammenhängen zurückzuziehen." Das wäre das, was ich denke. Und dann müsste man sich mal damit befassen, warum man das vielleicht auch nicht sehen wollte oder warum man das vielleicht auch ignoriert hat. Es gab ja nun, ganz ehrlich, es gibt so krasse Indizien auch. Und ich mach mal ein Beispiel: Es gibt bis heute, downloadbar meines Erachtens, muss man ein bisschen nach gucken, ein Skript von irgendeiner FSK Sendung, die ist Jahre alt und in diesem Skript widerspricht der Mann sich innerhalb von drei Seiten viermal so ungefähr und zwar im Hinblick auf die Biographien seiner eigenen Familie. Da ist dann erst jemand in Auschwitz befreit worden und dann war er auf dem Todesmarsch.
Der Spiegel-Artikel oder zur Kritik an dem Spiegel-Artikel vielleicht: Ja, ich glaube, man kann in dem Spiegel-Artikel bestimmte Formulierungen finden, die unglücklich sind. Oder die auch mit Metaphern und Sprachbildern operieren, die in Deutschland durchaus auch eine antisemitische Konnotation haben können. Es gibt auch bestimmte Behauptungen, die in ihrer globalen, also da, so bestimmte globale Behauptungen in diesem Spiegel-Artikel, wie beispielsweise, dass man sich mit einer jüdischen Identität per se unangreifbar macht, und so, da würde ich natürlich ein Fragezeichen dran machen. Das kann man auch kritisieren, das ist keine Frage. Also natürlich kann man auch den Spiegel-Artikel für solche Formulierungen kritisieren, aber ich glaube eben nicht, dass das was am Gehalt ändert. Und ich glaube nicht, dass daraus eine Motivation ablesbar ist. Einzelne Formulierungen, klar, kann man drüber streiten, aber da wird ja so was konstruiert, im Sinne von "der Spiegel hatte immer schon irgendwie..." und diese Schlagseite, die da reininterpretiert und ja, beim besten Willen, das ist halt dann sehr weit hergeholt.
Und was würden sie machen, wenn es jetzt in einem anderen Medium erschienen wäre, was diese herbeierzählte antisemitische Schlagseite dann ihrer Auffassung nach nicht hat? Also um ehrlich zu sein, ich hab das von Juden überhaupt nicht gehört bisher, muss ich mal ganz klar sagen. Gab es eine jüdische Stimme, die das antisemitisch fand? Weiß ich nicht. Von daher muss man sich dann auch fragen, wer hier Antisemitismusvorwürfe erhebt und warum. Wenn die doch von der Seite, die sie am Ehesten vielleicht erheben sollte, nicht kommen, meiner Meinung nach.
Was die Kritik an dem Spiegel-Artikel in der Hinsicht angeht, muss ich sagen, wie gesagt, das ist für mich ein Nebenaspekt, den man aufmachen kann, aber wenn man das in den Mittelpunkt stellt und die Tatsachen, um die es geht, an den Rand rückt, dann macht man halt genau so einen komischen Tausch von Wesen und Form oder so, den ich nicht legitim finde, wo ich das eben schon den "rosa Elefanten" genannt habe. Da drückt man sich um das herum, was eigentlich im Raum steht und sagt halt: Ja, aber...
FSK: In seiner Rolle als Gemeindevorsitzender hat Seibert sich ja auch immer wieder sowohl in innerjüdische religiöse Fragen eingemischt und sich auch immer sehr offensiv allgemeinpolitisch als Teil der radikalen Linken in Debatten eingemischt.
AR: Zu der innerjüdischen würde ich sagen, naja gut, wär dann vielleicht auch schwierig geworden mit den Orthodoxen. Ich mein, das ist in gewisser Hinsicht doch ein Witz, wenn ich eigentlich irgendwo ganz tief in meinem Hinterkopf weiß, dass ich mir diese Identität zugeschanzt habe und ich fang dann an mich in Glaubensfragen einzumischen, dann weiß ich ja, dass das Eis sehr dünn wird. Dann kann ich sehr viel mir anlesen und kann natürlich auch sehr viel Expertise versuchen mit raufzuschaufeln, aber trotzdem werde ich natürlich gegenüber Leuten, die seit sie fünf-sechs sind, in Talmudschulen waren, hab ich da, glaub ich echt einen... Man darf das nicht unterschätzen, wie viel Zeug das ist. Also, die studieren das ja nicht umsonst ein Leben lang. Und da hab ich natürlich so einen gewissen Rückstand, den kann ich nicht mehr so richtig gut aufholen. Das ist, wie wenn ich um 1:30 morgens von der Arbeit auf eine Party komme, wo alle schon seit 20:00 saufen, dann wirds halt schwer. Da gibts Leute, die schaffen das, aber ist schwer.
[Die Zugehörigkeit zum Judentum] ist ein fragiles Gebilde, aber das eine ist innerjüdische Diskussion und das andere ist ein Kostüm, was ich mir anziehe, um in einem bestimmten politischen und vergangenheitspolitischen Theater mitzuspielen. Und da die Rollen zu tauschen. Sagen wir es mal so: in dem Theater mitspielen tun wir alle, aber die Frage ist, als was.
AR: Die ganze Aufarbeitung muss halt genau umgekehrt stattfinden. Und das ist das, was hier meines Erachtens total schief geht oder in bestimmten Teilen total schief geht, nämlich dass man in so eine Verteidigungshaltungs springt, weil es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Oder man will diese Dimension nicht erkennen. Und das finde ich schon überraschend und auch ein Stück weit erschreckend, weil das ja zum Teil Leute sind, die gleichzeitig genau diese Dimension und genau diese Auseinandersetzung und all das seit Jahren bearbeiten und auch vor sich hertragen und auch anderen sozusagen andienen auf eine gewisse Art. Und da wird jetzt gesagt: "Ja, aber bei ihm... Hmm..." Und da, wie gesagt, ich hab jetzt den Vorteil, dass ich nie irgendwie zusammen mit ihm in einem Boot saß oder ihn irgendwie interviewt hab. Hätte natürlich auch passieren können. Von daher hab ich jetzt nicht diese persönlichen Verflochtenheit, aber aus meiner Perspektive kann ich nur sagen: Das gibt's doch alles gar nicht.
Da kann man nur sagen: "Ey, es tut mir echt leid, lieber Wolfgang, aber das ist irgendwie ein gravierendes Ding, was du hier gebaut hast, wo ich jetzt vielleicht auch erstmal eine Weile drüber nachdenken muss, aber ich würde dich schon bitten, dich aus unseren Zusammenhängen zurückzuziehen." Das wäre das, was ich denke. Und dann müsste man sich mal damit befassen, warum man das vielleicht auch nicht sehen wollte oder warum man das vielleicht auch ignoriert hat. Es gab ja nun, ganz ehrlich, es gibt so krasse Indizien auch. Und ich mach mal ein Beispiel: Es gibt bis heute, downloadbar meines Erachtens, muss man ein bisschen nach gucken, ein Skript von irgendeiner FSK Sendung, die ist Jahre alt und in diesem Skript widerspricht der Mann sich innerhalb von drei Seiten viermal so ungefähr und zwar im Hinblick auf die Biographien seiner eigenen Familie. Da ist dann erst jemand in Auschwitz befreit worden und dann war er auf dem Todesmarsch.
Der Spiegel-Artikel oder zur Kritik an dem Spiegel-Artikel vielleicht: Ja, ich glaube, man kann in dem Spiegel-Artikel bestimmte Formulierungen finden, die unglücklich sind. Oder die auch mit Metaphern und Sprachbildern operieren, die in Deutschland durchaus auch eine antisemitische Konnotation haben können. Es gibt auch bestimmte Behauptungen, die in ihrer globalen, also da, so bestimmte globale Behauptungen in diesem Spiegel-Artikel, wie beispielsweise, dass man sich mit einer jüdischen Identität per se unangreifbar macht, und so, da würde ich natürlich ein Fragezeichen dran machen. Das kann man auch kritisieren, das ist keine Frage. Also natürlich kann man auch den Spiegel-Artikel für solche Formulierungen kritisieren, aber ich glaube eben nicht, dass das was am Gehalt ändert. Und ich glaube nicht, dass daraus eine Motivation ablesbar ist. Einzelne Formulierungen, klar, kann man drüber streiten, aber da wird ja so was konstruiert, im Sinne von "der Spiegel hatte immer schon irgendwie..." und diese Schlagseite, die da reininterpretiert und ja, beim besten Willen, das ist halt dann sehr weit hergeholt.
Und was würden sie machen, wenn es jetzt in einem anderen Medium erschienen wäre, was diese herbeierzählte antisemitische Schlagseite dann ihrer Auffassung nach nicht hat? Also um ehrlich zu sein, ich hab das von Juden überhaupt nicht gehört bisher, muss ich mal ganz klar sagen. Gab es eine jüdische Stimme, die das antisemitisch fand? Weiß ich nicht. Von daher muss man sich dann auch fragen, wer hier Antisemitismusvorwürfe erhebt und warum. Wenn die doch von der Seite, die sie am Ehesten vielleicht erheben sollte, nicht kommen, meiner Meinung nach.
Was die Kritik an dem Spiegel-Artikel in der Hinsicht angeht, muss ich sagen, wie gesagt, das ist für mich ein Nebenaspekt, den man aufmachen kann, aber wenn man das in den Mittelpunkt stellt und die Tatsachen, um die es geht, an den Rand rückt, dann macht man halt genau so einen komischen Tausch von Wesen und Form oder so, den ich nicht legitim finde, wo ich das eben schon den "rosa Elefanten" genannt habe. Da drückt man sich um das herum, was eigentlich im Raum steht und sagt halt: Ja, aber...
FSK: In seiner Rolle als Gemeindevorsitzender hat Seibert sich ja auch immer wieder sowohl in innerjüdische religiöse Fragen eingemischt und sich auch immer sehr offensiv allgemeinpolitisch als Teil der radikalen Linken in Debatten eingemischt.
AR: Zu der innerjüdischen würde ich sagen, naja gut, wär dann vielleicht auch schwierig geworden mit den Orthodoxen. Ich mein, das ist in gewisser Hinsicht doch ein Witz, wenn ich eigentlich irgendwo ganz tief in meinem Hinterkopf weiß, dass ich mir diese Identität zugeschanzt habe und ich fang dann an mich in Glaubensfragen einzumischen, dann weiß ich ja, dass das Eis sehr dünn wird. Dann kann ich sehr viel mir anlesen und kann natürlich auch sehr viel Expertise versuchen mit raufzuschaufeln, aber trotzdem werde ich natürlich gegenüber Leuten, die seit sie fünf-sechs sind, in Talmudschulen waren, hab ich da, glaub ich echt einen... Man darf das nicht unterschätzen, wie viel Zeug das ist. Also, die studieren das ja nicht umsonst ein Leben lang. Und da hab ich natürlich so einen gewissen Rückstand, den kann ich nicht mehr so richtig gut aufholen. Das ist, wie wenn ich um 1:30 morgens von der Arbeit auf eine Party komme, wo alle schon seit 20:00 saufen, dann wirds halt schwer. Da gibts Leute, die schaffen das, aber ist schwer.
[Die Zugehörigkeit zum Judentum] ist ein fragiles Gebilde, aber das eine ist innerjüdische Diskussion und das andere ist ein Kostüm, was ich mir anziehe, um in einem bestimmten politischen und vergangenheitspolitischen Theater mitzuspielen. Und da die Rollen zu tauschen. Sagen wir es mal so: in dem Theater mitspielen tun wir alle, aber die Frage ist, als was.
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20.12.2018 / 14:07 | Kai J., Radio T |
Gesendet am 28.12.18 um 20 Uhr im Radio T Chemnitz UKW 102,70 MHz
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