"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - L'Espresso
ID 89464
Ich dachte, dass mit dem Tod von Antonio Tabucchi und Rossana Rossanda mindestens die italienische Gattung der Viel- und Hohlschwafler ausgestorben sei ...
Audio
11:14 min, 26 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.06.2018 / 15:08
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Dateizugriffe: 2009
Klassifizierung
Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Sport, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Entstehung
AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 12.06.2018
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
... – die französischen dagegen bilden eine eigene Kategorie und können deshalb gar nicht aussterben – und ich bitte all jene um Verzeihung, die sich an die Anfänge der beiden vor fünfzig Jahren erinnern als hoch verdiente Ritterinnen im Kampf für die Revolution und gegen die Dummheit in Italien und allgemein. Aber mit der Zeit und wenn man sein Leben mit Zeilengeld verdient und der Kapitalismus und der Imperialismus halt einfach nachhaltig schlecht bleiben, dann muss man sich selber und dem Lesepublikum gegenüber Konzessionen machen. In der Zone zwischen dem, was dieses Lesepublikum erwartet, nämlich das immer Gleiche über den schlechten Kapitalismus und Imperialismus, und dem, worauf man Anspruch erhebt zu sein, nämlich ein intelligenter, wo nicht origineller Kopf, entstehen Bodennebel, es handelt sich um das so genannte Geschwafel oder Geschwurbel. Mit Schrecken erinnere ich mich immer noch daran, wie Tabucchi vor, was weiß ich, zehn oder fünfzehn Jahren schrieb, in Italien herrsche eine Diktatur der Kathodenröhre; ich dachte wie gesagt, dass es damit nun endlich und Gottseidank vorbei sei.
Was höre ich da? Rossana Rossanda ist noch am Leben? Oh Schreck! – Aber wenigstens schreibt sie nicht mehr, oder wenigstens nicht mehr allzu viel, oder wenigstens nicht in jenen Magazinen, welche ich lese. Nun aber materialisiert sich der Schwurbel in Italien erneut, und zwar in der Person eines gewissen Franco Farinelli, welcher vor ein paar Tagen im Kulturteil des Espresso nicht nur ansatzlos Amartya Sen zitiert, um sofort bei Voltaire zu landen und dann von Dante zu sprechen, und zwar in einem Beitrag über Demokratie, sondern der auch eine Beschreibung Cesenas aus Dante Inferno zur Metapher für freie Völker zu Dantes Zeit auswalzt, nämlich den Unterschied zwischen Ebene links von Cesena und Berg rechts von Cesena. Ebene gleich Diktatur, Berg gleich Freiheit, der Beleg dafür: Die Berber, die sich zu Dantes Zeit tapfer in ihren Atlas-Gebieten gehalten hatten, und die vielberühmten Albigenser und Katharer entlang den Alpen in der Provence und entlang den Pyrenäen. Alles lupenreine Demokraten. Sogar auf den britischen Inseln halte sich im Inneren auf den Hochebenen nach wie vor, nämlich bis heute die keltische Kultur, nachdem sie von den Römern sowie von den Angeln und Sachsen aus Skandinavien – merket auf und hört auf den freien Historiker Franco Farinelli: die Angelsachsen kommen aus Skandinavien! – vom Rest des Landes vertrieben wurden, was in jedem Fall illustriert: Für Unabhängigkeit steht der Berg, für die Unterwerfung die Ebene, und zwar nicht die Hochebene, sondern die Tiefebene, also etwa Niedersachsen, wo nach bisheriger Doktrin die Sachsen ursprünglich herkamen.
Was für ein unendlicher, ahistorischer Stuss! Aus! Punkt, Schluss, aus, aus, aus!
Es geht dann irgendwie weiter über den Nationalstaat mit, wie könnte es anders sein, Carl Schmitt, dann mit einem Rückgriff auf Schiller und Alexander von Humboldt, und dann kommt nur noch der Italiener Jacopo Ortis, bevor die Klimax der Begriffsbildung erreicht wird, denn aus dem Gegensatz, ach was, Gegensatz, jemand, der etwas auf sich hält, sagt hier: aus der Dichotomie von Berg und Ebene entsteht nichts geringeres als, Trara und aufgemerkt: die Tyrannei des Raumes! Hurra und Holterdiepolter, ich erkläre hiermit diesen Tag zum Feiertag, der internationale Tag des Raumes und seiner Tyrannei. Da steht also: «Die Tyrannei des Raums endet im Sommer 1969», den der Superphilosoph Farinelli als Geburtsstunde des Internets ausgibt. Und nun geht es voll zur Sache. Laut Farinelli entstand so die Globalisierung – die hat es also zuvor noch gar nicht gegeben, die Weltkriege sind ungültig –, und es wird immer schwieriger, dem Tyrannen direkt ins Gesicht zu schauen beziehungsweise ihn von Angesicht zu Angesicht anzusprechen – was ja viel einfacher war vom Berg in die Ebene hinunter, weil die Tyrannen so groß waren, oder als der ganze Raum den Tyrannen gab, was ich jetzt und hier nicht weiter ausmalen kann. Das Netz, das Internet fördert ein bisher unbekanntes Maß der Kolonisierung des Innenlebens der Individuen, wodurch all jene Kriterien in Frage gestellt werden, mit welchen wir bisher die Welt betrachtet haben. Damit bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an die Orte beziehungsweise an den Ort als Kategorie zu klammern als Einziges, was unsere Kultur uns als Alternative zum Raum vererbt hat. Nicht-Orte dagegen gibt es nicht, und hier darf der Verweis auf den Film nicht fehlen, den der Philosoph jüngst gesehen hat, nämlich «The Terminal» aus dem Jahr 2004. Ein Ort entsteht, wie in diesem Film bewiesen, immer da, wo Beziehungen zwischen den Menschen entstehen. Und nun hat sich die Globalisierung nach der Ausschaltung des Raums vor 50 Jahren den Angriff auf diese Orte zum Ziel gesetzt. Und so weiter.
Was sind das für Leute, die auch im Jahr 2018 noch solchen Mist herauslassen? Was sind das für Leute, die solchen Mist lesen? Es ist doch offensichtlich, dass es sich hier nicht etwa um den Vortrag von Überlegungen oder gar Gedanken handelt, sondern um reinen Brunz. Was sind das für Leute, die solchen Mist für Kultur halten, den Autor an ein Kulturfestival einladen oder seine Ausführungen im Kulturteil einer Zeitung abdrucken? Was sind das für Ärzte, welche solchen Leuten keine Medikamente verabreichen? Selbstverständlich erreicht Farinelli nicht die Meisterschaft des Super-Gebrauchsphilosophen Byung-Chul Hang im Zitieren von nicht weniger als drei Mega-Masterminds pro Satz, jenes Byung-Chul Hang, dessen Büchlein über die Müdigkeitsgesellschaft, also eine Gesellschaft, in der alle Menschen immer müde sind, heute durch ein weiteres Büchlein über die Wachheitsgesellschaft abgelöst wird, in welcher er beschreibt, wie alle Menschen zwar müde sind, aber sich trotzdem immer länger wach halten wollen, und morgen kommt dann noch die Schrift über die Schlafgesellschaft hinzu, welche dieses Thema insofern abrundet, als hier dargelegt wird, dass die müden und wachen Menschen trotz allem gut 16 Stunden schlafen pro Tag. Hier kann also Farinelli weder inhaltlich noch mit dem Zitier-Stakkato mithalten, aber mindestens den Tabucchi übertrifft er denn doch bei Weitem in der Herstellung von Nichtswert auf kleinem Raum.
Gestattet mir eine kleine Ergänzung zu meiner Abschweifung von letzter Woche zum Champions-League-Final vom 26. Mai. Ich hatte Sergio Ramos der Ausführung und Zinedine Zidane der Verantwortung für das Foul an Mo Salah beschuldigt. Nun hat sich auch noch herausgestellt, dass Sergio Ramos dem Liverpooler Torwart bei einem Eckball den Ellenbogen derart an den Schädel gerammt hatte, dass der dabei eine Hirnerschütterung erlitt und vermutlich deswegen die enormen Fehler beging, welche Real den Sieg brachten. Man könnte, da bereits alles gesagt ist, dazu schweigen, aber Sergio Ramos machte sich über seine beiden Opfer noch lustig, und das stellt erneut die Frage nach dem Schiedsrichter dieser Partie und nach Schiedsrichtern insgesamt. Ich gehe mal davon aus, dass im großen Kräfteverhältnis an der Fußball-WM in Russland Sergio Ramos dafür benutzt wird, Spanien aus dem Rennen zu werfen, indem er dann sämtliche roten Karten erhält, welche er bisher verdient hätte, das macht pro Partie so ziemlich fünf Stück. Mal sehen. Zinedine Zidane kann man ja keine weiteren roten Karten mehr erteilen, aber ich will mich bemühen, ihm im weiteren Verlauf der Zeit eine Schleimspur an die Füße zu montieren, die noch vom Merkur aus sichtbar ist. – Aber dies beiseite.
Ein Wort zum Journalismus: Seit Jahr und Tag lobe ich die Berufsleute bei der Repubblica und insonderheit beim Espresso für ihre unermüdlichen Anstrengungen zur Förderung der Wahrheit im Berg- und Tagbau, koste es, was es wolle. Der Repubblica entnahm ich Ende Mai eine kleine Anekdote über den ehemaligen Delegierten des Verwaltungsrates von Roma Metropolitane, mit Namen Federico Bortoli, der sich eine kleine Gehaltsaufbesserung von gut 250'000 Euro genehmigte, indem er sich bezahlen liess für die Vergabe von Rechtsgutachten im Zusammenhang mit dem Bau der neuen U-Bahn-Linie C in Rom, für welche die Roma Metropolitane zuständig ist. Anwalt Stefano Vinti erhielt für seine Dienste 4 Millionen Euro und zeigte sich mit der erwähnten Gehaltsaufbesserung erkenntlich, die natürlich nicht an Bortoli selber gehen konnte, sondern an seine Ehefrau, angeblich für von ihr ihrerseits erbrachte Beratungsleistungen, von denen jegliche Spur fehlt. Bortoli hat übrigens im Jahr 2012 seinen Rücktritt als Delegierter des Verwaltungsrates von Roma Metropolitane eingereicht. – Das ist nun nicht etwa die Spitze eines Eisberges, sondern es ist so etwas wie die Zahnpasta-Abteilung im Rahmen des Gesamtangebotes jenes Supermarktes, den die Erstellung dieser neuen U-Bahn-Linie insgesamt darstellt. Könnt Ihr euch ungefähr vorstellen, wie viele Menschen sich ein Schnittchen von diesem Kuchen in die Tasche gesteckt haben, und könnt ihr euch vorstellen, wer den ganz großen Schnitt gemacht hat bei diesem Geschäft von, was weiß ich, drei Milliarden Euro? Zu dem wohl der Zentralstaat einen Zuschuss von gut 50% geleistet hat, wofür wiederum ein erheblicher Prozentsatz des Beitrages in verschiedene Privat- und Parteikassen floss. Ja, genau, eure Phantasie reicht hierfür vollkommen aus, ein durchschnittlich ausgebildetes und mit den durchschnittlichen Vorurteilen dem Italiener und dem Römer insbesondere ausgestattetes Hirn kann sich sowas sehr gut vorstellen und recht plastisch auch ohne konkrete journalistische Investigation, aber eben anderseits doch wieder genau aufgrund jener journalistischen Arbeit, welche die Repubblica und der Espresso, wie gesagt: seit Jahren unbeirrt leisten. Das ist großartig, zum einen, zum anderen ist es auch deprimierend, weil man einfach zur Einsicht kommen muss, dass sich rein aufgrund der journalistischen Arbeit nichts ändern wird. Das einzige, was sich ändert, ist der Mediensektor. Der Espresso erscheint heute als Sonntagsbeilage zur Repubblica, und die Migration ins Internet hat auch bei diesen Publikationen schon lange eingesetzt. Was das für finanzielle Konsequenzen hat, welche sich dann über die Möglichkeiten der Lohnzahlung für investigative Journalisten äußern, darüber kann man nur spekulieren.
Hoffnung bereitet da in erster Linie der Umstand, dass der Kapitalismus seit Jahrzehnten nicht mehr in Furcht und Angst vor einem Umsturz, etwa gar einer sozialistischen Revolution leben muss, und das heißt konkret, dass die gegensätzlichen Fraktionen innerhalb des erwähnten Kapitalismus ihre Interessen durchaus auch mit dem Mittel der Öffentlichkeit, also des investigativen Journalismus durchsetzen werden, und damit dürfte der Bestand dieser enormen, nicht genug zu lobenden Strömung des europäischen Journalismus vorderhand gesichert sein, und ich lobe ihn hiermit erneut. Er lebe hoch, hoch, hoch!
Was höre ich da? Rossana Rossanda ist noch am Leben? Oh Schreck! – Aber wenigstens schreibt sie nicht mehr, oder wenigstens nicht mehr allzu viel, oder wenigstens nicht in jenen Magazinen, welche ich lese. Nun aber materialisiert sich der Schwurbel in Italien erneut, und zwar in der Person eines gewissen Franco Farinelli, welcher vor ein paar Tagen im Kulturteil des Espresso nicht nur ansatzlos Amartya Sen zitiert, um sofort bei Voltaire zu landen und dann von Dante zu sprechen, und zwar in einem Beitrag über Demokratie, sondern der auch eine Beschreibung Cesenas aus Dante Inferno zur Metapher für freie Völker zu Dantes Zeit auswalzt, nämlich den Unterschied zwischen Ebene links von Cesena und Berg rechts von Cesena. Ebene gleich Diktatur, Berg gleich Freiheit, der Beleg dafür: Die Berber, die sich zu Dantes Zeit tapfer in ihren Atlas-Gebieten gehalten hatten, und die vielberühmten Albigenser und Katharer entlang den Alpen in der Provence und entlang den Pyrenäen. Alles lupenreine Demokraten. Sogar auf den britischen Inseln halte sich im Inneren auf den Hochebenen nach wie vor, nämlich bis heute die keltische Kultur, nachdem sie von den Römern sowie von den Angeln und Sachsen aus Skandinavien – merket auf und hört auf den freien Historiker Franco Farinelli: die Angelsachsen kommen aus Skandinavien! – vom Rest des Landes vertrieben wurden, was in jedem Fall illustriert: Für Unabhängigkeit steht der Berg, für die Unterwerfung die Ebene, und zwar nicht die Hochebene, sondern die Tiefebene, also etwa Niedersachsen, wo nach bisheriger Doktrin die Sachsen ursprünglich herkamen.
Was für ein unendlicher, ahistorischer Stuss! Aus! Punkt, Schluss, aus, aus, aus!
Es geht dann irgendwie weiter über den Nationalstaat mit, wie könnte es anders sein, Carl Schmitt, dann mit einem Rückgriff auf Schiller und Alexander von Humboldt, und dann kommt nur noch der Italiener Jacopo Ortis, bevor die Klimax der Begriffsbildung erreicht wird, denn aus dem Gegensatz, ach was, Gegensatz, jemand, der etwas auf sich hält, sagt hier: aus der Dichotomie von Berg und Ebene entsteht nichts geringeres als, Trara und aufgemerkt: die Tyrannei des Raumes! Hurra und Holterdiepolter, ich erkläre hiermit diesen Tag zum Feiertag, der internationale Tag des Raumes und seiner Tyrannei. Da steht also: «Die Tyrannei des Raums endet im Sommer 1969», den der Superphilosoph Farinelli als Geburtsstunde des Internets ausgibt. Und nun geht es voll zur Sache. Laut Farinelli entstand so die Globalisierung – die hat es also zuvor noch gar nicht gegeben, die Weltkriege sind ungültig –, und es wird immer schwieriger, dem Tyrannen direkt ins Gesicht zu schauen beziehungsweise ihn von Angesicht zu Angesicht anzusprechen – was ja viel einfacher war vom Berg in die Ebene hinunter, weil die Tyrannen so groß waren, oder als der ganze Raum den Tyrannen gab, was ich jetzt und hier nicht weiter ausmalen kann. Das Netz, das Internet fördert ein bisher unbekanntes Maß der Kolonisierung des Innenlebens der Individuen, wodurch all jene Kriterien in Frage gestellt werden, mit welchen wir bisher die Welt betrachtet haben. Damit bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an die Orte beziehungsweise an den Ort als Kategorie zu klammern als Einziges, was unsere Kultur uns als Alternative zum Raum vererbt hat. Nicht-Orte dagegen gibt es nicht, und hier darf der Verweis auf den Film nicht fehlen, den der Philosoph jüngst gesehen hat, nämlich «The Terminal» aus dem Jahr 2004. Ein Ort entsteht, wie in diesem Film bewiesen, immer da, wo Beziehungen zwischen den Menschen entstehen. Und nun hat sich die Globalisierung nach der Ausschaltung des Raums vor 50 Jahren den Angriff auf diese Orte zum Ziel gesetzt. Und so weiter.
Was sind das für Leute, die auch im Jahr 2018 noch solchen Mist herauslassen? Was sind das für Leute, die solchen Mist lesen? Es ist doch offensichtlich, dass es sich hier nicht etwa um den Vortrag von Überlegungen oder gar Gedanken handelt, sondern um reinen Brunz. Was sind das für Leute, die solchen Mist für Kultur halten, den Autor an ein Kulturfestival einladen oder seine Ausführungen im Kulturteil einer Zeitung abdrucken? Was sind das für Ärzte, welche solchen Leuten keine Medikamente verabreichen? Selbstverständlich erreicht Farinelli nicht die Meisterschaft des Super-Gebrauchsphilosophen Byung-Chul Hang im Zitieren von nicht weniger als drei Mega-Masterminds pro Satz, jenes Byung-Chul Hang, dessen Büchlein über die Müdigkeitsgesellschaft, also eine Gesellschaft, in der alle Menschen immer müde sind, heute durch ein weiteres Büchlein über die Wachheitsgesellschaft abgelöst wird, in welcher er beschreibt, wie alle Menschen zwar müde sind, aber sich trotzdem immer länger wach halten wollen, und morgen kommt dann noch die Schrift über die Schlafgesellschaft hinzu, welche dieses Thema insofern abrundet, als hier dargelegt wird, dass die müden und wachen Menschen trotz allem gut 16 Stunden schlafen pro Tag. Hier kann also Farinelli weder inhaltlich noch mit dem Zitier-Stakkato mithalten, aber mindestens den Tabucchi übertrifft er denn doch bei Weitem in der Herstellung von Nichtswert auf kleinem Raum.
Gestattet mir eine kleine Ergänzung zu meiner Abschweifung von letzter Woche zum Champions-League-Final vom 26. Mai. Ich hatte Sergio Ramos der Ausführung und Zinedine Zidane der Verantwortung für das Foul an Mo Salah beschuldigt. Nun hat sich auch noch herausgestellt, dass Sergio Ramos dem Liverpooler Torwart bei einem Eckball den Ellenbogen derart an den Schädel gerammt hatte, dass der dabei eine Hirnerschütterung erlitt und vermutlich deswegen die enormen Fehler beging, welche Real den Sieg brachten. Man könnte, da bereits alles gesagt ist, dazu schweigen, aber Sergio Ramos machte sich über seine beiden Opfer noch lustig, und das stellt erneut die Frage nach dem Schiedsrichter dieser Partie und nach Schiedsrichtern insgesamt. Ich gehe mal davon aus, dass im großen Kräfteverhältnis an der Fußball-WM in Russland Sergio Ramos dafür benutzt wird, Spanien aus dem Rennen zu werfen, indem er dann sämtliche roten Karten erhält, welche er bisher verdient hätte, das macht pro Partie so ziemlich fünf Stück. Mal sehen. Zinedine Zidane kann man ja keine weiteren roten Karten mehr erteilen, aber ich will mich bemühen, ihm im weiteren Verlauf der Zeit eine Schleimspur an die Füße zu montieren, die noch vom Merkur aus sichtbar ist. – Aber dies beiseite.
Ein Wort zum Journalismus: Seit Jahr und Tag lobe ich die Berufsleute bei der Repubblica und insonderheit beim Espresso für ihre unermüdlichen Anstrengungen zur Förderung der Wahrheit im Berg- und Tagbau, koste es, was es wolle. Der Repubblica entnahm ich Ende Mai eine kleine Anekdote über den ehemaligen Delegierten des Verwaltungsrates von Roma Metropolitane, mit Namen Federico Bortoli, der sich eine kleine Gehaltsaufbesserung von gut 250'000 Euro genehmigte, indem er sich bezahlen liess für die Vergabe von Rechtsgutachten im Zusammenhang mit dem Bau der neuen U-Bahn-Linie C in Rom, für welche die Roma Metropolitane zuständig ist. Anwalt Stefano Vinti erhielt für seine Dienste 4 Millionen Euro und zeigte sich mit der erwähnten Gehaltsaufbesserung erkenntlich, die natürlich nicht an Bortoli selber gehen konnte, sondern an seine Ehefrau, angeblich für von ihr ihrerseits erbrachte Beratungsleistungen, von denen jegliche Spur fehlt. Bortoli hat übrigens im Jahr 2012 seinen Rücktritt als Delegierter des Verwaltungsrates von Roma Metropolitane eingereicht. – Das ist nun nicht etwa die Spitze eines Eisberges, sondern es ist so etwas wie die Zahnpasta-Abteilung im Rahmen des Gesamtangebotes jenes Supermarktes, den die Erstellung dieser neuen U-Bahn-Linie insgesamt darstellt. Könnt Ihr euch ungefähr vorstellen, wie viele Menschen sich ein Schnittchen von diesem Kuchen in die Tasche gesteckt haben, und könnt ihr euch vorstellen, wer den ganz großen Schnitt gemacht hat bei diesem Geschäft von, was weiß ich, drei Milliarden Euro? Zu dem wohl der Zentralstaat einen Zuschuss von gut 50% geleistet hat, wofür wiederum ein erheblicher Prozentsatz des Beitrages in verschiedene Privat- und Parteikassen floss. Ja, genau, eure Phantasie reicht hierfür vollkommen aus, ein durchschnittlich ausgebildetes und mit den durchschnittlichen Vorurteilen dem Italiener und dem Römer insbesondere ausgestattetes Hirn kann sich sowas sehr gut vorstellen und recht plastisch auch ohne konkrete journalistische Investigation, aber eben anderseits doch wieder genau aufgrund jener journalistischen Arbeit, welche die Repubblica und der Espresso, wie gesagt: seit Jahren unbeirrt leisten. Das ist großartig, zum einen, zum anderen ist es auch deprimierend, weil man einfach zur Einsicht kommen muss, dass sich rein aufgrund der journalistischen Arbeit nichts ändern wird. Das einzige, was sich ändert, ist der Mediensektor. Der Espresso erscheint heute als Sonntagsbeilage zur Repubblica, und die Migration ins Internet hat auch bei diesen Publikationen schon lange eingesetzt. Was das für finanzielle Konsequenzen hat, welche sich dann über die Möglichkeiten der Lohnzahlung für investigative Journalisten äußern, darüber kann man nur spekulieren.
Hoffnung bereitet da in erster Linie der Umstand, dass der Kapitalismus seit Jahrzehnten nicht mehr in Furcht und Angst vor einem Umsturz, etwa gar einer sozialistischen Revolution leben muss, und das heißt konkret, dass die gegensätzlichen Fraktionen innerhalb des erwähnten Kapitalismus ihre Interessen durchaus auch mit dem Mittel der Öffentlichkeit, also des investigativen Journalismus durchsetzen werden, und damit dürfte der Bestand dieser enormen, nicht genug zu lobenden Strömung des europäischen Journalismus vorderhand gesichert sein, und ich lobe ihn hiermit erneut. Er lebe hoch, hoch, hoch!