[vernichtende] Filmkritik zu "Elementarteilchen" (BRD 2005)

ID 13706
 
Sehr kritische Rezension zur Verfilmung des Roman-Klassikers von Michel Houellebecq "Elementarteilchen" (BRD 2005). Der Film wird einerseits mit wirklich guten Filmen (v.a. der frz. Nouvelle Vague), andererseits mit dem lesenswerten Buch von Houellebecq verglichen. Außerdem ist ein sehr kurzer, polemischer Abriß über frz. versus dt. Filmkunst enthalten ... (Um dem Textfluß besser folgen zu können, ist die gelesene Rezension bereits mit Musik unterlegt und derart mit kurzen Pausen versehen.)
Audio
22:15 min, 20 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.08.2006 / 11:55

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Andere, Arbeitswelt, Jugend, Kultur
Entstehung

AutorInnen:
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 30.08.2006
keine Linzenz
Skript

Kann sich die Kritik am Klischee vom Klischee freimachen, wenn dieses so allgegenwärtig ist? Es scheint etwas billig und allzu bequem, einzelne inferiore Vertreter kulturellen Schunds herauszugreifen und anhand von ihnen ein kritisches Exempel zu statuieren. Gleichwohl kann dialektische Analyse nicht anders vorgehen, als im Einzelnen das falsche Ganze aufzuspüren und schließlich beide zu verwerfen. Das falsche Ganze ist im vorliegenden Fall der Verfilmung des Romans „Elementarteilchen“ die Misere der deutschen Ideologie bzw. der selbstgerechten Dummheit schlechthin. Kein geringerer als der Schöpfer des pathetischen Führerbunker-Machwerks „Der Untergang“, Bernd Eichinger, nämlich hat sich an die Kino-Version des Buches von Michel Houellebecq herangewagt. Gewagt ist es denn auch, was da aus dem Stoff geknetet worden ist. Ein Regisseur, dazu angetreten, Filme zu produzieren, die in Deutschland Kassenschlager werden, ist aber etwas gänzlich anderes als ein Autor, dessen Bücher in Frankreich Bestseller geworden sind.
Der Unterschied ist augenfällig und hat bereits eine lange Geschichte – wir brauchen nicht 1789 vs. 1848 zu beginnen: während im Frankreich der 50er und 60er Jahre Filme von unübertroffener Subtilität gedreht worden sind, hatten in Westdeutschland schmalzig-biedere, nachgerade ranzige Komödien und Heimatschnulzen Konjunktur. Während dann in Frankreich eine umfassende Kritik der Arbeitswelt und der kapitalistischen Gesellschaft einsetzte, ging man in Deutschland gegen den Schah und „Amerika“ auf die Straßen. Als in Paris 1968 gar ein revolutionärer Generalstreik einsetzte, mobilisierten in Berlin Leute wie Dutschke und Mahler kleinere fahnenschwenkende Häuflein, deren reguläre Wiedergänger sich heute zurecht Globalisierungsgegner nennen. Die Misere ging weiter: infolge von 1968 setzte auch in Deutschland zumindest eine Simulation radikaler Gesellschaftskritik ein, und davon blieb auch die sog. kulturelle Sphäre nicht verschont. Während das Revolutionäre an den besten Filmen der frz. Nouvelle Vague immer gewesen war, daß sie die kapitalistische Gesellschaft gerade in der Erbärmlichkeit ihrer fortgeschrittensten Lifestyles und in der Unzulänglichkeit ihrer avanciertesten Form bloßgestellt und ästhetisch kritisiert hatten, kaprizierten sich kritische deutsche Filmemacher wie der exemplarische Rainer Werner Faßbinder in ihren sog. Autorenfilmen auf die frustrierenden Lebensgeschichten marginalisierter Menschen. Es ist dies derselbe Unterschied wie der zwischen der materialistischen Theorie, gemäß der die Revolution in den fortgeschrittensten Gesellschaften ausbrechen werde, und der oft genug regressiven Praxis verbalsozialistisch-ressentimentgeladener Aufstände der Gepeinigten und Gedemütigten der Welt, oder vielmehr ihrer stolzen Wortführer. Der Unterschied ist der zwischen Aufklärung und Ideologieproduktion, zwischen Kritik und Moralismus.
Und was hat das alles mit Houellebecqs „Elementarteilchen“ zu tun? Nicht mehr, als daß die Metamorphose, die der Stoff durchmachen mußte, um als Eichinger-Film zu enden, eine hierzulande typische Karriere ist, als deren Endprodukt die deutsche Ideologie fast in Reinform glitzert und stinkt. Weit davon entfernt, a priori die bildungsbürgerliche Leier „Der Film wird dem Buch nicht gerecht“ herunterzubeten, ist an diesem speziellen Fall tatsächlich einiges abzulesen. Michel Houellebecq selbst, so wird kolportiert, hat den angeblich auf seinem Buch basierenden Film nicht einmal verrissen, sondern komplett ignoriert, ja geradezu durch Mißachtung gestraft.
In den besten Filmen der Godard, Truffaut oder Eustache ist nichts schematisch oder doktrinär, vielmehr ist ein situationistisches Spiel mit der repressiven gesellschaftlichen Form zu sehen, das zu keinem Zeitpunkt herumwitzelt oder auf Kosten des kritischen Gehalts geht. Der schmale Grat zwischen trocken-treffsicherer Sozialkritik und dem, was üblicherweise – gerade in Literatur und Film – in vitalistisch-illusionäre Trostideologie abgleitet, wurde kaum mehr später so gemeistert wie in diesen Filmen, die schon keine schablonenhaften „Geschichten“ mehr erzählen, sondern eben implizit Kritik darin üben, Bestands- und Momentaufnahmen der Welt zu sein, so wie sie ist. Auch ist das Scheitern der Figuren hier nicht pathetisch oder klischeehaft, wie es im klassisch-reaktionären Bürgerroman a la Dostojewski oder existentialistischen Film a la Bergman dem „Menschen an sich“ als Topos schlechthin widerfahren muß, sondern sozialisationsspezifisch und nur insofern notwendig, wie die umgebende gesellschaftliche Totalität notwendig ist – nämlich eigentlich nicht.
Vor diesem Hintergrund ist die „Elementarteilchen“-Verfilmung von Bernd Eichinger das zu erwarten gewesene Fiasko. Ist die hippieske Mutter der Protagonisten bei Houellebecq selber eine tragische Figur, deren Protest gegen die bürgerliche Welt im tristen Paralleluniversum der Selbstfindung geendet hat, so ist bei Eichinger nur noch eine aufgedrehte Witzfigur zu sehen, die so penetrant als oberflächlich dargestellt wird, wie de facto der ganze Film selbst ist. Ekelhaft und typisch deutsch der anklagende Kurzschluß zwischen „emanzipierter Frau“ und „Rabenmutter“. Was an sexistischen Klischees in der postfaschistischen dt. Gesellschaft fortdauert, kann man noch im 21. Jahrhundert z.B. an der „Frauenquote“ in technischen Hochschulen ablesen. Überhaupt: die triftige Kritik am Hippietum ist nicht zu verwechseln mit dumpf-spießbürgerlichem (Selbst-)Haß auf die vermeintlich Alternativen. Das muß sich vor allem die Punk-Bewegung sagen lassen, die sich ja immer noch als legitime Antwort auf hippieske Selbstgenügsamkeit feiert. Nicht nur, daß Punk seit 20 Jahren ebenso selbstgerecht und alt geworden ist; daß in dem, was aus Punk-Hardcore würde, längst genauso spiritualistisch-selbstfindlerische Gemeinschafts- und Askeseideologien zu finden sind („straight edge“ und „Krishna-core“) – derart ekelerregende Phänomene wie „Oi“-Chauvinismus hat auch die bärtigste Hippiebewegung zu keiner Zeit hervorgebracht.
Hatten schon etliche Feuilletonisten Houellebecq zu Unrecht wahlweise als Konservativen gefeiert oder als reaktionären Zyniker gebrandmarkt, indem sie von seiner dezidierten Kritik an bürgerlicher Gesellschaft und tragisch mißglückter Alternativbewegung sehr selektiv nur letztere wahrnehmen wollten, so reproduziert der deutsche „Elementarteilchen“-Film dieses interessierte Mißverständnis einmal mehr. Hier gibt es gar keine Gesellschaft, die auf den Individuen lasten könnte. Eine der beiden Hauptfiguren des Romans, der deprimierte Genforscher, leidende Einzelgänger und unzufriedene Positivist, ist im Film zu einem wachen Bürschchen mutiert, das zwischenzeitlich mal eben etwas schlechte Laune hat, dann aber doch noch seine große Liebe trifft und die Kurve kriegt; dargestellt wird er eher als harmlos-schüchtern denn als melancholisch. Was ihm an sog. Lebensperspektiven offensteht, das viele Geld und sein tristes Forscherbüro, wird nicht als die Zumutung gezeigt, die es ist, sondern als das Normale; das es zwar auch ist, aber durch die Distanzlosigkeit, in der es gefilmt wird, nicht der Entfremdung anheimfällt, der es doch in kritischer Absicht bedarf.
Ebenso die zweite Hauptfigur, der (wie man es klischeegerecht sagen müßte) ausgebrannte Lehrer, den zu spielen ausgerechnet dem Sympathen und schönen Jungen Moritz Bleibtreu angetragen wurde. Dieser gibt sein bestes und kann es trotzdem nicht schaffen, eine Houellebecqsch-reale Figur zu sein. Dazu bedarf es keiner Stars, sondern „ganz normaler“ Menschen, nicht häßlich, nicht schön. Die Houellebecq-Figuren leiden doch immerhin an ihrer Durchschnittlichkeit und sogar Überflüssigkeit qua gesellschaftlicher Rolle im Arbeitsprozeß, wo sie die allzeit auswechselbaren Arbeitskraftbehälter spielen, die sie in der Marktwirtschaft nun einmal tatsächlich sind. Davon aber will ein Eichinger nichts wissen: Bleibtreu bleibt in dessen Film nichts anderes übrig, als klischeegerecht den „aufgeriebenen Lehrer“, den „ungeliebten Sohn“, den masturbierenden Psychofreak zu inszenieren.
Das Familiäre kommt im Film nur als utopisch schillernder Fluchtpunkt der verdruckst menschelnden Bemühungen vor; Houellebecq hat es jedoch immer fern gelegen, jene liberal-aufklärerische Entwicklung, die die Anti-68er in schlechter Tradition Spenglers „Werteverfall“ nennen, zu geißeln oder gar rückgängig machen zu wollen. Vielmehr demonstriert er die Unzulänglichkeit des Liberalismus, statt undialektisch seine Verdienste madig zu machen. Sonst hätten ihn sich die frz. Muslime kaum zum ideologischen Hauptfeind der letzten Jahre auserkoren (wer jetzt auch Theo van Gogh assoziiert, denkt richtig). Über autoritär-klebrigen Gemeinschaftsgeist und kompensatorische Familienidylle kann Houellebecq nur lächeln, nicht empfiehlt – geschweige denn verherrlicht – er sie als Heilmittel.
Er kritisiert, leidenschaftlich wie kaum ein Literat der Epoche, die bestehende Arbeitsgesellschaft sowie ihre Eskapismus-Angebote, als Totalität. Der Film begnügt sich damit, ja müht sich geradezu damit ab, einzelne Eskapismen lächerlich zu machen, nur nicht den familiären. Aber wer wie im Film „Der Untergang“ die Nazi-Gesellschaft opportunistischerweise und in bester Knopp’scher Manier auf ein tragisches Zusammentreffen von einer Handvoll durchgedrehter Schurken mit einer Mehrheit ganz harmloser Menschen reduziert, der hat ja ohnehin schon bewiesen, was es heißt zu reduzieren.
Technisch ist Eichingers Film natürlich robust und routiniert. Und das ist auch genau der zentrale Schwachpunkt: Absolventen von Filmakademien sind auf das feierabendliche Kinopublikum gedrillt wie akademische sog. Geisteswissenschaftler auf das bürgerliche Feuilleton oder Studiomusiker in late-night-Shows: man bringt aus Seminaren etwas geistreiche Hintergrundkenntnisse mit, ansonsten weiß man, was die Kundschaft gerne sieht, liest oder hört; ist Praktiker und vor allem Handwerker. Darstellungen oder Einstellungen, die den positivistischen Blick aufbrechen oder transzendieren helfen könnten, wird man hier vergeblich suchen. Die Nouvelle Vague hingegen strotzte in ihren besten Momenten nur so davon; Innehalten war stets mehr als eine existentialistische Pose für den Aula-Schauspielkurs. Doch die nicht mehr ganz nouvelle Vague ist ja, wie alle Avantgarden, Geschichte und dem etablierten Kanon namens Filmmuseum bestens einverleibt.
Wäre die Figur des Genforschers bei Houellebecq kein Genforscher gewesen sondern ein Arzt, das Machwerk wäre zwangsläufig ein Arztroman-Film geworden, so abgeschmackt geht es zu. Nur Krankheit und Tod vermögen in diesem Universum Menschen „aus ihrer Bahn zu werfen“ – wie man wohl ideologie-immanent sagen müßte. „Die Kähßerin [Kaiserin] hat Schnupf'n!“ („Sissi“, 1956) Ganz ganz schlimm, und insofern stimmig, auch die Musik. Was wohl „Melancholie“ ausdrücken soll – die Produzenten scheinen davon allerdings keinen auch noch so oberflächlichen Begriff zu haben, das demonstriert der Film als Gesamtkunstwerk –, geht vollends in kontemplativem Kitsch und mittelmäßigem Befindlichkeitsgedudel unter. Die Erbärmlichkeit der Begleitmusik (und es ist bloß begleitende Musik, also Filmmusik im allerschlechtesten Sinne, ähnlich wie der leis-omnipräsente orchestrale Bombasthintergrund bei „Star Wars“) kann insofern nicht überraschen, als populäre Musik des dt. Mainstreams schon immer ziemlich unerträglich und noch nie auch nur eine Spur subtil war, geschweige denn originell. Der aufs Bestehende vereidigte Zwangscharakter bekommt in Ton und Bild die leichte Kost, die ihm adäquat und erträglich ist, dafür sorgt in der Tat die heimische Marktwirtschaft. Aus Houellebecq wird Eichinger, aus Kritik ein Rührstück, aus Subtilität wird Tragikomik, aus Musik Geplätscher.
Das Schöne an diesen ideologisch gesättigten Machwerken ist, daß sie der Nachwelt erhalten bleiben. Sie können dann hübsch als typische Genrefilme in einer Reihe mit deutschen Werken stehen, für die Namen wie Pulver und Rühmann, Riemann und Schweiger notorisch sind.

Kommentare
30.08.2006 / 14:13 RDL, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet am 30. und 31. August
Infomagazin