Die gesundheitlichen Folgen von Fukushima No.13

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Teil 2, von 2 Teilen, des Beitrages: Abschätzung der gesundheitlichen Folgen der radioaktiven Belastung der Schulen in der Präfektur Fukushima. Der Beitrag endet mit 13 Vorschlägen um die radioaktive Belastung für Kinder und Jugendlichen reduzieren zu können.
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mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 27.06.2011 / 16:49

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Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Jugend, Umwelt, Kinder, Internationales
Serie: Atomenergie
Entstehung

AutorInnen: jan.rt
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 04.07.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript

zutto uso datta (es war schon immer eine Lüge gewesen) von Kezuyoshi Saito
http://www.youtube.com/watch?v=q_rY6y24NAU

3:50 Begrüssung

--nach einer kurzen Einführung geht es weiter mit dem Beitrag--

Nun ist es Zeit einen Strich zu ziehen. Summa summarum errechnet sich eine rein theoretische Ganzkörperbelastung für ein Kind in den Schulen der Präfektur Fukushima mit:
16,5 mSv/Jahr mittlere Umgebungsstrahlung plus 30 mSv/Jahr angenommene Lungendosis plus 325 mSv/Jahr Schilddrüsendosis plus 30 mSv/Jahr langlebige Nuklide aus Speisen.

Das ergibt 401 mSv/Jahr als „theoretische Ganzkörperbelastung“, verteilt auf verschiedene Organe des Körpers. Dies entspricht dem 4000-fachen der natürlichen Hintergrundstrahlung. Das ist erschütternd, und rechne immer wieder nach, denn diese Werte sind erschreckend hoch, auch wenn sie nur eine Annäherung an die wirklichen Verhältnisse darstellen.

International üblich wird die hier errechnete „theoretische Ganzkörperbelastung“ über das Konzept der „effektiven Äquivalenzdosis“ in eine „Ganzkörperbelastung“ von 66mSv/Jahr heruntergerechnet. Enthalten sind in der international üblichen Berechnung aber nur Krebstote. Alle anderen gesundheitlichen Folgen wie, operierte Schilddrüsekrebse, Kranke aber nicht gestorbene Menschen, zusätzliche Totgeburten, Herzinfarkte, Immunschwächen, Stoffwechselstörungen, die genetischen Schäden für alle Folgegenerationen und vieles mehr, sind in den international üblichen Rechnungen nicht enthalten.

Die Verharmloserfraktion der Internationale Strahlenschutzkommission rechnet, in ihrem Peer Review, für eine Belastung von 100.000 Kindern mit 400mSv jährlich, daß 2000 von Ihnen an Krebs sterben werden. Nach unabhängigen Auswertungen der Daten von Hiroshima und Nagasaki können es aber auch 20.000 von 100.000 mit 400 mSv/Jahr belasteten Kindern sein. (Strahlentelex Nr. 90 vom 4.10.1990). Damit ergibt sich für Japan eine erschütternde Perspektive. 2 bis 20 Kinder von 100 Kindern die heute in der Präfektur Fukushima zur Schule gehen werden frühzeitig sterben. Wer traut sich das den Eltern zu sagen, wir schaffen das nur, weil wir ganz, ganz weit weg sind.

Die „theoretische Ganzkörperbelastung“ ist ein von uns geprägter Begriff um den international üblichen Verharmlosungsrechnungen begegnen zu können. Der hier errechnete Wert von 401 mSv/Jahr ist kein Fakt, sondern eine erste Annäherung im Rahmen der völlig unzureichenden wissenschaftlichen Erkenntnis über die Wirkung radioaktiver Isotope. Wer einmal, nicht nur die fünf oben benutzten Leitnuklide zur Berechnung benutzen möchte, sonder stattdessen die 30 häufigsten radioaktiven Nuklide für alle Organe des Menschen bewertet, die Radioaktivität anreichern und einlagern, der oder die wird wesentlich höhere Werte errechnen. Das wurde noch nie getan, das ist Zukunftsmusik, würde aber eine Ahnung davon vermitteln, was auf die japanische Bevölkerung zukommt.

Dieses Ergebnis aus niedrig gerechneten Durchschnittswerten läßt noch mehr vermissen. Radioaktive Hotspots wurden nicht einkalkuliert, genauso wie das Individuelle des Alltagsverhaltens. Die Anreicherungen in den Organen der Kinder und Jugendlichen fehlt und Anreicherungspfade in der Nahrungskette blieben ebenso unerwähnt. Alpha- und Betastrahler werden verharmlost.

Kinder reagieren wesentlich empfindlicher auf Radioaktivität, als Erwachsene.
Prof. Lestarenko, ehemaliger Leiter des Instituts für Kernenergie der Akademie der Wissenschaft Belarus, sagt zur vergleichbaren Situation von Kindern in Belarus: „Die Lebensmittel bleiben auf lange Zeit verseucht. Ein Kind dessen Gewebe stärker als mit
37 Bq/kg-Körpermasse strahlt wird schwere Schäden an lebenswichtigen Organen erleiden. Das normale Niveau liegt bei Null Bq/kg-Körpermasse. Diese Kinder werden in Zukunft sehr krank. Selbst Kinder die heute (20 Jahre nach Chernobyl) geboren werden gehören zur Risikogruppe“ (zusammengefasstes Zitat) .
Und zum gleichen Thema Prof. Yablokov (Russische Akademie der Wissenschaft, Moskau): „In den Gebieten ab einer Bodenbelastung von 550.000 Bq Cs137/Quadratmeter sind sogar 80% aller nachgeborenen Kinder nicht mehr gesund“. ( 25 Jahre Chernobyl-Kongress, Berlin, April 2011). Gebiete von 550.000 bis 1,5 Millionen Bq/m² sind in Ukraine und Belarus bewohnt und die landwirtschaftliche Nutzung ist reglementiert, wo hin gegen die Menschen dort, trotzdem das essen was dort wächst.
Die angereichert, innere Radioaktivität im Menschen ist mit einem Spektrometer von außen nicht messbar (das Wassersackproblem), sondern kann nur nach dem Tod obduziert werden, das heißt sie bleibt zu Lebzeiten unerkannt, weil von außen nur Gammastrahlung, aber wenig Beta- und keine Alphastrahlung gemessen werden kann.

Wissenschaftliche Studien über die gesundheitlichen Folgen von Chernobyl beschreiben die für so hohe Belastungen typischen, häufig auftretenden Krankheiten bei Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen: Störungen des vegetativen Nervensystems (Chernobylsymptom), Kreislauferkrankungen und Herzinfarkte in jungen Jahren durch die Cäsiumanreicherung im Herzmuskel, Erkrankungen der Verdauungsorgane, Magenschleimhautentzündungen (die Magenschleimhaut einer 14-jährigen sieht aus wie die eines 70-jährigen), Störungen des Knochen, Muskel und Bindegewebesystems, Jugenddiabetes Typ1, Grauer Star, Hirntumore, Plötzlicher Tod, Chromosomenschäden, hohe Infektionsanfälligkeit (Strahlen-AIDS) und Krankheiten des Immunsystems, die eventuell der Grund für das vorzeitige Altern sind. In den Jahren 2016 bis 2020 werden in der Präfektur Fukushima deutlich weniger Kinder geboren werden, durch die Strontium-90 Anreicherung in den Knochen der jetzt 14 jährigen Mädchen, die dann ihre Kinder bekommen werden. Die Mehrzahl dieser zukünftigen Kinder- und Jugendkrankheiten bekommen Menschen normalerweise erst im hohen Alter.

Extra erwähnen möchten ich hier Juri und Gelina Bandazhevsky aus Russland, die in ihrer Kinderklinik Chernobylopfer behandeln. Sie haben Studien über ihre Arbeit erstellt und gestorbene Kinder obduziert. Am 18. Juni 2001 wurden sie für ihre Veröffentlichungen (wegen „Korruption“) zu acht Jahren Haft verurteilt und am 5. August 2005 aufgrund des Druckes internationaler NGO`s auf Bewährung wieder freigelassen. Sie haben herausgefunden, daß Kinder die regelmäßig mit Nahrungsmitteln ernährt werden, die durchschnittlich mit 100 Bq/kg Cäsium 137 belastet sind, dieses in ihrer Bauchspeicheldrüse auf 12.000 Bq/kg-Gewebe anreichern. Und sie haben bei 60% der Kinder die als gesund eingestuft werden Abweichungen im EKG (Elektrokardiogramm) festgestellt.
Kinder sind 100 bis 1000 mal stärker durch Radioaktivität gefährdet als erwachsene Menschen.

Soweit zur Einschätzung der gesundheitlichen Folgen für Kinder und Jugendliche im schulischen Alltag in der Präfektur Fukushima. Für Japan geht es jetzt darum die katastrophalen Folgen für die Gesundheit zukünftiger Generationen zu reduzieren. Dazu mehrere Vorschläge wie die radioaktiven Belastungen für Kinder und Jugendliche reduziert werden kann.

Vorschläge

1. Eltern sollten die Freiheit bekommen ihre Kinder in südliche Landesteile umsiedeln zu können. Die zur Zeit gängige Praxis einer Evakuierung in die hochbelastete Präfektur Ibaraki, ist völlig unzureichend. Negativer sozialer Druck auf die Eltern kann durch eine öffentliche Diskussion und Anteilnahme reduziert werden. Die Bevölkerung aus unbelasteten Regionen muß bereit sein Kinder und Jugendliche aufzunehmen. (Das gesagte gilt ebenso für schwangere Frauen). Ein Geldfond kann helfen soziale Härten abzufangen. Radioaktivität ist wie ein Flickenteppich verteilt. Eine hinreichend genaue Datenlage um Menschen strahlenmindernd umzusiedeln, ist scheinbar nicht vorhanden.

2. Alle Schulen des Landes müssen unbelastete Lebensmittel erhalten. Grenzwert: 4 Bq/kg Nahrung des Leitnuklids Cäsium 137 (Strahlentelex Nr. 582 vom 5.4.2011). Die japanische Regierung ist gefordert diese auf dem internationalen Markt einzukaufen und den Schulen kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Es darf nicht sein, dasß Menschen die wenig Geld haben, deswegen hochbelastete Nahrung essen müssen. Die bisherigen Produzenten und Lieferanten müssen entschädigt werden um hochbelastete Waren vom Markt nehmen zu können. Die Entsorgung der belasteten Lebensmittel ist ein riesiges Problem. In Belarus gibt es heute 600 hochverstrahlte und ungesicherte Deponien.

3. Milchvieh darf dieses Jahr (mindestens) in den Regionen Kanto Chio und Tohoku Chio nicht auf die Weide geführt werden. Die japanische Regierung ist gefordert unbelastetes Heu zur Verfügung zu stellen und zu finanzieren. Die dann unbenutzten Flächen sollten weiter kultiviert werden, um die Belastung für das nächste Jahr zu reduzieren. Die Beseitigung des Grünschnittes stellt eine weiter Herausforderung dar.

4. Japan braucht ein Regierungsprogramm um die zukünftigen Ernährungsprobleme zu lösen. (Wegfall von Blattgemüse, Wildpflanzen, Wildkräutern, Wildtieren, Pilzen, Tee, Fischen, Algen, und so weiter). Entschädigungsleistungen von Seiten des hochverschuldeten AKW Betreibers Tepco werden nur den geringsten Teil abdecken können.

5. Die Präfekturregierungen sollten im Internet Kontaminationstabellen aus einem möglichst dichten Messwertnetz zur Verfügung stellen, um daraus Belastungslandkarten zur Identifizierung radioaktiver Hotspots erstellen zu können. Daraus ergeben sich Flächen, auf denen weiter Nahrungsmittel angebaut werden können und solche mit Nutzungseinschränkungen und solche mit Anbauverboten. Die Regierung sollte bereitwillig Informationen aus der Zivilgesellschaft aufnehmen. Die Werte sollten in Becquerel pro Quadratmeter oder Becquerel pro Kilogramm angegeben werden.

6. Eine Zensur findet nicht statt.

7. Bürgerinitiativen müssen sich gründen, um das Heft in die Hand zu nehmen. Sie müssen eigene Messungen vornehmen und sich das Wissen zulegen, wie mit radioaktiven Belastungen umzugehen ist.

8. „Die Menschen brauchen eine neue Art des Umgangs mit den Risiken der Radioaktivität, eine neue Art der Lebenskultur in radioaktiven Territorien“. (staatliches Chernobylkomitee Belarus zum Pilotprojekt ETHOS, das 20 Jahre nach Chernobyl begonnen wurde).

9. Alle gesellschaftlichen Akteure sollten daran mitarbeiten um zusammen mit den betroffenen Menschen pragmatische Strategien für den Alltag zu entwickeln. (z.B. strahlenarme Aufzucht von Tieren, strahlenarme Zubereitung von Nahrung).
Die Erfahrungen aus Chernobyl sollten umgesetzt werden.

10. Nach dem Weglassen von Cäsium belasteter Nahrung reduziert sich die Körperbelastung nach 1 Monat um 15%, nach 6 Monaten ist sie nur noch sehr gering. (biologische Halbwertzeit, Prof.Lestarenko)

11. Staubmasken können die Lungenbelastung reduzieren, müssen aber mehrmals täglich gewechselt werden

12. Deutschland sollte Ferienlager für Kinder aus hochverstrahlten Tsunami Gemeinden einrichten, um ihnen eine kurze Zeit der Entspannung zu bieten. Nebenbei benötigen auch die existierenden Ferienlager für Chernobylopfer unter Kindern eine bessere Finanzierung.

13. Kinder und Jugendliche brauchen ein extra Trainingsprogramm und psychosoziale Betreuung. Radioaktivität können sie weder hören, noch sehen, auch nicht riechen, schmecken oder fühlen. Aber sie spüren das etwas im Argen liegt.


Nach Einschätzung der japanischen Reaktorsicherheitskommission NSC betragen die Freisetzungen aus Fukushima mit 630.000.000.000.000.000 Becquerel schon jetzt gut 12 % der in Chernobyl offiziell freigesetzten Menge.
Der japanische Atomkonzern Tepco rechnet aber damit, daß bis zum Jahresende die gleiche Radioaktivitätsmenge wie in Chernobyl freigesetzt wird.
(Pressemitteilung der IPPNW vom 12.4.2011)



jan, freies radio wüste welle, 25.6.11