"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann -Der IWF-
ID 51599
Einmal abgesehen von der Erhöhung der Mittel von 476 Mia. US-Dollar auf über 1 Billion sowie der Reform von Quoten und Stimmrechten, bei welcher die Schwellenländer mehr Einfluss erhalten sollen, hat das Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds keine wesentlichen neuen Einsichten gebracht.
Audio
10:24 min, 19 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 22.10.2012 / 13:55
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Klassifizierung
Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Entstehung
AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 22.10.2012
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Europa ist ein Wackelkandidat, von den USA weiß man auch nicht so recht, wie es weiter gehen soll, und insgesamt werden die Probleme lokalisiert im Spannungsfeld zwischen Staatsverschuldung bzw. dem Schuldenabbau einerseits, der Schaffung von Wirtschaftswachstum und neuen Arbeitsplätzen anderseits. Ob so viel Einsicht bringt man das Gähnen demnächst wohl nur noch operativ oder medikamentös aus den Gesichtsmuskeln. All das wissen wir doch längst, aber wir wissen nach wie vor nicht, was bei uns wirklich abgeht.
Nur schon die Finanz- und Staatsschuldenkrise verursacht einiges Kopfzerbrechen. Nach einiger Überlegung bin ich zum provisorischen Schluss gekommen, dass die unglaublichen Kapitalüberhänge auf den globalen Finanzmärkten längst nichts mehr zu tun haben damit, dass sich die Schere zwischen Reich und Arm immer mehr öffnet; und ich glaube auch nicht, dass eine aus wenigen Bilderberger-Finanzkapitalisten und Industrieoligarchen bestehende kleine Elite all diese Vermögen besitzt. Vielmehr dürfte es zutreffen, was jemand jüngst öffentlich behauptet hat, nämlich dass uns in der Finanzmarktkrise nicht zuletzt unsere eigenen Sparguthaben feindlich entgegentreten. Ich habe weder die entsprechenden Zahlen zur Hand noch einschlägige Studien, welche es belegen, aber ich gehe trotzdem davon aus, dass in den entwickelten Ländern in den letzten Jahren und Jahrzehnten Löhne ausgerichtet wurden, die weit über dem absolut Lebenslotwendigen lagen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Produkte unseres täglichen Verbrauchs bis hin zur Konsumelektronik immer billiger geworden sind. Im Durchschnitt kann ein normaler Beschäftigter oder eine normale Beschäftigte heute im Jahr zwischen 5000 und 50'000 Euro zur Seite legen – selbstverständlich nur unter der Bedingung, dass er in soweit regulären Anstellungsverhältnissen beschäftigt ist und keine allzu große Familie zu ernähren hat, aber das dürfte eben bei einer ganz ansehnlichen Zahl von Menschen zutreffen. Wenn ich also mal unterstelle, dass die Hälfte der EinwohnerInnen eures schönen Landes, also um die 50 Mio. Menschen im Jahr 10'000 Euro auf die hohe Kante legen, dann macht das allein für Deutschland 500 Mia. Euro. Auf 10 Jahre umgelegt, ergäben sich 5 Bio. Euro, und damit wäre bereits rund ein Drittel des gesamten Anlagevermögens in Eurem Land in Volkes Händen.
Natürlich ist es nicht in Volkes Händen, einerseits, weil sich die Bevölkerung mit dem Eingemachten ja an die Banken und Fonds wendet und nicht eine einzige Volksbank- und Beteiligungsgesellschaft gründet, und die Banken und Fonds stehen unter der Kontrolle ihrer Besitzer und des Managements, während Investitionen in der Realwirtschaft oft aus den selbst erarbeiteten Unternehmenserträgen finanziert werden und nicht mit fremden Geldern, und wenn dies dann doch einmal der Fall ist, so verschaffen die Kredite noch lange nicht zwingend einen Einfluss auf das Unternehmen. Zum anderen und vor allem aber fließen die Gelder nur zu einem kleinen Teil wirklich ins Anlagevermögen; der Großteil zieht ein Leben auf den Finanzmärkten vor, wo viel höhere Renditen winken, und genau auf diese Art und Weise tragen die normalen BewohnerInnen der reichen Länder mit ihren Sparguthaben und Pensionskassengeldern dazu bei, dass immer mehr Gelder auf dem Globus herum irren, angeblich auf der Suche nach einer halbwegs rentablen Investitionsgelegenheit, die es aber in der Realwirtschaft schon längst nicht mehr gibt, mindestens nicht zu jenen Konditionen, welche offenbar wie ein unverrückbares Dogma über den Kapitalmärkten hangen, und somit bilden sie eben einen wichtigen Teil der aktuellen Probleme auf den Finanzmärkten.
Die Anlagen auf den Finanzmärkten können durch technische Tricks bis zu einem gewissen Grad ausgedehnt werden, ohne dass dies einen Einfluss hat auf das Gesamtsystem, zum Beispiel durch die einfache Erhöhung der Zirkulationsgeschwindigkeit. Ich nenne als Beispiel einen Hypothekarkredit. Normalerweise liegt das in eine Liegenschaft investierte Geld unter dem Titel einer Hypothek sozusagen begraben in der Immobilie, was weiß ich, für dreißig, vierzig Jahre, und es wirft sauber seine bescheidenen Zinsen ab, und die Welt ist in Ordnung. Aber zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt ein findiger Banker auf die Idee, die Hypotheken zu verbriefen und damit handelbar zu machen. Damit erweckt er diese Papiere sozusagen aus ihrem Dornröschenschlaf; er kann mit den entsprechenden Werttiteln auf den Kapitalmärkten auftreten und gutes Geld lösen. Wenn dann solche Papiere noch weiter deriviert werden und auf den Märkten in immer höherer Geschwindigkeit zirkulieren, dann hat sich der Finanzmarkt eben um ein Mehrfaches ausgedehnt. Und an einem gewissen Punkt ist die Obergrenze dann halt einmal erreicht und überschritten, vor allem dann, wenn die zugrunde liegenden Werte nicht mehr bedient werden können und kollabieren.
Das ist vor vier Jahren geschehen, aber was soll ich sagen, ich gehe davon aus, dass die Schrumpfung nicht mehr als etwa einen Fünftel betraf, während das gesamte um die Welt herum flutende Finanzkapital nach wie vor ein Mehrfaches, und zwar ungefähr das Fünffache sämtlicher real existierender Werte auf der ganzen Welt ausmacht, wobei real existierend heißt, dass sie ungefähr im Bereich des Zugriffs durch die Weltwirtschaft liegen. Normalerweise wird zur Begründung dieser Finanzsphäre jeweils vorgebracht, dass sie dazu diene, jederzeit die nötigen Finanzmittel für die Realwirtschaft bereitzustellen. Dass dies absurd ist, wissen wir unterdessen längst, denn wie gesagt, die Realwirtschaft erwirtschaftet sich ihre Mittel in der Regel selber, und dort, wo es um die Finanzierung neuer Projekte geht, dort wenden sich die Finanzmärkte angewidert ab, da hier nämlich ein reales Risiko lauert bzw. die laut Dogma erforderlichen Renditen nicht innerhalb von 3 Monaten erzielbar sind.
Wie auch immer: In der Finanzkrise erlitten die Banken ganz offensichtlich reale, nämlich reale Buchverluste, und damit das ganze System nicht kollabiert, mussten diese Buchverluste auf die Staaten umgelegt werden. Davon profitierten einwandfrei auch die Kleinanleger, solidarisch mit den Großinvestoren. Umgekehrt haben jetzt die Staaten an ihren Schulden zu beißen, und da besteht ein echter Interessenkonflikt: Wenn man die Banken für diese Schulden bezahlen lässt, dann hängen die Kleinsparer ebenso mit drin, wie wenn sie es über Steuern bezahlen sollen. In einer Gesellschaft, welche hoch hysterisch mediatisiert ist zum einen und zum anderen absolut – na, nicht desinformiert, sondern einfach von Grund auf nicht informiert, lassen sich eigentlich beide Varianten nicht verkaufen. Realpolitik bedeutet in dieser Situation, den Versuch zu unternehmen, ob die Gesellschaft und der Staat trotz den riesigen Schuldenbergen weiterhin funktionieren. Unter der Voraussetzung tiefer Zinsen kann das eine Zeitlang klappen; irgendwann aber muss man dann einmal damit beginnen, diese Schulden über eine Inflation zu entwerten, und was die Auswirkungen dieses Prozesses z.B. auf die Sparguthaben sind, das kann ich beim besten Willen nicht vorhersehen. Im Übrigen ist auch denkbar, dass die Kapitalmärkte sich wieder so weit aufblasen, dass die Schulden über irgendeinen Kapitalmarkt-Mechanismus abgetragen oder mindestens substanziell reduziert werden können. Bis es zum nächsten Mal knallt.
In den letzten Jahren hat man sich jedenfalls daran gewöhnt, dass es in vielen Fällen klappt mit den bisherigen Produktions-, Konsumations- und Sparmechanismen, während gleichzeitig die Schulden sozusagen wie ein neues, externes, weitgehend abgeschottetes Element mit geführt werden. Vielleicht hält diese Sichtweise ja dicht, das weiß man bei diesem vertrackten postkapitalistischen System nie so genau. Ich hatte schon immer die Vermutung, dass sich das Kapital immer wieder neue Luftschlösser zu errichten versucht, die im realen Banken- und Kreditleben durchaus tragfähig sein können, wenn die Menschen bloß daran glauben. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nur schon unser Geldsystem nichts anderes ist als eine reine Glaubenssache, an die wir uns allerdings inzwischen bis aufs Blut gewöhnt haben aufgrund der unzähligen positiven Erfahrungen, die wir damit machen, es funktioniert ja immer alles. Trotzdem ist Geld letztlich ein Glaubenskonstrukt. Und aufgrund genau dieser Eigenschaft kann es durchaus sein, dass dieser Glaube sich immer weiter ausdehnt.
Dies betrifft allerdings auch einen anderen Bereich der Gesellschaft, nämlich die Abteilung Wachstum und Arbeitsplätze. Bei uns ist ja eigentlich nicht das Problem, dass wir zuwenig Waren produzieren täten, ganz im Gegenteil. Einen richtigen Wachstumsschub gäbe es bei uns, also in den entwickelten Staaten der Erde, nur dann, wenn wir ein ganzes Jahr lang überhaupt nichts mehr produzieren täten, inklusive der Lebensmittel, denn davon haben wir mit Sicherheit auch Vorräte für die ganze Weltbevölkerung auf zehn Jahre hinaus. Mit anderen Worten: Die einzige Möglichkeit, ein echtes Wachstum zu generieren, wäre ein vorhergehender mindestens einjähriger kompletter Produktionsstopp, ein Sabbatical für die Wirtschaft. Aber das war es wohl nicht, was Christine Lagarde gemeint hat, als sie von der Schaffung von Arbeitsplätzen sprach. Meine Damen und Herren: Arbeitsplätze gut und recht, aber was soll denn dort produziert werden? – Schon in der heutigen Wirtschaftswelt, damit dies wieder mal gesagt wird, leisten in den entwickelten Ländern nur noch höchstens 50 Prozent der Arbeitskräfte eine tatsächlich ökonomisch und gesellschaftlich sinnvolle Arbeit, nämlich eine Minderheit in der Produktion sowie einige Dienstleistungen und der Pflegebereich. Der Rest funktioniert auch in der Realwirtschaft wie ein reines Glaubensgebilde. Aber bitte, wenn es denn so ist und wenn diese Gesellschaft ums Verrecken nicht die Phantasie hat, sich endlich mal auch eine andere Art des gemeinschaftlichen Handelns vorzustellen, dann machen wir halt so weiter. Man kann sich sogar innerhalb dieses Systems vorstellen, dass man am Schluss ein paar lustige und bereichernde Aktivitäten herausfindet. Sogar im Rahmen von Arbeitsplätzen.
Trotzdem: Irgendwann müssen wir aus diesen Paradigmen raus, und das heißt gleichzeitig, dass irgendwann mal das Gespräch über die Welt nach der Organisation in industriellen Firmen eingeleitet werden sollte.
Nur schon die Finanz- und Staatsschuldenkrise verursacht einiges Kopfzerbrechen. Nach einiger Überlegung bin ich zum provisorischen Schluss gekommen, dass die unglaublichen Kapitalüberhänge auf den globalen Finanzmärkten längst nichts mehr zu tun haben damit, dass sich die Schere zwischen Reich und Arm immer mehr öffnet; und ich glaube auch nicht, dass eine aus wenigen Bilderberger-Finanzkapitalisten und Industrieoligarchen bestehende kleine Elite all diese Vermögen besitzt. Vielmehr dürfte es zutreffen, was jemand jüngst öffentlich behauptet hat, nämlich dass uns in der Finanzmarktkrise nicht zuletzt unsere eigenen Sparguthaben feindlich entgegentreten. Ich habe weder die entsprechenden Zahlen zur Hand noch einschlägige Studien, welche es belegen, aber ich gehe trotzdem davon aus, dass in den entwickelten Ländern in den letzten Jahren und Jahrzehnten Löhne ausgerichtet wurden, die weit über dem absolut Lebenslotwendigen lagen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Produkte unseres täglichen Verbrauchs bis hin zur Konsumelektronik immer billiger geworden sind. Im Durchschnitt kann ein normaler Beschäftigter oder eine normale Beschäftigte heute im Jahr zwischen 5000 und 50'000 Euro zur Seite legen – selbstverständlich nur unter der Bedingung, dass er in soweit regulären Anstellungsverhältnissen beschäftigt ist und keine allzu große Familie zu ernähren hat, aber das dürfte eben bei einer ganz ansehnlichen Zahl von Menschen zutreffen. Wenn ich also mal unterstelle, dass die Hälfte der EinwohnerInnen eures schönen Landes, also um die 50 Mio. Menschen im Jahr 10'000 Euro auf die hohe Kante legen, dann macht das allein für Deutschland 500 Mia. Euro. Auf 10 Jahre umgelegt, ergäben sich 5 Bio. Euro, und damit wäre bereits rund ein Drittel des gesamten Anlagevermögens in Eurem Land in Volkes Händen.
Natürlich ist es nicht in Volkes Händen, einerseits, weil sich die Bevölkerung mit dem Eingemachten ja an die Banken und Fonds wendet und nicht eine einzige Volksbank- und Beteiligungsgesellschaft gründet, und die Banken und Fonds stehen unter der Kontrolle ihrer Besitzer und des Managements, während Investitionen in der Realwirtschaft oft aus den selbst erarbeiteten Unternehmenserträgen finanziert werden und nicht mit fremden Geldern, und wenn dies dann doch einmal der Fall ist, so verschaffen die Kredite noch lange nicht zwingend einen Einfluss auf das Unternehmen. Zum anderen und vor allem aber fließen die Gelder nur zu einem kleinen Teil wirklich ins Anlagevermögen; der Großteil zieht ein Leben auf den Finanzmärkten vor, wo viel höhere Renditen winken, und genau auf diese Art und Weise tragen die normalen BewohnerInnen der reichen Länder mit ihren Sparguthaben und Pensionskassengeldern dazu bei, dass immer mehr Gelder auf dem Globus herum irren, angeblich auf der Suche nach einer halbwegs rentablen Investitionsgelegenheit, die es aber in der Realwirtschaft schon längst nicht mehr gibt, mindestens nicht zu jenen Konditionen, welche offenbar wie ein unverrückbares Dogma über den Kapitalmärkten hangen, und somit bilden sie eben einen wichtigen Teil der aktuellen Probleme auf den Finanzmärkten.
Die Anlagen auf den Finanzmärkten können durch technische Tricks bis zu einem gewissen Grad ausgedehnt werden, ohne dass dies einen Einfluss hat auf das Gesamtsystem, zum Beispiel durch die einfache Erhöhung der Zirkulationsgeschwindigkeit. Ich nenne als Beispiel einen Hypothekarkredit. Normalerweise liegt das in eine Liegenschaft investierte Geld unter dem Titel einer Hypothek sozusagen begraben in der Immobilie, was weiß ich, für dreißig, vierzig Jahre, und es wirft sauber seine bescheidenen Zinsen ab, und die Welt ist in Ordnung. Aber zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt ein findiger Banker auf die Idee, die Hypotheken zu verbriefen und damit handelbar zu machen. Damit erweckt er diese Papiere sozusagen aus ihrem Dornröschenschlaf; er kann mit den entsprechenden Werttiteln auf den Kapitalmärkten auftreten und gutes Geld lösen. Wenn dann solche Papiere noch weiter deriviert werden und auf den Märkten in immer höherer Geschwindigkeit zirkulieren, dann hat sich der Finanzmarkt eben um ein Mehrfaches ausgedehnt. Und an einem gewissen Punkt ist die Obergrenze dann halt einmal erreicht und überschritten, vor allem dann, wenn die zugrunde liegenden Werte nicht mehr bedient werden können und kollabieren.
Das ist vor vier Jahren geschehen, aber was soll ich sagen, ich gehe davon aus, dass die Schrumpfung nicht mehr als etwa einen Fünftel betraf, während das gesamte um die Welt herum flutende Finanzkapital nach wie vor ein Mehrfaches, und zwar ungefähr das Fünffache sämtlicher real existierender Werte auf der ganzen Welt ausmacht, wobei real existierend heißt, dass sie ungefähr im Bereich des Zugriffs durch die Weltwirtschaft liegen. Normalerweise wird zur Begründung dieser Finanzsphäre jeweils vorgebracht, dass sie dazu diene, jederzeit die nötigen Finanzmittel für die Realwirtschaft bereitzustellen. Dass dies absurd ist, wissen wir unterdessen längst, denn wie gesagt, die Realwirtschaft erwirtschaftet sich ihre Mittel in der Regel selber, und dort, wo es um die Finanzierung neuer Projekte geht, dort wenden sich die Finanzmärkte angewidert ab, da hier nämlich ein reales Risiko lauert bzw. die laut Dogma erforderlichen Renditen nicht innerhalb von 3 Monaten erzielbar sind.
Wie auch immer: In der Finanzkrise erlitten die Banken ganz offensichtlich reale, nämlich reale Buchverluste, und damit das ganze System nicht kollabiert, mussten diese Buchverluste auf die Staaten umgelegt werden. Davon profitierten einwandfrei auch die Kleinanleger, solidarisch mit den Großinvestoren. Umgekehrt haben jetzt die Staaten an ihren Schulden zu beißen, und da besteht ein echter Interessenkonflikt: Wenn man die Banken für diese Schulden bezahlen lässt, dann hängen die Kleinsparer ebenso mit drin, wie wenn sie es über Steuern bezahlen sollen. In einer Gesellschaft, welche hoch hysterisch mediatisiert ist zum einen und zum anderen absolut – na, nicht desinformiert, sondern einfach von Grund auf nicht informiert, lassen sich eigentlich beide Varianten nicht verkaufen. Realpolitik bedeutet in dieser Situation, den Versuch zu unternehmen, ob die Gesellschaft und der Staat trotz den riesigen Schuldenbergen weiterhin funktionieren. Unter der Voraussetzung tiefer Zinsen kann das eine Zeitlang klappen; irgendwann aber muss man dann einmal damit beginnen, diese Schulden über eine Inflation zu entwerten, und was die Auswirkungen dieses Prozesses z.B. auf die Sparguthaben sind, das kann ich beim besten Willen nicht vorhersehen. Im Übrigen ist auch denkbar, dass die Kapitalmärkte sich wieder so weit aufblasen, dass die Schulden über irgendeinen Kapitalmarkt-Mechanismus abgetragen oder mindestens substanziell reduziert werden können. Bis es zum nächsten Mal knallt.
In den letzten Jahren hat man sich jedenfalls daran gewöhnt, dass es in vielen Fällen klappt mit den bisherigen Produktions-, Konsumations- und Sparmechanismen, während gleichzeitig die Schulden sozusagen wie ein neues, externes, weitgehend abgeschottetes Element mit geführt werden. Vielleicht hält diese Sichtweise ja dicht, das weiß man bei diesem vertrackten postkapitalistischen System nie so genau. Ich hatte schon immer die Vermutung, dass sich das Kapital immer wieder neue Luftschlösser zu errichten versucht, die im realen Banken- und Kreditleben durchaus tragfähig sein können, wenn die Menschen bloß daran glauben. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nur schon unser Geldsystem nichts anderes ist als eine reine Glaubenssache, an die wir uns allerdings inzwischen bis aufs Blut gewöhnt haben aufgrund der unzähligen positiven Erfahrungen, die wir damit machen, es funktioniert ja immer alles. Trotzdem ist Geld letztlich ein Glaubenskonstrukt. Und aufgrund genau dieser Eigenschaft kann es durchaus sein, dass dieser Glaube sich immer weiter ausdehnt.
Dies betrifft allerdings auch einen anderen Bereich der Gesellschaft, nämlich die Abteilung Wachstum und Arbeitsplätze. Bei uns ist ja eigentlich nicht das Problem, dass wir zuwenig Waren produzieren täten, ganz im Gegenteil. Einen richtigen Wachstumsschub gäbe es bei uns, also in den entwickelten Staaten der Erde, nur dann, wenn wir ein ganzes Jahr lang überhaupt nichts mehr produzieren täten, inklusive der Lebensmittel, denn davon haben wir mit Sicherheit auch Vorräte für die ganze Weltbevölkerung auf zehn Jahre hinaus. Mit anderen Worten: Die einzige Möglichkeit, ein echtes Wachstum zu generieren, wäre ein vorhergehender mindestens einjähriger kompletter Produktionsstopp, ein Sabbatical für die Wirtschaft. Aber das war es wohl nicht, was Christine Lagarde gemeint hat, als sie von der Schaffung von Arbeitsplätzen sprach. Meine Damen und Herren: Arbeitsplätze gut und recht, aber was soll denn dort produziert werden? – Schon in der heutigen Wirtschaftswelt, damit dies wieder mal gesagt wird, leisten in den entwickelten Ländern nur noch höchstens 50 Prozent der Arbeitskräfte eine tatsächlich ökonomisch und gesellschaftlich sinnvolle Arbeit, nämlich eine Minderheit in der Produktion sowie einige Dienstleistungen und der Pflegebereich. Der Rest funktioniert auch in der Realwirtschaft wie ein reines Glaubensgebilde. Aber bitte, wenn es denn so ist und wenn diese Gesellschaft ums Verrecken nicht die Phantasie hat, sich endlich mal auch eine andere Art des gemeinschaftlichen Handelns vorzustellen, dann machen wir halt so weiter. Man kann sich sogar innerhalb dieses Systems vorstellen, dass man am Schluss ein paar lustige und bereichernde Aktivitäten herausfindet. Sogar im Rahmen von Arbeitsplätzen.
Trotzdem: Irgendwann müssen wir aus diesen Paradigmen raus, und das heißt gleichzeitig, dass irgendwann mal das Gespräch über die Welt nach der Organisation in industriellen Firmen eingeleitet werden sollte.