Stolpersteine für Opfer des Faschismus - 3.Verlege-Aktion in Mannheim
ID 32922
Gedenk-Reden des Arbeitskreises Stolpersteine bei 3 von 10 Stolpersteinen für Opfer des Faschismus in Mannheim am 12.März 2010:
Gustav Dieter
Olga Strauss
Ludwig Neischwander
Georg Ehret
Victor Link
Thaddäus Brunke
weitere Infos:
http://mannheim.vvn-bda.de/termine/2010/...
Zdzislas Szeliga
Mieczyslaw Slowik
Tadeusz Wisniewski
Marian Krainski
Gustav Dieter
Olga Strauss
Ludwig Neischwander
Georg Ehret
Victor Link
Thaddäus Brunke
weitere Infos:
http://mannheim.vvn-bda.de/termine/2010/...
Zdzislas Szeliga
Mieczyslaw Slowik
Tadeusz Wisniewski
Marian Krainski
Audio
12:14 min, 11 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (22050 kHz)
Upload vom 18.03.2010 / 14:18
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Dateizugriffe: 346
Klassifizierung
Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Arbeitswelt, Kultur, Politik/Info
Serie: sonar -aktuell-
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Ergänzung:
Redebeitrag zur Verlegung des Stolpersteins
für Georg Ehret
in der Rheinhäuser Straße 56
am 12.03.2010
von Barbara Ritter, Arbeitskreis Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim, AKJM
http://www.akjustiz-mannheim.de/
Georg Ehret hat hier im Hinterhaus im Parterre der Rheinhäuser Straße 56 mit seiner Familie mehrere Jahre gewohnt. Bis ins Jahr 1943, da war er 45 Jahre alt. Seit 13 Jahren war er mit Agathe verheiratet und sie hatten endlich eine Tochter bekommen - 1943 war die kleine Waltraud Agathe drei Jahre alt.
Georg Ehret war seit 1939 Schleifer bei der Firma Heinrich-Lanz (heute John Deere) hier über dem Neckarauer Übergang, die damals nicht gerade Pflüge herstellte, sondern so genannte kriegswichtige Produkte. Deshalb ist Georg Ehret unabkömmlich gestellt. Er ist Mitglied in der Deutschen Arbeitsfront DAF aber nicht in der NSDAP.
Zuvor hatte er als Fabrikarbeiter in Heilbronn gearbeitet und als Dienstknecht bei verschiedenen Bauern. Beim Lanz verdient er nicht schlecht, 55-65 Mark die Woche, das reicht für seine kleine Familie.
Bisher hatte er in seinem Leben nicht viel Glück gehabt. Er wurde am 11.12.1898 geboren und wächst als Sohn einer ärmlichen Schneiderfamilie auf. Nach 7 Jahren Volksschule geht er bei Bauern arbeiten. Mit 19 Jahren, das war 1917, mitten im ersten Weltkrieg, wird er das erste Mal wegen Diebstahl von einigen Peitschen zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Solche Strafen wegen kleiner Eigentumsdelikte fängt er sich im Krieg und in der Nachkriegszeit noch mehrere ein.
1922 wird er dann wegen Brandstiftung zu einer Zuchthausstrafe von 6 Jahren verurteilt und es kommen später noch mehrere kurze Gefängnisstrafen hinzu.
Seit er 1939 aus der Haft entlassen ist, und seit er ein Kind hat, wurde er nicht mehr straffällig.
Am 5. September 1943 geht ein schwerer Bombenangriff auf Mannheim nieder. Das Vorderhaus der Rheinhäuser Straße, das dem Kartoffelgroßhändler Joseph Kuhn gehört, brennt aus. Bei den Löscharbeiten beteiligen sich auch Georg Ehret und eine Menge Soldaten. Die Löscharbeiten und Brandwachen dauern mehr als zwei Tage. Die Soldaten bergen Lebensmittel und Wein aus dem Keller des brennenden Hauses und tragen sie weg. Als Ehret sie darauf anspricht, was sie da wegtragen, erwidert einer: „Halt doch dei Gosch“ und stellt 15 Fleischkonserven aus der Kiste im Hof ab und geht weg. Diese 15 Dosen hat Ehret in sein Gartenhäuschen auf dem Almenhof gebracht.
Hausbesitzer Kuhn (geb. 17.08.1884), der in Leutershausen untergekommen ist, hat 10 Tage nach dem Brand den Diebstahl von 8 Flaschen Schnaps, 40 Konserven-Dosen, 1 Topf Schweinefett und 2 Fässer Apfelwein mit je 100 Liter aus seinem Keller angezeigt. Er hat dabei Georg Ehret verdächtigt, Ehret genieße keinen guten Leumund, sagt er „ und soviel ich weiß, ist er auch schon wegen Diebstahls vorbestraft.“
Die Kriminalpolizei nimmt die Anzeige auf und weiß auch gleich den passenden Paragraphen: „Plünderung nach der Volksschädlingsverordnung“.
Georg Ehret wird vernommen und gibt zu, dass er 15 Konserven an sich genommen hat, aber nicht mehr. Die 15 Dosen werden in seiner Laube gefunden. Er wird inhaftiert. Die Dosen erhält Josef Kuhn zurück
Die Polizei ermittelt erfolglos nach der Militäreinheit, die in der Rheinhäuserstraße gelöscht hat. Aber auch die vorgeblichen Belastungszeugen des Anzeigers Kuhn können keine Angaben machen, die einen Kellerdiebstahl aus einem zerbombten Haus bestätigen würden – genau das würde nämlich als Plünderung vor dem Sondergericht verhandelt. Sogar die Tochter von Kuhn, Martha Kuhn (geb. 12.01.1915) entlastet Ehret bei ihrer Vernehmung. Die Kriminalpolizei berichtet an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Mannheim:
„Ehret ist zu keinem Geständnis zu bewegen. Er stellt sich direkt dumm“. Er wird wochenlang permanent verhört und beschimpft. Ehret schreibt deshalb Ende Oktober an die Staatsanwaltschaft.
Aber dennoch wird die Anklage vor dem Sondergericht erhoben. Als Verteidiger wird Karl Walter bestellt. Am 13. Dezember 1943 findet die Verhandlung statt. Das Richtertrio Spiegel, Mohr und Woll hat schon mehrfach bewiesen, dass es keinerlei Skrupel hatten, die Todesstrafe zu verhängen, selbst wenn die Beweise noch so dünn sind, das Vergehen noch so geringfügig und die juristische Konstruktion abenteuerlich ist. So argumentieren sie:
Die 15 Dosen, die zuvor von einem anderen aus dem Keller geholt worden waren, gingen „des Schutzes der Volksschädlingsverordnung nicht verlustig“, denn sie seien ja im Hof des Besitzers abgestellt worden, aber die „rechtswidrige Wegnahme durch einen Dritten“ stelle dann wiederum Plünderung dar. Und deshalb sei der Angeklagte zur Todesstrafe zu verurteilen.
Das Urteil des Sondergerichts ist sofort rechtskräftig. So wie es keine Chance auf Verteidigung gibt, ist auch keine zweite Instanz vorgesehen. Eine Begnadigung wird summarisch abgelehnt. Es sind 11 andere Männer und Frauen im Zuge dieses Luftangriffs verurteilt worden. Ihre Namen wurden auf roten Plakaten in ganz Mannheim plakatiert. Am 15.1.1944 wird Georg Ehret in Stuttgart mit dem Fallbeil hingerichtet.
Die beteiligten Richter und Staatsanwälte haben nach 1945 keinerlei Nachteile aus ihrer Beteiligung an der NS-Justiz gehabt. Sie hatten Terrorurteile gefällt, zur Abschreckung und weil sie sich in Ihrem Machtrausch berufen fühlten, andere Menschen als „Volksschädlinge“ zu definieren, die sie aus der Volksgemeinschaft „ausmerzen“ wollten. Das war ihr Beitrag zur Aufrechterhaltung der Naziherrschaft.
Georg Ehret hat eine Frau und ein kleines Mädchen hinterlassen, das heute eine 70 Jährige Frau wäre. Wir wissen nichts über ihr weiteres Schicksal, sie sind vor 1960 aus Mannheim unbekannt verzogen. Wir wissen aus Gesprächen mit anderen Hinterbliebenen, dass sie weiter in Scham und Erniedrigung lebten, denn die Urteile galten bis 1998 als rechtskräftig und die ehemaligen Denunzianten brauchten kein schlechtes Gewissen zu haben.
Wenn wir heute einen Stolperstein legen, ist das eine späte Erinnerung an einen Menschen, der kein Widerstandskämpfer war, der vermutlich nur an ein deftiges Essen gedacht hat, als er die Dosen eingepackt hat und der dennoch ein Opfer der Nationalsozialismus war.
Redebeitrag zur Verlegung des Stolpersteins
für Georg Ehret
in der Rheinhäuser Straße 56
am 12.03.2010
von Barbara Ritter, Arbeitskreis Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim, AKJM
http://www.akjustiz-mannheim.de/
Georg Ehret hat hier im Hinterhaus im Parterre der Rheinhäuser Straße 56 mit seiner Familie mehrere Jahre gewohnt. Bis ins Jahr 1943, da war er 45 Jahre alt. Seit 13 Jahren war er mit Agathe verheiratet und sie hatten endlich eine Tochter bekommen - 1943 war die kleine Waltraud Agathe drei Jahre alt.
Georg Ehret war seit 1939 Schleifer bei der Firma Heinrich-Lanz (heute John Deere) hier über dem Neckarauer Übergang, die damals nicht gerade Pflüge herstellte, sondern so genannte kriegswichtige Produkte. Deshalb ist Georg Ehret unabkömmlich gestellt. Er ist Mitglied in der Deutschen Arbeitsfront DAF aber nicht in der NSDAP.
Zuvor hatte er als Fabrikarbeiter in Heilbronn gearbeitet und als Dienstknecht bei verschiedenen Bauern. Beim Lanz verdient er nicht schlecht, 55-65 Mark die Woche, das reicht für seine kleine Familie.
Bisher hatte er in seinem Leben nicht viel Glück gehabt. Er wurde am 11.12.1898 geboren und wächst als Sohn einer ärmlichen Schneiderfamilie auf. Nach 7 Jahren Volksschule geht er bei Bauern arbeiten. Mit 19 Jahren, das war 1917, mitten im ersten Weltkrieg, wird er das erste Mal wegen Diebstahl von einigen Peitschen zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Solche Strafen wegen kleiner Eigentumsdelikte fängt er sich im Krieg und in der Nachkriegszeit noch mehrere ein.
1922 wird er dann wegen Brandstiftung zu einer Zuchthausstrafe von 6 Jahren verurteilt und es kommen später noch mehrere kurze Gefängnisstrafen hinzu.
Seit er 1939 aus der Haft entlassen ist, und seit er ein Kind hat, wurde er nicht mehr straffällig.
Am 5. September 1943 geht ein schwerer Bombenangriff auf Mannheim nieder. Das Vorderhaus der Rheinhäuser Straße, das dem Kartoffelgroßhändler Joseph Kuhn gehört, brennt aus. Bei den Löscharbeiten beteiligen sich auch Georg Ehret und eine Menge Soldaten. Die Löscharbeiten und Brandwachen dauern mehr als zwei Tage. Die Soldaten bergen Lebensmittel und Wein aus dem Keller des brennenden Hauses und tragen sie weg. Als Ehret sie darauf anspricht, was sie da wegtragen, erwidert einer: „Halt doch dei Gosch“ und stellt 15 Fleischkonserven aus der Kiste im Hof ab und geht weg. Diese 15 Dosen hat Ehret in sein Gartenhäuschen auf dem Almenhof gebracht.
Hausbesitzer Kuhn (geb. 17.08.1884), der in Leutershausen untergekommen ist, hat 10 Tage nach dem Brand den Diebstahl von 8 Flaschen Schnaps, 40 Konserven-Dosen, 1 Topf Schweinefett und 2 Fässer Apfelwein mit je 100 Liter aus seinem Keller angezeigt. Er hat dabei Georg Ehret verdächtigt, Ehret genieße keinen guten Leumund, sagt er „ und soviel ich weiß, ist er auch schon wegen Diebstahls vorbestraft.“
Die Kriminalpolizei nimmt die Anzeige auf und weiß auch gleich den passenden Paragraphen: „Plünderung nach der Volksschädlingsverordnung“.
Georg Ehret wird vernommen und gibt zu, dass er 15 Konserven an sich genommen hat, aber nicht mehr. Die 15 Dosen werden in seiner Laube gefunden. Er wird inhaftiert. Die Dosen erhält Josef Kuhn zurück
Die Polizei ermittelt erfolglos nach der Militäreinheit, die in der Rheinhäuserstraße gelöscht hat. Aber auch die vorgeblichen Belastungszeugen des Anzeigers Kuhn können keine Angaben machen, die einen Kellerdiebstahl aus einem zerbombten Haus bestätigen würden – genau das würde nämlich als Plünderung vor dem Sondergericht verhandelt. Sogar die Tochter von Kuhn, Martha Kuhn (geb. 12.01.1915) entlastet Ehret bei ihrer Vernehmung. Die Kriminalpolizei berichtet an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Mannheim:
„Ehret ist zu keinem Geständnis zu bewegen. Er stellt sich direkt dumm“. Er wird wochenlang permanent verhört und beschimpft. Ehret schreibt deshalb Ende Oktober an die Staatsanwaltschaft.
Aber dennoch wird die Anklage vor dem Sondergericht erhoben. Als Verteidiger wird Karl Walter bestellt. Am 13. Dezember 1943 findet die Verhandlung statt. Das Richtertrio Spiegel, Mohr und Woll hat schon mehrfach bewiesen, dass es keinerlei Skrupel hatten, die Todesstrafe zu verhängen, selbst wenn die Beweise noch so dünn sind, das Vergehen noch so geringfügig und die juristische Konstruktion abenteuerlich ist. So argumentieren sie:
Die 15 Dosen, die zuvor von einem anderen aus dem Keller geholt worden waren, gingen „des Schutzes der Volksschädlingsverordnung nicht verlustig“, denn sie seien ja im Hof des Besitzers abgestellt worden, aber die „rechtswidrige Wegnahme durch einen Dritten“ stelle dann wiederum Plünderung dar. Und deshalb sei der Angeklagte zur Todesstrafe zu verurteilen.
Das Urteil des Sondergerichts ist sofort rechtskräftig. So wie es keine Chance auf Verteidigung gibt, ist auch keine zweite Instanz vorgesehen. Eine Begnadigung wird summarisch abgelehnt. Es sind 11 andere Männer und Frauen im Zuge dieses Luftangriffs verurteilt worden. Ihre Namen wurden auf roten Plakaten in ganz Mannheim plakatiert. Am 15.1.1944 wird Georg Ehret in Stuttgart mit dem Fallbeil hingerichtet.
Die beteiligten Richter und Staatsanwälte haben nach 1945 keinerlei Nachteile aus ihrer Beteiligung an der NS-Justiz gehabt. Sie hatten Terrorurteile gefällt, zur Abschreckung und weil sie sich in Ihrem Machtrausch berufen fühlten, andere Menschen als „Volksschädlinge“ zu definieren, die sie aus der Volksgemeinschaft „ausmerzen“ wollten. Das war ihr Beitrag zur Aufrechterhaltung der Naziherrschaft.
Georg Ehret hat eine Frau und ein kleines Mädchen hinterlassen, das heute eine 70 Jährige Frau wäre. Wir wissen nichts über ihr weiteres Schicksal, sie sind vor 1960 aus Mannheim unbekannt verzogen. Wir wissen aus Gesprächen mit anderen Hinterbliebenen, dass sie weiter in Scham und Erniedrigung lebten, denn die Urteile galten bis 1998 als rechtskräftig und die ehemaligen Denunzianten brauchten kein schlechtes Gewissen zu haben.
Wenn wir heute einen Stolperstein legen, ist das eine späte Erinnerung an einen Menschen, der kein Widerstandskämpfer war, der vermutlich nur an ein deftiges Essen gedacht hat, als er die Dosen eingepackt hat und der dennoch ein Opfer der Nationalsozialismus war.
Kommentare
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23.03.2010 / 18:06 | sonar, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar |
gesendet am 23.03.
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gesendet am 23.03. | |
19.03.2010 / 18:10 | sonar aktuell, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar |
gesendet
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am 18.und 19.3.10 | |