"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Wohnpostbank

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Laut dem Wohnatlas der Postbank ist in Deutschland der Kaufpreis für Wohnungen in München am höchsten mit durchschnittlich 9734 Euro pro Quadratmeter, was bei einer Wohnfläche von 75 Qua­drat­meter einem Preis von 730'000 Euro entspricht. In Hamburg kostet der Quadratmeter im Schnitt 6685 Euro oder etwas mehr als 500'000 Euro für 75 Quadratmeter; knapp dahinter liegt Frankfurt am Main mit 6654 Euro pro Quadratmeter, etwas unter 500'000 Euro für 75 Quadratmeter.
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11:43 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.05.2023 / 10:49

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.05.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Laut dem Wohnatlas der Postbank ist in Deutschland der Kaufpreis für Wohnungen in München am höchsten mit durchschnittlich 9734 Euro pro Quadratmeter, was bei einer Wohnfläche von 75 Qua­drat­meter einem Preis von 730'000 Euro entspricht. In Hamburg kostet der Quadratmeter im Schnitt 6685 Euro oder etwas mehr als 500'000 Euro für 75 Quadratmeter; knapp dahinter liegt Frankfurt am Main mit 6654 Euro pro Quadratmeter, etwas unter 500'000 Euro für 75 Quadratmeter.
In Berlin muss man im Schnitt 5903 Euro pro Quadratmeter aufwenden oder 443'000 Euro für 75 Quadrat­me­ter, in Düsseldorf 5454 Euro pro Quadratmeter und knapp 410'000 Euro für eine 75-Quadrat­me­ter-Wohnung, in Stuttgart 5416 Euro pro Quadratmeter oder 406'000 Euro für 75 Quadratmeter und in Köln 5118 Euro pro Quadratmeter und 384'000 Euro für die Wohnung. Im Landkreis Greiz in Thüringen dagegen kostet ein Wohn-Quadratmeter unter 1000 Euro, die Vergleichs-Wohnung also unter 75'000 Euro. Insgesamt seien die Preise gegenüber dem Vorjahr nach einer längeren Wachs­tums­phase real wieder zurückgegangen, schreibt die Postbank, und zu den relativ erschwinglichen Großstädten Ost- und Mitteldeutschlands, also zum Beispiel auch Erfurt, welche bis 2020 einen starken Preisanstieg verzeichneten, hält die Postbank fest, dass die Nachholeffekte größtenteils vorbei seien, die Preise stagnierten oder gingen zurück.

Wenn ich mich auf dem Wohnungsmarkt hier in Zürich umschaue, so finde ich erstens praktisch nichts und zweitens im Bereich von 75 Quadratmetern eher etwas für eine Million Franken als für 750'000. Wie in München und Berlin ist das Wehklagen über die gewaltigen Immobilienpreise enorm. Sie schlagen sich selbstverständlich auch in hohen Wohnungsmieten nieder. Ein günstiges Angebot im erwähnten Bereich finde ich in einem frisch renovierten Altbau für 2560 Franken pro Monat kalt. Dafür stehen die Interessent:innen mit Garantie Schlange. Auch wenn die Löhne in der Schweiz deutlich höher sind als in Deutschland, ist das Problem das gleiche: Vor allem in den Zentren ist der Wohnungsmarkt ebenso ausgetrocknet wie die landwirtschaftlichen Anbauflächen in Südspanien. Der Grund dafür ist ausnahmsweise im Spiel von Angebot und Nachfrage zu finden: Solange es genügend Menschen mit genügend Zaster gibt, um sich teure Wohnungen zu leisten, gibt es keinen Grund, weshalb diese billig bleiben sollten. Anders gesagt: Mindestens in Zürich, aber sicher auch in München, Berlin, Hamburg und Frankfurt gibt es eine Unmenge an Personen, die viel Geld verdienen. Relativ gesehen auf der Strecke bleiben die Menschen mit geringem oder keinem Einkommen; hier greift mindestens in Zürich die Kommune ein mit einem ansehnlichen Angebot an eigenen Wohnungen oder mit der Unterstützung Bedürftiger durch Wohngeld in ver­schiedenen Formen; und in Zürich wird die übelste Not auf dem Wohnungsmarkt durch die Tat­sa­che gelindert, dass sich ein Viertel des Wohnraums in den Händen von Wohn­bau­ge­nos­sen­schaf­ten befindet. Diese errichten ihre Immobilien oft auf Boden in kommunalem Besitz; die Stadt überlässt ihnen den Baugrund auf der Grundlage von mehrjährigen Baurechtsverträgen. Daneben kaufen die Genossenschaften natürlich auch selber Bauland dazu, vermehrt außerhalb der Stadtgrenzen, da mindestens in Zürich das bauliche und wirtschaftliche Wachstum diese Grenzen sowieso schon längstens überschritten hat. Und auch die Stadt selber verfolgt eine Politik des anhaltenden Boden­erwerbs, wo immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. Sie hat gelernt, unter kapitalistischen Ver­hält­nissen das Beste aus der Sache zu machen, mindestens in diesem Sektor, ähnlich wie Wien und ganz diametral entgegengesetzt zu dem, was die Sozialdemokrat:innen vor zwanzig Jahren in Berlin veranstaltet haben. Über dieses Trauerspiel kann man auch heute nur verständnislos den Kopf schütteln. Arm, aber sexy, hieß Klaus Wowereits Slogan; er müsste ergänzt werden mit «vor allem aber dumm und doof». Niemals, hört Ihr: niemals soll eine Kommune kommunales Land an Private verscherbeln. Die Auflösung der Allmende, die oft als Beginn des Industriekapitalismus bezeichnet wird, weil sie die Arbeitskräfte für die Fabriken freisetzte, müssen wir hier nicht nochmals durch­spielen. Stattdessen ist das Alpha und das Omega jeglicher modernen Kommunalpolitik der Erwerb möglichst vielen Landes, um dieses in eigener Regie zu überbauen und zu anständigen Preisen zu vermieten. Wie das Beispiel Zürich zeigt, kann man sich dabei auch des Instrumentes der Wohnbaugenossenschaften bedienen.

Daneben besteht weiterhin ein freier Wohnungsmarkt, wo die Mieter:innen mit einiger Kaufkraft das Preisniveau bestimmen, und zwar nicht im Bereich von Villen und Luxuswohnungen, sondern durchaus in einem breiten, gehobenen Mittelstand. Die hohen Wohnungsmieten sind Ausdruck genau davon: dass es eine erhebliche Anzahl an Menschen gibt, die unterdessen zweistellig verdienen im Monat, sei es als Paar oder auch alleine. In Zürich sind es vor allem Angestellte im Bereich Internet und Digitalisierung, welche das Lohnniveau so hoch treiben, möchte ich meinen. Früher hätte man auch noch von den Banken gesprochen, aber angesichts der jüngsten Auflösung der Credit Suisse muss man im Moment vorsichtig sein mit solchen Aussagen, auch wenn die Substanz des Geschäfts und des Personals bestehen bleiben und in die UBS übernommen werden. Aber eben, Genaues weiß man im Moment noch nicht. Ein weiterer Motor für ansehnliche Einkommen sind indirekt die Universitäten, vor allem im technischen Bereich, aber auch die Medizinsparte boomt so stark, dass die trotz dem Absaugen von Fachpersonal aus Deutschland und Italien unter extremem Personalmangel leiden. Im technischen Bereich wimmelt es von Startups, die zum Teil erhebliche Kapitalmengen mobilisieren können mit offenbar schon recht gut ausgereiften Geschäftsideen; ich kenne mich nicht wirklich aus, aber all dies sorgt insgesamt dafür, dass sehr viele Menschen eben sehr hohe Mieten zu bezahlen imstande sind, ohne dass sie deswegen am Hungertuch nagen. Das heißt wiederum, dass es sich für die Immobilienbesitzer lohnt, ihre Hütten abzureißen und neu, größer, komfortabler und teurer wieder zu errichten; das ist ein Trend, der sich im Moment vermutlich durch ganz Europa zieht. Übrigens sind davon auch die Wohnbaugenossenschaften betroffen, welche die zum Teil 100 Jahre alten Liegenschaften mit zum Teil winzigen Wohnungen in putzigen kleinen Häusern zunehmend ersetzen durch moderne Wohnblocks mit deutlich mehr Kubatur. Das heißt selbstverständlich auch hier Mietpreis­er­hö­hungen, bloß bewegen sie sich nicht in der gleichen Klasse wie auf dem freien Wohnungsmarkt, und wie erwähnt sind die Baugenossenschaften meistens dazu verpflichtet, einen gewissen Anteil an Sozialwohnungen frei zu halten, abgesehen von den internen Sozialfonds, über den die meisten Genossenschaften verfügen und die zur Abdämpfung von Härtefällen dienen.

Nun ist ein neues Einkommenselement in die Schweiz gezogen, nämlich reiche Norweger:innen. Die jüngsten Steuererhöhungen haben denen offenbar den Rest gegeben, sodass die Millionär:innen und Milliardär:innen nun scharenweise nach Luzern, Lugano, Zug und Lausanne ziehen. Die Schweiz hat ja grad nochmal Schwein gehabt, dass Norwegen nicht in der EU ist, sonst würde die EU jetzt mit Garantie ihre Repressionen gegenüber dem EU-Nichtmitglied Schweiz verschärfen. Ihr wisst es vielleicht gar nicht, aber tatsächlich befinden wir uns in einem gewissen Sinne seit ein paar Jahren im Kriegszustand, die Schweiz und die EU, dessen sichtbarster Teil die Aussperrung der Schweiz aus verschiedenen EU-weiten Forschungsprogrammen ist. Bis vor kurzem funktionierten die Beziehungen problemlos auf der Basis bilateraler Verträge, welche unter anderem Maßnahmen zum Schutz des Schweizer Arbeitsmarktes enthielten; ohne jeden protektionistischen Schutz würden sich die Proletarier:innen aller Länder innert kürzester Frist für alle möglichen und unmöglichen Stellen in unserem Land bewerben, das ist ja klar und eine logische Folge der absurden Ausnahmestellung der Schweiz mitten in der EU und mit einer eigenen Währung. Das hat auch die EU eingesehen und diese Sonderregelungen akzeptiert. Vor einigen Jahren sollten diese bilateralen Abkommen nun in einem Rahmenabkommen zusammengefasst werden, und in diesem Prozess wollte die EU unter anderem gewissen protektionistischen Vorschriften bezüglich des Arbeitsmarktes an den Kragen. Das geriet vor allem den Gewerkschaften in den falschen Hals. Zudem ging es um Fragen der Zuständigkeiten bei der Beilegung von Konflikten. Die EU sieht hier den Europäischen Gerichtshof als letzte Instanz, in der Schweiz wird dies von verschiedener Seite abgelehnt. Aus diesem Kuddelmuddel von Interessenlagen heraus sind die Verhandlungen zum Rahmenabkommen gescheitert, und seither ist Feuer unterm Dach, allerdings ein Feuer, das den normalen Lauf der Dinge kaum beeinträchtigt. Zum normalen Lauf der Dinge gehört übrigens auch die Personenfreizügigkeit, damit wir uns richtig verstehen; wer will und ein Arbeitsplatzangebot hat, kann jederzeit aus einem EU-Land in die Schweiz einwandern, und umgekehrt gilt dies auch. Der erwähnte Schutz betrifft vor allem die unteren Lohnklassen beziehungsweise Menschen mit weniger beruflichen Qualifikationen, die zwar ebenfalls einwandern können, aber ebenfalls einen gültigen Arbeitsvertrag vorweisen müssen, und zwar zu den Bedingungen des schweizerischen Arbeitsmarktes. So werden Dumpinglöhne verhindert. Schließlich muss, wer in einem derart teuren Land wie die Schweiz leben will, auch anständig verdienen.

Das Preis- und Mietniveau in den großen Städten Deutschlands kann sich ja ebenfalls sehen lassen, und das ist wohl der Ausdruck des gleichen Phänomens wie in Zürich: Unterdessen verdienen ansehnliche Klassen von Beschäftigten schon ganz ansehnliche Löhne im Monat, und zwar sind das nicht mehr die mittleren Kader wie vor hundert oder fünfzig Jahren, sondern es sind Fachleute in den Zukunftsberufen, selbstverständlich oft mit einem entsprechenden akademischen Abschluss, also Ingenieurinnen und Ingenieure und so weiter. Dass diese Klassen derart in die Breite gegangen sind, können wir als Hinweis darauf sehen, dass sich der Kapitalismus in seiner unterdessen zirka hundertdreizehnten Version schon wieder darauf verstanden hat, die breite Bevölkerung nicht in die technologisch unvermeidliche Arbeitslosigkeit zu führen, sondern im Gegenteil immer größere Anteile davon in Hochlohnsektoren schiebt. Diese Beobachtung nützt jetzt den Gering­ver­die­ner:in­nen und den Arbeitslosen nicht besonders viel, aber bei der Betrachtung der Gesamtsituation muss man dieses Phänomen obligatorisch mit berücksichtigen. Es kommen ja noch allerlei Sorten an wirtschaftlichen Folgeaktivitäten dazu, wenn plötzlich so viel Einkommen in den Städten herum schwadert, zuvörderst logischerweise im Bereich der psychologischen Betreuung, aber auch alle Arten der Beratung werden nachgefragt, die Explosion der Nahrungsmittelangebote in allen Bereichen außer beim gesunden Fleisch zeugt vom gleichen Phänomen, Popup- und andere Arten von Klein- und Kleinstunternehmen, welche sich mit der Veredelung von Rote Beete beschäftigen oder mit der Produktion von leckerem Eis, so tröpfeln die zusätzlichen Einkommen in den Städten tatsächlich nach unten, und davon spüren vielleicht auch die Benachteiligten etwas.

Grundsätzlich aber gilt nach wie vor, unabhängig davon, in welchem Entwicklungsstadium der Kapitalismus sich gerade befindet, dass die Existenzsicherung in anständiger Höhe eingezogen werden muss, zunächst selbstverständlich durch eine weitere Erhöhung der Regelsätze in der Sozialhilfe, mittelfristig aber sowieso durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, damit dies auch wieder einmal gesagt ist.

Kommentare
11.05.2023 / 18:00 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 11.5.. Vielen Dank !