Desertion und Verweigerung in der US Armee
ID 8878
Interview (+Informationen) mit Roben Miller vom "Military Counseling Network"(MCN). Das MCN ist eine Beratungsstelle für US Soldalten die verweigern wollen oder bereits desertiert sind. In der Reportage wird die Situtation im US Militär beschrieben, die Arbeit des MCN vorgestellt und es werden auch Einzelbeispiele gegeben.
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12:57 min, 12 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 03.03.2005 / 00:00
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Klassifizierung
Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Es folgen zwei Artikel die in den Beitrag eingeflossen sind:
Wir sind keine Helden
Michael Bloom desertierte aus dem Anti-Terror-Krieg. Inzwischen wollen viele US-Soldaten den Irak verlassen
Michael Bloom* floh bei Tagesanbruch. Er hatte weder Papiere noch Proviant bei sich. Unerkannt konnte er das Militärcamp im Norden Afghanistans verlassen und schlich sich ein paar Tage später in Kabul in eine Maschine. Zielort: Frankfurt. Bloom, US-Soldat und Spezialist für Chemiewaffen, desertierte. "Ich wollte nur eines: weg aus diesem Krieg."
So wie Bloom haben viele amerikanische Soldaten seit dem 11. September ihre Einstellung zum Militär verändert. Es hat jetzt eine neue Bedeutung, Mitglied der US-Armee zu sein. Jeder Soldat muss damit rechnen, im Nahen und Mittleren Osten im Krieg gegen den Terror eingesetzt zu werden.
Die Zahl der Neueintritte in die US-Streitkräfte liegt nach wie vor bei durchschnittlich 100 000 Frauen und Männern pro Jahr. Doch das Militär scheint gespalten zu sein. Das Thema, an dem sich die Gemüter scheiden, ist vor allem der Krieg im Irak. Auf der einen Seite gibt es die Soldaten, die ihrem Land dienen und so den Terrorismus bekämpfen wollen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die alles tun würden, um den Schauplatz eines Krieges zu verlassen, der offiziell seit fast eineinhalb Jahren beendet ist.
Bloom lebt seit zwei Jahren in einer Berliner Wohngemeinschaft unter falschem Namen. "Nicht einmal meine Eltern wissen, wo ich bin", sagt er. "Ich wollte sie nicht in die Verlegenheit bringen, lügen zu müssen." Die Militärpolizei verhörte und beschattete seine Familie in den USA. Bloom verdient mit Schwarzarbeit so viel Geld, dass er sich gerade durchschlagen kann. Die U-Bahn benutzt er niemals ohne Fahrschein. Auf Desertation steht eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren.
Wer einmal einen Vertrag bei der Armee unterschrieben hat, ist verpflichtet, der Regierung zu dienen. Ein US-Soldat ist ein GI: ein "Government Issued". Er ist abgestellt für den Auftrag der Regierung. Der Vertrag läuft normalerweise vier Jahre. Eine Möglichkeit zu kündigen gibt es nicht. "Wenn dein Vorgesetzter dich in den Irak schickt, dann musst du eben in den Irak", sagt Bloom.
"Die Zahl der Aussteiger hat zugenommen", erklärt Dave Stutzman vom Military Counseling Network (MCN) in Heidelberg. Die Beratungsstelle für US-Kriegsdienstverweigerer arbeitet eng zusammen mit der Organisation GI Rights in Washington DC. Die dortige Hotline bekommt monatlich 4000 Anrufe. Soldaten und ihre Angehörigen erkundigen sich nach ihren Rechten und den Möglichkeiten, die Armee vorzeitig zu verlassen. 20 der in Deutschland stationierten US-Soldaten hat Stutzman in den letzten Monaten zu ihrer Familie zurückgeholt.
Als Kriegsdienstverweigerer haben sie die Armee "honorable", also ehrenwert verlassen. "Kaum einer weiß, dass es diese Möglichkeit gibt. Viele Offiziere klären ihre Soldaten nicht darüber auf", sagt Stutzman. Wer verweigern will, muss sechs Fragen zu seinen religiösen oder moralischen Kriegsbedenken beantworten. Dann geht der Antrag nach Washington bis ins Pentagon. "Eine Antwort dauert bis zu einem Jahr", sagt Stutzman. 90 Prozent der Anträge werden abgelehnt.
"Niemand erklärte mir, was es heißen kann, ein Soldat zu sein", sagt Joe Rando. Er war 18 Jahre alt, als er sich vier Jahre lang für die Armee verpflichtete. "Ich wollte Geld sparen, um später aufs College zu gehen." 40 000 Dollar versprach ihm der Sergeant aus dem Rekrutierungsbüro aus Fallon, Nevada zusätzlich zu seinem Gehalt. Die Armee rekrutiert ihre Soldaten vornehmlich aus den sozial schwachen Vierteln des Landes. Für viele ist ein Eintritt in die Armee die einzige Möglichkeit, eine gehobene Ausbildung zu bekommen. Universitäten sind teuer in Amerika. Seit der US-Kongress vor zwei Jahren das Jugendförderungsgesetz "No Child Left Behind" verabschiedet hat, sind alle staatlichen Schulen dazu verpflichtet, dem Pentagon eine Liste mit den Telefonnummern ihrer 16 und 17 Jahre alten Schüler zur Verfügung zu stellen. "Ich habe hunderte von Anrufen der Armee bekommen", sagt Rando. "Heute ist dein Glückstag, sagte der Sergeant mir. Wenn du Ja sagst, bezahlt die Army dir das College."
Rando sagte Ja. Er wurde in Süddeutschland stationiert, und letztes Jahr im März wurde seine Einheit nach Kuwait beordert. Vier Wochen später ging es weiter nach Bagdad. Sein Camp wurde mit Mörsergranaten attackiert, einige seiner Kameraden sah er sterben. Mehr als 1000 US-Soldaten sind seit Beginn der Invasion im März 2003 im Irak ums Leben gekommen. Und etwa 13 000 Zivilisten. "Ich habe das nicht ausgehalten", sagt Rando. "Vom ersten Moment an wusste ich, dass ich hier falsch bin." Er stellte einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Nach sechs Monaten erhielt er eine Ablehnung aus Washington, obwohl die Befragung ergab, er sei ein Pazifist. "Niemand weiß genau, nach welchen Kriterien das Pentagon die Anträge beurteilt", sagt Dave Stutzman.
David del Roys* Antrag läuft noch. Er befindet sich derzeit in einem Camp in Bakuba, 70 Kilometer nördlich von Bagdad, im umkämpften sunnitischen Dreieck. Vor zwei Monaten riss dort ein Selbstmordattentäter 70 Menschen in den Tod. "Reinkommen ist leicht, rauskommen ist schwer", sagt seine deutsche Frau Julia Ganz*, die nahe Bamberg in einer Armee-Wohnung lebt. Ab und zu kommt die amerikanische Militärpolizei bei ihr vorbei und guckt nach dem Rechten.
In einer Nacht im Februar dieses Jahres, bevor del Roy in den Irak musste, versuchte seine Frau ihm den Fuß zu brechen. Er legte ihn auf eine Treppe und sie schlug mit einer Zehn-Kilo-Hantel zu. Es klappte nicht. Der Fuß war nur verstaucht, und del Roy flog am nächsten Morgen nach Bagdad. "In Daniels Ausbildung ist nie das Wort Krieg gefallen", sagt Ganz. Zwar wurde er in neun Wochen auf Fitness gedrillt. Aber niemand lehrte ihn, mit der Tötung eines anderen Menschen umzugehen. Im gegenwärtigen Irak-Krieg muss del Roy mit handlichen Waffen töten, auf einem Kampfgebiet, das so groß ist wie ein Fußballfeld. "Die Armee sagt, wenn wir anfangen, über das Töten zu reden, wird das dazu führen, dass wir eine absolut notwenige Situation pathologisieren", sagt der Militärpsychologe Harry Holloway.
Desertieren kommt für del Roy nicht infrage. "Wir wollen ja eine Familie gründen irgendwann", sagt Julia Ganz. "Wir wollen nicht gebrandmarkt sein." Bisher habe ihr Mann von seinem Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nichts gehört. Wenn alles gut geht, kommt del Roy im nächsten Frühjahr zurück nach Bamberg. Und in zwei Jahren, wenn sein Vertrag ausläuft, will er Lehrer werden. "Troops to teacher" heißt das Programm der US-Armee, dem er sich anschließen will.
Joe Rando ist derweil aus dem Irak zurückgekehrt. Sein Vertrag bei der Armee ist abgelaufen, er arbeitet jetzt in einem Kaufhaus in Mainz und ist in psychologischer Behandlung. Michael Bloom kann sich das nicht leisten. Er lebt weiter so unauffällig wie möglich in Berlin. In die USA zurückkehren will er nicht. "Nach einer unehrenhaften Entlassung aus der Armee bekomme ich da keinen Job mehr, noch nicht mal bei McDonald's."
Die US-Regierung diskutiert indessen seit geraumer Zeit, die Wehrpflicht wieder einzuführen, um in einem ausgeweiteten Krieg gegen den Terrorismus über ausreichendes Personal zu verfügen. Neokonservative Politiker fordern, sich bald dem nächsten Gegner aus der "Achse des Bösen" zuzuwenden, der Islamischen Republik Iran.
Artikel erschienen am 3. Oktober 2004
Dave Stutzman
Die pro-amerikanische Seite
US-Kriegsdienstverweigerer unterstützen
Während seine Kameraden lautstark die Zerstörung eines Raketenzieles feiern, schüttelt er sich vor Abscheu. Das Leid der Opfer macht ihn krank. Seine Beteiligung an diesem Krieg quält ihn. Er sieht seine Schuld immer größer werden. In den Irak verlegt, sieht er sich konfrontiert mit der Wirklichkeit des Krieges und seiner eigenen Rolle als Soldat. Ende April reicht er schließlich seinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ein.
Aus dem US-Militär auszusteigen ist keine leichte Übung. Die Regelungen sehen mehrere Entlassungsmöglichkeiten vor: medizinische Probleme; die Notwendigkeit, sich um Angehörige zu kümmern. Wer die Armee aus ethisch-moralischen oder Glaubensgründen verlassen will, dem bleibt nur der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.
Vor drei Jahren, er war gerade 18, wurde Daniel1 Soldat. Seine Familie übte enormen Druck auf ihn aus, und er hätte nie daran gedacht zu verweigern. Er hätte auch nie damit gerechnet, die Brutalität des Krieges selbst zu erfahren. Daniel findet sich wieder als hochspezialisierter Elektronikexperte der US-Armee, beteiligt an etwas, das gegen ihn geht.
"Ich fühle mich mitschuldig am Tod jedes Menschen auf dem Schlachtfeld. Je perfekter ich meinen Job mache, desto mehr ?Feinde' sterben. Je schlechter ich arbeite, desto mehr eigene Soldaten sterben. Beides verursacht Tod. Die Toten sind es, die mich innerlich zerreißen. Die Toten sind es, gegen die ich mich nicht länger wehren kann. Ich kann nicht länger Teil des Tötens sein."
Mehr als vier Wochen bin ich nun in Kontakt mit Daniel, berate ihn in seiner Kriegsdienstverweigerung und helfe ihm den Antrag vorzubereiten. Zuerst wusste er nicht, wie er vorgehen sollte und war ziemlich verwirrt. Doch je länger der Krieg ging, desto stärker wurde Daniels Überzeugung.
"Eines Morgens kam die Nachricht, sie hätten womöglich Saddam Hussein getötet, nachmittags in einem Cafe in Bagdad. Dafür hätten sie die größte Bombe benutzt, die die US-Armee hat. Ich hörte die Kommentare der anderen Soldaten, was für 'ne Riesensache das ein. Mein erster Gedanke: und die Hunderte Menschen im Cafe und der Umgebung? Sie haben ein solches Schicksal nicht verdient."
Das US-Militär definiert Kriegsdienstverweigerung als eine "definitiv feststehende und ernsthafte Verweigerung jeden Krieges oder Waffentragens" aus tiefempfundenen moralischen, ethischen oder religiösen Überzeugungen. Das Verfahren kann lang und schwierig sein. Die ausführliche Begründung muss die eigene Überzeugung zur Teilnahme an einem Krieg darlegen; wie diese Überzeugung sich seit dem Eintritt ins Militär verändert hat; wie sie sich im täglichen Leben auswirkt. Nach Interviews mit einem Militärpfarrer, einem Militärpsychologen und dem die Untersuchung führenden Offizier, wandert der Antrag zum Kommandanten, der über die Anerkennung und damit über die Entlassung des Soldaten entscheidet.
Mehrere Entwürfe seines Antrags habe ich mit Daniel durchgearbeitet, auch Unterstützerbriefe gesammelt. Während unseres Email-Wechsels wurde mir bewusst, wie wichtig es für Daniel war, diesen Kontakt mit mir zu haben. Zu übermächtig wäre sonst das Gefühl der Vereinsamung gewesen. Nach dem Antrag kann es zu Mobbing durch Kameraden oder Vorgesetzte kommen. Der Antrag kann abgewiesen oder seine Behandlung verschleppt werden. Es gibt viele Unbekannte in dieser Gleichung. Für Daniel ist es eine Herausforderung mit schwerwiegenden Folgen. Die Entscheidung war nicht einfach. Doch darin ist er sich sicher, für ihn war es die einzig richtige.
Seinen Antrag hat er dann unmittelbar vor der Verlegung von Kuwait in den Irak abgegeben. Im bisher letzten Email fragte er mich: "Werden sie mir gleich meine Waffe wegnehmen? Es wäre schön, sie loszuwerden. Ich weiß, dass ich der Verlegung in den Irak nicht entgehen kann. Ich werde wohl versuchen, nicht hinzusehen. Doch irgendwie werde ich wohl sehen müssen, was dort geschehen ist."
1. Der Name wurde geändert
David Stutzman: Die pro-amerikanische Seite - US-Kriegsdienstverweigerer unterstützen. Übersetzung: Wolfgang Krauß. Aus: Im Auftrag Jesu, Juli 2003.
Wir sind keine Helden
Michael Bloom desertierte aus dem Anti-Terror-Krieg. Inzwischen wollen viele US-Soldaten den Irak verlassen
Michael Bloom* floh bei Tagesanbruch. Er hatte weder Papiere noch Proviant bei sich. Unerkannt konnte er das Militärcamp im Norden Afghanistans verlassen und schlich sich ein paar Tage später in Kabul in eine Maschine. Zielort: Frankfurt. Bloom, US-Soldat und Spezialist für Chemiewaffen, desertierte. "Ich wollte nur eines: weg aus diesem Krieg."
So wie Bloom haben viele amerikanische Soldaten seit dem 11. September ihre Einstellung zum Militär verändert. Es hat jetzt eine neue Bedeutung, Mitglied der US-Armee zu sein. Jeder Soldat muss damit rechnen, im Nahen und Mittleren Osten im Krieg gegen den Terror eingesetzt zu werden.
Die Zahl der Neueintritte in die US-Streitkräfte liegt nach wie vor bei durchschnittlich 100 000 Frauen und Männern pro Jahr. Doch das Militär scheint gespalten zu sein. Das Thema, an dem sich die Gemüter scheiden, ist vor allem der Krieg im Irak. Auf der einen Seite gibt es die Soldaten, die ihrem Land dienen und so den Terrorismus bekämpfen wollen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die alles tun würden, um den Schauplatz eines Krieges zu verlassen, der offiziell seit fast eineinhalb Jahren beendet ist.
Bloom lebt seit zwei Jahren in einer Berliner Wohngemeinschaft unter falschem Namen. "Nicht einmal meine Eltern wissen, wo ich bin", sagt er. "Ich wollte sie nicht in die Verlegenheit bringen, lügen zu müssen." Die Militärpolizei verhörte und beschattete seine Familie in den USA. Bloom verdient mit Schwarzarbeit so viel Geld, dass er sich gerade durchschlagen kann. Die U-Bahn benutzt er niemals ohne Fahrschein. Auf Desertation steht eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren.
Wer einmal einen Vertrag bei der Armee unterschrieben hat, ist verpflichtet, der Regierung zu dienen. Ein US-Soldat ist ein GI: ein "Government Issued". Er ist abgestellt für den Auftrag der Regierung. Der Vertrag läuft normalerweise vier Jahre. Eine Möglichkeit zu kündigen gibt es nicht. "Wenn dein Vorgesetzter dich in den Irak schickt, dann musst du eben in den Irak", sagt Bloom.
"Die Zahl der Aussteiger hat zugenommen", erklärt Dave Stutzman vom Military Counseling Network (MCN) in Heidelberg. Die Beratungsstelle für US-Kriegsdienstverweigerer arbeitet eng zusammen mit der Organisation GI Rights in Washington DC. Die dortige Hotline bekommt monatlich 4000 Anrufe. Soldaten und ihre Angehörigen erkundigen sich nach ihren Rechten und den Möglichkeiten, die Armee vorzeitig zu verlassen. 20 der in Deutschland stationierten US-Soldaten hat Stutzman in den letzten Monaten zu ihrer Familie zurückgeholt.
Als Kriegsdienstverweigerer haben sie die Armee "honorable", also ehrenwert verlassen. "Kaum einer weiß, dass es diese Möglichkeit gibt. Viele Offiziere klären ihre Soldaten nicht darüber auf", sagt Stutzman. Wer verweigern will, muss sechs Fragen zu seinen religiösen oder moralischen Kriegsbedenken beantworten. Dann geht der Antrag nach Washington bis ins Pentagon. "Eine Antwort dauert bis zu einem Jahr", sagt Stutzman. 90 Prozent der Anträge werden abgelehnt.
"Niemand erklärte mir, was es heißen kann, ein Soldat zu sein", sagt Joe Rando. Er war 18 Jahre alt, als er sich vier Jahre lang für die Armee verpflichtete. "Ich wollte Geld sparen, um später aufs College zu gehen." 40 000 Dollar versprach ihm der Sergeant aus dem Rekrutierungsbüro aus Fallon, Nevada zusätzlich zu seinem Gehalt. Die Armee rekrutiert ihre Soldaten vornehmlich aus den sozial schwachen Vierteln des Landes. Für viele ist ein Eintritt in die Armee die einzige Möglichkeit, eine gehobene Ausbildung zu bekommen. Universitäten sind teuer in Amerika. Seit der US-Kongress vor zwei Jahren das Jugendförderungsgesetz "No Child Left Behind" verabschiedet hat, sind alle staatlichen Schulen dazu verpflichtet, dem Pentagon eine Liste mit den Telefonnummern ihrer 16 und 17 Jahre alten Schüler zur Verfügung zu stellen. "Ich habe hunderte von Anrufen der Armee bekommen", sagt Rando. "Heute ist dein Glückstag, sagte der Sergeant mir. Wenn du Ja sagst, bezahlt die Army dir das College."
Rando sagte Ja. Er wurde in Süddeutschland stationiert, und letztes Jahr im März wurde seine Einheit nach Kuwait beordert. Vier Wochen später ging es weiter nach Bagdad. Sein Camp wurde mit Mörsergranaten attackiert, einige seiner Kameraden sah er sterben. Mehr als 1000 US-Soldaten sind seit Beginn der Invasion im März 2003 im Irak ums Leben gekommen. Und etwa 13 000 Zivilisten. "Ich habe das nicht ausgehalten", sagt Rando. "Vom ersten Moment an wusste ich, dass ich hier falsch bin." Er stellte einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Nach sechs Monaten erhielt er eine Ablehnung aus Washington, obwohl die Befragung ergab, er sei ein Pazifist. "Niemand weiß genau, nach welchen Kriterien das Pentagon die Anträge beurteilt", sagt Dave Stutzman.
David del Roys* Antrag läuft noch. Er befindet sich derzeit in einem Camp in Bakuba, 70 Kilometer nördlich von Bagdad, im umkämpften sunnitischen Dreieck. Vor zwei Monaten riss dort ein Selbstmordattentäter 70 Menschen in den Tod. "Reinkommen ist leicht, rauskommen ist schwer", sagt seine deutsche Frau Julia Ganz*, die nahe Bamberg in einer Armee-Wohnung lebt. Ab und zu kommt die amerikanische Militärpolizei bei ihr vorbei und guckt nach dem Rechten.
In einer Nacht im Februar dieses Jahres, bevor del Roy in den Irak musste, versuchte seine Frau ihm den Fuß zu brechen. Er legte ihn auf eine Treppe und sie schlug mit einer Zehn-Kilo-Hantel zu. Es klappte nicht. Der Fuß war nur verstaucht, und del Roy flog am nächsten Morgen nach Bagdad. "In Daniels Ausbildung ist nie das Wort Krieg gefallen", sagt Ganz. Zwar wurde er in neun Wochen auf Fitness gedrillt. Aber niemand lehrte ihn, mit der Tötung eines anderen Menschen umzugehen. Im gegenwärtigen Irak-Krieg muss del Roy mit handlichen Waffen töten, auf einem Kampfgebiet, das so groß ist wie ein Fußballfeld. "Die Armee sagt, wenn wir anfangen, über das Töten zu reden, wird das dazu führen, dass wir eine absolut notwenige Situation pathologisieren", sagt der Militärpsychologe Harry Holloway.
Desertieren kommt für del Roy nicht infrage. "Wir wollen ja eine Familie gründen irgendwann", sagt Julia Ganz. "Wir wollen nicht gebrandmarkt sein." Bisher habe ihr Mann von seinem Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nichts gehört. Wenn alles gut geht, kommt del Roy im nächsten Frühjahr zurück nach Bamberg. Und in zwei Jahren, wenn sein Vertrag ausläuft, will er Lehrer werden. "Troops to teacher" heißt das Programm der US-Armee, dem er sich anschließen will.
Joe Rando ist derweil aus dem Irak zurückgekehrt. Sein Vertrag bei der Armee ist abgelaufen, er arbeitet jetzt in einem Kaufhaus in Mainz und ist in psychologischer Behandlung. Michael Bloom kann sich das nicht leisten. Er lebt weiter so unauffällig wie möglich in Berlin. In die USA zurückkehren will er nicht. "Nach einer unehrenhaften Entlassung aus der Armee bekomme ich da keinen Job mehr, noch nicht mal bei McDonald's."
Die US-Regierung diskutiert indessen seit geraumer Zeit, die Wehrpflicht wieder einzuführen, um in einem ausgeweiteten Krieg gegen den Terrorismus über ausreichendes Personal zu verfügen. Neokonservative Politiker fordern, sich bald dem nächsten Gegner aus der "Achse des Bösen" zuzuwenden, der Islamischen Republik Iran.
Artikel erschienen am 3. Oktober 2004
Dave Stutzman
Die pro-amerikanische Seite
US-Kriegsdienstverweigerer unterstützen
Während seine Kameraden lautstark die Zerstörung eines Raketenzieles feiern, schüttelt er sich vor Abscheu. Das Leid der Opfer macht ihn krank. Seine Beteiligung an diesem Krieg quält ihn. Er sieht seine Schuld immer größer werden. In den Irak verlegt, sieht er sich konfrontiert mit der Wirklichkeit des Krieges und seiner eigenen Rolle als Soldat. Ende April reicht er schließlich seinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ein.
Aus dem US-Militär auszusteigen ist keine leichte Übung. Die Regelungen sehen mehrere Entlassungsmöglichkeiten vor: medizinische Probleme; die Notwendigkeit, sich um Angehörige zu kümmern. Wer die Armee aus ethisch-moralischen oder Glaubensgründen verlassen will, dem bleibt nur der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.
Vor drei Jahren, er war gerade 18, wurde Daniel1 Soldat. Seine Familie übte enormen Druck auf ihn aus, und er hätte nie daran gedacht zu verweigern. Er hätte auch nie damit gerechnet, die Brutalität des Krieges selbst zu erfahren. Daniel findet sich wieder als hochspezialisierter Elektronikexperte der US-Armee, beteiligt an etwas, das gegen ihn geht.
"Ich fühle mich mitschuldig am Tod jedes Menschen auf dem Schlachtfeld. Je perfekter ich meinen Job mache, desto mehr ?Feinde' sterben. Je schlechter ich arbeite, desto mehr eigene Soldaten sterben. Beides verursacht Tod. Die Toten sind es, die mich innerlich zerreißen. Die Toten sind es, gegen die ich mich nicht länger wehren kann. Ich kann nicht länger Teil des Tötens sein."
Mehr als vier Wochen bin ich nun in Kontakt mit Daniel, berate ihn in seiner Kriegsdienstverweigerung und helfe ihm den Antrag vorzubereiten. Zuerst wusste er nicht, wie er vorgehen sollte und war ziemlich verwirrt. Doch je länger der Krieg ging, desto stärker wurde Daniels Überzeugung.
"Eines Morgens kam die Nachricht, sie hätten womöglich Saddam Hussein getötet, nachmittags in einem Cafe in Bagdad. Dafür hätten sie die größte Bombe benutzt, die die US-Armee hat. Ich hörte die Kommentare der anderen Soldaten, was für 'ne Riesensache das ein. Mein erster Gedanke: und die Hunderte Menschen im Cafe und der Umgebung? Sie haben ein solches Schicksal nicht verdient."
Das US-Militär definiert Kriegsdienstverweigerung als eine "definitiv feststehende und ernsthafte Verweigerung jeden Krieges oder Waffentragens" aus tiefempfundenen moralischen, ethischen oder religiösen Überzeugungen. Das Verfahren kann lang und schwierig sein. Die ausführliche Begründung muss die eigene Überzeugung zur Teilnahme an einem Krieg darlegen; wie diese Überzeugung sich seit dem Eintritt ins Militär verändert hat; wie sie sich im täglichen Leben auswirkt. Nach Interviews mit einem Militärpfarrer, einem Militärpsychologen und dem die Untersuchung führenden Offizier, wandert der Antrag zum Kommandanten, der über die Anerkennung und damit über die Entlassung des Soldaten entscheidet.
Mehrere Entwürfe seines Antrags habe ich mit Daniel durchgearbeitet, auch Unterstützerbriefe gesammelt. Während unseres Email-Wechsels wurde mir bewusst, wie wichtig es für Daniel war, diesen Kontakt mit mir zu haben. Zu übermächtig wäre sonst das Gefühl der Vereinsamung gewesen. Nach dem Antrag kann es zu Mobbing durch Kameraden oder Vorgesetzte kommen. Der Antrag kann abgewiesen oder seine Behandlung verschleppt werden. Es gibt viele Unbekannte in dieser Gleichung. Für Daniel ist es eine Herausforderung mit schwerwiegenden Folgen. Die Entscheidung war nicht einfach. Doch darin ist er sich sicher, für ihn war es die einzig richtige.
Seinen Antrag hat er dann unmittelbar vor der Verlegung von Kuwait in den Irak abgegeben. Im bisher letzten Email fragte er mich: "Werden sie mir gleich meine Waffe wegnehmen? Es wäre schön, sie loszuwerden. Ich weiß, dass ich der Verlegung in den Irak nicht entgehen kann. Ich werde wohl versuchen, nicht hinzusehen. Doch irgendwie werde ich wohl sehen müssen, was dort geschehen ist."
1. Der Name wurde geändert
David Stutzman: Die pro-amerikanische Seite - US-Kriegsdienstverweigerer unterstützen. Übersetzung: Wolfgang Krauß. Aus: Im Auftrag Jesu, Juli 2003.