Tom Kummer und die Konstruktion der medialen Wirklichkeit
ID 6685
Tom Kummer verkaufte dem SZ-Magazin reihenweise Interviews mit vielen sehr bekannten Hollywood-Größen. Erst spät stellte sich heraus, dass alle von ihm selbst geschrieben waren.
Der Beitrag stellt Fragen an die 'Wirklichkeit' in der medialen Welt. Vom wem wird sie gemacht, was ist 'authentisch', gibt es eine Wahrheit, die JournalistInnen herausfinden?
Kurzer Beitrag mit orginal-Tomm-Kummer-Interview mit Courtney Love und einem mit ihm selbst.
Der Beitrag stellt Fragen an die 'Wirklichkeit' in der medialen Welt. Vom wem wird sie gemacht, was ist 'authentisch', gibt es eine Wahrheit, die JournalistInnen herausfinden?
Kurzer Beitrag mit orginal-Tomm-Kummer-Interview mit Courtney Love und einem mit ihm selbst.
Audio
10:07 min, 4744 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 23.04.2004 / 19:46
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Skript
I.
Im September 2000 deckte das Nachrichtenmagazin der Spiegel auf, dass Tom Kummer Hollywood’-Korespondent des Magazins der süddeutschen zeitung über zwei Jahre selbst geschriebene Interviews an das magazin verkauft hatte. Kummer war über einen langen Zeitraum ‘. Von ihm kamen Interviews mit Sharon Stone, Mike Tyson, Brad Pit, Courtney Love, Kim Basinger, ... - fast allen damals berühmten Hollywood-Größen.
In den 80ern lebt Kummer für länger in Berlin. Er fängt an für Tempo(?) zu schreiben. Nach seiner Kündigung zieht er nach L.A., verbringt dort mehrere Jahre Von nun an ist Kummer für das SZ-Magazin der Mann vor Ort in Los Angeles.
Seine Interviews sind lebendig und stoßen auf große Resonanz. Mike Tyson philosophiert über französisches Essen, Brad Pit berichtet von Abenteuern in der kanadischen Wildniss. Courtney Love lässt er sagen “Warum sollen nur Männer den ganzen Spaß haben? Als ob es einer Frau nicht erlaubt wäre, sich für Selbstzerstörung zuständig zu fühlen Der Leser wird nicht mit schnöden Alltäglichkeiten abgespeist, sondern unterhalten.
Dies ist auch der Grund, warum es lange keine Zweifel seitens seiner Arbeitgeber gab: Die Interviews kamen den Bedürfnissen der LeserInnenschaft entgegen und förderten damit den Verkauf - und das ist unter den gegebenen kapitalistischen Verhältnissen natürlich das Hauptkriterium.
Tom Kummer behauptet sogar später, dem damaligen Chefredakteur des Magazins sei seine Arbeitsweise von Anfang an bekannt gewesen. Das erscheint auch glaubwürdig, bedenkt man, dass die Summen, die Kummer kassierte, gängige Hollywood-Preise deutlich unterschritten. Auch sollte es doch verwunderlich erscheinen, dass sämtliche Stars aus Kalifornien auf ein Mal wie versessen darauf waren, im SZ-Magazin zu erscheinen ... .
‘99 bekommt Kummer vom Magazin die Kündigung. Ein Jahr später wird Kummer mit einem Bericht im ”Fakten, Fakten, Fakten”-Magazin Focus zum Fall Kummer. Als Skandal wird Kummers Arbeitsweise bezeichnet. Von ”Fälschungen” ist die Rede. Christian Kämmerling vom SZ-Magazin erkennt einen Anschlag auf das ”Ethos des Journalismus”.
Eines ist unter den ”Fakten, Fakten, Fakten” offensichtlich wirklich fakt: Kummers Anfertigungen sind spannender und lebendiger als hundert Focus-generierte Interviews zusammen.
Im Wesentlichen stellen sich mit dem Fall Kummer jedoch viel weitgängigere Fragen. Kummer hat die Authentizitäts-Falle aufgestellt und sie ist zugeschnappt. Was für eine Wirklichkeit Wäre uns begegnet, wenn er sich mit Stars getroffen hätte? Wäre das dann authentisch gewesen?
II.
-Herr Kummer, was war Ihre Absicht?
Natürlich ging es mir auch ums Geld. Vordergründig wollte ich mit gesellschaftlichen Begriffen von Wahrheit, Authentizität und Objektivität experimentieren. Das hat auch alles wunderbar geklappt - ich konnte immer absurdere Dinge schreiben, die sich immer besser verkauft haben. Und natürlich sollten unsere Stars mal wirklich interessante Sachen erzählen fernab dem Geseire, dass vom Image-bewussten Agenten geschrieben wurde.
-Was können wir aus dem Fall Kummer lernen?
Es ist eine praktische Vorführung konstruktivistischer Theorien. Meine Interviews zeigen, wie einfach sich mediale Wirklichkeit produzieren läßt. Es hat sich gezeigt, dass das Kaufinteresse die Interviews entscheidend beeinflusst. Vereinfacht gesagt: je absurder das Interview, je größer die Verkaufszahlen. Man muss bei der Entstehung einer medialen Wirklichkeit somit nach Karrieren, Konkurrenzen, Dumpingpreisen, Marktsegementen und Börsenständen fragen. Mediale Wirklichkeit ist einfach gesprochen produzierte Wirklichkeit.
-Darf man jetzt nichts mehr glauben?
Man muss eher die Frage stellen, warum der Journalismus seine Suche nach der Wirklichkeit so vehement verteidigt. Das spiegelt sich auch in der Frage, was man denn nun noch glauben könnte, wieder.
Einerseits wird offensichtlich, dass alle, die an der Produktion medialer Wirklichkeit beteiligt sind, beachtet werden müssen, will man dieses Phänomene hinterfragen. Andererseits gibt es das Authentische einfach nicht. Welche Wirklichkeit wäre es denn gewesen, wenn ich mich mit Brad Pit getroffen hätte.
Und wir müssen fragen, warum uns irgendwas von Brad Pit überhaupt interessiert.
Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt, den Sie da ansprechen. Es ist von außen betrachtetet geradezu absurd: Eine sehr geringe Anzahl von Menschen wird immer und immer wieder interviewt. Es stellt sich die Frage, wer denn die Personen sind, die medial eine Stimme bekommen. Wer darf in diesem Medien überhaupt sprechen. Und mit Sprechen verbinde ich auch Definitionsmacht und Einflussnahme auf gesellschaftliche Diskurse.
Und: Diese Frage nach den Personen muss man der gesamten medialen Welt stellen. Zum einen stellen die gesellschaftlichen Positionen, von denen aus Personen medial sprechen, auch deren spezifische Sichtweisen dar. Klassenzugehörigkeit, Ethnizität, Geschlecht, Möglichkeiten des Zugangs zu Bildung etc. spielen dabei entscheidende Rollen. Es gibt keine Objektivität, sondern nur Standpunkte, von denen aus gesprochen wird. Zum anderen lernen wir dabei, dass wir, die mediale Wirklichkeit gestalten, Privilegien besitzen und andere Positionen nicht hörbar werden.
-Ihre Interviews reproduzieren zahlreiche sexistische und rassistische Klischees.
Nunja, ich glaube nicht, dass ich Interviews hätte verkaufen können, die in einer wie auch immer gearteten Weise der political correctness entsprechen
-...andererseits sprechen Sie von einer weißen männlichen Person und reproduzieren auch deswegen Rassismus und Sexismus.
Mh...
Im September 2000 deckte das Nachrichtenmagazin der Spiegel auf, dass Tom Kummer Hollywood’-Korespondent des Magazins der süddeutschen zeitung über zwei Jahre selbst geschriebene Interviews an das magazin verkauft hatte. Kummer war über einen langen Zeitraum ‘. Von ihm kamen Interviews mit Sharon Stone, Mike Tyson, Brad Pit, Courtney Love, Kim Basinger, ... - fast allen damals berühmten Hollywood-Größen.
In den 80ern lebt Kummer für länger in Berlin. Er fängt an für Tempo(?) zu schreiben. Nach seiner Kündigung zieht er nach L.A., verbringt dort mehrere Jahre Von nun an ist Kummer für das SZ-Magazin der Mann vor Ort in Los Angeles.
Seine Interviews sind lebendig und stoßen auf große Resonanz. Mike Tyson philosophiert über französisches Essen, Brad Pit berichtet von Abenteuern in der kanadischen Wildniss. Courtney Love lässt er sagen “Warum sollen nur Männer den ganzen Spaß haben? Als ob es einer Frau nicht erlaubt wäre, sich für Selbstzerstörung zuständig zu fühlen Der Leser wird nicht mit schnöden Alltäglichkeiten abgespeist, sondern unterhalten.
Dies ist auch der Grund, warum es lange keine Zweifel seitens seiner Arbeitgeber gab: Die Interviews kamen den Bedürfnissen der LeserInnenschaft entgegen und förderten damit den Verkauf - und das ist unter den gegebenen kapitalistischen Verhältnissen natürlich das Hauptkriterium.
Tom Kummer behauptet sogar später, dem damaligen Chefredakteur des Magazins sei seine Arbeitsweise von Anfang an bekannt gewesen. Das erscheint auch glaubwürdig, bedenkt man, dass die Summen, die Kummer kassierte, gängige Hollywood-Preise deutlich unterschritten. Auch sollte es doch verwunderlich erscheinen, dass sämtliche Stars aus Kalifornien auf ein Mal wie versessen darauf waren, im SZ-Magazin zu erscheinen ... .
‘99 bekommt Kummer vom Magazin die Kündigung. Ein Jahr später wird Kummer mit einem Bericht im ”Fakten, Fakten, Fakten”-Magazin Focus zum Fall Kummer. Als Skandal wird Kummers Arbeitsweise bezeichnet. Von ”Fälschungen” ist die Rede. Christian Kämmerling vom SZ-Magazin erkennt einen Anschlag auf das ”Ethos des Journalismus”.
Eines ist unter den ”Fakten, Fakten, Fakten” offensichtlich wirklich fakt: Kummers Anfertigungen sind spannender und lebendiger als hundert Focus-generierte Interviews zusammen.
Im Wesentlichen stellen sich mit dem Fall Kummer jedoch viel weitgängigere Fragen. Kummer hat die Authentizitäts-Falle aufgestellt und sie ist zugeschnappt. Was für eine Wirklichkeit Wäre uns begegnet, wenn er sich mit Stars getroffen hätte? Wäre das dann authentisch gewesen?
II.
-Herr Kummer, was war Ihre Absicht?
Natürlich ging es mir auch ums Geld. Vordergründig wollte ich mit gesellschaftlichen Begriffen von Wahrheit, Authentizität und Objektivität experimentieren. Das hat auch alles wunderbar geklappt - ich konnte immer absurdere Dinge schreiben, die sich immer besser verkauft haben. Und natürlich sollten unsere Stars mal wirklich interessante Sachen erzählen fernab dem Geseire, dass vom Image-bewussten Agenten geschrieben wurde.
-Was können wir aus dem Fall Kummer lernen?
Es ist eine praktische Vorführung konstruktivistischer Theorien. Meine Interviews zeigen, wie einfach sich mediale Wirklichkeit produzieren läßt. Es hat sich gezeigt, dass das Kaufinteresse die Interviews entscheidend beeinflusst. Vereinfacht gesagt: je absurder das Interview, je größer die Verkaufszahlen. Man muss bei der Entstehung einer medialen Wirklichkeit somit nach Karrieren, Konkurrenzen, Dumpingpreisen, Marktsegementen und Börsenständen fragen. Mediale Wirklichkeit ist einfach gesprochen produzierte Wirklichkeit.
-Darf man jetzt nichts mehr glauben?
Man muss eher die Frage stellen, warum der Journalismus seine Suche nach der Wirklichkeit so vehement verteidigt. Das spiegelt sich auch in der Frage, was man denn nun noch glauben könnte, wieder.
Einerseits wird offensichtlich, dass alle, die an der Produktion medialer Wirklichkeit beteiligt sind, beachtet werden müssen, will man dieses Phänomene hinterfragen. Andererseits gibt es das Authentische einfach nicht. Welche Wirklichkeit wäre es denn gewesen, wenn ich mich mit Brad Pit getroffen hätte.
Und wir müssen fragen, warum uns irgendwas von Brad Pit überhaupt interessiert.
Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt, den Sie da ansprechen. Es ist von außen betrachtetet geradezu absurd: Eine sehr geringe Anzahl von Menschen wird immer und immer wieder interviewt. Es stellt sich die Frage, wer denn die Personen sind, die medial eine Stimme bekommen. Wer darf in diesem Medien überhaupt sprechen. Und mit Sprechen verbinde ich auch Definitionsmacht und Einflussnahme auf gesellschaftliche Diskurse.
Und: Diese Frage nach den Personen muss man der gesamten medialen Welt stellen. Zum einen stellen die gesellschaftlichen Positionen, von denen aus Personen medial sprechen, auch deren spezifische Sichtweisen dar. Klassenzugehörigkeit, Ethnizität, Geschlecht, Möglichkeiten des Zugangs zu Bildung etc. spielen dabei entscheidende Rollen. Es gibt keine Objektivität, sondern nur Standpunkte, von denen aus gesprochen wird. Zum anderen lernen wir dabei, dass wir, die mediale Wirklichkeit gestalten, Privilegien besitzen und andere Positionen nicht hörbar werden.
-Ihre Interviews reproduzieren zahlreiche sexistische und rassistische Klischees.
Nunja, ich glaube nicht, dass ich Interviews hätte verkaufen können, die in einer wie auch immer gearteten Weise der political correctness entsprechen
-...andererseits sprechen Sie von einer weißen männlichen Person und reproduzieren auch deswegen Rassismus und Sexismus.
Mh...