"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - 1000-Watt-Gesellschaft-

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Über die Grenzen des Wachstums wird seit einem halben Jahrhundert gestritten, wobei die Bevölkerung nur sporadisch in die Diskussion einbezogen wird, denn solange der normale Mensch Luxus und Prunk bei den Eliten sieht, kommt er nicht spontan auf den Gedanken, dass es ausgerechnet an ihm liegen könnte, wenn die Ressourcen knapp werden.
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10:40 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 01.01.2014 / 19:31

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 01.01.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Aber natürlich ist es in dieser Beziehung die Masse, welche ins Gewicht fällt; so viel Erdöl und Erdölderivate kann die Elite alleine gar nicht konsumieren, wie dies seit drei Generationen der Fall ist. Und dass es zuviel ist, das will ich hier mal unbesehen übernehmen; zwar wird der Peak Oil, also der Höhepunkt des Erdölabbaus, ebenfalls seit einem halben Jahrhundert immer weiter hinaus geschoben, weil immer neue Lager entdeckt werden, im Atlantik oder in der Arktis, und mit einiger Sicherheit wird man auch irgendwann in 5000 Metern Tiefe im Pazifik fündig, und wenn dort dann ebenfalls alles abgesaugt ist, dann machen wir uns halt weiter an die Ölsandtechnologie, und vermutlich werden dann weitere Technologien entdeckt, die dann einfach noch etwas giftiger sind, aber Hauptsache, wir wachsen weiter.

Ich spreche hin und wieder mit Wachstumskritikerinnen und Schrumpffanatikerinnen. Einige unter ihnen streben eine Gesellschaft an, in welcher jede Person einen Energieumsatz von nur noch 1000 Watt pro Person zugute hätte, und seit einiger Zeit liegen auch ein paar konkrete Angaben vor dazu, was das bedeuten würde. Ich erlaube mir, das hier mal zu zitieren: Der Privatwohnraum würde 20 Quadratmeter pro Person betragen, allerdings in Kombination mit sehr großzügigen Gemeinschaftsflächen; man hätte kein individuelles Auto und würde keine Flugreisen tätigen; pro Tag wären 9 Kilometer Bahnfahren drin sowie pro Jahr eine Europareise von 2000 Kilometern, ebenfalls pro Bahn; eine weitere Option wäre eine Schiffsreise von 12'000 Kilometern pro Jahr. Sodann gäbe es pro Person 18 Kilogramm Fleisch im Jahr – diese Position macht mir persönlich fast am meisten zu schaffen, aber was will man machen; der Wasserverbrauch pro Person und Tag wäre 70 Liter, und dann gäbe es ein Zeitungsexemplar pro 10 Menschen, die miteinander wohnen. Diese Vorgaben wurden von ein paar Energiebuchhalterinnen errechnet, wobei man als Gegenpol gleich anfügen muss, dass diesem Modell nicht nur die Einschränkung im Konsum, sondern auch eine recht angenehme Vision zugrunde liegt, nämlich das Wohnen in Gemeinschaften beziehungsweise Nachbarschaften auf dem Standard eines 4-Stern-Hotels. Dies wird möglich durch die Rationalisierung verschiedener Abläufe und Arbeiten, zum Beispiel Waschen und Kochen, und so besehen macht die ganze Übung schon einen viel vernünftigeren Eindruck.

Aber solche Vorschläge haben vorderhand nur eine sehr beschränkte Reichweite. In dieser Jahreszeit feiern wir mit Weihnachten den ritualisierten jährlichen Höhepunkt des Konsums, allerdings in einer sehr freundlichen Variante, nämlich des Schenkens und der Einladungen; man könnte einerseits sagen, dass sich an Weihnachten jene urgesellschaftlichen Muster erhalten haben, bei denen jeweils in Zeiten des Überflusses möglichst alle Vorräte in möglichst kurzer Zeit weg gesoffen und weg gefressen wurden; anderseits verbindet sich das Ritual mit einer eminent sozialen Komponente, die sich natürlich auch in einer 1000-Watt-Gesellschaft problemlos halten kann. Wie man jedoch auf den Weg in Richtung 1000-Watt-Gesellschaft einschwenken kann, davon habe ich noch nichts Vernünftiges gehört. Solange die Zuteilung von Kaufkraft hauptsächlich über die in der global arbeitsteiligen Produktion ausbezahlten Löhne erfolgt, können wir noch so gute Modelle aufstellen; sie werden uns nicht viel helfen, solange die Spielregeln nicht geändert werden, und wie man solche Spielregeln ändert, dazu gibt es keine einfachen Anleitungen. Sowieso ist es immer wieder ein Stolperstein, dass unsere Diskussionen über die Grenze des Wachstums völlig beschränkt bleibt auf die entwickelten Gesellschaften, während die überwiegende Mehrheit der Menschen auf dem Planeten im Gegenteil mehr Wachstum will, um endlich auch einmal daran teilzuhaben. Und dieser Forderung kann man sich nicht so leicht entgegen stellen.

Immerhin nimmt das Angebot eines 4-Sterne-Standards dem Maßhalteappell ziemlich viel von seiner Schärfe. Was dagegen eben unscharf bleibt, das sind die Umgebungsvariablen: Was soll man denn noch tun in einer Gesellschaft, deren Hauptaktivität das Energiesparen ist? Wenn der globale Verbrauch von Automobilen schrumpft von, was weiß ich, 500 Millionen Fahrzeugen pro Jahr auf nur noch 5 Millionen, wie sollen sich all die Hunderttausenden von Arbeitnehmern neu ausrichten, welche direkt oder indirekt an dieser, leider nach wie vor Leitindustrie hängen? Einmal abgesehen von den gewaltigen Praxiserfahrungen, welche aus dem Massenkonsum beziehungsweise der Massenproduktion dafür gewonnen werden, und eben schon mal ganz abgesehen vom legitimen Wunsch der armen Länder, auch einmal einen Lebensstandard wie den unseren zu genießen. Nein, diese 1000-Watt-Gesellschaft steht definitiv nicht vor der Türe. Trotzdem ist es vernünftig, sich mit diesen Überlegungen auseinander zu setzen. Und gleichzeitig sollte man auch noch die sozialen Fragen nicht außer Acht lassen, also jenen Bereich, der immer weniger die Probleme der materiellen Armut umfasst und dafür immer mehr die Fragen der echten Mitbestimmung, der echten Souveränität, der echten Beteiligung der Menschen im Land an den maßgeblichen Entscheidungen. Über all diese Dinge werden die politisch interessierten Menschen sowohl in Deutschland als auch in England und Polen und in Bulgarien auch im nächsten Jahr diskutieren.

Sofern es diese Spezies in den entwickelten Ländern überhaupt noch gibt. Manchmal hat man den Eindruck, dass das Interesse der meisten Menschen am politischen Diskurs erloschen sei, und zwar wohl in erster Linie deshalb, weil dieser Diskurs unterdessen weitgehend vollautomatisiert geführt wird mit Parolen, welche die Opponenten einander vermeintlich vorwerfen, während sie in Tat und Wahrheit bestens ab- und eingeschliffen und voll geölt sind und ziemlich offensichtlich nicht mehr erzeugen als ein wunderbares Berliner Volkstheater. Die echten Entscheide fallen hinter den Kulissen, soviel merkt man nach einigen Jahren der Politikbeobachtung, und man merkt auch, dass die echten Entscheide gar nicht in der Politik gefällt werden, sondern von weitgehend unsichtbaren Entwicklungen auf den internationalen Märkten, wo rätselhafte Mächte dafür sorgen, dass gewisse Tendenzen entstehen und sich durchsetzen, während andere Tendenzen auf der Strecke bleiben. Da erscheint es als ausgebauter Selbstbetrug, wenn man sich mit Politik beschäftigt unter dem Vorwand, man versuche etwas zu verändern oder gar zu verbessern. Abgesehen davon zeichnet sich die ultimative sozialdemokratische Staatsform ja gerade dadurch aus, dass sie sich bemüht, unter­schied­liche, wo nicht gegensätzliche Interessen möglichst reibungsfrei unter einen Hut zu bringen, soweit sie nicht die übergeordneten Interessen des Kapitals und der Eliten verletzen. Dabei stoßen wir beiläufig auf eine Kernsphäre der sozialdemokratischen Herrschaft: Unter sozialdemokratischen Bedingungen haben Kapital und Eliten eben eingesehen, dass ihre übergeordneten Interessen dann am längsten Bestand haben, wenn sie auch auf andere Rücksicht nehmen. Und so kann das fast endlos weiter gehen, bis die produktiven Grundlagen, nämlich eben die Vollautomation, dann doch eines Tages definitiv an ihre Grenzen stoßen und sich selber weg rationalisieren. Aber bis dahin kann das noch sehr lange dauern.

Sprechen wir von was anderem. Es ist seit längerer Zeit Mode, US-amerikanische Fernsehserien zu lobpreisen, und dementsprechend erhielten auch wir wieder mal so eine Produktion zur Kenntnisnahme beziehungsweise zur Ansicht, nämlich «Homeland», und in der Zwischenzeit haben wir die erste Staffel konsumiert. Was soll ich sagen: Abgesehen davon, dass ich die männliche Hauptrolle mit Damian Lewis für ziemlich hölzern besetzt halte, ist die Reihe durchaus spannend, aber in erster Linie spielt sie natürlich auf der Klaviatur der antiislamischen Vorurteile, abgesehen davon, dass mindestens in der ersten Staffel auch die Schwarzen nicht besonders gut abschneiden. Es ist eine George-Dobbeljuh-Busch-Serie, welche auf praktisch allen Ebenen die Legitimität des Kampfs gegen den Terror und weiter hinten des Kampfs ums Erdöl bejaht, auch dann, wenn es um einen Drohnen-Angriff auf eine Schule an der irakisch-syrischen oder meinetwegen an der afghanisch-pakistanischen Grenze geht, so genau will ich das ja nicht einmal wissen. Aus einer familiären Zwangslage heraus werde ich auch die zweite Staffel ankucken müssen und kann dann mein Urteil konsolidieren oder revidieren, je nachdem; aber mit einer tiefer greifenden Tendenzwende rechne ich durchaus nicht. Laut dem Schlauen Buch des Fähnleins Fieselschweif beruht Homeland auf einer israelischen TV-Serie mit dem Titel «Kriegsgefangene», und ich gehe mal davon aus, dass die jeweiligen Vorurteile gegenüber dem Feind in etwa die gleichen sind.
Mir haben in letzter Zeit zwei kleine Serien europäischer Bauart gut gefallen, nämlich «Lilly­hammer» mit dem amerikanischen Schauspieler Steven Van Zandt als Mafioso im Exil. Hier geht es nicht so sehr um die Spannung als vielmehr um das Vergnügen, einen festen Bestandteil der ehemaligen Soprano-Serienfamilie in seinem Zeugenschutzprogramm in Norwegen zu verfolgen. Hier steht die Ausstrahlung der zweiten Staffel hoffentlich demnächst bevor. Und dann war da die Serie «Real Humans» über menschliche Haushalt- und Lebenshilfen, Roboter, welche ziemlich schwedisch aussehen und selbstverständlich so etwas wie eine Roboter-Befreiungsbewegung bilden. Diese Serie macht vor allem Vergnügen wegen der Ambivalenz der Gefühle, die man den sehr menschlichen Robotern entgegen bringt; es ist auf einer bestimmten Ebene ein anhaltendes Spiel mit der eigenen politischen Korrektheit, vor allem, wenn man nicht sofort errät, ob die dargestellte Person nun eben ein Roboter, also eine Sache ist oder eben doch ein echter Mensch. Das funktioniert schon sehr prächtig.

Was ich mir dagegen voraussichtlich ersparen werde, ist der Nachfolgeroman zum Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand, nämlich «Die Analphabetin, die rechnen konnte» von Jonas Jonasson; hier sind schon zahlreiche Wetten am Laufen, wie der nächste Buchtitel lauten wird und ob er ebenfalls zwangsläufig an die Spitze der Bestsellerliste klettern wird, was wir einem insgesamt doch recht unbedarften Lesepublikum sofort zutrauen, also zum Beispiel «Das Känguruh, das fluchte wie ein Löwe» oder «Das Baby, das seinen Speck nicht aufessen wollte» und so – aber solche kleine Marketing-Ereignisse machen die Welt selbstverständlich weder besser noch schlechter.