Die Gesundheitlichen Folgen von Fukushima No.12

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Teil1, von 2 Teilen, des Beitrages: Abschätzung der gesundheitlichen Folgen der radioaktiven Belastung der Schulen in der Präfektur Fukushima. Für die international übliche Verharmloserfraktion liegt alles im grünen Bereich. In diesem Beitrag jedoch wird eine erschreckende Szenerie errechnet und beschrieben. Die Sendungen No.12 und No.13 sind komplett auf deutsch produziert.
Audio
59:58 min, 55 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 27.06.2011 / 16:29

Dateizugriffe: 607

Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Jugend, Umwelt, Kinder, Internationales
Serie: Atomenergie
Entstehung

AutorInnen: jan.rt
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 27.06.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Abschätzung der gesundheitliche Folgen der radioaktiven Belastung in den Schulen der Präfektur Fukushima


Nun ein hinreichend schwieriger Beitrag mit Zahlen, Daten und Berechnungen. Ebenso die inhaltliche Perspektive ist, so finde ich, nur schwer zu ertragen. Es geht um die Schwächsten der Gesellschaft, um Kinder die jeden Tag zur Schule gehen und die Grenzwerte, die die japanische Regierung dafür festgelegt hat.
Die internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) hat sich für die Zeit eines Nuklearunfalls für zulässig erachtete Jahresdosen von 1 bis 20 mSv/Jahr ausgedacht. Die obere Grenze von 20 mSv/Jahr ist vergleichbar mit der juristisch anerkannten Dosis ab der Beschäftigte eines AKW`s Leukämie entwickeln. Aber auch darunter liegende radioaktive Belastungen führen zu gesundheitlichen Folgen, denn es gibt keinen Schwellenwert unterhalb dem Radioaktivität ungefährlich ist
.
Die japanische Regierung nun hat diesen oberen Wert von 20 mSv/Jahr als unbedenklich für Kinder postuliert, obwohl Kinder deutlich strahlensensibler sind wie Erwachsene. Das aber ist nur der Beginn einer Geschichte, die mir eiskalte Schauer über den Rücken laufen lässt. Denn Wissenschaftler sind erfinderisch und haben errechnet, das Kinder nur 8 h täglich draußen sind und sich 16 h im Gebäude aufhalten, wo die radioaktive Strahlung geringer ist. Doch um wieviel ein Gebäude in das täglich Kinder aus und ein gehen, innen geringer belastet ist wie außen, ist noch nie untersucht worden. Das gleiche gilt für Turnhallen, in denen 100 Obdachlose Menschen wohnen. In Japan leben derzeit 100.000 Menschen in ihren Kartonzimmern in Turnhallen.

Und doch wurde die für Schulen unbedenkliche Dosis auf 33 mSv/Jahr oder 3,8 mikroSv/h hochgepuscht. Eine weltweit durchaus übliche Vorgehensweise, die aber, einmal aus dem Elfenbeinturm befreit, der Wirklichkeit in keiner Weise entspricht. Dafür entspricht das Ergebnis dem 82-fachen der natürlichen Hintergrundstrahlung von Gifu/Kanagawa (0,4 mSv) und dem 33-fachen der zivilisatorischen Umgebungsstrahlung in Japan (public space, 1 mSv) vor dem Gau. Kein Mensch in Deutschland würde eine so hohe Umgebungsstrahlung für Kinder akzeptieren. Nach dem Gau von Chernobyl galt in Deutschland eine Verdopplung der Umgebungsstrahlung als tolerierbare Grenze. Alle darüber belasteten Schulen, Kindergärten und Spielplätze wurden geschlossen.Nicht so in der Präfektur Fukushima. 75% aller Schulen strahlen über 0,6 mikroSv/h (min. das 13-fache der natürlichen Hintergrundstrahlung), 20% aller Schulen strahlen über 2,3 mikroSv/h ( min. das 50-fache der natürlichen Hintergrundstrahlung) und 13 Schulen strahlen über 3,8 mikroSv/h. Für die letztgenannten wurden Beschränkungen erlassen, der Bildungsbetrieb läuft weiter.

Die wirkliche radioaktive Belastung von Kindern und Jugendlichen in den Schulen der betroffenen Präfekturen ist aber noch einmal um ein vielfaches höher. Japanische Behörden messen die Radioaktivität in 0,5 m bis 1 m Höhe über dem Boden. Dabei wird hauptsächlich Gamma- und Neutronenstrahlung gemessen. Alpha- und Betastrahlung des Staubes auf dem Boden wird gar nicht erfasst. Auch in den Dosisberechnungen wird die 20-fache biologische Dosisleistung der Alpha-Strahler nicht mitgerechnet. Das sei vernachlässigbar sagen sie, weil Alpha- und Betastrahlung nur eine kurze Reichweite haben. Diese Milchmädchenrechnungen werden seit Jahrzehnten so betrieben. Doch, durch das Nichtmessen einzelner Strahlentypen werden die radioaktiven Materialmengen in der Umwelt deutlich unterschätz. Und Alphastrahlung hat eine 20-fach stärkere biologische Wirkung wie Gammastrahlung. Vermutlich zumindest, denn das exaktes Wissen über radioaktive Dosiswirkungen ist spärlich und liegt mehr im philosophischen wie im berechenbaren.Um Dosisfaktoren einmal genau zu nehmen: jedes radioaktive Nuklid hat seinen speziellen Dosisfaktor und diese können sich um das 10.000-fache ändern, je nach dem welche Organe betroffen sind, und wie die Alltagssituation der Kontamination beschaffen ist. Exakterweise ergeben sich 200 bis 300 verschiedene Dosiswirkungsbeziehungen mit stark von einander abweichenden Werten. Die japanische Regierung benutzt derzeit den Faktor1 . Und dann ändert sich plötzlich alles, wenn das Kind im Sandkasten spielt, wenn es Spielzeug vom Boden aufhebt und mit nach Hause nimmt, oder wenn es gar kein Haus hat, weil der Tsunami es ins Meer spülte. Das Alltagsleben hat für Experten keine Bedeutung.

Den kleineren Teil der radioaktiven Belastung für Kinder und Jugendlichen in den Schulen der Präfektur Fukushima, haben wir jetzt beschrieben. Die größere Gefahr geht von radioaktiven Partikeln aus, die im Körper eingelagert werden, zum Beispiel durch Atmen.. Radioaktive Partikel reichern sich in der Lunge und in der Blutbahn an, das heißt die wirksame radioaktive Belastungsdosis wird mit jedem Tag, den ein Kind sich in einer belasteten Umgebung aufhält höher und diese inkorporierte und angereicherte Strahlung durch radioaktiven Staub addiert sich zu den Belastungen der Umgebungsstrahlung dazu. Einzelne Organe reichern Radioaktivität dauerhaft an und gleichzeitige scheidet der Körper radioaktive Isotope wieder aus. Anreicherungen werden heute in der etablierten Wissenschaft nicht erfasst. Ausscheidungen werden mit der biologischen Halbwertzeit beschrieben. Die biologische Dosiswirkung eingeatmeter radioaktiver Partikel ist um ein vielfaches höher als die Messung der Umgebungsstrahlung vermuten läßt, hängt aber von so vielen Variablen ab, daß sie hier nicht zuverlässig angegeben werden kann. Die Organdosis für die Lunge kann sich aber durchaus um den Faktor 500 bis 20.000 anreichern. Das heißt, eingeatmeter radioaktiver Staub ist wesentlich gefährlicher als eine von außen auf den Körper auftreffende Strahlung. Die derzeitigen radioaktiven Kontaminationen von Schulen in der Präfektur Fukushima wird zu einer deutlich sichtbaren Anzahl von Bronchialkrankheiten, Lungenkrebsen und Herzinfarkten bei jungen Menschen führen. Herzinfarkt bei jungen Menschen ist eine neue, vorher nicht existente Krankheit, die sich dauerhaft etabliert.

Der zweite wesentliche Belastungspfad durch radioaktive Isotope ist das Schulessen. Fast jeden Tag bekommen die Kinder Essen hergestellt aus radioaktiv belasteten Zutaten. Die Hauptlieferanten für öffentliche Schulen sind die hoch belasteten Präfekturen Ibaraki, Chiba und Tochigi. Die Stadt Fujioka hat zum Beispiel Gemüse das sie nicht mehr verkaufen konnte, als Spende in Tsunamie-Gebiete geliefert. An Menschen die ihre Häuser verloren haben und in sehr hoch belasteten Gebieten weiterleben. Das alles kennen wir bereits von der Reaktorkatastrophe Chernobyl 1986. Es hatte 5 Jahre gedauert bis die notwendigen Evakuierungen im Oblast (Verwaltungsbezirk) Gomel in Belarus 1991/92 endlich durchgeführt wurden. Mit schweren gesundheitlichen Auswirkungen für das ganze Land. Der genetische Pool der Belarusbevölkerung wurde so stark geschädigt, das heute die Bevölkerungsentwicklung rückläufig ist. Seit dem Jahr 2000 beträgt der Bevölkerungsschwund 5% pro Jahr. Die Lebenserwartung sank von 1986 mit 72,6 Jahr auf 67,6 Jahre im Jahr 2000. Viele Menschen sind von jungen Jahren an krank. Die genetischen Schäden sind bleibend für die Zukunft.

Wenden wir uns wieder dem Schulessen in der Präfektur Fukushima zu. Nehmen wir an, daß die Speisen zu 50% der gültigen Grenzwerte radioaktiv belastet sind (Gewächshausspinat aus der weniger belasteten Präfektur Gunma, 240 Bq/kg Cäsium am 6.4.2011) und berechnen mit den mittleren Verzehrraten der deutschen Strahlenschutzverordnung die jährliche Dosisbelastung, dann erhält ein 7 bis 12 jähriges Kind die Schilddrüsendosis durch Jod 131 von 325 mSv/Jahr. Für das Jahr 2020 ist ein Höchststand der Schilddrüsenkrebsfälle bei Kindern und Jugendlichen in der Präfektur Fukushima zu erwarten (ca. 1 Fall auf 10.000 Personen, 15 Jahre Chernobyl, IPPNW April 2001). Ab diesem Zeitpunkt hat sich eine neue Kinder- und Jugendkrankheit dauerhaft etabliert. Diese Prognose ist mit vorsicht zu lesen, denn die endgültige Jod-Belastung aus Fukushima ist noch längst nicht klar und eine vernünftige Statistik ist in Russland/Belarus/Ukraine schwer zu erhalten. Das kann in Japan auch deutlich schlechter aussehen, denn es treten andere, aggressivere Schilddrüsenkrebse als sonst üblich auf.

Zur Jodbelastung addiert sich die Dosisbelastung der langlebigen Isotope Cäsium-137 +134, Strontium-90 und Plutonium-239 mit einer Dosisleistung von 30 mSv/Jahr. (Strahlentelex Nr. 584 vom 5.5.2011) Wissenschaftliche Studien über die gesundheitlichen Folgen von Chernobyl zeigen sogar, daß das langlebige radioaktive Material, obwohl es die deutlich kleinere Dosisleistung gegenüber Jod 131 besitzt, häufiger und vielfältigere Krankheiten auslöst. Das stellt die etablierten Dosis-Wirkungsbeziehungen zum wiederholten mal auf den Kopf.

Nun ist es Zeit einen Strich zu ziehen. Summa summarum errechnet sich eine rein theoretische Ganzkörperbelastung für ein Kind in den Schulen der Präfektur Fukushima mit:
16,5 mSv/Jahr mittlere Umgebungsstrahlung plus 30 mSv/Jahr angenommene Lungendosis plus 325 mSv/Jahr Schilddrüsendosis plus 30 mSv/Jahr langlebige Nuklide aus Speisen.

Das ergibt 401 mSv/Jahr als „theoretische Ganzkörperbelastung“, verteilt auf verschiedene Organe des Körpers. Dies entspricht dem 4000-fachen der natürlichen Hintergrundstrahlung. Das ist erschütternd, und rechne immer wieder nach, denn diese Werte sind erschreckend hoch, auch wenn sie nur eine Annäherung an die wirklichen Verhältnisse darstellen.

International üblich wird die hier errechnete „theoretische Ganzkörperbelastung“ über das Konzept der „effektiven Äquivalenzdosis“ in eine „Ganzkörperbelastung“ von 66mSv/Jahr heruntergerechnet. Enthalten sind in der international üblichen Berechnung aber nur Krebstote. Alle anderen gesundheitlichen Folgen wie, operierte Schilddrüsekrebse, Kranke aber nicht gestorbene Menschen, zusätzliche Totgeburten, Herzinfarkte, Immunschwächen, Stoffwechselstörungen, die genetischen Schäden für alle Folgegenerationen und vieles mehr, sind in den international üblichen Rechnungen nicht enthalten.

Die Verharmloserfraktion der Internationale Strahlenschutzkommission rechnet, in ihrem Peer Review, für eine Belastung von 100.000 Kindern mit 400mSv jährlich, daß 2000 von Ihnen an Krebs sterben werden. Nach unabhängigen Auswertungen der Daten von Hiroshima und Nagasaki können es aber auch 20.000 von 100.000 mit 400 mSv/Jahr belasteten Kindern sein. (Strahlentelex Nr. 90 vom 4.10.1990). Damit ergibt sich für Japan eine erschütternde Perspektive. 2 bis 20 Kinder von 100 Kindern die heute in der Präfektur Fukushima zur Schule gehen werden frühzeitig sterben. Wer traut sich das den Eltern zu sagen, wir schaffen das nur, weil wir ganz, ganz weit weg sind.

Die „theoretische Ganzkörperbelastung“ ist ein von uns geprägter Begriff um den international üblichen Verharmlosungsrechnungen begegnen zu können. Der hier errechnete Wert von 401 mSv/Jahr ist kein Fakt, sondern eine erste Annäherung im Rahmen der völlig unzureichenden wissenschaftlichen Erkenntnis über die Wirkung radioaktiver Isotope. Wer einmal, nicht nur die fünf oben benutzten Leitnuklide zur Berechnung benutzen möchte, sonder stattdessen die 30 häufigsten radioaktiven Nuklide für alle Organe des Menschen bewertet, die Radioaktivität anreichern und einlagern, der oder die wird wesentlich höhere Werte errechnen. Das wurde noch nie getan, das ist Zukunftsmusik, würde aber eine Ahnung davon vermitteln, was auf die japanische Bevölkerung zukommt.

Dieses Ergebnis aus niedrig gerechneten Durchschnittswerten läßt noch mehr vermissen. Radioaktive Hotspots wurden nicht einkalkuliert, genauso wie das Individuelle des Alltagsverhaltens. Die Anreicherungen in den Organen der Kinder und Jugendlichen fehlt und Anreicherungspfade in der Nahrungskette blieben ebenso unerwähnt. Alpha- und Betastrahler werden verharmlost.

Kinder reagieren wesentlich empfindlicher auf Radioaktivität, als Erwachsene.

Kommentare
27.06.2011 / 20:48 montagsmagazin, coloRadio, Dresden
gesendet auf coloradio
danke!