Bericht über die Versorgungslage von trans Personen in Hamburg
ID 131810
Die Versorgungslage für transgender Personen in Hamburg ist kritisch.
Das liegt vor allem an fehlenden Therapieplätzen.
Das liegt vor allem an fehlenden Therapieplätzen.
Audio
08:24 min, 19 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.11.2024 / 17:36
08:24 min, 19 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.11.2024 / 17:36
Dateizugriffe: 225
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Versorgungslage für transgender Personen in Hamburg ist kritisch.
Das liegt vor allem an fehlenden Therapieplätzen. Ein Bericht über die
Lage.
Viele trans Menschen brauchen medizinische Maßnahmen, um sich in ihrem
Körper wohlfühlen zu können. Zu diesen Maßnahmen gehören zum Beispiel
die Hormonbehandlung, oder auch Haarentfernung oder
geschlechtsangleichende Operationen. Das Problem dabei: Die gesetzliche
Krankenkasse übernimmt die Behandlungskosten für solche Maßnahmen nur
unter bestimmten Bedingungen.
Laut Begutachtungsanleitung vom Medizinischen Dienst Bund muss vorher
eine psychotherapeutische oder vergleichbare Behandlung durchgeführt
werden. Die soll mindestens ein halbes Jahr dauern. In diesen Sitzungen
soll dann überprüft werden, ob der Leidensdruck durch psychiatrische
oder therapeutische Behandlung verbessert werden kann. Dann könnte die
Krankenkasse nämlich darauf verzichten, teure medizinische Maßnahmen zu
bezahlen. Dieses Vorgehen widerspricht dem Stand der Wissenschaft.
Im Gegensatz dazu empfehlen die sogenannten S3-Leitlinien zur
Behandlung von trans Personen eine Behandlung auf Basis von
informiertem Konsens. Das heißt, dass die gewünschte Behandlung
begonnen werden soll, sobald die trans Person ausreichend informiert
ist und sich in ihrer Entscheidung sicher ist.
Ich habe nachgefragt bei der Transberatung im
Magnus-Hirschfeld-Centrum. Die hat mir geschrieben, dass immer mehr
Ärzt*innen und Therapeut*innen nach den S3-Leitlinien diagnostizieren
und behandeln und dass diese Leitlinien, Zitat, »einen deutlichen
Fortschritt in der Gesundheitsversorgung für
[trans/inter/nichtbinäre]-Personen darstellen«, Zitat Ende.
Allerdings hält der Medizinische Dienst weiter an den
unwissenschaftlichen Voraussetzungen für die Kostenübernahme fest:
Veraltete Diagnosekriterien und ein Zwang zur Therapie.
Therapieplätze sind in Hamburg generell knapp. Plätze mit
Kassenzulassung gibt es wenige. Für einen privaten Therapieplatz kann
bei der gesetzlichen Krankenkasse ein Kostenerstattungsverfahren
beantragt werden. Das ist aber sehr aufwendig, erfordert viele
Nachweise und wird oft auch erst nach Widersprüchen genehmigt. Die
Transberatung weist auch darauf hin, dass die Therapieplatz-Situation
für trans Personen besonders schwierig ist, da, Zitat, »nur wenige
Psychotherapeut*innen oder Psychiater*innen bereit sind, trans*
Personen zu begleiten und die für die Kostenübernahme notwendigen
Indikationen zu stellen«, Zitat Ende. Einfach nur ein Therapieplatz
reicht eben nicht. Sondern die behandelnde Person muss auch bereit
sein, die entsprechenden Bescheinigungen auszustellen. Die
Transberatung im Magnus-Hirschfeld-Centrum berät auch selbst kostenlos
Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, die trans, inter und nichtbinäre
Personen unterstützen möchten.
In Hamburg gibt es auch am UKE eine Spezialambulanz für Sexuelle
Gesundheit und Transgender-Versorgung. Wie lang die Warteliste für
trans Personen bei dieser Ambulanz ist, wollte das UKE mir nicht sagen.
Ich habe mich umgehört und mit zwei Personen gesprochen. Eine hat
Anfang des Jahres die Ambulanz kontaktiert und wurde gar nicht auf die
Warteliste aufgenommen. Die andere steht seit über einem Jahr darauf
und muss voraussichtlich noch zwei bis drei Monate warten, bis sie dann
endlich dran ist. Die Warteliste für trans Personen am UKE ist wirklich
sehr lang und die Ambulanz mit dem Andrang offenbar überfordert.
Das ist nicht überraschend. Das medizinische System in Hamburg ist
insgesamt zunehmend überlastet, das haben wohl viele von uns schon
selbst so erlebt. Auch in der Endokrinologie gibt es zu wenige
Behandlungsplätze, um trans Personen ihre Hormontherapie zu ermöglichen.
In Anbetracht dieser Hindernisse behelfen viele sich selbst, zum
Beispiel, indem sie Hormone auf dem Schwarzmarkt kaufen. Das bringt
natürlich gesundheitliche und rechtliche Risiken mit sich. Manche
entscheiden sich auch, die Kosten für die Therapie oder für die
Haarentfernung oder für angleichende Operationen selbst zu tragen. Das
spart den gesetzlichen Krankenkassen natürlich viel bares Geld.
Für nichtbinäre Personen ist die Lage besonders prekär. Die
Krankenkassen lehnen es nämlich kategorisch ab, geschlechtsangleichende
Maßnahmen für nichtbinäre Personen zu bezahlen. Da gab es 2023 auch ein
Gerichtsurteil dazu. Wer da nicht trickst oder lügt, muss im
schlimmsten Fall alles selbst bezahlen oder, wenn das Geld nicht da
ist, eben ohne Behandlung leben. Und das ist auch für nichtbinäre
Personen oft ein unaushaltbarer Zustand.
»Hier braucht es ganz schnell eine politische Klarstellung des
Krankenkassenrechts«, so die Transberatung am Magnus-Hirschfeld-Centrum.
Das neue Selbstbestimmungsgesetz, von dem viele von euch sicher schon
gehört haben, macht es seit Kurzem möglich, den Vornamen und den
Geschlechtseintrag selbstbestimmt zu ändern. Die einzige Voraussetzung
hierfür sind drei Monate erzwungene Bedenkzeit. Die medizinische
Behandlung von trans Personen wird im Gesetz jedoch nicht geregelt.
Hier gab es keinerlei Verbesserung.
In Hamburg leisten örtliche Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen
viel Überbrückungsarbeit. Neben der Transberatung am
Magnus-Hirschfeld-Centrum gibt es zum Beispiel die Selbsthilfegruppe
Switch und die Transsuchthilfe.
Für die Verbesserung der Versorgungslage von trans Personen müssen die
Kostenübernahmerichtlinien für geschlechtsangleichende Maßnamen auf den
Stand der Wissenschaft gebracht werden. Speziell in Hamburg brauchen
wir für trans Personen mehr Plätze für psychotherapeutische und
endokrinologische Behandlung.
Die Transberatung sorgt sich auch um die Situation minderjähriger trans
Personen. Auch trans Kinder und Jugendliche brauchen Zugang zu
altersgerechten Maßnahmen, insbesondere Pubertätsblocker und später die
angleichende Hormontherapie. Die Transberatung beschreibt, dass sich
hier, Zitat, »insbesondere in den vergangenen Jahren erneut ein
ideologisches, adultistisches Gatekeeping abzeichnet, welches in vielen
Fällen das Wohl der jungen Patient*innen gefährdet«, Zitat Ende. In den
letzten Jahren haben wir immer öfter gesehen, dass Auseinandersetzungen
über das Existenzrecht von trans Personen auf dem Rücken von trans
Kindern und Jugendlichen ausgetragen werden.
Um trans Personen aller Altersgruppen unnötiges Leid zu ersparen, muss
in Hamburg und anderswo der Zugang zu geschlechtsangleichenden
Maßnahmen deutlich erleichtert werden.