Seit 5 Jahren: Die Druckerei Chilavert produziert in Arbeiterselbstverwaltung in Argentinien
ID 20862
ANMOD:
Arbeiten ohne Druck und Chef? Wünschen sich viele, wenn´s denn überhaupt sein muss, das mit der Arbeit. Aber zumindest so einiges davon haben sich die Beschäftigten der Druckerei Chilavert in Argentinien verwirklicht. Jedenfalls den Chef sind sie los und arbeiten seit 5 Jahren selbstbestimmt, als Kooperative. Den Druck sind sie nicht völlig losgeworden, schließlich gibt’s die kapitalistischen Rahmenbedingungen nach wie vor. Aber der Betrieb läuft eben doch völlig anders als früher.
Heike Demmel stellt Chilavert vor, eine Druckerei in Buenos Aires, die ganz normal Papier bedruckt, aber eben auch mehr ist, nämlich: ein Projekt in Arbeiterselbstverwaltung.
Arbeiten ohne Druck und Chef? Wünschen sich viele, wenn´s denn überhaupt sein muss, das mit der Arbeit. Aber zumindest so einiges davon haben sich die Beschäftigten der Druckerei Chilavert in Argentinien verwirklicht. Jedenfalls den Chef sind sie los und arbeiten seit 5 Jahren selbstbestimmt, als Kooperative. Den Druck sind sie nicht völlig losgeworden, schließlich gibt’s die kapitalistischen Rahmenbedingungen nach wie vor. Aber der Betrieb läuft eben doch völlig anders als früher.
Heike Demmel stellt Chilavert vor, eine Druckerei in Buenos Aires, die ganz normal Papier bedruckt, aber eben auch mehr ist, nämlich: ein Projekt in Arbeiterselbstverwaltung.
Audio
17:15 min, 12 MB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 30.01.2008 / 16:35
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Beitragsart:
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Arbeitswelt, Politik/Info
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Chilavert: Fabrik in Arbeiterselbstverwaltung
ANMOD:
Arbeiten ohne Druck und Chef? Wünschen sich viele, wenn´s denn überhaupt sein muss, das mit der Arbeit. Aber zumindest so einiges davon haben sich die Beschäftigten der Druckerei Chilavert in Argentinien verwirklicht. Jedenfalls den Chef sind sie los und arbeiten seit 5 Jahren selbstbestimmt, als Kooperative. Den Druck sind sie nicht völlig losgeworden, schließlich gibt’s die kapitalistischen Rahmenbedingungen nach wie vor. Aber der Betrieb läuft eben doch völlig anders als früher.
Heike Demmel stellt die Chilavert vor, eine Druckerei in Buenos Aires, die ganz normal Papier bedruckt, aber eben auch mehr ist, nämlich: ein Projekt der Arbeiterselbstverwaltung.
Ein Experiment, haben viele geglaubt, sei das mit den besetzten, selbstverwalteten Betrieben in Argentinien, die nach der Wirtschaftskrise 2001 überall aus dem Boden schossen. Eine verträumte Seifenblase, die sicher bald zerplatzen würde. Doch sie haben sich geirrt. Auch heute, 6 Jahre nach dem ökonomischen Debakel und heftigen Straßenkämpfen arbeiten 190 Betriebe ohne Chef. Einer davon ist die Druckerei Chilavert in Buenos Aires:
O-Ton
Als wir begannen waren wie ein paar Arbeiter mit ´nem Haufen Schulden. Wir hatten nicht einen Cent. Und wir hatten die Druckerei in unseren Händen um zu arbeiten. Wir mussten also jede Menge arbeiten um weitermachen zu könenn. Aber es war nicht so einfach, weil wir kannten vor allem eines: Anweisungen befolgen. Wir kannten zwar das Handwerk aber nicht die Entscheidungen selbst zu treffen oder zu organisieren und die Verwaltung und die Bilanzbuchhaltung und all das. All das mussten wir uns währenddessen aneignen denn wir konnten nicht erst lernen und dann arbeiten, wir mussten das gleichzeitig tun.
Und das in einer Zeit, in der das Land von einer heftigen Wirtschaftskrise gebeutelt wurde. Doch Krisen eröffnen oft neue Chancen...
ATMO Kochtopf
„Que se vayan todos“, sie sollen alle abhauen, schrie man überall auf der Straße und trommelte auf Kochtöpfe, Aber die Belegschaften vieler Fabriken waren gar nicht so glücklich, dass deren Besitzer sich tatsächlich aus dem Staub machten – schließlich ließen sie eine bankrotte Firma mit jeder Menge Schulden hinter sich. Kein Gedanke mehr an die Auszahlung der seit Monaten, teils Jahren ausstehenden Löhne. FabrikbesetzerInnen aus der Notwendigkeit zu überleben, unsicher, ohne hochfliegende Pläne von Selbstverwaltung und Basisdemokratie waren viele der plötzlichen BesetzerInnen. Chilavert machte da keine Ausnahme:
O-Ton
An einem Tag kam er also in die Fabrik und wollte die Maschinen einpacken – was das Ende der Fabrik bedeutet hätte. Unsere spontane Reaktion war also ihn daran zu hindern und die Fabrik zu besetzen. In dieser Situation einfach nur um nicht zuzulassen, dass er die Fabrik leerräumt.
Wir begannen darüber nachzudenken wie wir unsere Arbeitsplätze erhalten könnten und einfach nur um überleben und essen zu können fingen wir an in dieser Situation zu arbeiten. Und zu diesem Zeitpunkt war die Besetzung natürlich illegal weil wir ja das Privateigentum antasteten! Aber in der schweren Krise in Argentinien, das war ja 2002, erschien es uns und vielen in der Bevölkerung legitim. Und wir waren nicht der einzige Fall.
Wie viele es genau waren, lässt sich nicht sagen. Auf jeden Fall mehrere Hundert. Übrig sind heute 190, in unterschiedlichsten Bereichen: von der Metallverarbeitung über die Lebensmittelindustrie, Textilindustrie bis hin zu Dienstleistungen im Gesundheitssektor und Hotelgewerbe. Aber es war ein harter Kampf: im Betrieb, auf der Straße, vor Gericht:
O-Ton
In unserem Kampf hin zu einer Anerkennung und einem legalen Status musste der Staat uns für gemeinnützig erklären. Denn sonst hätten wir alles kaufen müssen und das hätten wir nicht gekonnt. Außerdem hätten wir es ungerecht gefunden, die ganzen krummen Schulden des Besitzers zu zahlen, von einem betrügerischen Bankrott. Wir forderten also die Enteignung und im Fall von Chilavert dauerte das von April 2002 bis Oktober 2002.
Dazwischen lagen einige Monate illegale Besetzung, mit all den Schwierigkeiten, vor denen die besetzten Fabriken standen: ohne Strom, Gas, ohne Telefon, mit veralteten, ausgeschlächteten Maschinen, schwierig auch Rohstoffe und Aufträge an Land zu ziehen. Und mit der ständig drohenden Räumung. Im Mai 2002 war es bei Chilavert so weit:
O-Ton
„Sie fuhren ein Polizeiauto für jeden von uns auf, es war also jede Menge Polizei da und auch Hubschrauber, Krankenwagen, Feuerwehr. Aber wir hatten viel Unterstützung: von anderen besetzten Fabriken, von anderen Genossen. Das beste Beispiel dafür ist unser direkter Nachbar: Als wir von der Polizei umzingelt waren bot er uns an ein Loch in die Mauer zu seinem Haus zu brechen für die Bücher, die wir gerade fertig gedruckt hatten und ausliefern mussten. Es war seine Idee! Er sagte, brecht hier die Mauer durch und transportiert die Sachen ab.“
MUSIK resistencia
Räumungsversuche, ein unsicherer Status, die Sorge, dass der Eigentümer die Fabrik zurückfordert und alle Mühe umsonst war. Tag- und Nachtschichten zur Bewachung des Geländes, mit Zwillen, Baseballschlägern, Wut und Angst. Kein Zustand auf Dauer. Die ArbeiterInnen rückten zusammen, Solidarität wurde unter den besetzten Betrieben groß geschrieben, sie machten mächtig Druck. Ihre Forderung: ein Gesetz der Enteignung. Als treibende Kraft mit dabei: die Beschäftigten von Chilavert, von denen viele politische standfester wirken als manche ihre KollegInnen. Die Druckerei war auch einer der ersten Betriebe, die enteignet wurden, Ende 2002.
O-Ton
Das Gesetz der Enteignung sieht vor, dass die Arbeiter solcher Fabriken die Kosten zahlen müssen, die dem Staat für die Enteignung entstehen. Dafür haben wir 20 Jahre Zeit. Wenn dann alles gezahlt ist, ist die Fabrik Eigentum der Arbeiter. Allerdings gab es bisher mehrere Gesetze dazu: das erste 2002, aber es hatte nur provisorischen Charakter. Das von 2004 gilt bis heute, ist aber noch nicht bestätigt. Es ist also eine recht nebulöse Situation. Deshalb hängt es von unserem Kampf ab, von dem Druck, den wir aufbauen, um zu einer für uns erfolgreichen Lösung zu kommen.
Musik ??
Und die anderen Schwierigkeiten? Wie besteht ein selbstverwalteter, politisch ambitionierter Betrieb im Haifischbecken des Kapitalismus?
Chilavert hat Glück:
O-Ton
„Im Druckereigewerbe ist es bei uns so, dass der Auftraggeber das Papier im voraus bezahlt, was ja das wichtige beim Drucken ist. Und in Argentinien streckt der Kunde also das Geld dafür voraus, egal ob bei einer kapitalistischen oder selbstverwalteten Fabrik. Das hat uns natürlich sehr geholfen, so mussten wir das Geld fürs Papier nicht vorstrecken. Aber in der Welt des Kapitalismus zählt vor allem das Geld, wenn du also zahlst funktionierts, wir hatten das nie, das jemand uns nichts verkaufen wollte oder so.“
Doch wer produziert braucht Aufträge und Abnehmer. Auch da hat Chilavert Glück: statt teurer Kunstkataloge drucken sie heute für kleinere Verlage und soziale Organisationen. Und bauen zur Zeit einen eigenen Verlag auf. Eines ihrer ersten Bücher ist ein Fotoband über: Arbeit in Selbstverwaltung. Andere haben es da schwerer: die Kachelfabrik Zanon beispielsweise, deren Markt nicht gerade aus sympathisierenden Projekten besteht. Mittlerweile aber werden alle möglichen linken Parolen auf – Kacheln – gepresst. Es gab wohl noch nie eine derart politische Kachelkultur in Argentinien, ArchäologInnen werden sich wundern...
MUSIK ??
Chilavert ist einer der kleineren Betriebe. 2002 hatten sie gerade mal 8 Beschäftigte. Alle 8 sind heute noch mit dabei, 7 Neue sind dazugekommen. Sie zahlen sich eine Art Einheitslohn, leicht abgestuft, je nach Erfahrung und sozialem Hintergrund wie Kindern. Ernesto Gonzalez und seine MitstreiterInnen kennen die Mühen der Ebene, ein selbstverwalteter Betrieb ist keine Insel der Glückseligkeit:
O-Ton
„Aber wenn du ständig nicht kommst, weil du die Nächte im Casino verspielst, wird das in Frage gestellt und vom Kollektiv diskutiert. Es ist also humaner aber auch schwieriger, weil du es nicht nur einer Person gegenüber vertreten musst, sondern einem Kollektiv.“
Auch auf der Ebene der Selbstorganisation gibt’s durchaus Reibungspunkte. Chilavert ist ein Kollektiv, wie fast alle angeeigneten Betriebe, oberste Instanz ist die Versammlung aller Beschäftigten. Doch damit nicht alle jede Winzigkeit diskutieren, gibt’s ein System:
O-Ton
Jeder Beschäftigte ist je nach Fähigkeit für einen speziellen Bereich verantwortlich, und berichtet dann in der Versammlung davon. Dort können wir natürlich alle unsere Meinung äußern, aber die Umsetzung hängt von dem jeweiligen Genossen, seinem Wissen und Erfahrungen ab. Das ist natürlich nicht ganz einfach, denn natürlich wissen nicht immer alle über alles Bescheid und wir hatten da auch schon verschiedene Krisen, die viel Kraft gekostet haben.
Viel Kraft gelassen, aber noch mehr erreicht: Die Beschäftigten der 190 Betriebe haben die Unken Lügen gestraft, die riefen: ohne Chef und Befehle funktioniert nichts. Natürlich, die ersten Monate und Jahre waren geprägt von Selbstausbeutung und Knabbern am Hungertuch. Doch in den meisten Betrieben, jedenfalls denen, die bis heute überlebt haben, ist das Arbeitspensum wieder gesunken, die Löhne steigen langsam. Und die Arbeitsunfälle, in Argentinien an der Tagesordnung, sind drastisch gesunken. Auf Arbeitsschutz legen die aufmüpfigen Beschäftigten großen Wert.
Aber dennoch, nach 5 Jahren, ist da der Anfangsenthusiamus nicht doch verflogen? Ernesto Gonzalez schüttelt heftig den Kopf:
O-Ton
Im Gegenteil. Natürlich spüren alle den ökonomischen Druck und wollen manche ein bisschen mehr Geld verdienen, ein besseres Leben führen, ihre Familien besser ernähren. Aber es gibt auch den sozialen Anspruch: Chilavert ist keine Fabrik wie alle anderen, wir produzieren nicht nur, sondern verstehen uns als offene Fabrik. Bei uns finden soziale und kulturelle Aktivitäten statt, wir planen gerade ein Dokumentationszentrum über selbstorganisierte Fabriken, in Zusammenarbeit mit der Universität von Buenos Aires, hier treffen sich viele soziale Initiativen.
Oft ist die Frage also eher: Wie viel Zeit widme ich diesen Aktivitäten und wie viel der Arbeit um Geld zu verdienen? Denn wenn die Druckerei nicht funktioniert, geht das Projekt den Bach runter. Aber wenn wir uns nur auf die Produktion konzentrieren, dann wären wir nur eine Druckerei wie alle anderen und es würden uns viele auch aus ihrem politischen Bewusstsein streichen.
Eine offene Fabrik, wollen sie sein, bei Chilavert, nicht nur aus politischem Anspruch heraus, sondern auch um zu überleben. Andere angeeignete Betriebe können das noch schwieriger miteinander verbinden. Und viele haben die hehren politischen Ziele im harten Kampf ums tägliche Überleben wenn nicht über Bord geworfen, so doch ganz schön weit nach hinten gerückt.
Längst ist passe ist die Frage, ob die Betriebe nach dem Konzept „Kooperative" oder "Arbeiterkontrolle“ funktionieren soll. Zwei sehr unterschiedliche politische Strategien, die einst erbittert diskutiert wurden. Bei Kooperativen wandert das Privateigentum letztlich nur in die Hände von mehreren Personen, statt früher einem Padron, kritisierten die Radikaleren unter den BesetzerInnen. Und setzten dem ihre Vorstellung einer „Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle“ entgegen. Schließlich wollten sie nicht zu Unternehmern werden und in der Logik von Markt und Profit gefangen sein. Statt dessen sollte der Staat seiner Verantwortung für die runtergewirtschafteten Betrieben nachkommen. Kontrollieren und steuern wollten die Fabrik aber die ArbeiterInnen selbst.
Chilavert dagegen hat sich für die Kooperative entschieden. In einem kapitalistischen Argentinien. Allerdings auch aus dem einfachen Grund, dass von Staat keine Unterstützung kam, schildert Ernesto Gonzalez die Situation. Trotz großer Worte von Präsident Kirchner, der die aufständische Bewegung mit Zuckerbrot und Peitsche spaltete. Für die selbstverwalteten Betriebe sprangen dabei eher Einzellösungen heraus, eine Ausweitung des Kampfes gegen die gesamte kapitalistische Misere ist heute weniger denn je in Sicht.
ANMOD:
Arbeiten ohne Druck und Chef? Wünschen sich viele, wenn´s denn überhaupt sein muss, das mit der Arbeit. Aber zumindest so einiges davon haben sich die Beschäftigten der Druckerei Chilavert in Argentinien verwirklicht. Jedenfalls den Chef sind sie los und arbeiten seit 5 Jahren selbstbestimmt, als Kooperative. Den Druck sind sie nicht völlig losgeworden, schließlich gibt’s die kapitalistischen Rahmenbedingungen nach wie vor. Aber der Betrieb läuft eben doch völlig anders als früher.
Heike Demmel stellt die Chilavert vor, eine Druckerei in Buenos Aires, die ganz normal Papier bedruckt, aber eben auch mehr ist, nämlich: ein Projekt der Arbeiterselbstverwaltung.
Ein Experiment, haben viele geglaubt, sei das mit den besetzten, selbstverwalteten Betrieben in Argentinien, die nach der Wirtschaftskrise 2001 überall aus dem Boden schossen. Eine verträumte Seifenblase, die sicher bald zerplatzen würde. Doch sie haben sich geirrt. Auch heute, 6 Jahre nach dem ökonomischen Debakel und heftigen Straßenkämpfen arbeiten 190 Betriebe ohne Chef. Einer davon ist die Druckerei Chilavert in Buenos Aires:
O-Ton
Als wir begannen waren wie ein paar Arbeiter mit ´nem Haufen Schulden. Wir hatten nicht einen Cent. Und wir hatten die Druckerei in unseren Händen um zu arbeiten. Wir mussten also jede Menge arbeiten um weitermachen zu könenn. Aber es war nicht so einfach, weil wir kannten vor allem eines: Anweisungen befolgen. Wir kannten zwar das Handwerk aber nicht die Entscheidungen selbst zu treffen oder zu organisieren und die Verwaltung und die Bilanzbuchhaltung und all das. All das mussten wir uns währenddessen aneignen denn wir konnten nicht erst lernen und dann arbeiten, wir mussten das gleichzeitig tun.
Und das in einer Zeit, in der das Land von einer heftigen Wirtschaftskrise gebeutelt wurde. Doch Krisen eröffnen oft neue Chancen...
ATMO Kochtopf
„Que se vayan todos“, sie sollen alle abhauen, schrie man überall auf der Straße und trommelte auf Kochtöpfe, Aber die Belegschaften vieler Fabriken waren gar nicht so glücklich, dass deren Besitzer sich tatsächlich aus dem Staub machten – schließlich ließen sie eine bankrotte Firma mit jeder Menge Schulden hinter sich. Kein Gedanke mehr an die Auszahlung der seit Monaten, teils Jahren ausstehenden Löhne. FabrikbesetzerInnen aus der Notwendigkeit zu überleben, unsicher, ohne hochfliegende Pläne von Selbstverwaltung und Basisdemokratie waren viele der plötzlichen BesetzerInnen. Chilavert machte da keine Ausnahme:
O-Ton
An einem Tag kam er also in die Fabrik und wollte die Maschinen einpacken – was das Ende der Fabrik bedeutet hätte. Unsere spontane Reaktion war also ihn daran zu hindern und die Fabrik zu besetzen. In dieser Situation einfach nur um nicht zuzulassen, dass er die Fabrik leerräumt.
Wir begannen darüber nachzudenken wie wir unsere Arbeitsplätze erhalten könnten und einfach nur um überleben und essen zu können fingen wir an in dieser Situation zu arbeiten. Und zu diesem Zeitpunkt war die Besetzung natürlich illegal weil wir ja das Privateigentum antasteten! Aber in der schweren Krise in Argentinien, das war ja 2002, erschien es uns und vielen in der Bevölkerung legitim. Und wir waren nicht der einzige Fall.
Wie viele es genau waren, lässt sich nicht sagen. Auf jeden Fall mehrere Hundert. Übrig sind heute 190, in unterschiedlichsten Bereichen: von der Metallverarbeitung über die Lebensmittelindustrie, Textilindustrie bis hin zu Dienstleistungen im Gesundheitssektor und Hotelgewerbe. Aber es war ein harter Kampf: im Betrieb, auf der Straße, vor Gericht:
O-Ton
In unserem Kampf hin zu einer Anerkennung und einem legalen Status musste der Staat uns für gemeinnützig erklären. Denn sonst hätten wir alles kaufen müssen und das hätten wir nicht gekonnt. Außerdem hätten wir es ungerecht gefunden, die ganzen krummen Schulden des Besitzers zu zahlen, von einem betrügerischen Bankrott. Wir forderten also die Enteignung und im Fall von Chilavert dauerte das von April 2002 bis Oktober 2002.
Dazwischen lagen einige Monate illegale Besetzung, mit all den Schwierigkeiten, vor denen die besetzten Fabriken standen: ohne Strom, Gas, ohne Telefon, mit veralteten, ausgeschlächteten Maschinen, schwierig auch Rohstoffe und Aufträge an Land zu ziehen. Und mit der ständig drohenden Räumung. Im Mai 2002 war es bei Chilavert so weit:
O-Ton
„Sie fuhren ein Polizeiauto für jeden von uns auf, es war also jede Menge Polizei da und auch Hubschrauber, Krankenwagen, Feuerwehr. Aber wir hatten viel Unterstützung: von anderen besetzten Fabriken, von anderen Genossen. Das beste Beispiel dafür ist unser direkter Nachbar: Als wir von der Polizei umzingelt waren bot er uns an ein Loch in die Mauer zu seinem Haus zu brechen für die Bücher, die wir gerade fertig gedruckt hatten und ausliefern mussten. Es war seine Idee! Er sagte, brecht hier die Mauer durch und transportiert die Sachen ab.“
MUSIK resistencia
Räumungsversuche, ein unsicherer Status, die Sorge, dass der Eigentümer die Fabrik zurückfordert und alle Mühe umsonst war. Tag- und Nachtschichten zur Bewachung des Geländes, mit Zwillen, Baseballschlägern, Wut und Angst. Kein Zustand auf Dauer. Die ArbeiterInnen rückten zusammen, Solidarität wurde unter den besetzten Betrieben groß geschrieben, sie machten mächtig Druck. Ihre Forderung: ein Gesetz der Enteignung. Als treibende Kraft mit dabei: die Beschäftigten von Chilavert, von denen viele politische standfester wirken als manche ihre KollegInnen. Die Druckerei war auch einer der ersten Betriebe, die enteignet wurden, Ende 2002.
O-Ton
Das Gesetz der Enteignung sieht vor, dass die Arbeiter solcher Fabriken die Kosten zahlen müssen, die dem Staat für die Enteignung entstehen. Dafür haben wir 20 Jahre Zeit. Wenn dann alles gezahlt ist, ist die Fabrik Eigentum der Arbeiter. Allerdings gab es bisher mehrere Gesetze dazu: das erste 2002, aber es hatte nur provisorischen Charakter. Das von 2004 gilt bis heute, ist aber noch nicht bestätigt. Es ist also eine recht nebulöse Situation. Deshalb hängt es von unserem Kampf ab, von dem Druck, den wir aufbauen, um zu einer für uns erfolgreichen Lösung zu kommen.
Musik ??
Und die anderen Schwierigkeiten? Wie besteht ein selbstverwalteter, politisch ambitionierter Betrieb im Haifischbecken des Kapitalismus?
Chilavert hat Glück:
O-Ton
„Im Druckereigewerbe ist es bei uns so, dass der Auftraggeber das Papier im voraus bezahlt, was ja das wichtige beim Drucken ist. Und in Argentinien streckt der Kunde also das Geld dafür voraus, egal ob bei einer kapitalistischen oder selbstverwalteten Fabrik. Das hat uns natürlich sehr geholfen, so mussten wir das Geld fürs Papier nicht vorstrecken. Aber in der Welt des Kapitalismus zählt vor allem das Geld, wenn du also zahlst funktionierts, wir hatten das nie, das jemand uns nichts verkaufen wollte oder so.“
Doch wer produziert braucht Aufträge und Abnehmer. Auch da hat Chilavert Glück: statt teurer Kunstkataloge drucken sie heute für kleinere Verlage und soziale Organisationen. Und bauen zur Zeit einen eigenen Verlag auf. Eines ihrer ersten Bücher ist ein Fotoband über: Arbeit in Selbstverwaltung. Andere haben es da schwerer: die Kachelfabrik Zanon beispielsweise, deren Markt nicht gerade aus sympathisierenden Projekten besteht. Mittlerweile aber werden alle möglichen linken Parolen auf – Kacheln – gepresst. Es gab wohl noch nie eine derart politische Kachelkultur in Argentinien, ArchäologInnen werden sich wundern...
MUSIK ??
Chilavert ist einer der kleineren Betriebe. 2002 hatten sie gerade mal 8 Beschäftigte. Alle 8 sind heute noch mit dabei, 7 Neue sind dazugekommen. Sie zahlen sich eine Art Einheitslohn, leicht abgestuft, je nach Erfahrung und sozialem Hintergrund wie Kindern. Ernesto Gonzalez und seine MitstreiterInnen kennen die Mühen der Ebene, ein selbstverwalteter Betrieb ist keine Insel der Glückseligkeit:
O-Ton
„Aber wenn du ständig nicht kommst, weil du die Nächte im Casino verspielst, wird das in Frage gestellt und vom Kollektiv diskutiert. Es ist also humaner aber auch schwieriger, weil du es nicht nur einer Person gegenüber vertreten musst, sondern einem Kollektiv.“
Auch auf der Ebene der Selbstorganisation gibt’s durchaus Reibungspunkte. Chilavert ist ein Kollektiv, wie fast alle angeeigneten Betriebe, oberste Instanz ist die Versammlung aller Beschäftigten. Doch damit nicht alle jede Winzigkeit diskutieren, gibt’s ein System:
O-Ton
Jeder Beschäftigte ist je nach Fähigkeit für einen speziellen Bereich verantwortlich, und berichtet dann in der Versammlung davon. Dort können wir natürlich alle unsere Meinung äußern, aber die Umsetzung hängt von dem jeweiligen Genossen, seinem Wissen und Erfahrungen ab. Das ist natürlich nicht ganz einfach, denn natürlich wissen nicht immer alle über alles Bescheid und wir hatten da auch schon verschiedene Krisen, die viel Kraft gekostet haben.
Viel Kraft gelassen, aber noch mehr erreicht: Die Beschäftigten der 190 Betriebe haben die Unken Lügen gestraft, die riefen: ohne Chef und Befehle funktioniert nichts. Natürlich, die ersten Monate und Jahre waren geprägt von Selbstausbeutung und Knabbern am Hungertuch. Doch in den meisten Betrieben, jedenfalls denen, die bis heute überlebt haben, ist das Arbeitspensum wieder gesunken, die Löhne steigen langsam. Und die Arbeitsunfälle, in Argentinien an der Tagesordnung, sind drastisch gesunken. Auf Arbeitsschutz legen die aufmüpfigen Beschäftigten großen Wert.
Aber dennoch, nach 5 Jahren, ist da der Anfangsenthusiamus nicht doch verflogen? Ernesto Gonzalez schüttelt heftig den Kopf:
O-Ton
Im Gegenteil. Natürlich spüren alle den ökonomischen Druck und wollen manche ein bisschen mehr Geld verdienen, ein besseres Leben führen, ihre Familien besser ernähren. Aber es gibt auch den sozialen Anspruch: Chilavert ist keine Fabrik wie alle anderen, wir produzieren nicht nur, sondern verstehen uns als offene Fabrik. Bei uns finden soziale und kulturelle Aktivitäten statt, wir planen gerade ein Dokumentationszentrum über selbstorganisierte Fabriken, in Zusammenarbeit mit der Universität von Buenos Aires, hier treffen sich viele soziale Initiativen.
Oft ist die Frage also eher: Wie viel Zeit widme ich diesen Aktivitäten und wie viel der Arbeit um Geld zu verdienen? Denn wenn die Druckerei nicht funktioniert, geht das Projekt den Bach runter. Aber wenn wir uns nur auf die Produktion konzentrieren, dann wären wir nur eine Druckerei wie alle anderen und es würden uns viele auch aus ihrem politischen Bewusstsein streichen.
Eine offene Fabrik, wollen sie sein, bei Chilavert, nicht nur aus politischem Anspruch heraus, sondern auch um zu überleben. Andere angeeignete Betriebe können das noch schwieriger miteinander verbinden. Und viele haben die hehren politischen Ziele im harten Kampf ums tägliche Überleben wenn nicht über Bord geworfen, so doch ganz schön weit nach hinten gerückt.
Längst ist passe ist die Frage, ob die Betriebe nach dem Konzept „Kooperative" oder "Arbeiterkontrolle“ funktionieren soll. Zwei sehr unterschiedliche politische Strategien, die einst erbittert diskutiert wurden. Bei Kooperativen wandert das Privateigentum letztlich nur in die Hände von mehreren Personen, statt früher einem Padron, kritisierten die Radikaleren unter den BesetzerInnen. Und setzten dem ihre Vorstellung einer „Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle“ entgegen. Schließlich wollten sie nicht zu Unternehmern werden und in der Logik von Markt und Profit gefangen sein. Statt dessen sollte der Staat seiner Verantwortung für die runtergewirtschafteten Betrieben nachkommen. Kontrollieren und steuern wollten die Fabrik aber die ArbeiterInnen selbst.
Chilavert dagegen hat sich für die Kooperative entschieden. In einem kapitalistischen Argentinien. Allerdings auch aus dem einfachen Grund, dass von Staat keine Unterstützung kam, schildert Ernesto Gonzalez die Situation. Trotz großer Worte von Präsident Kirchner, der die aufständische Bewegung mit Zuckerbrot und Peitsche spaltete. Für die selbstverwalteten Betriebe sprangen dabei eher Einzellösungen heraus, eine Ausweitung des Kampfes gegen die gesamte kapitalistische Misere ist heute weniger denn je in Sicht.
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31.01.2008 / 16:57 | RDL, Radio Dreyeckland, Freiburg |
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Infomagazin vom 31. Januar | |
31.01.2008 / 20:38 | ta, Radio Corax, Halle |
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