Buchtipp: Gazellenspuren von Miral al-Tahawi

ID 12795
 
Miral al-Tahawi wuchs in einer Beduinenfamilie auf. Sie studierte Arabische Literaturwissenschaft und war Lehrbeauftragte an der Kairoer Universität. 1996 erschien Ihr erster Roman, »Das Zelt«. Für ihren zweiten Roman, »Die blaue Aubergine«, erhielt sie als erste Schriftstellerin den ägyptischen Förderpreis für Literatur. Ihr nun im Unionverlag vorgelegter dritter Roman, „Gazellenspuren“ ist unser Buchtipp im Mai.
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Upload vom 30.05.2006 / 20:38

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur
Serie: Radio Palmares - Magazin
Entstehung

AutorInnen: Markus Kilp
Kontakt: tomschrott(at)yahoo.com
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 30.05.2006
keine Linzenz
Skript
ANMODVORSCHLAG

Miral al-Tahawi wuchs in einer Beduinenfamilie auf. Sie studierte Arabische Literaturwissenschaft und war Lehrbeauftragte an der Kairoer Universität. 1996 erschien Ihr erster Roman, »Das Zelt«. Für ihren zweiten Roman, »Die blaue Aubergine«, erhielt sie als erste Schriftstellerin den ägyptischen Förderpreis für Literatur. Ihr nun im Unionverlag vorgelegter dritter Roman, „Gazellenspuren“ ist unser heutiger Buchtipp. Markus Kilp hat Ihn für Sie gelesen:

BEITRAGS-TEXT:

Ein Shootingstar der ägyptischen Literatur: Miral al-Thawi bereichert nicht nur die erzählenden Stimmen Ihres Landes, sie ist auch in ihrer Position als Schriftstellerin in einer patriarchalen Gesellschaft eine Ausnahmeerscheinung.
Mit Ihrem dritten Roman taucht al – Tahwawi tief in ihre eigene Geschichte und die jüngere Geschichte Ihres Landes ein: Sie erzählt von Umbrüchen in einer Breduinenfamilie, die allerdings auf die Umbrüche in der gesamten Gesellschaft verweisen.
Die Geschichte dreht sich um das Mädchen Muhra und um verschiedene Bilder und Fotos im Haus ihrer Familie am Nil. Sie versucht mit Hilfe ihrer Kindheitserinnerungen, Erzählungen der Alten und Aufzeichnungen aus der Familie die Geheimnisse der Bilder zu recherchieren und zu interpretieren:
„Da ist zum Beispiel das Foto mit den drei Schwestern, mit den bunten Schleifen im Haar: Aber welche der drei Schwetsernist Muhras Mutter? Wer ist die tanzende Frau am Feuer? Und warum nimmt der Vater, der die Freiheit so liebte, für reiche Ölscheichs an Falkenjagden teil?

Zitat Seite 7 : „ Mir hat man die Geschichte überlassen ... als Sterne funkeln“

In neun Episoden setzt sie so eine spannende und bewegende Familiengeschichte aus den Bildern zusammen. Was anfangs fast zu schnell detailreich und genau beschrieben wird, fügt sich wie in einem literarischen Puzzle in einen Gesamtkontext: Die fiktive Sammelarbeit, wirft ein einzigartiges Licht auf den Wandel der Beduinen-Familien, die in der ägyptischen Gesellschaft eine Sonderrolle einnhamen und nehmen. Sie stammen ursprünglich von der arabischen Halbinsel und bilden eine Art Feudalschicht, die ihren Boden von einheimischen Bauern bearbeiten lässt. Vor allem das häusliche Leben der Frauen beleuchtet die ägyptische Schriftstellerin: ihre stille Rebellion, ihre eigene von den Männern strikt getrennte häusliche Welt aber auch ihr Zerbrechen an den patriarchalen Strukturen. Eine Frau, die sich auflehnt, wie Muhras mögliche Mutter Hind verfällt dem Wahnsinn:

Zitat S. 83: „ Sie weinte nicht, sIe schrie nicht ...Seitenende.“

Die Parallelen zur eigenen Biografie sind auch in ihrem dritten Roman nicht zu übersehen,auch wenn sich biografisches eher verstreut und verschleiert, als existentielle Probleme der weiblichen Protagonisten wiederfinden.
Aufgewachsen in einer sesshaftgewordenen Beduinenfamilie, ist Miral al-Thawi das einzige Mädchen zwischen sechs Brüdern: wie ihre Geschwister schloss sie sich den fundamentalistischen Muslimbrüdern an, die an der Universität agitierten. Acht Jahre lang war sie Mitglied der islamistischen Bewegung und trug ein Kopftuch. Später sollte sie es bereuen, auch weil ihr progressiver Vater, an dem islamischen Engagement seiner Kinder vezweifelte und verbittert verstarb. Sie schreibe aus einem "Schuldgefühl" heraus und zur inneren "Läuterung", sagt sie dazu einmal in einem Interview.

So steht neben der fast antropholgisch geneauen Beschreibung der weiblichen Protagonisten, auch die Vaterfigur im Fokus der Erzählerin: Dieser leidet unter dem Bruch von der traditionellen Stammesgesellschaft in das moderne Leben sowie dem Verlust von Ruhm und Ehre: Mira al-Tahawi schwelgt hier allerdings nicht in Erinnerungen an verlorene Traditionen. Ihr Buch ist voll von Ansätzen, die die Brüche in der islamischen Welt besser verstehen lassen. Ihre Sprachkraft ist dabei auch in diesem kurzen Roman ungebändigt.

So füllt sie die Erinnerungsarbeit immer wieder mit Phantasie und literarischen Leerstellen auf: Deshalb bleibt auch manches Rätsel, dass die Bilder Ihrer Protagonistin Muhra aufgeben, auf poetische Weise ungelöst.


ABMODERATIONS-VORSCHLAG:

Miral al-Tahawis Roman Gazellenspuren wurde aus dem Arabischen übersetzt von Doris Kilias. Das Buch ist im Frühjahr im schweizer Unionsverlag erschienen: 144 Seiten im Hardcover sind für 16,90 EURO zu haben.