"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Gabun

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In Gabun ist Präsident Ali Bongo letzte Woche für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt worden mit 49.8% der abge­ge­be­nen Stimmen. Auf den Gegenkandidaten Jean Ping entfielen 48.23%, wobei dieser das Wahl­er­gebnis als gefälscht bezeichnete.
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10:53 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.09.2016 / 14:47

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Religion, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 07.09.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In der Provinz Ober-Ogoué, dem Stammland der Bongos, hätte man eine Stimmbeteiligung von über 100% festgestellt, man müsse die Stimmzettel neu auszählen. In Tat und Wahrheit lag die Wahlbeteiligung natürlich viel tiefer, nämlich bei 99,98%, und 95% der abgegebenen Stimmen entfielen auf Ali Bongo. Konkret heißt das, dass von den 71'714 in Ober-Ogoué eingeschriebenen Wählenden nur gerade 50 Personen nicht zur Wahl gegangen sind. – Es kam zu Protestkundgebungen in der Hauptstadt Libreville, wobei einige Ecken des Parlamentsgebäudes angezündet wurden. Jean Ping seinerseits meldete, dass der Hauptsitz seiner Partei in der Nacht von Sicherheitskräften gestürmt worden sei, dabei hätte es mehrere Verletzte gegeben. Die Regierung begründete den Angriff auf das Gebäude mit der Suche nach den Verantwortlichen für den Brand des Parlamentsgebäudes. Am Wochenende war der Partei-Hauptsitz immer noch besetzt. Weitere 800 Personen wurden ins Gefängnis gesteckt. Frankreich und die Europäische Union forderten die Publikation der detaillierten Resultate der Wahlen und selbstverständlich ein Ende der gewaltsamen Aus­ein­an­der­set­zungen. Bis am Wochenende hielten die Unruhen an; die Bilanz bis dahin lag bei 7 Toten und der Weigerung, die Ergebnisse zu veröffentlichen.

Bereits bei der ersten Wahl von Bongo im Jahr 2009 war es zu Protesten mit mehreren Todes­opfern gekommen. Immerhin hatte damals Ali Bongo Ondimba mit über 61% der Stimmen einen deut­li­chen Vorsprung vor den beiden wichtigsten Konkurrenten André Mba Obame und Pierre Mam­boun­dou erzielt, im Gegensatz zur diesjährigen Wahl. Trotzdem wird es der EU und Frankreich grundsätzlich egal sein, ob Bongo oder Ping das Land regiert. Tatsächlich gehören die beiden eigent­lich zum gleichen Clan, welcher Gabun seit Jahren regiert beziehungsweise plündert; Jean Ping war mehrere Jahre lang mit der Schwester von Ali Bongo verheiratet.

Gabun beziehungsweise die Bongos haben alles, um als Musterbeispiel für die afrikanische Clan­wirt­schaft zu gelten. Vor Ali Bongo Ondimba hatte sein Vater Omar Bongo Ondimba 42 Jahre lang das Land geführt, selbstverständlich immer auf demokratische Art und Weise, und sein Abgang aus dem Präsidialamt erfolgte keineswegs freiwillig, sondern durch eine schwere Erkrankung im Jahr 2009, die zu seinem Tod führte. Zuvor hatte er schon als Vizepräsident fungiert unter dem ersten Präsidenten Gabuns nach Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1960, Léon M'ba. Dieser wurde 1961 gewählt und hob als Auftakt zur Dekolonialisierung die meisten bürgerlichen Freiheiten auf, namentlich die Presse- und Demonstrationsfreiheit. 1964 führte er ein Einparteien-System ein, wie wir es aus der Sowjetunion kennen; auf die damit verbundene Auflösung des Parlaments folgte ein Militärputsch, der aber dank dem Eingreifen der vormaligen Kolonialmacht, konkret französischer Truppen schnell unterbunden wurde. Frankreich gibt in Gabun auch heute noch den Ton an. Nach dem Tod von Léon M'ba rutschte Omar Bongo ins Präsidialamt und erklärte Gabun offiziell zum Einparteienstaat. Ein paar Jahre später konvertierte er anlässlich eines Besuchs bei Muammar Al Gaddhaffi in Libyen zum Islam, wobei der Hauptteil der Bevölkerung beim christlichen Glauben verblieb.

Wirtschaftlich gesehen steht Gabun relativ gut da dank seinen Erdölvorkommen, die allerdings langsam zur Neige gehen und in erster Linie der Alimentierung des Bongo-Clans dienen. Rund ein Viertel der 1.8 Millionen Einwohner gelten als arm. Irgendwelche wirtschaftlichen Ent­wick­lungs­bemühungen jenseits des Erdöls sind nicht zu erkennen. Dafür ist das Land einigermaßen stabil, was unter den gegenwärtigen Verhältnissen auch schon so etwas wie eine Erfolgsmeldung darstellt. Sieben Tote bei einer klassischen, eher weniger spektakulären Wahlbetrügerei, das dürfte alles in allem als kleiner Zwischen­fall gewertet werden.

Im April dieses Jahres hatten schon die Präsidentschaftswahlen im Tschad zu reden gegeben. Auch der Tschad zählt zum Einflussbereich Frankreichs in Afrika, und auch hier wurden Vorwürfe laut wegen Unregelmäßigkeiten bei der fünften Wiederwahl von Idriss Déby, der vor 26 Jahren durch einen Militärputsch gegen den, ebenfalls von Frankreich unterstützten Diktator Hissène Habré an die Macht gekommen war. Hissène Habré wurde im Mai dieses Jahres von einem außerordentlichen Afrikanischen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter verurteilt. – Idriss Déby lag bei den Wahlen mit 61.5% der Stimmen immerhin deutlich vor dem nächsten Konkurrenten Saleh Kebzabo mit 12.80%. Abgesehen davon ist die Situation im Tschad nicht vergleichbar mit jener in Gabun wegen der Präsenz von Boko Haram im Gebiet um den Tschadsee im Westen des Landes, einmal abgesehen vom Druck, der aus den anhaltenden Konflikten im Sudan im Osten entsteht.

In Kongo Brazzaville wurde im März gewählt. Auch hier stellte sich ein langjähriger Präsident zur Wiederwahl. Denis Sassou-Nguesso erhielt 60% der Stimmen bei einer Wahl, die sämtliche Fragen offen ließ, unter anderem deswegen, weil rund um das wunderbare demokratische Ereignis sämt­liche Kommunikationskanäle und auch das Internet abgeschaltet waren. Dafür steckte Sassou-Nguesso nach den Wahlen den drittplatzierten Kandidaten Jean-Marie Michel Mokoko, einen ehemaligen Generalstabschef, in den Knast, wobei er dafür die doch eher milde Form des Haus­ar­res­tes wählte. Das Obergericht bestätigte die Inhaftierung noch im August dieses Jahres. Sassou-Nguesso regiert den Kongo Brazzaville seit über 32 Jahren. Schutzmacht, wie könnte es anders sein, ist Frankreich, das sich auch über die dortigen Rohstoff­vorkommen freut, zum Beispiel Erdöl; der Erdölsektor macht rund die Hälfte des Bruttoinland­produktes aus.

Ich würde an dieser Stelle gerne auch über ein paar ehemalige englische Kolonien sprechen, aber das geht nun nicht mehr, da England aus der EU ausgetreten ist, und deshalb begnüge ich mich mit der Dekolonialisierung à la française, und muss ich hier noch anfügen, dass sich meine Empörung über diese Pseudodemokratien in Grenzen hält, in erster Linie aus dem Grund, weil ich diese Länder zum jetzigen Zeitpunkt nicht reif halte auch nur für das Schauspiel von Demokratien, wie wir es uns in unseren sozialdemokratischen Polstersesseln gewohnt sind. Zudem haben sich südlich der Sahara islamische Terrorbewegungen ausgebildet, gegen welche in letzter Zeit tatsächlich einzig und allein die französische Fremdenlegion ein probates Mittel war. Man hat hier tatsächlich die Wahl zwischen ganz unterschiedlichen Sorten von Übeln, und vorderhand unterstütze ich dabei die Postkolonialpolitik Frankreichs, auch wenn ich mir wünschen täte, dass sie etwas mehr Energie darauf verwenden täten, die republikanischen Ideen in eine afrikanische Praxis umzumünzen.

Im Mutterland Frankreich bilden solche Themen offenbar überhaupt keinen Gegenstand der politischen Debatte. Selbstverständlich wird das Klima gegenwärtig geprägt vom islamischen Staat, vom Islamismus und von der erheblich größeren Minderheit an Moslems im Land, als sie Mecklenburg-Vorpommern je aufweisen wird. Die erste Generation wanderte dabei tatsächlich in der Folge der Dekolonialisierung ein und stammt vor allem aus dem Maghreb, also von den nordafrikanischen Mittelmeerküsten, wo Frankreich mit Algerien ja noch vor hundert Jahren von einer Sommerfrische träumte. Das ist mindestens jetzt noch nicht der Fall. In letzter Zeit sind aber viele Menschen aus dem übrigen Schwarzafrika eingetroffen, zum Beispiel aus Mali, wo der Krieg gegen die islamischen Aufständischen noch durchaus nicht ausgestanden ist, während die nächsten Präsidentschaftswahlen erst in zwei Jahren anstehen. ­ Wer sich nun erkundigen möchte, was denn sowohl das offizielle Frankreich als auch der rechtsnationalistische Front National in dieser Frage zu unternehmen gedenkt, stößt überall auf Stillschweigen. Tote Münder starren einen allüberall an. Niemand weiß nichts zu sagen zu dieser Frage, in Frankreich nicht, in England nicht, in der Schweiz nicht und nicht in Deutschland. Das würde an und für sich nicht so viel ausmachen, wenn nicht unterstellt bliebe, dass es eine Lösung gebe, welche die Einwanderung ein für allemal beendet. Und das ist das Problem: Diese Lösung gibt es nicht, je länger, desto weniger, das heißt, je eher die Ursprungsländer der Migration auch ökonomisch interessant werden, zum Beispiel als Absatzmärkte für Waschmaschinen und Unterseeboote, desto mehr steigen die Anreize, die immer offensichtlichere Kluft zwischen Nord und Süd durch eine einfache Reise zu überwinden. So ist das nämlich, und jede Politik, welche vor dieser Feststellung den Schwanz einzieht, hat überhaupt nichts zu sagen, egal, ob sie nun gut oder schlecht gemeint, politisch korrekt oder inkorrekt und sozialdemokratisch oder rechtsnationalistisch ist. Wir werden überrannt, so ist das nämlich, und alles, was wir an Optionen offen haben, ist die Art und Weise dieses Überrennens, also die Versuche, die Ankömmlinge einigermaßen zu kanalisieren, zu strukturieren und zu integrieren und vermutlich auch gewisse Obergrenzen festzulegen, egal, ob man sie dann letztlich einhalten kann oder nicht. Einfach die Illusion, dass man diesen enormen Druck der armen Leute aus dem Süden durch gutes Zureden oder durch das Füttern von bestechlichen Eliten etwa mindern könnte, die sollten wir nicht länger pflegen.

Deswegen brauchen wir ja noch längst keine Fremdenfresser zu werden. Es gibt im ganzen Spiel eine ganze Anzahl von Varianten, wie das lustig werden kann, zum Beispiel mit der Gegen­bewegung, indem man tatsächlich gewisse Gegenden im Süden mit massiven Investitionen aufwertet und so zum einen innerhalb des Südens einen Norden schafft, zum anderen schöne Optionen schafft für die BewohnerInnen des Nordens. Ein Teil davon ist bereits Realität, zum Beispiel der Medizintourismus, der ja zum Teil auch nach Fernost geht, aber Afrika und vor allem Afrikas Norden lägen da ganz bequem, sozusagen am Pier. Wirklich, wir sollten uns um solche Vorstellungen und Projekte bemühen und nicht um eine nicht formulierte und nicht formulierbare Phantompolitik mit einer Phantomangst. Die Migration ist eine Tatsache, that’s it. An uns liegt es, zu bestimmen, wie wir sie gestalten wollen, und diese Chance sollten wir nutzen.

Übrigens ist es sicher kein Zufall, dass die rechtsnationalen politischen Strömungen vor allem in jenen Gegenden Zuspruch genießen, wo jene Fragen, mit denen sie kochen, gar nicht virulent sind. Ausländeranteil in Sachsen? Ausländeranteil in Mecklenburg-Vorpommern? Ungefähr gleich viel, wie es Juden gibt im stockkatholischen und stockantisemitischen Polen.