Matriarchat in Ägypten

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Vorstellung des Buches "Der Kampf gegen die Weisheit und Macht der matriarchalen Urkultur Ägyptens" von Doris WOlf
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mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 14.12.2009 / 19:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Andere
Entstehung

AutorInnen: Thomas Schroedter
Kontakt: tomschrott(at)yahoo.com
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 14.12.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Hallo die Buchvorstellung für den Dezember 2009 führt uns nach Ägypten. In eine Zeit als die Pharaonen die Macht übernahmen. Es ist keine Belletristik die wir heute vorstellen obwohl es zum Teil schauriger als ein Krimi ist und blutiger als mancher Kriegsroman. Doris Wolf heißt die Autorin und Thomas Schroedter hat ihr Buch „Der Kampf gegen Weisheit und Macht der matriarchalen Urkultur Ägyptens“ für Sie gelesen.
Seit Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz der menschlichen Natur eine angeborene Aggressivität anhefteten und Genforscher diese im Erbgut des Homo Sapiens ausfindig machen wollen, scheint klar: Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf. Darüber hinaus hält sich immer noch das Bild des keulenschwingenden Urmenschen in den Köpfen vieler, obwohl dies Bild dankenswerter Weise aus den Kinder- und Jugendbüchern seit den 90ern verschwunden ist. Der griechische Philosoph Herakilit von Ephesus der im fünften vorchristlichen Jahrhundert den Krieg zum Vater aller Dinge erklärte unterstrich dabei vielleicht ungewollt die Verkettung von Patriarchat und Krieg.
Ein Bild hält sich bis heute hartnäckig in Wissenschaft und Alltagsverständnis: Erst das Patriarchat sei in der Lage gewesen, sogenannte Hochkulturen zu schaffen. Die Menschen wären vielleicht ohne Krieg und Steuern ausgekommen, aber dafür hätten sie auch auf Annehmlichkeiten alle der Zivilisation verzichten müssen. Doris Wolf hat bereits mit ihrem Buch „Was war vor den Pharaonen – Die Entdeckung der Urmütter Ägyptens“ mit diesem Mythos 1988 aufgeräumt. Der Aufschrei der Ägyptologen, die sich in der Regel mit dieser Zeit überhaupt nicht beschäftigen, war groß. Dies lag wohl daran, dass der Angriff auf diesen Mythos ihr Geschichtsbild ins wanken brachte, aber wohl auch an der Tatsache, dass Doris Wolf nicht über einen formalen Abschluss als Ägyptologin verfügt.
Nun hat die Autorin nachgelegt. „Der Kampf gegen die Weisheit und Macht der matriarchalen Urkultur Ägyptens“. Dies ist nicht nur eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage ihrer früheren Forschungsarbeit, sondern auch eine gekonnte Abrechnung mit ihren Kritikern. Auf über 300 Seiten werden Forschungsergebnisse lesbar präsentiert und durch reichhaltig Illustrationen veranschaulicht. Dabei rücken zum Beispiel die Frauen als Heilkundige, als Schreiberin oder Künstlerin in den Mittelpunkt. Die Jagd als Macho-Pläsier und die Feldzüge und Massaker der Eroberer, die nicht nur ungeheure Menschenopfer forderten, sondern ziemlich erfolgreich die vorangegangenen Kulturen ausradierten, sind die andere Seite dieses Blickwinkels auf die Ursprünge auch unserer Kultur.
Die Urgeschichte Ägyptens wird insgesamt von dem größten Teil der Ägyptologen vernachlässigt, was Doris Wolf auf die Fixierung der von Männern dominierten Forschung auf die patriarchalen Gesellschaften zurückführt. An einem Mangel an Funden kann es -trotz der Zerstörungswut der patriarchalen Herrscher- auf keinen Fall liegen. Allerdings spielen die schriftlichen Zeugnisse bei dieser Forschung eine wesentliche Rolle. Unsere auf der buchhalterischen Schrift Mesepotamiens basierende Schrift, hat zu den Symbolen früherer Zeugnisse, die Marija Gimbutas seit Mitte der 70er Jahre zu entschlüsseln sucht, keine Beziehung. Diese fehlende Beziehung macht es den Forschenden leicht, solche Kulturgüter zu ignorieren. Ein wesentlicher Teil der Funde, die aus den 3000 Jahren vor den Dynastien der Pharaonen liegen und die etwa um 3100 vor unserer Zeitrechnung begann, sind Frauenfiguren aus verschiedensten steinernen Materialien. Doris Wolfs Darstellung wie sich die männliche Forschungsgemeinde darum herumwindet, dass es sich bei diesen Figuren um verehrungswürdige Symbole handelt, scheint ihr in der These patriarchaler Ignoranz recht zu geben. Es gehört zu den amüsantesten Passagen des Buches, wie sie renommierte Forscher zitiert, die aus diesen Figuren Tänzerinnen, Kinderspielzeug, oder gar sexuelle Gespielinnen für die Toten Männer machen. Sicherlich entbehrt ihr Umkehrschluss, dass es sich bei der figürlichen Darstellung des Herrn Jesus auf Särgen für Forscherinnen in 5000 Jahren um ein Sexualobjekt für die beerdigten Damen handeln würde, nicht einer unwissenschaftlichen Ironie. Angesichts der angeführten Interpretationsversuche der Ägyptologen, drängt sich allerdings eine solche Sichtweise geradezu auf. Ob die Figuren wirklich Göttinen darstellen, ist dabei nebensächlich. In dieser Interpretation folgt sie den bekanntesten Forscher_innen. Auch wenn es möglich ist, dass das Konstrukt Gott/Göttin erst in einer späteren historischen Epoche geschaffen wurde, deuten diese Figurbeigaben auch in der Häufigkeit, in der sie gefunden wurden, eindeutig darauf hin, dass Frauen insbesondere als Mutter und Ahnin verehrt wurden.
Zu den Kritikpunkten an der früheren Forschungsarbeit von Doris Wolf gehört ihr Nachweis, dass die ägyptische „frühe Hochkultur“ kein isoliertes Ergebnis regionaler Entwicklung entlang des Nils war. Bereits für die Zeit vor der Pharaonenherrschaft sind mittlerweile vielfältige Beziehungen vor allem nach Nordosten nachgewiesen. Im Osten des goldenen Halbmonds, der von der syrischen Mittelmeerküste bis hin an die Mündung des Tigris reicht, erstreckt sich das südwestiranische Hochplateau. Dort stießen Archäologen nach einer Überschwemmung im Jahre 2000 auf die Reste einer Stadt aus dem 3. vorchristlichen Jahrtausend. Die Funde dort bestätigen Wolfs Sichtweise. Heute gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, dass es sich bei den Funden der Grabungen, die bis heute nicht abgeschlossen sind, um die mythische Stadt Aratta handelt. Von dort aus gelangten Produkte bis nach Ägypten. Davon zeugen viele Steinarbeiten für die in Ägypten zu dieser Zeit keine Werkstätten nachgewiesen werden können. „Die Steinschneidekunst war in Ägypten in dieser frühen Zeit noch nicht bekannt.“ (S.46) Das Geschirr, die Vasen und ähnliche Objekte die in großer Zahl entlang des Nils gefunden wurden, gleichen in der Fertigungstechnik, genau wie bei den dargestellten Motiven den iranischen Funden und sind ebenso als „Kunst aus Aratta“ anzusehen. Dennoch bezieht die vergleichende Urgeschichtsforschung Vorderasiens Ägypten bis heute kaum in ihre Untersuchungen ein. Auch der Ägyptologe Thomas Schneider bezichtigte die Forscherin in den Neunzigern der Scharlatanerie, um ihr 10 Jahre später zumindest in einem Punkte zuzustimmen. So resümiert Thomas Schneider 2004: „Die Wahrnehmung einer engen Vernetzung Altägyptens mit den benachbarten Kulturen Südwestasiens, Nordostafrikas und der Ägäis löst seit einiger Zeit das früher verbreitete isolationistische Modell ab, wonach die ägyptische Zivilisation im Wesentlichen eine nach außen abgeschirmte kulturelle Entwicklung durchlaufen hätte.“
Doch das ist nur ein Punkt unter vielen, bei denen Doris Wolf sich mit der etablierten Ägyptologie anlegt. Die meisten von uns haben ja in der Schule gelernt, wie erhaben die Pharaonen waren und von welch unerschöpflichen Wert ihre Kunstwerke sind. Seit einigen Jahren weisen Forscherinnen und Forscher darauf hin, dass zumindest die Sphinx, aber auch die sogenannten Cheopspyramiden aus einer Zeit vor den ersten Pharaonen stammen. Wie ignorant die bisherigen Forschungen gegenüber den Kulturen waren, die nicht zu den Pharao Kulturen gehörten macht die Autorin deutlich an der Rettungsaktion für die Tempel von Abu Simbel. Bei der Flutung des Nasser Sees hinter dem neuen Assuan Staudamm wären die Tempel unter den aufgestauten Fluten begraben worden. Mit erheblichem finanziellen Aufwand wurden zwei Tempel zersägt und an den Ufern des Nasser Sees wieder aufgebaut. Die nubischen Kulturgüter, die heute unter dem See verrotten sind demgegenüber nicht einmal erfasst worden.
Einmal kommen im geschichtlichen Alltagsbewusstsein von uns christlich Erzogenen die Pharaonen doch schlecht weg. Als sie nämlich Moses und seine Anhänger verfolgen lassen, um sie zu töten. Dass aber die Pharaonenherrschaft von Beginn der Invasion Ägyptens, bis zur Herrschaft der Griechen im vierten vorchristlichen Jahrhundert geprägt war von Feldzügen, Sklaverei und Massenmord, weist Doris Wolf in ihrer Arbeit detailreich und durch viele Quellen nach. Dünner ist die Quellenlage bei der Beweisführung, dass die matriarchale Gesellschaft, die vor der Eroberung die Nillandschaft geprägt hat, in der sozialromantischen Form stattgefunden hat, wie sie im Buch beschrieben wird. Denn ob zum Beispiel die Königinnen, die den Übergang zum harten Patriarchat in der ersten Dynastie (also so um 3000 vor unserer Zeitrechnung) so viel netter zu ihrem Volk waren sei einmal dahingestellt. Allerdings ist ihr zuzustimmen, wenn sie sagt. Dass „der Übergang von der urgeschichtlichen in die geschichtliche Zeit ein >>kultureller Fortschritt<< gewesen sei, wie einige Leute beteuern, tönt wie blanker Hohn angesichts der Barbarei der vergotteten Tyrannen. Jene Wissenschaftler, die diese Neuerungen unkritisch und idealisiernend als >>zivili-satorische Evolution<< , nicht aber die damit verbundene Zerstörung der alten Kultur und des egalitären sozialen Gefüges sehen wollen, hüten und verteidigen diesen >>Fortschritt<< eifersüchtig als >>äyptische<< Errungenschaft. Nur durch das Verharmlosen der störenden Beweise der brutalen Gewaltherrschaft ist es möglich , das so populäre, aber gefälschte Bild der heilen Welt des pharaonischen Ägyptens aufrechzuerhalten. (S.177)
In der populärwissenschaftlichen Literatur Europas hat eine solch kritische Sichtweise von daher wenig Platz. „Im Jahre 2007 veröffentlichte der baltische Ägyptologe Sergei Stadnikow seine Arbeit über ´die Bedeutung des Alten Orients für deutsches Denken -Skizzen aus dem Zeitraum 1871 – 1945`“ Durch den Verweis auf diese Quelle macht die Autorin deutlich, dass es sich bei ihrer Arbeit nicht nur ein Zurechtrücken patriarchaler Geschichtsmythen handelt, sondern, dass die Inhalte dieser Geschichtsmythen bis in die jüngste Vergangenheit und -ich denke- bis heute dazu dienen, die kulturelle Überlegenheit des Patriarchats in den Köpfen festzuschreiben.
Befremdend wirkt auch, wie die Morde an den Frauen der verstorbenen Pharaonen von den Ägyptologen entweder verschwiegen, oder verharmlost werden. Oder sie werden wie vom Ägyptologen James Campbell als Ergebnisses eines „altehrwürdigen Brauch des Menschenopfers“ bezeichnet. Das auch das Entfernen der Klitoris als Unterwerfung der Frau unter die Männerherrschaft in der Tradition der indogermanischen Eroberer steht, wie die Ermordung der Witwe wundert nicht, wenn die Leserein oder der Leser auf den hinteren Seiten des Buches angelangt ist. Ebenso akribisch wie mit zunehmender Wut beschreibt Doris Wolf diese Vorgänge. Das bei einer solch arbeitsaufwendigen Untersuchung angesichts der Verdrehungen von eindeutig zu interpretierenden Funden (zum Beispiel Skelette von gefesselten und ermordeten Kindern) Verleugnungen, der Forscherin in ihren Ausführungen eine kühle Distanziertheit fehlt, ist nicht nur erklärlich, sondern macht den Stil des Buches geradezu sympathisch und doppelt lesenswert.
Lediglich in den letzten Kapiteln, in denen es um die Wurzeln des Christentums geht, nimmt die Polemik gegenüber den Fakten ein wenig überhand.
Bemerkenswert ist an dem Buch von Doris Wolf, dass sie den Übergang zum Patriarchat als eine Entwicklung der Gesellschaft beschreibt, die auf verschiedenen Interessen unterschiedlicher Akteure und Akteurinnen basiert. Während einer der Schüler Wihelm Reichs, der Geograph James DeMeo die Verwüstung großer fruchtbarer Gebiete, als wesentlichen Grund für die Durchsetzung des aggressiven Patriarchats nennt, macht Wolf die Eroberungszüge der Indogermanen, die im Kaukasus die Fortschritte in der Metallurgie und die Domestizierung des Pferdes zum kriegstauglichen Zug und Reittier miteinander verbunden hatten, zum Ausgangspunkt dieser Entwicklung. Die Thesen von Doris Wolf werden sicherlich weiter die Diskussion bei Historikerinnen und Historikern herausfordern. Die Auseinandersetzung mit der „Saharasias These“, die die Veränderung der Sahara, der arabischen Halbinsel und Teile Asiens zu Wüsten, zum Ausgangspunkt der Entwicklung des Patriarchats in Ägypten macht, sollte ebenso in die Diskussion einfließen. Angesichts einer Verquickung von Macht und Klimadebatte in der derzeitigen Diskussion, kann eine solche „historische Debatte“ auch für die aktuellen Auseinandersetzungen fruchtbar gemacht werden.
Das Buch :Der Kampf gegen die Weisheit und Macht der matriarchalen Urkultur Ägyptens von Doris Wolf: ist erschienen im DEWE Verlag und kostet 38 €