"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Direkte Demokratie konkret -
ID 42820
[35. Kalenderwoche]
Zur Abwechslung will ich hier mal einen Abstecher in die Praxis der direkten Demokratie machen, und zwar finden am nächsten Wochenende, dem 4. September 2011, hier in Zürich einige Abstimmungen statt, und zwar eine kantonale Abstimmung mit 4 Vorlagen sowie eine kommunale Abstimmung mit 3 Vorlagen.
Zur Abwechslung will ich hier mal einen Abstecher in die Praxis der direkten Demokratie machen, und zwar finden am nächsten Wochenende, dem 4. September 2011, hier in Zürich einige Abstimmungen statt, und zwar eine kantonale Abstimmung mit 4 Vorlagen sowie eine kommunale Abstimmung mit 3 Vorlagen.
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11:39 min, 8196 kB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.08.2011 / 13:37
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Klassifizierung
Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung
AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 30.08.2011
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Ich komme aus zwei Gründen darauf zu sprechen: Erstens stehen keine gesamtschweizerischen Themen an, woraus Ihr seht, dass die direkte Demokratie auch auf Kantons- und Gemeindestufe ihre Realität hat, was im Ausland aus verständlichen Gründen schon gar nicht wahrgenommen wird; zweitens möchte ich auf die Form dieser Abstimmungen verweisen, die übrigens identisch ist mit den gesamtschweizerischen: Ich sitze am Küchentisch, mache meine Kreuzchen auf die Stimmzettel, stecke diese in ein Kuvert, das ich zukleben muss, und dieses Kuvert geht zusammen mit dem unterzeichneten Stimmrechtsausweis in ein weiteres Couvert, das per Post an die Auszählungszentrale gesandt wird. Fertig ist die direkte Demokratie, mindestens was mich betrifft; daneben besteht die ursprüngliche Form der Stimmabgabe weiter, nämlich die Urnen auf den Stimm- und Wahlbüros, wo die Stimmrechtsausweise und die einzelnen Stimmzettel geprüft und gestempelt werden; Menschen mit einem Sinn für Traditionen und für Demokratie befleißigen sich nach wie vor dieser Methode, aber ich bin schlicht zu faul. Abgesehen davon lasse ich auch hin und wieder eine Abstimmung sausen, und manchmal stimme ich ganz einfach falsch, diesmal zum Beispiel habe ich erst im Nachhinein gemerkt, dass ich bei der Abstimmung über das Gesetz für ein Polizei- und Justizzentrum eigentlich hätte ein Ja einlegen müssen; nämlich geht es um ein frei werdendes Areal auf dem Güterbahnhof in Zürich, das nicht mehr genutzt wird, und hier war vor 8 Jahren ein neues Polizei- und Justizzentrum geplant und vom Volk gutgeheißen worden; in der Realisierungsphase drohte das Projekt aber immer teurer zu werden, sodass der Regierungsrat Änderungen vornahm, welche aber dem Kantonsrat zu weit gingen. Schließlich einigte sich dieser darauf, dass auf das PJZ zu verzichten und an seiner Stelle Wohnungen zu bauen seien. Dagegen wurde das Referendum ergriffen, und wenn man am nächsten Sonntag für die Wohnungen stimmt, dann muss man ein Ja einlegen; das wäre eigentlich in meinem Sinne, aber weil ich die Debatte nur am Rand verfolgt und das Projekt nachher überhaupt nicht mehr studiert hatte, griff ich auf den alten Abstimmungsreflex zurück, welcher direkten Demokratien eigentümlich ist: Wenn mans nicht wirklich besser weiß, schreibt man Nein. – Thja, so kann man sich täuschen, und viele Politikstrategen sind damit beschäftigt, ihre Vorlagen möglichst so zu gestalten, dass sie auch von den Nein-Stimmenden angenommen werden können. Aber dies nur nebenbei.
Sodann gibt es eine Abstimmung mit dem schönen Titel «für einen wettbewerbsfähigen Kanton Zürich», eingereicht von unserer rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei. Da stimmt unsereins natürlich reflexartig Nein, aber man verharrt trotzdem ein paar Sekunden beim schönen Titel: «Für einen wettbewerbsfähigen Kanton Zürich» – wieso, war denn der wettbewerbstechnisch bisher so mager dran? Immerhin schneidet er auch in internationalen Ratings ziemlich gut ab, und zwar in jeder Beziehung, mit zwei Hochschulen und mehreren Fachhochschulen, attraktiven Arbeitgebern, guten öffentlichen Verkehrsinfrastrukturen usw. usf. – aber natürlich geht es nicht um einen wettbewerbsfähigen Kanton Zürich, sondern es geht um die Halbierung der Erbschaftssteuer, und das zeigt wieder mal in der nötigen Schönheit, worum es dem rechten Nationalismus letztlich geht: um den Schulterschluss der Patrioten mit den Millionären und Milliardären, denn von der Halbierung der Erbschaftssteuern profitieren natürlich nicht die so genannten kleinen Leute mit ihren kleinen Vermögen, sondern die reichen Säcke. Und so verhält es sich mit dieser Partei ungefähr so wie mit der Abstimmungsfrage, die ich falsch beantwortet hatte: Statt einer Volkspartei ist es schlicht und ergreifend eine Reiche-Säcke-Partei, aber mit etwas Werbung lässt sich das den patriotischen Bauernproleten eben doch verkaufen. Im Falle einer direkten Demokratie ist besondere Vorsicht gegenüber dem Volke geboten, lautet die Schlussfolgerung.
Die Wettbewerbsfähigkeit bezieht sich übrigens auf den Steuerwettbewerb, und der findet in der Schweiz zum Teil unter den Kantonen statt, insgesamt aber findet er vor allem zwischen der Schweiz und dem Ausland statt, wie Ihr wisst; die SVP möchte, mit anderen Worten, noch mehr reiche Säcke in die Schweiz locken, damit diese erst recht keine Steuern bezahlen dort, wo sie es eigentlich müssten, nämlich dort, wo sie ihren Reichtum her haben. Die gleiche SVP klebt aber vor den Wahlen im Herbst Plakate mit dem schönen Aufdruck: Stopp der Masseneinwanderung! – Das ist dann auch wieder konsequent.
Ein weiteres kantonales Gesetz betrifft die hauswirtschaftliche Fortbildung. Hierzu zitiere ich einfach aus dem Beleuchtenden Bericht des Regierungsrates: «Heute werden die Schülerinnen und Schüler sowohl auf der Sekundarstufe der Volksschule als auch an den kantonalen Mittelschulen in Hauswirtschaft unterrichtet. Darüber hinaus unterstützt und fördert der Kanton im Rahmen des kantonalen Einführungsgesetzes zum Berufsbildungsgesetz Angebote der allgemeinen und berufsorientierten Weiterbildung. Eine Verpflichtung der Schulgemeinden, für Erwachsene und schulentlassene Jugendliche ein Mindestangebot an hauswirtschaftlichen Fortbildungskursen zur Verfügung zu stellen (...) ist nicht mehr notwendig. Der Kantonsrat hat deshalb die Aufhebung dieses Gesetzes beschlossen.» Und dagegen wurde nun das Referendum ergriffen, weshalb wir darüber abstimmen. Unter uns gesagt: Ich erinnere mich nicht mehr, was ich auf den Stimmzettel geschrieben habe, vielleicht «Ja, aber...» oder «Ich hätte gerne eine Tasse Tee», aber ausgefüllt habe ich ihn auf jeden Fall.
Und dann geht es noch um das Sozialhilfegesetz, wo der Informationsaustausch zwischen Amtsstellen und die Auskunftspflicht von Dritten geregelt, aber auch neue Bestimmungen über die Sozialhilfe von vorläufig aufgenommenen Personen eingeführt werden und ebenso für die Unterstützung von Personen, welche von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden oder sich vorübergehend in der Schweiz aufhalten. Dagegen ergriff unsere schöne Schweizerische Volkspartei das Referendum, weil damit Asylsuchende zu viel Knete erhalten hätten; sie legt einen Gegenvorschlag vor. Und dazu brauche ich mich hier gar nicht zu äußern.
Auf kommunaler Ebene wird die Volksinitiative «Zur Förderung des öffentlichen Verkehrs, Fuß- und Veloverkehrs in der Stadt Zürich» vorgelegt sowie ein Gegenvorschlag des Gemeinderates, zum zweiten beantragt die Stadt Zürich den Stimmberechtigten einen Rahmenkredit von 30 Mio. Franken zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, in der Regel übrigens über die Wohnbaugenossenschaften, die in Zürich rund 25% aller Wohnungen bereit stellen, was angesichts des engen Immobilienmarktes sehr willkommen ist. Hier empfehlen sowohl Stadtrat als auch Gemeinderat Annahme der Vorlage. Und dann gibt es noch eine Einzelinitiative, mit der die Sperrklausel für Kleinparteien gesenkt werden soll von 5% auf 2%; hier ist der Gemeinderat mehrheitlich dafür, während der Stadtrat dagegen ist. Ich selber weiß auch hier nicht mehr, was ich gestimmt habe.
Das war mal ein konkretes Beispiel aus dem direktdemokratischen Alltag, und anhand dieses Musters könnt Ihr Euch nun selber überlegen, ob Ihr bei Gelegenheit auch solche direktdemokratische Müh und Pein auf Euch nehmen wollt. Der Zeitaufwand pro Stimmbürgerin und Stimmbürger ist relativ gering, sofern man halbwegs mitgekriegt hat, worum es geht, der administrative Aufwand hält sich in direktdemokratischen Grenzen, und die Themen sind eben nicht immer garantiert weltbewegend.
Immerhin: Wenn es einen Zusammenhang zwischen Staatsform und gesellschaftlichem Reichtum geben täte, dann wäre die Schweiz wohl ein Argument für die direkte Demokratie, nehme ich an; anderseits würde Luxemburg für die Staatsform eines Großherzogtums sprechen, Liechtenstein für ein Duodezfürstentum und Monaco für ein Pseudofürstentum. Daneben bestehen ja in den meisten Demokratien direktdemokratische Instrumente, ich erinnere an die drei Referenden im Frühling dieses Jahres in Italien, die allesamt von der Opposition bzw. der Zivilgesellschaft gewonnen wurden. Wenn man sich dem Themenkomplex von der staatsphilosophischen Seite her nähert und dort einen Ansatz wählt, bei dem die Bürgerinnen und Bürger die eigentlichen Triebkräfte im Staat sind, dann muss man wohl zwangsläufig auf eine höchstmögliche Partizipation besagter Bürgerinnen und Bürger kommen, welche sich dann auch in einer höheren Identifikation äußert, vielleicht nicht immer und direkt mit dem Staat, aber doch mit einer hohen Anzahl seiner Projekte. Aber eben, wie die Schweizerische Volkspartei zeigt, auch eine direkte Demokratie lässt sich mit einigem finanziellem Aufwand recht weit manipulieren; und schließlich ist so ein Staatsvolk einfach kein sicherer Wert und beugt sich gerne dem Diktat des Zeitgeistes, ganz ohne diesen auf seinen staatspolitischen Gehalt hin abgeklopft zu haben.
Dies würde wohl eine qualitativ höhere Bewusstseinsstufe des gesamten Staatsvolkes voraussetzen. Ein solches Staatsvolk würde dann zum Beispiel auf die Revolutionen in Nordafrika nicht mit Plakaten gegen die Masseneinwanderung reagieren, sondern es würde erstens feststellen, dass die erfolgreichen Umstürze zur überwiegenden Mehrheit vom Streben nach europäischen Standards getragen wurden, und zwar nicht nur im Bereich Reichtum oder Wohlstand, sondern auch sozialer und politischer Standards; und dann müsste so ein Volk dann den Schluss ziehen, dass man einerseits eine gewisse Großzügigkeit unmittelbar nach der Revolte walten lassen und nicht einfach die Schotten dicht machen müsste, dass man aber vor allem mit diesen Ländern am Südende des Mittelmeers sehr schnell und sehr effiziente Abmachungen zu treffen hätte, wer denn in Zukunft wofür zuständig sein soll. Solche Projekte habe ich hier schon mehrmals heruntergeleiert; jedenfalls würden sie nicht nur in Nordafrika einen riesigen Wachstumsschub auslösen, sondern auch ganz Europa würde von der Integration dieser neu konstituierten Nachbarn in einem ungeheuren Ausmaß profitieren. Aber da hier gegenwärtig der verbockteste Nationalismus die markanteste politische Strömung ist, wird Europa diese gewaltige Chance wohl sang- und klanglos fahren lassen. So etwas von Dummheit muss man sich erst mal vorstellen.
Einen Nachtrag habe ich noch. Bei uns wird nicht nur abgestimmt, sondern im Oktober auch gewählt, und zwar ins nationale Parlament. Die Schweizerische Volkspartei macht ihrem Ruf alle Ehre und veröffentlicht Inserate mit dem schönen Titel: «Kosovaren schlitzen Schweizern die Kehle auf!» – Diese Sprache ist aus der nicht mehr ganz jüngeren deutschen Geschichte hinlänglich bekannt, und es verwundert dementsprechend auch nicht, dass einzelne SVP-Exponenten oft und gerne gesehene Gäste bei deutschen Neonazis sind, namentlich der wunderbare Volksdichter Oskar Feyersinger aus dem Oberwallis, der übrigens auch noch Mitglied beim Serbischen Schriftstellerverein ist, weshalb ich die SVP gerne auch Serbische Volkspartei nenne, und ich entschuldige mich bei allen gerade gewachsenen Serbinnen und Serben für diesen Scherz. Mit diesem neuesten Kosovaren-Inserat ist die SVP nun endlich einmal an eine Grenze gestoßen, die schon lange erreicht war, meines Erachtens mindestens, nämlich an jene der katholischen Bischofskonferenz. Diese hat letzte Woche verlauten lassen, die Anti-Kosovaren-Inserate der SVP seien, ich zitiere: «gotteslästerlich menschenverachtend». Ich bin nicht religiös, aber ich bin trotzdem froh darüber, dass die Bischofskonferenz die korrekten Begriffe für diese Antiislam-Partei ausgepackt hat. Gotteslästerung – dochdoch, das dürfte zutreffen.
Sodann gibt es eine Abstimmung mit dem schönen Titel «für einen wettbewerbsfähigen Kanton Zürich», eingereicht von unserer rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei. Da stimmt unsereins natürlich reflexartig Nein, aber man verharrt trotzdem ein paar Sekunden beim schönen Titel: «Für einen wettbewerbsfähigen Kanton Zürich» – wieso, war denn der wettbewerbstechnisch bisher so mager dran? Immerhin schneidet er auch in internationalen Ratings ziemlich gut ab, und zwar in jeder Beziehung, mit zwei Hochschulen und mehreren Fachhochschulen, attraktiven Arbeitgebern, guten öffentlichen Verkehrsinfrastrukturen usw. usf. – aber natürlich geht es nicht um einen wettbewerbsfähigen Kanton Zürich, sondern es geht um die Halbierung der Erbschaftssteuer, und das zeigt wieder mal in der nötigen Schönheit, worum es dem rechten Nationalismus letztlich geht: um den Schulterschluss der Patrioten mit den Millionären und Milliardären, denn von der Halbierung der Erbschaftssteuern profitieren natürlich nicht die so genannten kleinen Leute mit ihren kleinen Vermögen, sondern die reichen Säcke. Und so verhält es sich mit dieser Partei ungefähr so wie mit der Abstimmungsfrage, die ich falsch beantwortet hatte: Statt einer Volkspartei ist es schlicht und ergreifend eine Reiche-Säcke-Partei, aber mit etwas Werbung lässt sich das den patriotischen Bauernproleten eben doch verkaufen. Im Falle einer direkten Demokratie ist besondere Vorsicht gegenüber dem Volke geboten, lautet die Schlussfolgerung.
Die Wettbewerbsfähigkeit bezieht sich übrigens auf den Steuerwettbewerb, und der findet in der Schweiz zum Teil unter den Kantonen statt, insgesamt aber findet er vor allem zwischen der Schweiz und dem Ausland statt, wie Ihr wisst; die SVP möchte, mit anderen Worten, noch mehr reiche Säcke in die Schweiz locken, damit diese erst recht keine Steuern bezahlen dort, wo sie es eigentlich müssten, nämlich dort, wo sie ihren Reichtum her haben. Die gleiche SVP klebt aber vor den Wahlen im Herbst Plakate mit dem schönen Aufdruck: Stopp der Masseneinwanderung! – Das ist dann auch wieder konsequent.
Ein weiteres kantonales Gesetz betrifft die hauswirtschaftliche Fortbildung. Hierzu zitiere ich einfach aus dem Beleuchtenden Bericht des Regierungsrates: «Heute werden die Schülerinnen und Schüler sowohl auf der Sekundarstufe der Volksschule als auch an den kantonalen Mittelschulen in Hauswirtschaft unterrichtet. Darüber hinaus unterstützt und fördert der Kanton im Rahmen des kantonalen Einführungsgesetzes zum Berufsbildungsgesetz Angebote der allgemeinen und berufsorientierten Weiterbildung. Eine Verpflichtung der Schulgemeinden, für Erwachsene und schulentlassene Jugendliche ein Mindestangebot an hauswirtschaftlichen Fortbildungskursen zur Verfügung zu stellen (...) ist nicht mehr notwendig. Der Kantonsrat hat deshalb die Aufhebung dieses Gesetzes beschlossen.» Und dagegen wurde nun das Referendum ergriffen, weshalb wir darüber abstimmen. Unter uns gesagt: Ich erinnere mich nicht mehr, was ich auf den Stimmzettel geschrieben habe, vielleicht «Ja, aber...» oder «Ich hätte gerne eine Tasse Tee», aber ausgefüllt habe ich ihn auf jeden Fall.
Und dann geht es noch um das Sozialhilfegesetz, wo der Informationsaustausch zwischen Amtsstellen und die Auskunftspflicht von Dritten geregelt, aber auch neue Bestimmungen über die Sozialhilfe von vorläufig aufgenommenen Personen eingeführt werden und ebenso für die Unterstützung von Personen, welche von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden oder sich vorübergehend in der Schweiz aufhalten. Dagegen ergriff unsere schöne Schweizerische Volkspartei das Referendum, weil damit Asylsuchende zu viel Knete erhalten hätten; sie legt einen Gegenvorschlag vor. Und dazu brauche ich mich hier gar nicht zu äußern.
Auf kommunaler Ebene wird die Volksinitiative «Zur Förderung des öffentlichen Verkehrs, Fuß- und Veloverkehrs in der Stadt Zürich» vorgelegt sowie ein Gegenvorschlag des Gemeinderates, zum zweiten beantragt die Stadt Zürich den Stimmberechtigten einen Rahmenkredit von 30 Mio. Franken zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, in der Regel übrigens über die Wohnbaugenossenschaften, die in Zürich rund 25% aller Wohnungen bereit stellen, was angesichts des engen Immobilienmarktes sehr willkommen ist. Hier empfehlen sowohl Stadtrat als auch Gemeinderat Annahme der Vorlage. Und dann gibt es noch eine Einzelinitiative, mit der die Sperrklausel für Kleinparteien gesenkt werden soll von 5% auf 2%; hier ist der Gemeinderat mehrheitlich dafür, während der Stadtrat dagegen ist. Ich selber weiß auch hier nicht mehr, was ich gestimmt habe.
Das war mal ein konkretes Beispiel aus dem direktdemokratischen Alltag, und anhand dieses Musters könnt Ihr Euch nun selber überlegen, ob Ihr bei Gelegenheit auch solche direktdemokratische Müh und Pein auf Euch nehmen wollt. Der Zeitaufwand pro Stimmbürgerin und Stimmbürger ist relativ gering, sofern man halbwegs mitgekriegt hat, worum es geht, der administrative Aufwand hält sich in direktdemokratischen Grenzen, und die Themen sind eben nicht immer garantiert weltbewegend.
Immerhin: Wenn es einen Zusammenhang zwischen Staatsform und gesellschaftlichem Reichtum geben täte, dann wäre die Schweiz wohl ein Argument für die direkte Demokratie, nehme ich an; anderseits würde Luxemburg für die Staatsform eines Großherzogtums sprechen, Liechtenstein für ein Duodezfürstentum und Monaco für ein Pseudofürstentum. Daneben bestehen ja in den meisten Demokratien direktdemokratische Instrumente, ich erinnere an die drei Referenden im Frühling dieses Jahres in Italien, die allesamt von der Opposition bzw. der Zivilgesellschaft gewonnen wurden. Wenn man sich dem Themenkomplex von der staatsphilosophischen Seite her nähert und dort einen Ansatz wählt, bei dem die Bürgerinnen und Bürger die eigentlichen Triebkräfte im Staat sind, dann muss man wohl zwangsläufig auf eine höchstmögliche Partizipation besagter Bürgerinnen und Bürger kommen, welche sich dann auch in einer höheren Identifikation äußert, vielleicht nicht immer und direkt mit dem Staat, aber doch mit einer hohen Anzahl seiner Projekte. Aber eben, wie die Schweizerische Volkspartei zeigt, auch eine direkte Demokratie lässt sich mit einigem finanziellem Aufwand recht weit manipulieren; und schließlich ist so ein Staatsvolk einfach kein sicherer Wert und beugt sich gerne dem Diktat des Zeitgeistes, ganz ohne diesen auf seinen staatspolitischen Gehalt hin abgeklopft zu haben.
Dies würde wohl eine qualitativ höhere Bewusstseinsstufe des gesamten Staatsvolkes voraussetzen. Ein solches Staatsvolk würde dann zum Beispiel auf die Revolutionen in Nordafrika nicht mit Plakaten gegen die Masseneinwanderung reagieren, sondern es würde erstens feststellen, dass die erfolgreichen Umstürze zur überwiegenden Mehrheit vom Streben nach europäischen Standards getragen wurden, und zwar nicht nur im Bereich Reichtum oder Wohlstand, sondern auch sozialer und politischer Standards; und dann müsste so ein Volk dann den Schluss ziehen, dass man einerseits eine gewisse Großzügigkeit unmittelbar nach der Revolte walten lassen und nicht einfach die Schotten dicht machen müsste, dass man aber vor allem mit diesen Ländern am Südende des Mittelmeers sehr schnell und sehr effiziente Abmachungen zu treffen hätte, wer denn in Zukunft wofür zuständig sein soll. Solche Projekte habe ich hier schon mehrmals heruntergeleiert; jedenfalls würden sie nicht nur in Nordafrika einen riesigen Wachstumsschub auslösen, sondern auch ganz Europa würde von der Integration dieser neu konstituierten Nachbarn in einem ungeheuren Ausmaß profitieren. Aber da hier gegenwärtig der verbockteste Nationalismus die markanteste politische Strömung ist, wird Europa diese gewaltige Chance wohl sang- und klanglos fahren lassen. So etwas von Dummheit muss man sich erst mal vorstellen.
Einen Nachtrag habe ich noch. Bei uns wird nicht nur abgestimmt, sondern im Oktober auch gewählt, und zwar ins nationale Parlament. Die Schweizerische Volkspartei macht ihrem Ruf alle Ehre und veröffentlicht Inserate mit dem schönen Titel: «Kosovaren schlitzen Schweizern die Kehle auf!» – Diese Sprache ist aus der nicht mehr ganz jüngeren deutschen Geschichte hinlänglich bekannt, und es verwundert dementsprechend auch nicht, dass einzelne SVP-Exponenten oft und gerne gesehene Gäste bei deutschen Neonazis sind, namentlich der wunderbare Volksdichter Oskar Feyersinger aus dem Oberwallis, der übrigens auch noch Mitglied beim Serbischen Schriftstellerverein ist, weshalb ich die SVP gerne auch Serbische Volkspartei nenne, und ich entschuldige mich bei allen gerade gewachsenen Serbinnen und Serben für diesen Scherz. Mit diesem neuesten Kosovaren-Inserat ist die SVP nun endlich einmal an eine Grenze gestoßen, die schon lange erreicht war, meines Erachtens mindestens, nämlich an jene der katholischen Bischofskonferenz. Diese hat letzte Woche verlauten lassen, die Anti-Kosovaren-Inserate der SVP seien, ich zitiere: «gotteslästerlich menschenverachtend». Ich bin nicht religiös, aber ich bin trotzdem froh darüber, dass die Bischofskonferenz die korrekten Begriffe für diese Antiislam-Partei ausgepackt hat. Gotteslästerung – dochdoch, das dürfte zutreffen.