Doch kein Führer. Aufstieg und Fall des Dr. von und zu Guttenberg
ID 39149
Von der Lichtgestalt zur "Truman Show" ... In der Haut des Verteidigungsminister gewordenen wandelnden Rasierwassers möchte derzeit niemand stecken, dennoch wird er hierzulande allgemein bewundert.
Eine Polemik der Redaktion "Sachzwang FM".
Dauer: ca. 10 Minuten.
Eine Polemik der Redaktion "Sachzwang FM".
Dauer: ca. 10 Minuten.
Audio
10:12 min, 7172 kB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 16.12.2011 / 16:15
10:12 min, 7172 kB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 16.12.2011 / 16:15
Dateizugriffe: 900
Klassifizierung
Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Andere, Kultur, Politik/Info
Serie: Sachzwang FM
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
_
Doch kein Führer
Zum erstenmal wurde Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg im Posten- und Institutionenschach 2009 der Öffentlichkeit bekannt, als bemerkenswert junger und „dynamischer“ Wirtschaftsminister. Sicher im Krisenjahr keine angenehme und leichte Aufgabe, doch gelang es im allgemeinen Herumwursteln der bürgerlichen Schadenbegrenzungspolitik, eine gute Figur zu machen. Und wirklich: Populismus konnte man dem gefühlt freidemokratischen Freiherrn nun wirklich nicht vorwerfen, wandte er sich doch nachdrücklich gegen staatliche Spendierhosen für gescheiterte Krisenverlierer, und seien es auch Großkonzerne wie Opel oder Karstadt. Dieser Aufruf zu fiskalischer „Besonnenheit“ wurde zu Guttenberg dann – in einem Akt quasi sekundären Populismus' – doch noch zur glücklichen Fügung auf seinem Weg in die Herzen und an die Spitze. Seit diesem seinem ersten Ministeramt schon mußte man sich an Fotografen und Kameramänner gewöhnen, die den Baron mit den pastellfarbenen Krawatten am liebsten kriechend aus der Froschperspektive umschweifen; womit er offenbar keine Probleme hat.
Gruselig schon, daß überhaupt Personen eine derart entscheidende Rolle im politischen Geschäft des Spätkapitalismus beigemessen wird; als wüßte man nicht, daß „unsere vernetzte Welt von heute“ ihren verselbständigten und selbstgenügsamen Eigengesetzlichkeiten, den lieben Sachzwängen unterliegt. Doch damit nicht genug ... „Jetzt ist da mal einer, der nicht drum herum redet, sondern der sagt, was ist.“ Dies war schon mehr als das autoritäre Verlangen nach integrem Herrschaftspersonal; das war offenbar schon der ehrfurchtsvolle Blick auf eine Lichtgestalt, einen guten König. Wie schon die deutsche Mehrheitsbevölkerung in der kurzlebigen Weimarer Republik des unglamourösen demokratischen Hin und Her überdrüssig war und etwas wirklich Großes, Machtvolles ersehnte, genau so unheimlich Großartiges projizierte man nun in den smarten Freiherrn, der eben nicht eine Krämerseele mit alltäglichen Sorgen sei wie man selbst, sondern staatsmännisch zu Höherem „berufen“. Und je mehr der gegelte Geck sein Übermenschentum höflich dementierte, den Personenkult nicht zu mögen vorgab, desto sympathischer und womöglich „bescheiden“ wirkte er auf seine zahllosen Bewunderer.
Was denn das Faszinierende am von und zu Guttenberg denn sei, wollten die Medien alsbald wissen. Nun, da sei einer, der kein Karrierist sei, meinten als repräsentativ vorgeführte Bürger von der Straße. Der sei doch schon steinreich, wisse sich „gut zu benehmen“ und habe es doch eigentlich gar nicht nötig zu arbeiten, meinen biedere Bildungsbürger und Unterprivilegierte gleichermaßen. Umso redlicher müsse so einer dann wohl sein, schließen daraus viele im Land, das ihr Heilsbringer möglichst bald als Kanzler regieren und repräsentieren soll. Dann braucht man auch keinen Bundespräsidenten mehr (Sachzwang FM berichtete).
Daß der Musterschüler ganz und gar kein Streber ist, sollte vor zwei Jahren ein T-Shirt der Band AC/DC beweisen, mit dem er vor Kameras posierte. Der nette Adlige von nebenan – so ein Sympath aber auch! Die australische Band dürfte darob genauso wenig amused sein wie schon zuvor die Rolling Stones über den CDU-Wahlkampf 2005 mit dem peinlich mißverstandenen Stück „Angie“. Tragisch, wenn man sich so kalkuliert locker inszeniert, aber die erlauchte Steifheit partout nicht los wird, die dem Adel bekanntlich eigen ist.
Level zwei der harten Schule, durch die der Gewinnertyp nach dem Job als Wirtschaftskrisenminister gehen mußte, war das sogenannte Verteidigungsministerium. Wissend, daß der Afghanistanfeldzug (wie es ja pathetisch und großspurig immer wieder heißt, seit klar ist, daß deutsche Soldaten keine Entwicklungshelfer sind) „in der Bevölkerung“ unbeliebt ist, machte die Kanzlerin den Sonnyboy zum Manager der Streitkräfte. Doppelt clever, denn erstens galt es, Guttenbergs ungebrochene Popularität in Schach zu halten; zweitens, das Image des unbeliebten Armeeeinsatzes aufzupolieren. Zwei Ziele, die sich, sollte das gelingen, aufs richtige Mittelmaß nivellieren würden: Des Freiherrn unermeßliche Strahlkraft sollte – im Akt einer genialen PR-Aktion – zugunsten der angeschlagenen Armee angezapft werden. Ein brisantes Unterfangen, denn den public relations haftet, zumal bei Kriegshandlungen, in denen es ja nicht um Kommunalhaushalte, sondern um Sterben und Töten geht, immer auch der Ruch von Propaganda an. Ein Schuft, wer denkt, da solle die Bevölkerung an Kriegsführung gewöhnt werden.
Einem Verteidigigungsminister gewordenen wandelnden Rasierwasser stehen freilich nicht nur Charme und Eloquenz ganz gut, da ist auch Schneid gefragt. „Einer, der sagt, was ist.“ Doch obwohl alle den Baron dafür loben, daß er den „bewaffneten Konflikt“, die „kriegsähnlichen Auseinandersetzungen“ auch einen Krieg nennt, darf man das Verteidigungsministerium nicht Kriegsministerium nennen, den Verteidigungsminister nicht Kriegsminister. Daß es der Bundeswehr nicht um Landesverteidigung (gegen wen auch immer) geht, ist ohnehin allgemein bekannt, auch wenn von einem Amtsvorgänger das Bonmot überliefert ist, Deutschland werde „am Hindukusch verteidigt“.
Wenn es auch eher um Krieg als um Landesverteidigung gehen mag, so ist von und zu Guttenberg immerhin „Selbstverteidigungsminister“, wie seine politischen Gegner angesichts diverser Skandale, Untersuchungsausschüsse und Affären seit längerem schon unken. In der Tat könnte sich das Leben des allzeit gefaßten Erfolgsmenschen binnen Kürze in einen paranoiden Alptraum der Marke „Truman Show“ wandeln.
Wie sehr das Trennungsgebot zwischen seriöser Politik und pathetischer Demagogie mittlerweile auf den Hund gekommen ist, und das 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, davon bekam man im April 2010 einen telegenen Vorgeschmack: „Meine kleine Tochter, der ich meine Trauer zu erklären versuchte, fragte mich, ob die drei jungen Männer tapfere Helden seien, ob sie stolz auf sie sein dürfe.“ Jeder dachte jetzt, natürlich sei das Unfug. Aber: „Ich habe beide Fragen, nicht politisch, sondern einfach mit ja beantwortet.“
Über die lächerliche, aber auf deutsche Wählerinnen und Wähler offenbar imposant wirkende Talkshow-Safari ins Bürgerkriegsgebiet vor ein paar Wochen wollen wir sogar schweigen. Merkwürdig, daß ein nennenswerter Popularitätsverlust wirklich erst mit der schwer zu überbietenden Peinlichkeit eintritt, daß der eloquente Musterschüler und gutgekleidete Poseur seine juristische Doktorarbeit mit etlichen abgeschriebenen Stellen in publizierbare Form gebracht haben soll. Angesprochen auf die nun offen ersichtliche Schmach, läßt sein Büro verlauten, der Minister werde die Vorwürfe „prüfen“, obwohl sie doch „abstrus“ seien. Vielleicht seien „vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt“ worden, versucht er diejenigen seiner Bewunderer zu beruhigen, die über akademische Bräuche nicht so genau bescheid wissen. Er muß ja die Vorwürfe „zurückweisen“, wie es in jener diplomatisch-journalistischen Sprache der Undialektik heißt, um die ehrenrührigen Tatsachen schlicht abzustreiten. Des Freiherrn Fans, am Stammtisch ebenso wie im Salon, sind durchaus der Gefahr gewahr, daß dem strahlenden Helden nun droht, den honorigen Doktortitel zu verlieren. Vielleicht hat Guttenberg beim trickreichen Anfertigen seiner Dissertation einfach vergessen, daß der akademische Titel ihm (im Ggs. zum vererbten Adelstitel) auch wieder aberkannt werden kann, den gibts nicht geschenkt.
Auch wenn dem AC/DC-Freiherrn schlimmsten- bzw. bestenfalls die Doktorwürde aberkannt wird (die Schmach bzw. Schadenfreude wäre wohl grenzenlos), muß er sich keine Sorgen machen. Ist das Volk nur bei Laune, vergibt es auch gönnerhaft kleine Laster und Fehltritte, davon konnte sich schon Bischöfin Margot Käßmann vor genau einem Jahr überzeugen. Auf einen echten Doktortitel wird der Emporkömmling (der ja eigentlich qua Geburt schon ziemlich oben war) nicht verzichten müssen – die Ehrendoktorwürde irgendeines rechtsliberalen think tanks oder einer dubiosen Adelslobby wird doch wohl noch herausspringen.
Als sicher kann dennoch angenommen werden, daß Guttenberg beschädigt aus der Affäre hervorgeht – wie man so schön sagt. Im selben mystifizierend-phraseologischen Journalistensprech, wie man auch orakelt, jemand stehe „unter Druck“ und werde nicht mehr lange „sich halten können“. Woher dieser Druck kommt, erfährt man nicht, über reale Kräfteverhältnisse in der politischen Szene wird nichts gesagt. Der „Druck“ nimmt damit die objektivierte Form einer quasi naturgesetzlichen Begebenheit an. Halten dem Herrn Minister die Kollegen vor der Konferenz nicht mehr die Türe auf? Intrigieren, mobben und lauern die „Parteifreunde“ schon auf seine Nachfolge?
Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob usw. Guttenberg war nicht nur Stoltenberg mit dunklen Haaren – er war der erste deutsche Verteidigungsminister, der jünger ist als Dr. Indoktrinator. (Dr. Indoktrinator, der seinen zweifelhaften Titel übrigens auch auf unlauterem Wege erschlichen hat und daraus aber keinen Hehl macht.)
Doch kein Führer
Zum erstenmal wurde Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg im Posten- und Institutionenschach 2009 der Öffentlichkeit bekannt, als bemerkenswert junger und „dynamischer“ Wirtschaftsminister. Sicher im Krisenjahr keine angenehme und leichte Aufgabe, doch gelang es im allgemeinen Herumwursteln der bürgerlichen Schadenbegrenzungspolitik, eine gute Figur zu machen. Und wirklich: Populismus konnte man dem gefühlt freidemokratischen Freiherrn nun wirklich nicht vorwerfen, wandte er sich doch nachdrücklich gegen staatliche Spendierhosen für gescheiterte Krisenverlierer, und seien es auch Großkonzerne wie Opel oder Karstadt. Dieser Aufruf zu fiskalischer „Besonnenheit“ wurde zu Guttenberg dann – in einem Akt quasi sekundären Populismus' – doch noch zur glücklichen Fügung auf seinem Weg in die Herzen und an die Spitze. Seit diesem seinem ersten Ministeramt schon mußte man sich an Fotografen und Kameramänner gewöhnen, die den Baron mit den pastellfarbenen Krawatten am liebsten kriechend aus der Froschperspektive umschweifen; womit er offenbar keine Probleme hat.
Gruselig schon, daß überhaupt Personen eine derart entscheidende Rolle im politischen Geschäft des Spätkapitalismus beigemessen wird; als wüßte man nicht, daß „unsere vernetzte Welt von heute“ ihren verselbständigten und selbstgenügsamen Eigengesetzlichkeiten, den lieben Sachzwängen unterliegt. Doch damit nicht genug ... „Jetzt ist da mal einer, der nicht drum herum redet, sondern der sagt, was ist.“ Dies war schon mehr als das autoritäre Verlangen nach integrem Herrschaftspersonal; das war offenbar schon der ehrfurchtsvolle Blick auf eine Lichtgestalt, einen guten König. Wie schon die deutsche Mehrheitsbevölkerung in der kurzlebigen Weimarer Republik des unglamourösen demokratischen Hin und Her überdrüssig war und etwas wirklich Großes, Machtvolles ersehnte, genau so unheimlich Großartiges projizierte man nun in den smarten Freiherrn, der eben nicht eine Krämerseele mit alltäglichen Sorgen sei wie man selbst, sondern staatsmännisch zu Höherem „berufen“. Und je mehr der gegelte Geck sein Übermenschentum höflich dementierte, den Personenkult nicht zu mögen vorgab, desto sympathischer und womöglich „bescheiden“ wirkte er auf seine zahllosen Bewunderer.
Was denn das Faszinierende am von und zu Guttenberg denn sei, wollten die Medien alsbald wissen. Nun, da sei einer, der kein Karrierist sei, meinten als repräsentativ vorgeführte Bürger von der Straße. Der sei doch schon steinreich, wisse sich „gut zu benehmen“ und habe es doch eigentlich gar nicht nötig zu arbeiten, meinen biedere Bildungsbürger und Unterprivilegierte gleichermaßen. Umso redlicher müsse so einer dann wohl sein, schließen daraus viele im Land, das ihr Heilsbringer möglichst bald als Kanzler regieren und repräsentieren soll. Dann braucht man auch keinen Bundespräsidenten mehr (Sachzwang FM berichtete).
Daß der Musterschüler ganz und gar kein Streber ist, sollte vor zwei Jahren ein T-Shirt der Band AC/DC beweisen, mit dem er vor Kameras posierte. Der nette Adlige von nebenan – so ein Sympath aber auch! Die australische Band dürfte darob genauso wenig amused sein wie schon zuvor die Rolling Stones über den CDU-Wahlkampf 2005 mit dem peinlich mißverstandenen Stück „Angie“. Tragisch, wenn man sich so kalkuliert locker inszeniert, aber die erlauchte Steifheit partout nicht los wird, die dem Adel bekanntlich eigen ist.
Level zwei der harten Schule, durch die der Gewinnertyp nach dem Job als Wirtschaftskrisenminister gehen mußte, war das sogenannte Verteidigungsministerium. Wissend, daß der Afghanistanfeldzug (wie es ja pathetisch und großspurig immer wieder heißt, seit klar ist, daß deutsche Soldaten keine Entwicklungshelfer sind) „in der Bevölkerung“ unbeliebt ist, machte die Kanzlerin den Sonnyboy zum Manager der Streitkräfte. Doppelt clever, denn erstens galt es, Guttenbergs ungebrochene Popularität in Schach zu halten; zweitens, das Image des unbeliebten Armeeeinsatzes aufzupolieren. Zwei Ziele, die sich, sollte das gelingen, aufs richtige Mittelmaß nivellieren würden: Des Freiherrn unermeßliche Strahlkraft sollte – im Akt einer genialen PR-Aktion – zugunsten der angeschlagenen Armee angezapft werden. Ein brisantes Unterfangen, denn den public relations haftet, zumal bei Kriegshandlungen, in denen es ja nicht um Kommunalhaushalte, sondern um Sterben und Töten geht, immer auch der Ruch von Propaganda an. Ein Schuft, wer denkt, da solle die Bevölkerung an Kriegsführung gewöhnt werden.
Einem Verteidigigungsminister gewordenen wandelnden Rasierwasser stehen freilich nicht nur Charme und Eloquenz ganz gut, da ist auch Schneid gefragt. „Einer, der sagt, was ist.“ Doch obwohl alle den Baron dafür loben, daß er den „bewaffneten Konflikt“, die „kriegsähnlichen Auseinandersetzungen“ auch einen Krieg nennt, darf man das Verteidigungsministerium nicht Kriegsministerium nennen, den Verteidigungsminister nicht Kriegsminister. Daß es der Bundeswehr nicht um Landesverteidigung (gegen wen auch immer) geht, ist ohnehin allgemein bekannt, auch wenn von einem Amtsvorgänger das Bonmot überliefert ist, Deutschland werde „am Hindukusch verteidigt“.
Wenn es auch eher um Krieg als um Landesverteidigung gehen mag, so ist von und zu Guttenberg immerhin „Selbstverteidigungsminister“, wie seine politischen Gegner angesichts diverser Skandale, Untersuchungsausschüsse und Affären seit längerem schon unken. In der Tat könnte sich das Leben des allzeit gefaßten Erfolgsmenschen binnen Kürze in einen paranoiden Alptraum der Marke „Truman Show“ wandeln.
Wie sehr das Trennungsgebot zwischen seriöser Politik und pathetischer Demagogie mittlerweile auf den Hund gekommen ist, und das 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, davon bekam man im April 2010 einen telegenen Vorgeschmack: „Meine kleine Tochter, der ich meine Trauer zu erklären versuchte, fragte mich, ob die drei jungen Männer tapfere Helden seien, ob sie stolz auf sie sein dürfe.“ Jeder dachte jetzt, natürlich sei das Unfug. Aber: „Ich habe beide Fragen, nicht politisch, sondern einfach mit ja beantwortet.“
Über die lächerliche, aber auf deutsche Wählerinnen und Wähler offenbar imposant wirkende Talkshow-Safari ins Bürgerkriegsgebiet vor ein paar Wochen wollen wir sogar schweigen. Merkwürdig, daß ein nennenswerter Popularitätsverlust wirklich erst mit der schwer zu überbietenden Peinlichkeit eintritt, daß der eloquente Musterschüler und gutgekleidete Poseur seine juristische Doktorarbeit mit etlichen abgeschriebenen Stellen in publizierbare Form gebracht haben soll. Angesprochen auf die nun offen ersichtliche Schmach, läßt sein Büro verlauten, der Minister werde die Vorwürfe „prüfen“, obwohl sie doch „abstrus“ seien. Vielleicht seien „vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt“ worden, versucht er diejenigen seiner Bewunderer zu beruhigen, die über akademische Bräuche nicht so genau bescheid wissen. Er muß ja die Vorwürfe „zurückweisen“, wie es in jener diplomatisch-journalistischen Sprache der Undialektik heißt, um die ehrenrührigen Tatsachen schlicht abzustreiten. Des Freiherrn Fans, am Stammtisch ebenso wie im Salon, sind durchaus der Gefahr gewahr, daß dem strahlenden Helden nun droht, den honorigen Doktortitel zu verlieren. Vielleicht hat Guttenberg beim trickreichen Anfertigen seiner Dissertation einfach vergessen, daß der akademische Titel ihm (im Ggs. zum vererbten Adelstitel) auch wieder aberkannt werden kann, den gibts nicht geschenkt.
Auch wenn dem AC/DC-Freiherrn schlimmsten- bzw. bestenfalls die Doktorwürde aberkannt wird (die Schmach bzw. Schadenfreude wäre wohl grenzenlos), muß er sich keine Sorgen machen. Ist das Volk nur bei Laune, vergibt es auch gönnerhaft kleine Laster und Fehltritte, davon konnte sich schon Bischöfin Margot Käßmann vor genau einem Jahr überzeugen. Auf einen echten Doktortitel wird der Emporkömmling (der ja eigentlich qua Geburt schon ziemlich oben war) nicht verzichten müssen – die Ehrendoktorwürde irgendeines rechtsliberalen think tanks oder einer dubiosen Adelslobby wird doch wohl noch herausspringen.
Als sicher kann dennoch angenommen werden, daß Guttenberg beschädigt aus der Affäre hervorgeht – wie man so schön sagt. Im selben mystifizierend-phraseologischen Journalistensprech, wie man auch orakelt, jemand stehe „unter Druck“ und werde nicht mehr lange „sich halten können“. Woher dieser Druck kommt, erfährt man nicht, über reale Kräfteverhältnisse in der politischen Szene wird nichts gesagt. Der „Druck“ nimmt damit die objektivierte Form einer quasi naturgesetzlichen Begebenheit an. Halten dem Herrn Minister die Kollegen vor der Konferenz nicht mehr die Türe auf? Intrigieren, mobben und lauern die „Parteifreunde“ schon auf seine Nachfolge?
Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob usw. Guttenberg war nicht nur Stoltenberg mit dunklen Haaren – er war der erste deutsche Verteidigungsminister, der jünger ist als Dr. Indoktrinator. (Dr. Indoktrinator, der seinen zweifelhaften Titel übrigens auch auf unlauterem Wege erschlichen hat und daraus aber keinen Hehl macht.)
Kommentare
|
|
23.02.2011 / 23:30 | ta, Radio Corax, Halle |
gern
|
|
gesendet im morgenmagazin | |
03.03.2011 / 18:36 | Dr. Indoktrinator, Querfunk, Karlsruhe |
Tipp für zum Senden
|
|
Als Hintergrundmusik müßte sich (nicht erst seit dem tatsächlichen Rücktritt) gut "Goldener Reiter" von Joachim Witt (1982) eignen. Denn auch der Gel-Baron ist ja sowas von Achtziger! | |