Whiteness #2: Aneignung

ID 6887
 
In gegenwärtiger Popkultur, Musik und Subkultur, aber auch auf einer kommerziellen Ebene findet eine Aneignung statt, in der sich die Weiße Dominanzkultur das einverleibt, was in ihrer rassistischen Ideologie als das "Andere" begriffen wird.
Der Beitrag versucht, sich mit der Vereinnahmung von Musik wie Blues, HipHop, Ska durch Weiße, mit 'Weißen dreads' und anderen Elementen Weißer Subkultur, sowie der Vermarktung von Differenz in den Zusammenhang mit Rassismus zu stellen.
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Upload vom 29.05.2004 / 13:42

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Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Redaktion super mono
Radio: polyphon, Berlin im www
Produktionsdatum: 29.05.2004
keine Linzenz
Skript
Whiteness #2: Aneignung

Es gab bisher vielfältige Formen, in denen Rassismus kritisiert wurde. Seit Anfang der 90-er Jahre auch Weißsein in den Fokus der Betrachtungen. Damit wird die Weiße Gruppe untersucht, die sich meist versucht einer Definition zu entziehen. In den USA bekommen diese Vorgehen den Namen Critical Whiteness, in Deutschland gibt es diese Diskussion erst seit kürzlich. Die Eckpunkte sind hierbei vor allem das Bewusstmachen der Zugehörigkeit zur dominanten Weißen Gruppe, wobei der Unsichbarkeit von Weißsein entgegengetreten werden soll. Weiße Privilegien sollen sichtbar gemacht, Weiße Dominanz und Vorherrschaft angegriffen werden

Zuerst steht die Kenntlichmachung der Weißen Position. Denn sie ist nicht bewusst und nicht benannt. Das hängt vor allem damit zusammen, dass Weißsein als Norm verstanden wird. Weiß ist im allgemeinen Verständnis nicht irgendeine Ethnizität, sondern steht für „Mensch“. Alles andere, so lehrt die rassistische Ideologie, ist dann als Abweichung zu verstehen. Vielen Weißen fällt ihr Weißsein nicht auf, sie würden es zur Selbstbeschreibung nicht erwähnen. Und das liegt daran, dass sie denken, sie sind normal, was „Weiß“ in ihrer Vorstellung entspricht.
Diese Erhebung der Weißen zur Norm vollzieht sich auf vielen Ebenen. Richard Dyer hat sich viel mit Whiteness in Filmen auseinandergesetzt. Er schreibt, wie schon allein auf einer technischen Ebene Normierung passiert. Mit der Entstehung des Films haben sich auch die technischen Möglichkeiten zur Ausleuchtung entwickelt. Es wurden aber nur Lampen entwickelt mit dem Ziel Weiße Menschen darzustellen, was die Grundlage für gegenwärtige Filme ist. So wird bspw. in Szenen, in denen sich Schwarze und Weiße DarstellerInnen befinden, oft nur darauf geachtet, dass die Weißen möglichst gut ausgeleuchtet sind.

Mit der Strategie der Unsichtbarkeit versucht die Weiß dominierte Gesellschaft auch, Geschichtsereignisse auszublenden, zu relativieren oder nur die Weiße Perspektive als sogenannt „objektiv“ zuzulassen. Exemplarisch für Ausblendung ist die koloniale Vergangenheit Deutschlands. So sagte im Dezember 1999 Christian Ströbele zu der Rolle Deutschlands gegenüber Afrika, (Zitat) „dass Deutschland das Glück hatte, sehr früh aus der Kolonialisierung gewaltsam herausgetrieben worden zu sein … Dies ist eine Chance, … Deutschland kann eine Rolle übernehmen, die unbelastet ist und die deshalb eine Vorreiterrolle sein kann.“ Dass Deutschland sehr wohl eine lange koloniale Geschichte gehabt hat und der Genozid an den Herero und Nama eine deutsche Tat war, scheint den Weißen Politikern und Politikerinnen nicht im Ansatz bewusst zu sein.
Vergangener Kolonialismus findet sich an allen Ecken in Deutschland. So steht die Abkürzung der Einkaufskette Edeka für „Einkaufszentrale der Kolonialwarenhändler, Berlin“. Es war also ein Verband aus Geschäften, die direkt an der Ausbeutung Afrikas verdient haben.
Ausgeblendet wird auch, dass sich in den Jahren des Kolonialismus viele Teile afrikanischer Kultur angeeignet wurden. Dies setzt sich bis in die heutige Zeit fort.

Aneignung, oder die Vereinnahmung dessen, was in der Weißen Vorstellungswelt als das „Andere“ begriffen wird, hat seit dem Kolonialismus verschiedene Formen angenommen. In gegenwärtiger Massenkultur ist es der Konsum und die Vermarktung des Andersseins. Die Weiße Kultur des mainstreams versucht ihre langweilige Kost aufzubrechen durch Differenzen wie Ethnizität. Vereinnahmung ist zum Beispiel nach bell hooks: „…dass kulturelle, ethnische und „rassische“ Unterschiede ständig vermarktet und als neue „Gerichte“ angeboten werden, um den Weißen Gaumen zu kitzeln – dass das Andere einverleibt, konsumiert und vergessen wird.“
Als ein Beispiel können Teile Schwarzer Kultur, die in Befreiungskämpfen entstanden sind vereinnahmt werden.

Viel ist im Schwarzen Befreiungskampf entstanden, erzählt davon und hat eine daran knüpfende Bedeutung. Blues erzählt aus der Perspektive der SklavInnen in Amerika. Er entwickelte sich in der Zeit um 1900. Später entstand daraus der Jazz. Zuerst der sogenannte New Orleans-Stil. Nach sehr kurzer Zeit wurde um 1920 dieser von Weißen MusikerInnen kopiert und damit angeeignet. Was dann später Dixiland genannt wurde. Mit dieser Entwicklung wurde auch Blues von Weißen imitiert. Seine Bedeutung, von der Situation Schwarzer Menschen in den USA zu erzählen, verändert sich damit.
Kobena Mercer sagt, dass viele Big Bands wie der von Duke Ellington, Count Basie und Lionel Hampton versuchten über schnellen Spielen eine Vereinnahmung durch Weiße zu verhindern, wie sie in den 20-ern passierte.
Betrachtet man die heutige Jazz-Szene in Deutschland, so wird offensichtlich, was mit der Vereinnahmung passiert: Jazz ist in vielen Kontexten zur Musik von Weißen Intellektuellen geworden. Und das ist, was Vereinnahmung Schwarzer Kultur durch den Weißen mainstream passiert: Das Andere wird sich einverleibt.
Vereinnahmung und Aneignung passiert in vielen Bereichen gegenwärtiger Musik und Popkultur. Es scheint ein immer wiederkehrendes Muster zu sein, wozu Kobena Mercer sagt:
“This story of black innovation/white imitation has been played out again and again in postwar popular culture, most markedly in music and, insofar as music has formed their nucleus, a whole procession of youth subculture from teddy boys to B-boys.”
{Kobena Mercer: Welcome to the Jungle. New Positions in Black Cultural Studies. London 1994}
So ist auch rap und breakdance in den armen nichtweißen Vierteln amerikanischer Großstädte entstanden und erzählen von Widerstand gegen Rassismus und den Situationen Schwarzer Menschen, die von Armut, Entbehrung und Mangel bestimmt sind. bell hooks sagt dazu:
„Rap gibt jungen Schwarzen, die normalerweise zum Schweigen gebracht oder übersehen werden, eine öffentliche Stimme. Sie erhob sich zuerst auf der Straße – außerhalb einer einengenden Häuslichkeit, die von Armut geprägt und erfüllt ist…“
{bell hooks: Black Looks. Popkultur – Medien – Rassismus. Berlin 1994}
Mit der Etablierung von Rap und HipHop in der mainstream-Musikszene und dem Imitieren durch Weiße Rapper hat er seine ursprüngliche Bedeutung in vielen Bereichen verloren. Und vieles, was an dieser Musik mit dranhängt – breakdance, baggies usw. – wurde von Weißen übernommen und später vermarktet. Auffällig ist dabei, wie Weiße MusikerInnen oft viel erfolgreicher werden als die Schwarzen, von denen sie kopiert haben.

Viele Bereiche Weißer Subkultur leben von solcherart Vereinnahmung. Beispielhaft seien hier dreads erwähnt. Ursprünglich wurden sie in der Schwarzen Befreiungsbewegung als Symbol von black is beautiful getragen, dem Kampf gegen Weiße vorherrschende Schönheitsideale. Durch die Imitation bekommen sie ein gänzlich andere Bedeutung. Sie werden zum Symbol für Weiße, aus der öden Gesellschaft auszubrechen. Hier haben sie primär nichts mehr mit Rassimus zu tun.
Am meisten überspitzt wird der Bedeutungswandel an der Style der Skinhaed-Bewegung. So trugen in den 60-er Jahren Schwarze Männer den Kopf rasiert, im sogenannten soulboy-look. Dieser Haarschnitt war für sie eine Möglichkeit mit dem Rassismus gegenüber anderen afroamerikanischen Haarschnitten umzugehen. Die skinhead – Bewegung in Großbritanien ist mit dem Imitieren und Aneignen afro-karibischer Musik, wie dem Ska, gekommen, womit sich die Symbolik, keine Haare zu tragen, bis dahin gewandelt hat, dass sie für white power oder white pride steht.
Die Liste lässt sehr weit fortführen: Tätowieren, Piercing, Reagae, Ragga...
Im mainstream ist es die Vermarktung von Differenz, die dieses vorantreibt. Das Bejahen und Genießen der „rassischen Differenz“, wie bell hooks meint. Dabei ist nicht das bloße Konsumieren das Ziel. Es geht um die Einverleibung der Anderen, wovon sich eine Veränderung des eigenen Weißen Ichs erhofft wird.
Und es ist Unzufriedenheit mit der Westlichen Politik und Kultur, die den Wunsch nach Veränderung in sich haben bell hooks sagt:
„Besonders weiße Jugendliche erleben die gegenwärtigen westlichen Identitätskrisen. Sie werden entschärft, wenn das „Primitive wiedergewonnen wird, indem man/frau Verschiedenartigkeit und Pluralismus ins Blickfeld rückt. Diese Verschiebung erweckt den Eindruck, das Andere könne lebenserhaltende Alternativen bieten…Eine kulturelle Vereinnahmung des Anderen beschwichtigt die Verlust- und Mangelgefühle, die in der Psyche radikaler weißer Jugendlicher aufsteigen und dazu bewegen, der westlichen Zivilisation den untreu zu werden.“ {bell hooks 1994}
Wie eine Keule vor den Kopf gehauen wird einem das Konsumieren des Anderen mit der erst kürzlich erschienenen Werbung von Haägen-Daz. Mensch sieht die Körper von einer Schwarzen Frau in Afrika oder einer Weißen Frau auf Hawai, welche fließend übergehen in das Eis. „Let your tounge travel“ prangert die Aufforderung als Überschrift. Es ist die rassistische und sexistische Einverleibung des Anderen, womit Schwarzsein und die Frau gemeint ist, erfolgt durch Essen.
Ganz ähnlich funktioniert Afri-Cola, eine seit ungefähr 1900 produzierende deutsche Firma, die als Produktlogo eine Palme gewählt hat. Hier kann die Weiße Person das aufregend Andere konsumieren, indem sie es trinkt.

Es soll hier nicht für feste Grenzen zwischen Kulturen argumentiert werden.
Es bleibt aber die Frage in und durch welches Machtgefälle Grenzen überschritten werden.
Und wer dabei überhaupt in der Position ist dies zu tun. Es sind Weiße, die dies dominante Stellung haben. Sie werden nicht festgeschrieben innerhalb rassistischer Diskurse, sie schreiben fest, sie werden nicht an Positionen verwiesen, sie verweißen an Positionen. Beispielhaft sei ein von Peter Maffay 1998 erschienenes Album erwähnt. Es heißt „Begegnungen“ und schreit schon durch das Cover mit aller Kraft „Vermischung“. Man findet mythisch anmutende Symbole, auf der Innenseite einige Worte des Dalai Lama und auf dem Booklet das Gesicht von Maffay angemalt mit Symbolen, die Aboriginee-Embleme darstellen sollen. Die einzelnen Stücke sind in Kooperation mit unterschiedlichen MusikerInnen gemacht. Jede bzw. jeder einzelne soll dabei für ein anderes Herkunftsland bzw. Kontinent stehen. Yothu Yindi für Australien, Noa für Israel, Cartel für die T ürkei, Lokua Kanza für den Kongo, Natach Atlas für Ägypten usw. Komisch nur, dass alle MusikerInnen aus Berlin, London oder Paris kommen. Die Jüdin Noa ist in den USA aufgewachsen und erst später nach Israel emigriert. Das Album Maffays bedient sich hier einer wie auch immer beschaffenen Fremdheit, um sie zu vermarkten. Dabei werden Grenzen auch wieder gefestigt, indem Menschen auf ihre Herkunft festgeschrieben und verwiesen werden. Der Weiße Mann ist der, der hier die Grenzüberschreitung wagen kann. Er ist der, welcher konsumiert. Er ist der Reisende. Auf dem Booklet steht über einem verträumten Landschaftsbild: „Begegnung bedeutet für mich Bewegung“.

Es gibt verschiedene Formen, in denen sich die Weiße Dominanzgesellschaft das „Andere“ aneignet. Dabei gibt es in den unterschiedlichen Zusammenhängen unterschiedliche Gründe und Strukturen. Auf einer kommerziellen Ebene ist es die „rassische“ Differenz, die sich vermarkten lässt. Wir können sie konsumieren, wobei sie dazu dient, dem langweiligen Alltag zu entkommen, der öden westliche n Welt zu entfliehen. Das „Andere“ soll aufregend sein und unterhaltsam.
In der Subkultur soll die Aneignung mit dem Gedanken der Flucht aus der eigenen gesellschaftlichen Krise heraus dienen. In das Andere wird die Hoffnung des Ausbruchs aus der Gesellschaft projiziert. So wurden dreads, Iros , alle Möglichen Arten von Piercings usw. im Weißen Kontext zu Bedeutungsträgern, die das Herauskommen aus der Gesellschaft symbolisieren sollten. Einerseits verlieren sie dadurch die ursprünglichen Bedeutungen, andererseits werden die Ursprünge verschleiert. Viele Weiße wissen nicht mal, wo ursprünglich Rap entstanden ist, dass Ska nicht die Musik der Skin-Bewegung ist.
In esoterischen Szenen passiert die Aneignung gar, um aus der Gesellschaft in eine ganz bestimmte Richtung auszubrechen: Hier soll eine Rückkehr zur Natur erreicht werden, indem mensch sich Elementen bedient, die aus nichtwestlichen Kulturen stammen. Und genau weil Diese in der rassistischen Gedankenwelt des Westens als „primitiv“ „naturnah“ oder „naturverbunden“ verstanden werden.

Was aber heißt das bezüglich der Weißen Position. Jetzt, wo sie keine mehr so direkte Macht über die Menschen haben, die versklavt wurden oder in den Kolonien lebten. Müssen jetzt die Weißen dadurch Kontrolle gewinnen, indem sie sich das andere einverleiben?