Vor 65 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Wir nehmen das als Anlass, um auf deutsche Herrschaftspraxis im hier und jetzt aufmerksam zu machen: Nach 1990, im ’neuen’ Deutschland, entwickelte sich ein Nationalgefühl, wie es vorher in den getrennten deutschen Staaten nicht gekannt wurde. Nach den Brandanschlägen auf Unterkünfte von Asylsuchenden und den rassistischen Angriffen Anfang der 90er Jahre waren die politischen Repräsentanten bemüht, keine Bezüge zur deutschen Geschichte herzustellen und den Taten ihre politische Motiviertheit abzusprechen. Statt offenen Rassismus als solchen zu benennen und gegen ihn vorzugehen, wurden die Angriffe auf Probleme seit der Wiedervereinigung und durch die Sozialisation in der DDR zurückgeführt. Heute ist die klassische Leugnung der Shoa und der anderen Verbrechen des Nationalsozialismus in Deutschland nicht mehr in Mode. Das Gedenken an, ja sogar die Bekenntnis zur deutschen Schuld gehört mittlerweile zum Standardrepertoire jedes ernst zu nehmenden deutschen Politikers. Auf der Basis der auf sich geladenen Schuld und der nach der „Befreiung“ erfolgten Aufarbeitung kann jetzt ein neues deutsches Nationalbewusstsein entstehen – die deutsche Ideologie kehrt zurück, wenn auch in veränderter Form. So konnte Joseph Fischer Auschwitz als Legitimation für den Angriffskrieg gegen Serbien bemühen, während Gerhard Schröder aufgrund der „Lehren der Vergangenheit“ den Krieg gegen den Irak ablehnte
Doch nicht nur eine Auseinandersetzung, die deutsche Herrschaftspraxis im Blick hat, macht am heutigen Tag Sinn, auch eine literarische Auseinandersetzung wollen wir aussetzen. Ole Frahm bespricht im Folgenden Imre Kertesz: “Dossier K. - Reflexionen zur Darstellung des Holocaust“.