Lorettas Leselampe April 2008 - Lexikon der "Vergangenheitsbewältigung"

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Rezension von Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der "Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland. Bielefeld (transcript verlag) 2007, 29,80 Euro.
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Upload vom 25.08.2008 / 01:29

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur
Serie: Lorettas Leselampe
Entstehung

AutorInnen: lorettas leselampe, rezensent: olaf berg
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 13.04.2008
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland.

Das jüngst im transcript Verlag erschienene Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland versammelt auf knapp 400 Seiten Einträge zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Deutschland. Der Begriff der „Vergangenheitsbewältigung“ wird dabei zu Recht in Anführungsstriche gesetzt und im Vorwort problematisiert, dass „dessen Betonung der Abschließbarkeit und Tilgung für das tatsächliche Funktionieren kollektiver Erinnerungsprozesse kaum angemessen ist.“ Letztlich sprach für seine Verwendung, dass er als „Signalwort des NS-Diskurses“ in die Debatte eingeführt ist.
Der Band ist in sieben Zeitabschnitte von 1945 bis 2002 gegliedert, die verschiedene Etappen der Diskursentwicklung abbilden sollen. Die Zeitabschnitte selbst sind jeweils nach 3 bis 4 den zeitlichen Abschnitt thematisch prägenden Diskursfeldern aufgeteilt. Neu und spannend ist dabei die Zusammenführung von Ereignissen aus ganz unterschiedlichen Feldern. Juristische und politische Auseinandersetzungen finden ebenso Erwähnung wie Kontroversen um Filme, Bücher, Theateraufführungen oder Skandale um einzelne Personen. Dem Prinzip eines Lexikons entsprechend werden die jeweiligen Ereignisse kurz geschildert, mit Querverweisen in den Zusammenhang anderer Eintrage gestellt und am Ende mit einer Liste weiterführender Literatur und Quellen versehen.
Die Struktur des Buches lädt zum Blättern ein. Nicht gewusstes lässt sich so entdecken, in Vergessenheit geratene Ereignisse können in Erinnerung gerufen werden. Auch als Nachschlagewerk benutzt werden Hintergründe zu aktuellen Auseinandersetzungen schnell aufgefunden. Im Überblick lassen sich Entwicklungslinien und Korrelationen zwischen den verschiedenen Diskursfeldern herauslesen.
Die Herausgeber weisen in der Einleitung darauf hin, mit dem „Lexikon qua definitionem keinen genuinen Beitrag zur Forschung leisten“ zu können. Ihr Anspruch beschränke sich auf die Schaffung eines „neuartigen Zugriffs auf das disparate Feld der „Vergangenheitsbewältigung“ und den Versuch einer umfassenden Synthese durch die debatten- und diskursgeschichtliche Ordnung der Einträge. Darin liegt sicherlich der große Verdienst dieses Bandes. Zugleich aber auch eine nicht zu unterschätzende Problematik. Der geschaffene Zugriff auf das Feld und die damit verbundene Ordnung ist ja nicht so unschuldig neutral, wie das Format des Lexikons es vorgibt. Das Lexikon macht vieles sichtbar und zugleich anderes unsichtbar. In der Etablierung seiner Auswahl und Ordnung liegt auch eine Interpretation, die Zusammenhänge herstellt. Insofern kann der Band durchaus als genuiner Forschungsbeitrag gelten, muss aber aus einer kritischen linken Sicht auch mit Vorsicht benutzt werden.
Ich habe den Band einmal darauf hin durchgesehen, wie Positionen aus der radikalen Linken In den einzelnen Beiträgen Eingang gefunden haben oder eben auch nicht. Im Abschnitt 1968 bis 1979 zum Beispiel wird die 1968 Generation als rein studentische Veranstaltung abgehandelt, Positionen aus der Lehrlings- und Schülerinnenbewegung tauchen nicht auf. Das linksradikale Spektrum scheinen die AutorInnen des Lexikons mit dem Eintrag „RAF und ‚Faschismus’“ für abgehandelt zu halten. Die Faschismusanalyse und Positionierung zum Nationalsozialismus in der Neuen Linken, ob „Sponti“ oder „K-Gruppe“, taucht damit faktisch nicht auf. Keine Erwähnung findet beispielsweise die Bedeutung der „Thesen zur schrittweisen Faschisierung von Staat und Gesellschaft“ für die Gründung des Kommunistischen Bundes. Kein Eintrag wert die zu verschiedenen Zeiten geführte Auseinandersetzung über Antisemitismus in der Linken, die immer auch mit einer Positionierung zur NS-Vergangenheit verbunden war.
Auch in der Auseinandersetzung zum Händedruck zwischen Kohl und Reagan über den SS-Gräbern von Bitburg, taucht die Linke jenseits von SPD und Grünen nicht auf. Ähnlich der Eintrag zum Streit um den jüdischen Friedhof in Hamburg-Ottensen. Die Auseinandersetzung innerhalb der Linken darum wird nicht erwähnt. Dabei kam die wenige Unterstützung, welche die jüdischen Bebauungsgegner fanden, insbesondere aus einem Teil der Hamburg Linken. Die in diesem Zusammenhang entstandene Publikation der „gruppe k“ findet sich im Literaturanhang nicht. Andererseits taucht im Beitrag zum „Holocaust als Filmkomödie“ in den späten 1990er Jahren unvermittelt ein Zitat aus einer Rezension von Begninis „Das leben ist schön“ auf, das in der dem linken Rand der PDS nahen Zeitung „analyse und kritik“ erschien. Warum gerade in diesem Eintrag die ansonsten vielfach ausgeblendete Debatte in der Linken wahrgenommen wird, bleibt unklar.
Dem Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ kommt sicherlich eine Kanon setzende Qualität zu. Es wird sich vermutlich als hilfreiches Werkzeug in der Forschung etablieren und damit einen subtilen Einfluss auf die weitere Debatte erzielen. Dieser Funktion des Lexikons sollte aus linker Sicht mit der gebotenen Skepsis begegnet werden. Nicht desto trotz, ist es ein nützliches und anregendes Buch, das in der Tat neue Zugänge zur Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 liefert.

Torben Fischer, Matthias N: Lorenz (Hg.):
Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland.
transcript verlag
29,80 Euro.

Kommentare
25.08.2008 / 07:13 ta, Radio Corax, Halle
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