Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Ottfried Fischer"

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[3.Kalenderwoche]
Es ist mir nicht entgangen, dass man in den neuen Bundesländern eine etwas andere Auffassung hat von Kabarett als andernorts, ich sage nur: «Satire mit Humor»...
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Upload vom 20.01.2009 / 10:01

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen:
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 13.01.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
[3.Kalenderwoche]
Es ist mir nicht entgangen, dass man in den neuen Bundesländern eine etwas andere Auffassung hat von Kabarett als andernorts, ich sage nur: «Satire mit Humor»; ich will stark hoffen, dass dieser satirische Imperativ immer noch am einschlägigen Lokal in Erfurt prangt, in das es mich so ganzundgarnicht hinein zieht. Ebensowenig ist mir entgangen, dass mein Referenzkabarett, nämlich das bayrische, einen Reflex hat gegen alles, was sächsisch tönt, was ich direkt auf die ehemalige DDR zurückführe, die im Verständnis der alten Bundesländer weniger eine Berliner als vielmehr eine sächsische Republik war, das heißt, die wirklich unbelehrbaren und Betongköpfe wurden wohl in erster Linie dort vermutet. Trotzdem bleibe ich bei meinen Bayern, nehmt mirs nicht krümmer als nötig, auch wenn ich einräume, dass die Zeiten für politisches Kabarett schwierig sind angesichts des Mangels einer klaren gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung zwischen klaren Polen. Eine Gesellschaft, in der große Koalitionen von der politischen Politik bis hin zur Schaffung bzw. Erhaltung von Arbeitsplätzen das Klima bilden, bietet misslich wenig Ansätze für Pointen gegen die Herrschenden bzw. für die Bloßlegung ignoranter oder verdummender Strukturen, und da wir uns angesichts des drohenden Systemkollapses eh alle in die Hosen scheißen, kann man nicht mal über die Hosenscheißer so richtig lachen. Das Schöne beim wirklich guten Kabarett ist nun aber, dass es über die Tagespointe hinaus zielt; ein gutes Kabarettprogramm muss im Kern Ernst sein, sonst taugt es nichts. Nun begab es sich letzte Woche, dass der Kini des bayrischen Kabaretts, König Ottfried Fischer der Einzige und Einmalige, die Schweiz mit einem Gastspiel beehrte, und da musste unsereins natürlich hin. Dabei muss ich noch vorausschicken, dass meine Rezeption von Ottfried Fischer natürlich mindestens so stark von der lokalen Krimiserie «Der Bulle von Bad Tölz» geprägt ist wie von seinem monatlichen Hofempfang in «Ottis Schlachthof», wo die jeweils gerade angesagtesten Kabarettisten aus nah und fern ein Nümmerchen aus ihrem aktuellen Programm vorstellen dürfen und damit jeweils einen aktuellen Querschnitt durch das nationale Bühnenhumorschaffen bieten. Ich weiß im Übrigen, dass offenbar ein durchschnittlicher Ostdeutscher auch mit dem Bullen von Bad Tölz nichts anzufangen weiß; dabei möchte ich das tragende Gerüst dieser Krimireihe mit dem misanthropischen, CSU-spöttischen Fettsack, der immer noch bei seiner Mutter im doppelten Sinn zur Pension wohnt, als eine beinahe universale Konstante bezeichnen, gut sekundiert vom Personal auf dem Kriminalhauptquartier und einigen Unternehmer- und Politikerfiguren, während die Morde und ihre Auflösung wie in jeder guten Krimiserie völlig nebensächlich sind und in der Regel sämtlicher kriminalistischer Logik entbehren. Aber der Kosmos rund um die Pension Berghammer und das Kommissariat – das hat wirklich Klasse, das ist so kompakt, dass der Zutritt eben vielleicht für neudeutsche Köpfe fast etwas zu hermetisch oder hermeneutisch ist, aber wie auch immer –

Daneben hatte ich vor rund 5 Jahren mal im Fernsehen ein volles Kabarettprogramm von Ottfried Fischer gesehen, an das ich mich jetzt nicht mehr im Detail erinnere, das ich aber damals für ein gutes Programm im Sinne der obigen Ausführungen oder des Grundgesetzes hielt, weshalb eben die Neugier natürlich groß war, was König Ottfried denn diesmal zum Besten geben würde. Und so verfügten wir uns halt am Freitagabend nach Winterthur.

Und dann war das nicht viel mehr als eine, nein, nicht Krimi-, sondern eine Kalauerreihe. Das Hauptthema hieß «Heimat» als Gegenstück zum globalen Flüchtlingsthema, das politisch ja durchaus noch einige Unkorrektheiten hergegeben hätte, aber mit der Heimat halt mehr oder weniger radikal kurzgeschlossen wurde; und zum Thema Heimat hat leider Gottes Erwin Pelzig schon alles gesagt: Heimat ist da, wo du alles kennst, wo dich alle kennen, wo die Leute zum Fenster naus schauen und sagen: Hau ab. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen, und das erledigte Ottfried Fischer denn auch termingerecht.

Nicht, dass ich mich deswegen beschweren würde, denn schon vor Beginn der Vorstellung hatte sich ein ganz anderes Gefühl über den Saal gelegt; nämlich ist ja dieser Ottfried Fischer nicht einfach nur ziemlich dick, sondern massiv übergewichtig, ach, sagen wirs kurz: Er ist krank, und zu alledem hat er, wie dies offenbar unter den besseren bayrischen Künstlern verbreitet ist, die parkinsonsche Krankheit. Kollege Fischer betrat somit ächzend die Bühne, pflückte aus einer gelben Plastiktüte ein gelbes Tuch, mit dem er jeweils den Speichel von den Mundwinkeln abzuwischen pflegte, und las seinen Kabaretttext runter, wobei er zum Teil jene Geschwindigkeit erreichte, die er jeweils bei den Ansagen in Ottis Schlachthof an den Tag legt: Es ist schon fast unverständlich, und das Durchschnittshirn bemüht sich krampfhaft, sozusagen aus dem Echo noch die im Übrigen durchaus geistreichen Pointen zu entziffern. – Die weniger geistreichen Pointen oder die wenigen direkten politischen Witze pflegte er jeweils sofort mit einem «Ha – Pointe!» abzuschießen. – Das ganze Programm gabs im Anschluss auch noch in Buchform zu kaufen, sodass ich daraus jetzt zitieren könnte, was ich möchte, ja, ich wills ja auch schon machen, einen nämlich, einen Bierzelt-Witz lasse ich raus: «Welche Vögel haben den Schwanz vorn? – Die Kastelruther Spatzen!» – Also, das muss reichen.

Besonders wichtig oder witzig war all dies an und für sich nicht, aber die, Verzeihung: Pointe des Programms zeigte sich bei der Zugabe, als Ottfried Fischer meinte, er könne das Ritual mit dem Rückzug hinter den Vorhang und Wiederauftritt und Applaus und so nicht durchziehen, die 5 Stufen zur Bühne herauf seien ihm zu anstrengend – und das war eben kein Witz, und das war die Wahrheit daran. Fischer stand nun gebeugt neben oder über dem Tisch, rührte sich praktisch nicht, grübelte im Text oder in Erinnerungen und sagte streckenweise überhaupt nix – da wurde es ziemlich allen im Saal klar, dass hier eine neue Stufe des Kabaretts erreicht war. Fischer macht zwar noch ein paar Kalauer und Pointen in einer hirnrissigen Geschwindigkeit – aber das interessiert ihn alles nicht mehr so toll, die Scherze, auch die guten, liegen bereits hinter ihm, und vorne auf der Bühne stand per Saldo nur noch der Schmerzensmann.

Tut mir leid, mir fällt kein anderes Wort ein. Ich halte Fischer für ungeeignet für einen Religionsstifter, auch wenn er noch am lebendigsten wirkt, wenn er sich mit der katholischen Kirche auseinander setzt; als Figur hat er aber zweifellos nicht christliche, sondern Buddha-Qualitäten, aber es ist ein Buddha, der leidet, es ist ein Buddha, der langsam und leidend stirbt und dabei noch einige gequälte Witze reißt. Das ist eindrücklich, geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer; ich weiß nicht, ob’s auch moralisch erhebend ist, wie dies vom Kabarett hin und wieder gefordert wird; ich weiß auch nicht, wie weit der lange Abgang oder Abgesang des bayrischen Kabarettkönigs seinen Grund hat im Zerfall des Kabaretts insgesamt, eben einerseits wegen der um sich greifenden großen Koalitionen, anderseits wegen des Comedy-Gesocks oder Figuren wie, Ihr wisst schon, Atze Schröder und Konsorten, deren Tiefgang jenen eines Snowboards niemals übertreffen wird – aber dass dieser Abend eine eindrückliche Kombination war einerseits aus Zerfall und anderseits aus Transzendenz, das weiß ich doch, und das wollte ich auch hier noch gesagt haben.

Womit ich die Lizenz habe, zu lustigeren Geschichten überzugehen. Im Norden Madagaskars, ja, genau da, wo neuerdings die lustigen Disney-Filme spielen, hat die madegassische Regierung dem südkoreanischen Konzern Daewoo mehrere hundert Hektaren Land gratis und franko zur Verfügung gestellt, damit dieser dort zur Deckung des südkoreanischen Bedarfs Palmöl und andere schöne Sachen anbauen darf. Ich weiß nicht, ob Daewoo sogar noch Subventionen von Madagaskar dafür erhält; jedenfalls erhofft sich die madegassische Regierung von dieser Investition die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie eine Steigerung der Steuereinnahmen. Dieses Lied besetzt natürlich seit mehreren Jahren die Nummer eins der weltweiten Schlager-Hitparade, was übrigens ein Pleonasmus ist, aber das tut nichts zur Sache. Selbstverständlich bietet das für alle Sorten kritischer Geister Anlass, sich über die Ausbeutung der Natur und über den Neokolonialismus zu beschweren. Ähnliche Vorwürfe sind offenbar auch laut geworden, als Ägypten im Nordsudan einige Quadratkilometer Land gekauft hat, um dort Weizen oder Mais anzubauen für die Versorgung der ägyptischen Bevölkerung. Die Welt ist nach wie vor hart und harsch und hält sich keinen Deut an die Spielregeln der Zivilgesellschaft. Ebenfalls in dieser Region sehen wir gegenwärtig ja mit einiger Spannung zu, wie die zivilisierte Welt mit den neuen Piraten umgeht, welche eher den alten Raubrittern zu vergleichen sind, welche im Mittelalter bei ihren Burgen Zölle und Abgaben einforderten. Bei all diesen Piratenskandalen gilt kaum je ein Wort jenen anderen Piraten, wie sie das Satiremagazin Titanic nennt, welche unter der Flagge der zivilisierten Seefahrtnationen, also vor allem Japans und Spaniens, sämtliche Fischereigründe vor diesen Küsten leer gefischt haben, da die meisten afrikanischen Länder am indischen und atlantischen Ozean zwar eine 200-Meilen-Fischereischutzzone besitzen, aber nicht über die Mittel verfügen, diese auch gegenüber den internationalen Fischereiflotten durchzusetzen. Wenn nun die verarmten Fischer zu Piraten oder japanisch gesagt zu Samurai mutieren, dann hat das durchaus seine Schönheit, nämlich Logik. Ich gebe aber zu, dass es hier nicht viel zu lachen gibt.

Kommunikationstechnisch eher lustig ist dagegen der Krieg im Gazastreifen. Ich gehe davon aus, dass es pro 10 Verwundete und Getötete in diesem Gemetzel ein Kamerateam gibt. Dazu kommen die verschiedenen Vertreter der internationalen Hilfsgemeinschaft und dann natürlich die paramilitärischen Kräfte, welche sich ganz selbstverständlich in der Bevölkerung bewegen wie der Fisch im Wasser und wohl auch eben in Schulhäusern, Spitälern und in den Büros der internationalen Organisationen. Diese Sorte von Krieg ist komplett absurd, umso mehr, als da tatsächlich und dauernd Dutzende von Menschen sterben. Man möchte irgendwie noch etwas japsen von Frieden und so, aber man weiß unterdessen, dass Frieden nicht sein soll oder darf, seis wegen der Israeli, deren Expansionsarm mit den Ultraorthodoxen und den Siedlern im Westjordanland ebenso zuverlässig für Unruhe sorgen wie die andere Seite in Gaza mit ihren Shoot-it-yourself-Raketen. Auch für diese Situation halte ich eine Figur wie den Schmerzensmann für hoch aktuell.


Albert Jörimann

Kommentare
30.08.2022 / 14:29 John, Radio F.R.E.I., Erfurt
Auszug verwendet im kleinen feinen großen FRN-Quiz 2022
Danke. Hier geht's zum Beitrag: https://www.freie-radios.net/117215