Focus Europa 142 (Dienstag 15.08.06)
ID 13583
Feature: "Erinnerungskultur von unten" - Geschichtsaufarbeitung in Spanien (2.Teil), +++ Nachrichten:EU-Fonds für Globalisierungsopfer +++ NEUES VON BOLKESTEIN +++ Veröffentlichung der Empfänger von EU-Subventionen soll begrenzt werden
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Upload vom 15.08.2006 / 13:06
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Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Arbeitswelt, Frauen/Lesben, Politik/Info
Serie: Focus Europa
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EU-Fonds für Globalisierungsopfer
Die EU will ab 2007 jährlich 50.000 gekündigte Arbeitskräfte reintegrieren und dafür 500 Mio. Euro ausgeben. Das Geld soll dabei aus nicht voll ausgeschöpften EU-Töpfen stammen, wobei Brüssel strenge Regeln für die Mittelvergabe vorschweben.
Denn EU-Geld soll nur fließen, wenn innerhalb einer Region ein Unternehmen beziehungsweise dessen Sublieferanten unerwartet mehr als 1000 Arbeitnehmer kündigen oder wenn in einer Branche mehr als 1000 Arbeitsplätze wegfallen. Selbst in diesem Fall gibt es die Hilfsgelder aber nur dann, wenn in der betroffenen Region die Arbeitslosigkeit höher ist als im EU-Durchschnitt.
Unter negativen Globalisierungsfolgen versteht die Kommission rasant gestiegene Importe, plötzlich abgesackte Exporte oder Betriebsverlagerungen. Allerdings gilt auch hier eine Einschränkung: Verlagert ein Betrieb seinen Standort innerhalb der EU, soll es keine Unterstützung für die Betroffenen geben.
NEUES VON BOLKESTEIN
Durch den Krieg im Libanon sind andere wichtige Entscheidungen von der Presse nicht mehr wahrgenommen worden. So gibt es z.B. neues von der sogenannten Bolkestein-Richtlinie zu berichten.
Am 17. Juli ist der Richtlinien-Entwurf über die Liberalisierung aller Dienstleistungen - eben die bewusste "Bolkestein-Richtlinie" - vom EU-Ministerrat angenommen worden. Das 115 Seiten starke Papier wird dem Europa-Parlament im Herbst zur zweiten Lesung zugehen und vermutlich verabschiedet. Die Richtlinie wäre dann bis 2009 in nationales Recht umzusetzen.
Bereits Ende April hatte die Kommission eine "Mitteilung über soziale Dienstleistungen von allgemeinem Interesse" veröffentlicht, die alle Dienstleistungen im sozialen Bereich als "wirtschaftliche Tätigkeit" betrachtet. Das bedeutet, alle Dienstleistungen unterliegen dem Gemeinschaftsrecht - es gelten Dienstleistungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und das Wettbewerbsrecht - und sind den europäischen Vergabevorschriften (Ausschreibungszwang!) und dem europäischen Beihilferecht (Beihilfeverbot!) unterworfen. Obwohl der ursprüngliche Text des Bolkestein-Entwurfs nach den heftigen Protesten Anfang 2006 etwas verändert wurde, kann keineswegs Entwarnung gegeben werden.
Es ist nach wie vor nicht gesichert, dass die Rechtslage des Bestimmungslandes einer Dienstleistung gegenüber der Rechtslage des Herkunftslandes Priorität genießt. Zwar werden das Arbeits- und Tarifvertragsrecht des Ziellandes anerkannt, aber tarifliche Bedingungen sind bislang nur für den Bausektor abgesichert. Darum gibt es für ausländische Dienstleister nur sehr eingeschränkte arbeitsrechtliche Vorgaben, die sie zu erfüllen haben.
Die Kommission hält es nun auch nicht mehr für geboten, dass ein verantwortlicher Rechtsvertreter vor Ort als Ansprechpartner zur Verfügung stehen muss. Das heißt beispielsweise, ein Bußgeldbescheid wegen des Verstoßes gegen die Entsenderichtlinie (Schwarzarbeit, Lohn- und Sozialdumping) könnte nicht rechtsgültig zugestellt und so ein Strafverfahren nicht stattfinden. Bußgeldbescheide wären über eine Behörde im Ausland zu schicken, die diese Bescheide an die jeweilige Firmenzentrale weiterleitet - danach obliegt es den Heimatstaaten inkriminierter Unternehmen, ob sie Maßnahmen ergreifen, "um sicherzustellen, dass die Dienstleistungserbringer sich um zufrieden stellende Lösungen bei Beschwerden bemühen" (Art.27). Ebenso schwammig sind die Haftungsregeln gefasst.
Auch Nachweise über die Staatsangehörigkeit von Dienstleistern sind nicht erforderlich (Art.14), so dass theoretisch Pflegerinnen aus dem Nicht-EU-Land Ukraine über das EU-Land Litauen nach Deutschland geschleust werden könnten. Ohnehin werden Unternehmen nicht verpflichtet, vor der Arbeitsaufnahme die jeweilige Entsendung anzumelden oder genehmigen zu lassen - Unterlagen wie Arbeitsverträge oder Abrechnungen müssen nicht am Arbeitsort sein. Eine Wirtschaftsaufsicht, die unlauteren Wettbewerb begrenzt, wird das erheblich erschweren.
Ausgenommen sind bisher noch Gesundheitsdienstleistungen, "die von reglementierten Gesundheitsberufen" erbracht werden. Da aber im Herbst eine EU-Gesundheits-Richtlinie veröffentlicht werden soll, steht zu befürchten, dass auch hier mit weiterer Kommerzialisierung zu rechnen ist. Ausgeklammert von der Bolkestein-Richtlinie bleiben gleichfalls nationale Bildungssysteme, wenn diese "noch überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden", und Sozialdienstleistungen, die etwa die Betreuung von Kindern oder Bedürftigen betreffen. In Artikel 39 wird allerdings den EU-Mitgliedern das Recht eingeräumt, "neue Anforderungen" (gemeint sind Dienstleistungen, die in die Richtlinie aufgenommen werden sollen) zu benennen. Man darf das als Freibrief für eine mögliche Marktöffnung von bislang noch geschützten Dienstleistungen verstehen.
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos will die von der EU-Kommission geplante Veröffentlichung der Empfänger von EU-Subventionen stark beschränken.
EU-Verwaltungskommissar Siim Kallas will die EU-Mitgliedsstaaten bereits von 2007 an zwingen, detailliert darzulegen, welche Unternehmen in welcher Höhe Zuwendungen von der EU und den einzelnen Staaten erhalten haben, die die EU-Förderung in der Regel mitfinanzieren. Dies soll für die EU-Fördermittel aus dem Strukturfonds, aber auch für die landwirtschaftlichen Beihilfen gelten. Ziel der Kommission ist eine Seite im Internet, die jeder Bürger einsehen kann. Brüssel will damit die Akzeptanz der EU-Förderpolitik erhöhen und den Vorwurf fehlender Transparenz ausräumen.
Die EU-Strukturmittel machen rund ein Drittel des europäischen Haushalts aus. In der kommenden Finanzperiode von 2007 bis 2013 stehen dafür insgesamt 308 Mrd. Euro zur Verfügung, davon entfallen auf Deutschland etwa 23 Mrd. Euro. Sie werden für die regionale Wirtschaftsförderung eingesetzt. So waren fast alle industriellen Großinvestitionen seit der Zerschlagung der DDR in den sogennanten neuen Bundesländern mit Fördergeldern der EU und flankierenden Beihilfen der Bundesländer oder des Bundes subventioniert worden.
Die Bundesregierung solle in den Verhandlungen über die Brüsseler Transparenzinitiative auf die Einführung einer Bagatellgrenze in Höhe von 2 Mio. Euro bei den EU-Strukturfonds dringen, heißt es in einem Schreiben des Wirtschaftsministeriums.
Der Bundeswirtschaftsminister fürchtet nun, "dass die Verwaltung durch die Pflicht zur Aufbereitung Tausender Einzeldaten zu sehr belastet wird", wie es in dem Schreiben seines Hauses an die Ressortkollegen heißt. Zudem sei der "Informationsgehalt der Fördersumme als solcher zweifelhaft, da etwaige Fördererfolge außer Betracht bleiben". Es bestehe "die Gefahr negativer Schlagzeilen, die die gesamte EU-Förderung in Frage stellen und potenzielle Investoren abschrecken könnte", warnt das Ministerium in dem Schreiben. Diese Einwände würden unabhängig davon gelten, dass mit der Veröffentlichung der für die Subventionsempfänger sensiblen internen Daten der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gefährdet sei.
Die EU-Transparenzinitiative ließe sich im Grundsatz jedoch nur noch mit qualifizierter Mehrheit der Mitgliedsstaaten blockieren. Da diese nicht absehbar ist - neben Deutschland hatten sich bisher nur Spanien und Irland eindeutig dagegen ausgesprochen -, will Glos nun zumindest die Zwei-Millionen-Euro-Grenze für die Empfänger von EU-Strukturfondsmitteln durchsetzen. Allerdings habe die EU-Kommission bereits Ablehnung signalisiert.
Die EU will ab 2007 jährlich 50.000 gekündigte Arbeitskräfte reintegrieren und dafür 500 Mio. Euro ausgeben. Das Geld soll dabei aus nicht voll ausgeschöpften EU-Töpfen stammen, wobei Brüssel strenge Regeln für die Mittelvergabe vorschweben.
Denn EU-Geld soll nur fließen, wenn innerhalb einer Region ein Unternehmen beziehungsweise dessen Sublieferanten unerwartet mehr als 1000 Arbeitnehmer kündigen oder wenn in einer Branche mehr als 1000 Arbeitsplätze wegfallen. Selbst in diesem Fall gibt es die Hilfsgelder aber nur dann, wenn in der betroffenen Region die Arbeitslosigkeit höher ist als im EU-Durchschnitt.
Unter negativen Globalisierungsfolgen versteht die Kommission rasant gestiegene Importe, plötzlich abgesackte Exporte oder Betriebsverlagerungen. Allerdings gilt auch hier eine Einschränkung: Verlagert ein Betrieb seinen Standort innerhalb der EU, soll es keine Unterstützung für die Betroffenen geben.
NEUES VON BOLKESTEIN
Durch den Krieg im Libanon sind andere wichtige Entscheidungen von der Presse nicht mehr wahrgenommen worden. So gibt es z.B. neues von der sogenannten Bolkestein-Richtlinie zu berichten.
Am 17. Juli ist der Richtlinien-Entwurf über die Liberalisierung aller Dienstleistungen - eben die bewusste "Bolkestein-Richtlinie" - vom EU-Ministerrat angenommen worden. Das 115 Seiten starke Papier wird dem Europa-Parlament im Herbst zur zweiten Lesung zugehen und vermutlich verabschiedet. Die Richtlinie wäre dann bis 2009 in nationales Recht umzusetzen.
Bereits Ende April hatte die Kommission eine "Mitteilung über soziale Dienstleistungen von allgemeinem Interesse" veröffentlicht, die alle Dienstleistungen im sozialen Bereich als "wirtschaftliche Tätigkeit" betrachtet. Das bedeutet, alle Dienstleistungen unterliegen dem Gemeinschaftsrecht - es gelten Dienstleistungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und das Wettbewerbsrecht - und sind den europäischen Vergabevorschriften (Ausschreibungszwang!) und dem europäischen Beihilferecht (Beihilfeverbot!) unterworfen. Obwohl der ursprüngliche Text des Bolkestein-Entwurfs nach den heftigen Protesten Anfang 2006 etwas verändert wurde, kann keineswegs Entwarnung gegeben werden.
Es ist nach wie vor nicht gesichert, dass die Rechtslage des Bestimmungslandes einer Dienstleistung gegenüber der Rechtslage des Herkunftslandes Priorität genießt. Zwar werden das Arbeits- und Tarifvertragsrecht des Ziellandes anerkannt, aber tarifliche Bedingungen sind bislang nur für den Bausektor abgesichert. Darum gibt es für ausländische Dienstleister nur sehr eingeschränkte arbeitsrechtliche Vorgaben, die sie zu erfüllen haben.
Die Kommission hält es nun auch nicht mehr für geboten, dass ein verantwortlicher Rechtsvertreter vor Ort als Ansprechpartner zur Verfügung stehen muss. Das heißt beispielsweise, ein Bußgeldbescheid wegen des Verstoßes gegen die Entsenderichtlinie (Schwarzarbeit, Lohn- und Sozialdumping) könnte nicht rechtsgültig zugestellt und so ein Strafverfahren nicht stattfinden. Bußgeldbescheide wären über eine Behörde im Ausland zu schicken, die diese Bescheide an die jeweilige Firmenzentrale weiterleitet - danach obliegt es den Heimatstaaten inkriminierter Unternehmen, ob sie Maßnahmen ergreifen, "um sicherzustellen, dass die Dienstleistungserbringer sich um zufrieden stellende Lösungen bei Beschwerden bemühen" (Art.27). Ebenso schwammig sind die Haftungsregeln gefasst.
Auch Nachweise über die Staatsangehörigkeit von Dienstleistern sind nicht erforderlich (Art.14), so dass theoretisch Pflegerinnen aus dem Nicht-EU-Land Ukraine über das EU-Land Litauen nach Deutschland geschleust werden könnten. Ohnehin werden Unternehmen nicht verpflichtet, vor der Arbeitsaufnahme die jeweilige Entsendung anzumelden oder genehmigen zu lassen - Unterlagen wie Arbeitsverträge oder Abrechnungen müssen nicht am Arbeitsort sein. Eine Wirtschaftsaufsicht, die unlauteren Wettbewerb begrenzt, wird das erheblich erschweren.
Ausgenommen sind bisher noch Gesundheitsdienstleistungen, "die von reglementierten Gesundheitsberufen" erbracht werden. Da aber im Herbst eine EU-Gesundheits-Richtlinie veröffentlicht werden soll, steht zu befürchten, dass auch hier mit weiterer Kommerzialisierung zu rechnen ist. Ausgeklammert von der Bolkestein-Richtlinie bleiben gleichfalls nationale Bildungssysteme, wenn diese "noch überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden", und Sozialdienstleistungen, die etwa die Betreuung von Kindern oder Bedürftigen betreffen. In Artikel 39 wird allerdings den EU-Mitgliedern das Recht eingeräumt, "neue Anforderungen" (gemeint sind Dienstleistungen, die in die Richtlinie aufgenommen werden sollen) zu benennen. Man darf das als Freibrief für eine mögliche Marktöffnung von bislang noch geschützten Dienstleistungen verstehen.
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos will die von der EU-Kommission geplante Veröffentlichung der Empfänger von EU-Subventionen stark beschränken.
EU-Verwaltungskommissar Siim Kallas will die EU-Mitgliedsstaaten bereits von 2007 an zwingen, detailliert darzulegen, welche Unternehmen in welcher Höhe Zuwendungen von der EU und den einzelnen Staaten erhalten haben, die die EU-Förderung in der Regel mitfinanzieren. Dies soll für die EU-Fördermittel aus dem Strukturfonds, aber auch für die landwirtschaftlichen Beihilfen gelten. Ziel der Kommission ist eine Seite im Internet, die jeder Bürger einsehen kann. Brüssel will damit die Akzeptanz der EU-Förderpolitik erhöhen und den Vorwurf fehlender Transparenz ausräumen.
Die EU-Strukturmittel machen rund ein Drittel des europäischen Haushalts aus. In der kommenden Finanzperiode von 2007 bis 2013 stehen dafür insgesamt 308 Mrd. Euro zur Verfügung, davon entfallen auf Deutschland etwa 23 Mrd. Euro. Sie werden für die regionale Wirtschaftsförderung eingesetzt. So waren fast alle industriellen Großinvestitionen seit der Zerschlagung der DDR in den sogennanten neuen Bundesländern mit Fördergeldern der EU und flankierenden Beihilfen der Bundesländer oder des Bundes subventioniert worden.
Die Bundesregierung solle in den Verhandlungen über die Brüsseler Transparenzinitiative auf die Einführung einer Bagatellgrenze in Höhe von 2 Mio. Euro bei den EU-Strukturfonds dringen, heißt es in einem Schreiben des Wirtschaftsministeriums.
Der Bundeswirtschaftsminister fürchtet nun, "dass die Verwaltung durch die Pflicht zur Aufbereitung Tausender Einzeldaten zu sehr belastet wird", wie es in dem Schreiben seines Hauses an die Ressortkollegen heißt. Zudem sei der "Informationsgehalt der Fördersumme als solcher zweifelhaft, da etwaige Fördererfolge außer Betracht bleiben". Es bestehe "die Gefahr negativer Schlagzeilen, die die gesamte EU-Förderung in Frage stellen und potenzielle Investoren abschrecken könnte", warnt das Ministerium in dem Schreiben. Diese Einwände würden unabhängig davon gelten, dass mit der Veröffentlichung der für die Subventionsempfänger sensiblen internen Daten der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gefährdet sei.
Die EU-Transparenzinitiative ließe sich im Grundsatz jedoch nur noch mit qualifizierter Mehrheit der Mitgliedsstaaten blockieren. Da diese nicht absehbar ist - neben Deutschland hatten sich bisher nur Spanien und Irland eindeutig dagegen ausgesprochen -, will Glos nun zumindest die Zwei-Millionen-Euro-Grenze für die Empfänger von EU-Strukturfondsmitteln durchsetzen. Allerdings habe die EU-Kommission bereits Ablehnung signalisiert.