"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Polen
ID 74433
Die Menschheit erlebt gerade ein besonders spannendes ästhetisches Naturwunder: Sie entwickelt ein spontanes Empfinden für den äußerst unspontanen Klimawandel. Sudo ergo clima mutatur, wie der Altphilologe zum Umweltforscher sagt, was dieser nicht versteht und dem Altphilologen spontan eine reinsemmelt, weil er ihn für einen beschissenen Wichtigtuer hält. Da sagt der Altphilologe: Aua, das tut doch weh!, denn hier findet das genaue Gegenteil statt: Sein Langfrist-Lateingedächtnis hat ihn spontan verlassen.
Audio
10:23 min, 19 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 05.01.2016 / 12:08
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Dateizugriffe: 511
Klassifizierung
Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Entstehung
AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 05.01.2016
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Das ist mit anderen Worten das Gegenstück zum allgemeinen Empfinden des Klimawandels angesichts des wärmsten Jahres in der Temperaturgeschichtsschreibung.
In der Temperaturgeschichtsschreibung der Neuzeit, versteht sich von selber. In der früheren Vergangenheit gab es auch schon andere Verhältnisse, wie man im schlauen Buch des Fähnleins Fieselschweif nachlesen kann. Unter «Klimageschichte» heißt es dort: «Gemessen an der Klimageschichte der letzten 100 Millionen Jahre ist es derzeit kalt, da wir uns im quartären Eiszeitalter bewegen. Innerhalb dieses Eiszeitalters ist es aber derzeit relativ warm, weil wir uns seit etwa 11'625 Jahren in einer Warmzeit des Eiszeitalters befinden, dem Holozän.» Mit anderen Worten: Die Erde, diese All-Mutter, Gegenstand der reflexionsfreien Anbetung verschiedener neuheidnischer Glaubensrichtungen, die im christlichen Vokabular unter dem Titel «die Schöpfung» unter ausgesprochen unchristlichen Titeln verehrt wird, hat schon viel Schlimmeres verkraftet als die paar Grad Temperaturanstieg, von denen wir gegenwärtig sprechen, sie hat ihre Polarkappen schon ganz abgeschmolzen, sie wieder auf Kilometerdicke aufgefroren, die Pole insgesamt sowieso umgepolt nach Belieben, ihr ist die Klimaerwärmung ziemlich egal, bloß uns Menschenskindern nicht, und da haben wir ja auch wieder Recht. Bloß sollten wir nicht etwa meinen, die Natur beziehungsweise ein spezifisch schonender Umgang mit ihr wären überragende Heldentaten, welche uns direkt in den Klimahimmel befördern. Nein, den Klimawandel bekämpfen wir aus rein logischen Gründen, weil wir nicht wollen, dass das Wasser in den Kragen unserer Schwimmwesten läuft, wegen des Verschleißes fossiler Energien und so weiter und so fort. Letztlich also doch wegen des Schwitzens, wie schon der Altphilologe sagte.
Ich bin überzeugt, dass uns das Neue Jahr wieder eine gewisse Abkühlung bringen wird, und darauf trinke ich jetzt schon eine Tasse Glühwein. Sodann bin ich überzeugt davon, dass bei euch in einigen Bundesländern dieses Jahr gewählt wird, was uns einen ersten echten Stimmungstest bringen wird nach den Erschütterungen der Volksseele durch die gewaltigen Flüchtlings-Zuströme. Die unechten Stimmungstests laufen ja schon länger mit Feuerzeug und Brandbeschleuniger. Jetzt wird sich zeigen, wie stark die Korrelation zwischen den zündelnden Kartoffeldeutschen und der erwachsenen und ihrer Sinne mächtigen Gesamtbevölkerung ist. Vielleicht sind die Beispiele in Ungarn und in Polen doch zu wenig zugkräftig, um auch in eurem Land eine richtig anständig autoritäre Tendenz entstehen zu lassen.
Was Polen angeht, so erleben wir im Moment nichts wirklich Neues, auch wenn die Kaczynski-Zweilinge nur noch zur Hälfte aktiv sind. Ich möchte den Nationalismus in Polen dabei noch nicht mal als reaktionär bezeichnen; er ist aus Unsicherheit geboren, aus Angst vor Russland, vor Deutschland und ganz generell vor Veränderungen, was eine ganz spezielle Dynamik erzeugt in einem Land, das wie kein zweites in Europa wirtschaftlich auf neue Technologien ausgerüstet ist und sich als Produktionsstandort mit billigen, gut ausgebildeten Arbeitskräften anbietet. Bei diesem Kaczinsky-Getobe handelt es sich um einen vorübergehenden Ausschlag des Pendels, der bereits bei den nächsten Wahlen korrigiert wird. Solange die Partei für Recht und Ordnung aber an der Macht ist, zeigt sie uns wie im Kasperletheater alle Insignien der politischen Verblödung, von der Attacke aufs Verfassungsgericht – die übrigens inhaltlich nicht unbedingt abwegig erscheint, wenn man sich den Stellenwert dieses Organs vergegenwärtigt – über die Gleichschaltung der Medien, welche umgehend mit dem Protest-Rücktritt von vier Fernseh-Direktoren quittiert wurde, bis hin zu den polnischen antisemitischen Standards von der jüdischen Weltverschwörung – wirklich, bei den Kaczynskis erhält man für sein Geld ganz exakt, was man erwartet hat, einen billigen Grusel-Thriller, der ansonsten mit den Realitäten in diesem Land überhaupt nichts zu tun hat. Ganz im Unterschied zu Deutschland. In Deutschland handelt es sich bei Pegida, AfD, NPD, NSU und so weiter nicht um das letzte Aufflackern der Vergangenheit; hier formiert sich eine neue Strömung, welche allerdings noch ebenso wenig zu ihrer Gestalt gefunden hat wie die moderne Gesellschaft insgesamt. Diese neue Strömung bedient sich selbstverständlich der bereit liegenden Klischees aus der nationalsozialistischen Rumpelkammer; im Wesentlichen bildet sie sich aber aus dem Gefühl heraus, zu kurz gekommen zu sein, keinen Anteil oder mindestens nicht den richtigen Anteil zu haben an den Früchten des Fortschrittes und überhaupt insgesamt in einem schlechten Schauspiel einer Demokratie zu leben. Zu diesem Schauspiel gehört selbstverständlich auch das Affentheater dazu, welches von den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ARD und ZDF geboten wird, weshalb sich die entsprechenden Bestandteile des Volkskörpers auch mit besonderer Überzeugung gegen all das wehren, was sie als reine Regierungs-Verlautbarungen und Propaganda wahrnehmen; und, meiner Treu, in diesem Punkt haben sie auch vollständig Recht, auch wenn es sich dabei um eine sozialdemokratische Form des Politiktheaters handelt mit den dazu gehörigen vernünftigen und logischen Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen, aber insgesamt ist all dies schon ausgesprochen immanent, wie ein Altphilologe sagen würde. Während ich all dies zusammenfasse im Satz: Dieses Jahr bin ich mal gespannt, wie die Wahlen in den Bundesländern ausgehen werden.
Daneben hat man im befreundeten Ausland durchaus den Eindruck, dass Deutschland das bisher tatsächlich ganz ordentlich geschafft hat mit den Flüchtlingen, ganz wie Eure Frau Bundeskanzlerin es prophezeit hat. Selbstverständlich ist diese Geschichte noch nicht abgeschlossen, vielmehr beginnt sie jetzt erst so richtig, sei es mit den Aufgaben rund um die Integration, sei es mit der Einschätzung bezüglich der Verbleibsdauer oder dann vor allem mit der Frage, was zu tun ist, wenn der Flüchtlingsstrom im gleichen Ausmaß anhält und vor allem wenn die Kaczinskys aller Länder weiterhin kein Gleich tun, um sich an der Aufnahme der Flüchtlinge zu beteiligen.
Davon abgesehen bietet die Flüchtlingserscheinung wie erwähnt zwei große Chancen. Einesteils dürften die Ankömmlinge innerhalb von kurzer Zeit zu erfreulichen Wirtschaftsfaktoren werden, natürlich in dem Maße stärker, in dem sie sich qualifizieren lassen oder bereits einigermaßen eine Grund-Ausbildung mitbringen. Zum Zweiten, und das ist vielleicht der größte Nutzen für die ansonsten ziemlich träge gewordenen Gesellschaften im entwickelten Europa, geben sie dringend nötige Denkanstöße und erlauben es, verschiedene Fragen unter neuen und relevanteren Aspekten zu sehen. Die weitgehend stabil eingependelten Anspruchsgeometrien in den sozialdemokratischen Gesellschaften werden aufgemischt, und davon sollten letztlich vor allem jene profitieren, die tatsächlich auf Verbesserungen angewiesen sind. Na, sagen wir mal: Ich hoffe es auf jeden Fall.
Andere Projekte dagegen stoßen mit dem massiven Flüchtlingszustrom auf Probleme, zum Beispiel mein Lieblingsthema, das bedingungslose Grundeinkommen. Nicht, dass es keine Lösungen gäbe, aber man sieht sofort, dass das Grundeinkommen unter heutigen Bedingungen und als nationale Institution auf einer relativ stabilen Gesellschaft beruht, welche keine größeren Fluktuationen kennt. Insofern ist das Grundeinkommen eben durchaus auch ein sozialdemokratisches Projekt. Gäbe es das Grundeinkommen bereits in Deutschland, so müsste man für die Neuankömmlingen sogleich Sonderregelungen treffen, was übrigens bereits bei einer massiven Personenwanderung der Fall wäre, welche sich innerhalb der Europäischen Union ergeben könnte, wenn das Grundeinkommen in einem Land eingeführt wäre und im anderen nicht. Sonderregelungen sind mit den neuen Computer-Mitteln an und für sich kein Problem, aber sie setzen eine der größten Schönheiten des Grundeinkommens außer Kraft, nämlich seine Einfachheit. Dabei hat doch vor wenigen Tagen der Chef der Deutschen Telekom seine Sympathien für das Grundeinkommen bekundet und vorgeschlagen, man solle die Finanzierung zum Teil auf die Wertschöpfungsketten in den neuen Technologien im Internethandel und so weiter abstützen. Das ist dann wieder schön, und die Überlegung, dass eben die Finanzierung auch oder eben gerade im Rahmen moderner Wirtschaftsmechanismen gedacht werden muss, ist ebenfalls goldrichtig. Mal sehen, ob sich am Weltwirtschaftsgipfel Ende dieses Monats in Davos ein paar weitere Wirtschaftskapitäne dieser Einschätzung anschließen, und wenn dies so wäre, dann würden wir wieder die Meinung unseres Altphilologen einholen. Sudant, nec transpirant, könnte er sagen, aber es ergäbe keinen Sinn, denn die alten Römer transpirierten noch nicht, die schwitzten noch ganz herkömmlich.
Immerhin sind immer mehr Wirtschaftswissenschaftler der Ansicht, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen keine schlechte Idee wäre, um die bevorstehende Automatisierung von immer mehr Arbeitstätigkeiten zumindest abzufedern. Nach der Industrie scheint jetzt auch die Administration an die Reihe zu kommen, der klassische Bürojob erscheint gefährdet. Ich selber bin da nicht so sicher, weil diese Arbeiten bereits heute zu schönen Teilen völlig überflüssig sind und vom wirtschaftlichen Nutzen her als bloße Beschäftigungstherapien einzustufen sind, wo die Menschen nicht nur unproduktive Arbeit leisten, sondern in erster Linie das ganze Geflecht an Ränken und Beziehungen pflegen können, welches sie davon abhält, über die zentralen Fragen von Leben und Gesellschaft nachzudenken. Und schließlich, wo sollen die Firmen denn hin mit dem Geld, das sie einsparen können, wenn jetzt auch noch die Büroetagen leer geräumt werden? Dann müsste ein Grundeinkommen nicht mehr bloß in Existenz sichernder Höhe, sondern in Höhe eines Durchschnittslohnes ausgerichtet werden, und das würde dann tatsächlich zahlreiche Spielregeln verändern.
In der Temperaturgeschichtsschreibung der Neuzeit, versteht sich von selber. In der früheren Vergangenheit gab es auch schon andere Verhältnisse, wie man im schlauen Buch des Fähnleins Fieselschweif nachlesen kann. Unter «Klimageschichte» heißt es dort: «Gemessen an der Klimageschichte der letzten 100 Millionen Jahre ist es derzeit kalt, da wir uns im quartären Eiszeitalter bewegen. Innerhalb dieses Eiszeitalters ist es aber derzeit relativ warm, weil wir uns seit etwa 11'625 Jahren in einer Warmzeit des Eiszeitalters befinden, dem Holozän.» Mit anderen Worten: Die Erde, diese All-Mutter, Gegenstand der reflexionsfreien Anbetung verschiedener neuheidnischer Glaubensrichtungen, die im christlichen Vokabular unter dem Titel «die Schöpfung» unter ausgesprochen unchristlichen Titeln verehrt wird, hat schon viel Schlimmeres verkraftet als die paar Grad Temperaturanstieg, von denen wir gegenwärtig sprechen, sie hat ihre Polarkappen schon ganz abgeschmolzen, sie wieder auf Kilometerdicke aufgefroren, die Pole insgesamt sowieso umgepolt nach Belieben, ihr ist die Klimaerwärmung ziemlich egal, bloß uns Menschenskindern nicht, und da haben wir ja auch wieder Recht. Bloß sollten wir nicht etwa meinen, die Natur beziehungsweise ein spezifisch schonender Umgang mit ihr wären überragende Heldentaten, welche uns direkt in den Klimahimmel befördern. Nein, den Klimawandel bekämpfen wir aus rein logischen Gründen, weil wir nicht wollen, dass das Wasser in den Kragen unserer Schwimmwesten läuft, wegen des Verschleißes fossiler Energien und so weiter und so fort. Letztlich also doch wegen des Schwitzens, wie schon der Altphilologe sagte.
Ich bin überzeugt, dass uns das Neue Jahr wieder eine gewisse Abkühlung bringen wird, und darauf trinke ich jetzt schon eine Tasse Glühwein. Sodann bin ich überzeugt davon, dass bei euch in einigen Bundesländern dieses Jahr gewählt wird, was uns einen ersten echten Stimmungstest bringen wird nach den Erschütterungen der Volksseele durch die gewaltigen Flüchtlings-Zuströme. Die unechten Stimmungstests laufen ja schon länger mit Feuerzeug und Brandbeschleuniger. Jetzt wird sich zeigen, wie stark die Korrelation zwischen den zündelnden Kartoffeldeutschen und der erwachsenen und ihrer Sinne mächtigen Gesamtbevölkerung ist. Vielleicht sind die Beispiele in Ungarn und in Polen doch zu wenig zugkräftig, um auch in eurem Land eine richtig anständig autoritäre Tendenz entstehen zu lassen.
Was Polen angeht, so erleben wir im Moment nichts wirklich Neues, auch wenn die Kaczynski-Zweilinge nur noch zur Hälfte aktiv sind. Ich möchte den Nationalismus in Polen dabei noch nicht mal als reaktionär bezeichnen; er ist aus Unsicherheit geboren, aus Angst vor Russland, vor Deutschland und ganz generell vor Veränderungen, was eine ganz spezielle Dynamik erzeugt in einem Land, das wie kein zweites in Europa wirtschaftlich auf neue Technologien ausgerüstet ist und sich als Produktionsstandort mit billigen, gut ausgebildeten Arbeitskräften anbietet. Bei diesem Kaczinsky-Getobe handelt es sich um einen vorübergehenden Ausschlag des Pendels, der bereits bei den nächsten Wahlen korrigiert wird. Solange die Partei für Recht und Ordnung aber an der Macht ist, zeigt sie uns wie im Kasperletheater alle Insignien der politischen Verblödung, von der Attacke aufs Verfassungsgericht – die übrigens inhaltlich nicht unbedingt abwegig erscheint, wenn man sich den Stellenwert dieses Organs vergegenwärtigt – über die Gleichschaltung der Medien, welche umgehend mit dem Protest-Rücktritt von vier Fernseh-Direktoren quittiert wurde, bis hin zu den polnischen antisemitischen Standards von der jüdischen Weltverschwörung – wirklich, bei den Kaczynskis erhält man für sein Geld ganz exakt, was man erwartet hat, einen billigen Grusel-Thriller, der ansonsten mit den Realitäten in diesem Land überhaupt nichts zu tun hat. Ganz im Unterschied zu Deutschland. In Deutschland handelt es sich bei Pegida, AfD, NPD, NSU und so weiter nicht um das letzte Aufflackern der Vergangenheit; hier formiert sich eine neue Strömung, welche allerdings noch ebenso wenig zu ihrer Gestalt gefunden hat wie die moderne Gesellschaft insgesamt. Diese neue Strömung bedient sich selbstverständlich der bereit liegenden Klischees aus der nationalsozialistischen Rumpelkammer; im Wesentlichen bildet sie sich aber aus dem Gefühl heraus, zu kurz gekommen zu sein, keinen Anteil oder mindestens nicht den richtigen Anteil zu haben an den Früchten des Fortschrittes und überhaupt insgesamt in einem schlechten Schauspiel einer Demokratie zu leben. Zu diesem Schauspiel gehört selbstverständlich auch das Affentheater dazu, welches von den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ARD und ZDF geboten wird, weshalb sich die entsprechenden Bestandteile des Volkskörpers auch mit besonderer Überzeugung gegen all das wehren, was sie als reine Regierungs-Verlautbarungen und Propaganda wahrnehmen; und, meiner Treu, in diesem Punkt haben sie auch vollständig Recht, auch wenn es sich dabei um eine sozialdemokratische Form des Politiktheaters handelt mit den dazu gehörigen vernünftigen und logischen Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen, aber insgesamt ist all dies schon ausgesprochen immanent, wie ein Altphilologe sagen würde. Während ich all dies zusammenfasse im Satz: Dieses Jahr bin ich mal gespannt, wie die Wahlen in den Bundesländern ausgehen werden.
Daneben hat man im befreundeten Ausland durchaus den Eindruck, dass Deutschland das bisher tatsächlich ganz ordentlich geschafft hat mit den Flüchtlingen, ganz wie Eure Frau Bundeskanzlerin es prophezeit hat. Selbstverständlich ist diese Geschichte noch nicht abgeschlossen, vielmehr beginnt sie jetzt erst so richtig, sei es mit den Aufgaben rund um die Integration, sei es mit der Einschätzung bezüglich der Verbleibsdauer oder dann vor allem mit der Frage, was zu tun ist, wenn der Flüchtlingsstrom im gleichen Ausmaß anhält und vor allem wenn die Kaczinskys aller Länder weiterhin kein Gleich tun, um sich an der Aufnahme der Flüchtlinge zu beteiligen.
Davon abgesehen bietet die Flüchtlingserscheinung wie erwähnt zwei große Chancen. Einesteils dürften die Ankömmlinge innerhalb von kurzer Zeit zu erfreulichen Wirtschaftsfaktoren werden, natürlich in dem Maße stärker, in dem sie sich qualifizieren lassen oder bereits einigermaßen eine Grund-Ausbildung mitbringen. Zum Zweiten, und das ist vielleicht der größte Nutzen für die ansonsten ziemlich träge gewordenen Gesellschaften im entwickelten Europa, geben sie dringend nötige Denkanstöße und erlauben es, verschiedene Fragen unter neuen und relevanteren Aspekten zu sehen. Die weitgehend stabil eingependelten Anspruchsgeometrien in den sozialdemokratischen Gesellschaften werden aufgemischt, und davon sollten letztlich vor allem jene profitieren, die tatsächlich auf Verbesserungen angewiesen sind. Na, sagen wir mal: Ich hoffe es auf jeden Fall.
Andere Projekte dagegen stoßen mit dem massiven Flüchtlingszustrom auf Probleme, zum Beispiel mein Lieblingsthema, das bedingungslose Grundeinkommen. Nicht, dass es keine Lösungen gäbe, aber man sieht sofort, dass das Grundeinkommen unter heutigen Bedingungen und als nationale Institution auf einer relativ stabilen Gesellschaft beruht, welche keine größeren Fluktuationen kennt. Insofern ist das Grundeinkommen eben durchaus auch ein sozialdemokratisches Projekt. Gäbe es das Grundeinkommen bereits in Deutschland, so müsste man für die Neuankömmlingen sogleich Sonderregelungen treffen, was übrigens bereits bei einer massiven Personenwanderung der Fall wäre, welche sich innerhalb der Europäischen Union ergeben könnte, wenn das Grundeinkommen in einem Land eingeführt wäre und im anderen nicht. Sonderregelungen sind mit den neuen Computer-Mitteln an und für sich kein Problem, aber sie setzen eine der größten Schönheiten des Grundeinkommens außer Kraft, nämlich seine Einfachheit. Dabei hat doch vor wenigen Tagen der Chef der Deutschen Telekom seine Sympathien für das Grundeinkommen bekundet und vorgeschlagen, man solle die Finanzierung zum Teil auf die Wertschöpfungsketten in den neuen Technologien im Internethandel und so weiter abstützen. Das ist dann wieder schön, und die Überlegung, dass eben die Finanzierung auch oder eben gerade im Rahmen moderner Wirtschaftsmechanismen gedacht werden muss, ist ebenfalls goldrichtig. Mal sehen, ob sich am Weltwirtschaftsgipfel Ende dieses Monats in Davos ein paar weitere Wirtschaftskapitäne dieser Einschätzung anschließen, und wenn dies so wäre, dann würden wir wieder die Meinung unseres Altphilologen einholen. Sudant, nec transpirant, könnte er sagen, aber es ergäbe keinen Sinn, denn die alten Römer transpirierten noch nicht, die schwitzten noch ganz herkömmlich.
Immerhin sind immer mehr Wirtschaftswissenschaftler der Ansicht, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen keine schlechte Idee wäre, um die bevorstehende Automatisierung von immer mehr Arbeitstätigkeiten zumindest abzufedern. Nach der Industrie scheint jetzt auch die Administration an die Reihe zu kommen, der klassische Bürojob erscheint gefährdet. Ich selber bin da nicht so sicher, weil diese Arbeiten bereits heute zu schönen Teilen völlig überflüssig sind und vom wirtschaftlichen Nutzen her als bloße Beschäftigungstherapien einzustufen sind, wo die Menschen nicht nur unproduktive Arbeit leisten, sondern in erster Linie das ganze Geflecht an Ränken und Beziehungen pflegen können, welches sie davon abhält, über die zentralen Fragen von Leben und Gesellschaft nachzudenken. Und schließlich, wo sollen die Firmen denn hin mit dem Geld, das sie einsparen können, wenn jetzt auch noch die Büroetagen leer geräumt werden? Dann müsste ein Grundeinkommen nicht mehr bloß in Existenz sichernder Höhe, sondern in Höhe eines Durchschnittslohnes ausgerichtet werden, und das würde dann tatsächlich zahlreiche Spielregeln verändern.
Kommentare
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09.01.2016 / 14:30 | Dieter, Radio Unerhört Marburg (RUM) |
am 7.1. in der Frühschicht zum Wochenende gesendet
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Vielen Dank! | |