Vogel der Woche (104): Der Dosenspärling

ID 26945
 
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Größtenteils unauffällig kommt der kleine Dosenspärling daher. Und bis zur Finanzkrise wurde er nicht mal entdeckt...
Audio
04:48 min, 4493 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 17.03.2009 / 15:37

Dateizugriffe: 266

Klassifizierung

Beitragsart: Hörspiel
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Religion, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Vogel der Woche
Entstehung

AutorInnen: hikE
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 17.03.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Beginn Sprechtext //

Heute: Der Dosenspärling.

Ein seltsamer Gesell ist der Passer numismaticus; von streng graubräunlicher Farbe das Gefieder, nur durch einige weiße und schwärzliche Partien etwas aufgelockert, fällt der Dosenspärling zuerst gar nicht so auf. Auch sein Gesang ist nicht das, was man stilbildend nennt - mit seinen engen Verwandten Feldsperling und Haussperling teilt er sich geschwisterlich ein recht formloses Tschilpen mittlerer Qualität, welches auf das Ohr des geneigten Vogelliebhabers nicht unangenehm wirkt, aber eben auch im Konzert der begnadeteren Sängerscharen wie Türangel und Kleiderschrank definitiv nicht aufällt.

Der Dosenspärling ist in der Tat sogar so unauffällig, dass er erst seit der Finanzkrise als eigene Vogelart aufgefallen ist.

Denn jetzt, wo notleidende Banker gar schon die Stuhlgebeine und Damast-Hungertücher in inflationär besternten Restaurants annagen müssen weil der Schampus auf drei Flaschen pro Vorspeise limitiert ist;

jetzt wo Konzernbosse mit bang gefältelter Stirne wegen gigantischer, nie dagewesener Rekordumsätze durch die entsprechend horrende Ausschüttung des Mammons an die Aktionäre gezwungen sind, die Entlassung von Tausenden Arbeitern bei einer Gänsestopfleberpastete und sanft flackerndem Kerzenschein zu unterschreiben, der das Tränchen im Augenwinkel rührend erschimmern lässt;

jetzt wo das schamlose Abheuschrecken jener Umweltprämie beginnt, die den Fahrern von älteren Sportwagen und betagteren
Vierrad-Antrieb-Geländewagen zugedacht war, um deren schwierige wirtschaftliche Zwangslage um ein winziges Deutchen zu erleichtern, durch Antragsmarodierende Radfahrerhorden von geradezu dschinghiskhanischen Ausmaßen, die den Wohlfahrts- und Sozialstaat derart durch Inanspruchnahme der Frackprämie ausbluten wollen, dass kein Geld mehr für ein winziges, mit nur ganz ganz wenig Kinderblut beschmiertem, Brilliantringchen fürs gepflegte Rosettenpiercing mehr übrig bleiben wird, und auch der Griff zum echten Kaviar und zur Haiflossensuppe fortan unterbleiben muss;

jetzt, in dieser finsteren, schweren Zeit, in der alle edlen Köpfe gesenkt sind wie diejenigen der Schneeglöckchen, alle Schwänze hängen, auf denen vormals der stolze Schimmer der Geldpotenz karfunkelte, jetzt wo alle Frisuren jammern dem Tale, alle Ohrläppchen sich senken erdenschwer unter ihrem Perlengeänge dem unentrinnbaren Schicksal entgegen;

jetzt wo alle wertvollen Mitglieder der demokratischen Gesellschaft zu Boden schweigen in bänglicher Erwartung des unbarmherzigen, nicht vorhersagbaren Schicksalsgespenstes der Bankenkrise;

jetzt, in dieser illusionsfreien Stille, wo der faule Odem des Kredites jedes wirtschaftswachsende Lüftchen hat dahinsterben lassen;

jetzt, erst jetzt vernimmt man die wirkliche Besonderheit des Dosenspärlings: das erotisierende Rollen einer Metallscheibe tief in einem hohlen Körper, sobald eine Münze in den Schlitz auf dem Rücken des Vogels eingeworfen wird.

// Ende der Predigt...

Kommentare
24.03.2009 / 16:57 Kai, , Radiowerkstatt Raspel - Verein für Medien und Bild
HiKE, wir lieben dich!
Gesendet am 3. April 2009, 21.00 im Magazin "Wellensalat" auf Radio Bonn/Rhein-Sieg