Weder diplomatisch noch militärisch tut sich zur Zeit ein gangbarer Weg zum Frieden auf

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Es ist bitter, aber wir sollten uns nichts vormachen, weil Putin das Ziel der Vernichtung der Ukraine weder erreicht noch aufgegeben hat, ist eine diplomatische Lösung derzeit nicht möglich. Dass die Lieferung einiger Kampfpanzer das Schicksal der Ukraine wendet, muss leider auch bezweifelt werden. Ein Kommentar ohne Patentlösung.
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10:28 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 19.01.2023 / 15:08

Dateizugriffe: 75

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Mittagsmagazin
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 19.01.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Von der Linkspartei war vor kurzem wieder zu hören, die Bundesregierung solle die Kriegspolitik verlassen und zu einer Friedenspolitik zurückkehren. Klingt gut und logisch, nur ehrlich ist es nicht. Es ist Putin, der seine Truppen und seine Raketen in die Ukraine schickt, jemand anderem eine Art von Schuld oder Mitschuld anzukreiden dreht die Dinge auf den Kopf. Dann sollte man lieber gleich sagen: „Lasst die Ukraine um des lieben Friedens willen im Stich!“ Die tatsächliche Kriegspolitik von Putin würde gestärkt. Vom Kollateralschaden für die europäische Integration ganz zu schweigen. Man muss sich nur mal vorstellen, was es in Polen auslösen muss, wenn sich das Trauma von 1939 wiederholt, als das von Deutschland und anschließend von der Sowjetunion überfallene Polen vom Westen im Stich gelassen wurde.

Ein weiterer Satz, den man immer wieder von verschiedenen Seiten hört, ist, dass fast alle Kriege am Verhandlungstisch enden. Das stimmt aber man muss leider einen unschönen aber ebenso wahren Satz hinzufügen: Ernsthafte Friedensverhandlungen beginnen immer erst, wenn eine militärische Entscheidung gefallen ist, beide Seiten hoffnungslos erschöpft sind oder es einen Machtwechsel gegeben hat. Wer einen Krieg vom Zaum bricht, wird in den meisten Fällen, irgendwelche Gründe vorschieben und nicht einfach aufhören, wenn man ihm da ein wenig nachgibt. Aufhören wird er erst, wenn er in einer Lage ist, in der er nur noch eine Unterschrift der anderen Seite braucht, um seine wirklichen Ziele weitgehend zu erreichen oder wenn er die Hoffnung auf einen militärischen Sieg aufgegeben hat. Dieses Eingeständnis kann aber seinen politischen Ruin bedeuten und wird daher nicht leicht erfolgen.

Angesichts des ständigen Mordens, das man Krieg nennt, ist es verständlich, dass man auch unschöne diplomatische Lösungen für akzeptabel hält. Das dürften diejenigen, die nach dem sofortigen Einstieg in eine diplomatische Lösung rufen im Hinterkopf haben. Die meisten sagen es nicht oder nur indirekt, in dem sie die Frage stellen, wieviel Krieg ein gerechter Friede wert ist. Also man soll auf Kosten der Ukraine ein paar Zugeständnisse machen, mit denen sich der Aggressor dann zufriedengeben wird. Wo in Berlin die Hebel sein sollen, um sowohl Putin als auch Selenskyj an den Verhandlungstisch zu bekommen, wird dabei nicht beantwortet. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, welche Sicherheitsgarantien es noch geben könnte, nachdem Putins Aggression letztendlich dann doch einen Erfolg erbracht hat. Die Botschaft „Krieg lohnt sich“ wäre überdeutlich. Bundeswehrgenerälen mag indessen das Szenario gefallen, denn sie würden um so mehr als letzte Sicherheitsgaranten gebraucht.

Wer Verhandlungen will, muss sich auch anschauen, wie es um die Forderungen der beiden Kriegsparteien derzeit steht. Wenige Tage nach dem Beginn der russischen Invasion hat Selenskyj Angebote gemacht. Der Wunsch nach Nato-Beitritt sollte aus der ukrainischen Verfassung gestrichen werden und 15 Jahre würde die Ukraine weder diplomatische noch militärische Versuche unternehmen, die Krim zurückzuholen. Das war nichts als ein verzweifelter Versuch, über den eigenen Schatten zu springen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass zu diesem Zeitpunkt, Kiew noch immer die Umzingelung durch russische Panzerarmeen drohte. Mittlerweile besteht Selenskyj auf der Wiederherstellung der Ukraine in den Grenzen, die Moskau im Memorandum von Budapest 1994 selbst garantiert hat, also inklusive der Krim. Außerdem verlangt er Reparationen und eine Bestrafung der Schuldigen. Alle seine Forderungen sind legitim, ob sie realistisch sind ist eine andere Frage.

Putin hat sich den Weg zu Verhandlungen in mehreren Schritten selbst verbaut. Zuletzt mit der Annexion von vier Oblasten im September.

In Wirklichkeit hat Putin nicht einmal sein ursprüngliches Ziel aufgegeben, nämlich die ganze Ukraine von der Landkarte zu tilgen oder allenfalls eine Rumpfukraine als von Moskau kontrollierten Satellitenstaat übrigzulassen. Einerseits wirft Putin der Ukraine mangelnde Verhandlungsbereitschaft vor, andererseits behandelt er die gewählte Regierung in Kiew entweder als nicht existent oder als völlig illegitim. Putin spricht nicht von einer Regierung in Kiew, sondern bestenfalls von „Behörden“. Verhandlungen möchte er wenn, dann mit den USA über den Kopf von Selenskyj hinweg führen. Das passt zum Propagandabild, wonach Russland eigentlich gegen die Nato kämpft und in Kiew nur Marionetten sitzen. Putins Außenminister Lawrow hat an Weihnachten die Forderung nach einer „Entnazifizierung und Entmilitarisierung“ der Ukraine wiederholt. Der bis an die Zähne bewaffnete Aggressor fordert vom Überfallenen „Entmilitarisierung“. Hinter dem Wort „Entnazifizierung“ steckt natürlich die völlige Umgestaltung der politischen Verhältnisse in der Ukraine im Sinne Putins. Medwedew hat die Ukraine vor ein paar Tagen als einen künstlichen Staat bezeichnet. Angesichts dieser Haltung reicht keine diplomatische Karotte, um Putin an den Verhandlungstisch zu bekommen. Man müsse alles versuchen, ist im Moment eine leere Floskel.

Noch etwas spricht dafür, dass Putin keineswegs bereit ist, mit Versprechen über den Nichtbeitritt der Ukraine zur Nato, dem Verzicht der Ukraine auf die Krim und etwas Landgewinn im Donbas wieder abzuziehen. Es gibt offenbar eine Politik der Russifizierung der ukrainischen Bevölkerung. Nach Angaben der Neuen Zürcher Zeitung wurden 700 000 ukrainische Kinder aus besetzten Gebieten deportiert und in die Weiten Russlands verteilt. Für die genaue Zahl kann ich nicht einstehen, aber etwas ist da im Gang und es passt zu ethnomythischen Äußerungen, die man aus dem Mund von Putin gehört hat. Es sollen derzeit auch Untersuchungen an Kindern in besetzten Gebieten stattfinden, um angeblich unerkannte Krankheiten festzustellen, zu deren Behandlung sie dann verschickt werden.

Eine andere Idee ist, China und Indien um Unterstützung anzugehen, damit sie Druck auf Russland machen. An Aufforderungen an die Adresse von Peking und Delhi hat es nicht gefehlt, aber diese Länder haben ihre jeweils eigene Agenda und tun nicht einfach, was wir für richtig halten. Außenpolitisch und möglicherweise auch ökonomisch profitieren sie bislang eher von dem Krieg.

Wie könnte es dann weitergehen? Leider sind die Aussichten eher schlecht. Im Moment werden viele Hoffnungen an die Lieferung moderner Kampfpanzer geknüpft. Aber in Europa wird nur der Leopard 2 noch hergestellt. Die Herstellungskapazitäten sind sehr gering und können nicht rasch hochgefahren werden. Andererseits wachen überall die Militärs mit Argusaugen über ihren eigenen, nicht sehr großen Beständen. Selbst Polen will nur 14 Panzer abgeben. Eine größere Zahl westlicher Panzer könnte auf absehbare Zeit nur aus den USA kommen. Doch Washington hält sich bislang zurück. In einem Abnutzungskrieg hat aber Putin auf dem Papier noch immer die besseren Karten. Ein langer Krieg lässt sich für Russland auch deshalb besser durchhalten, weil die Zerstörungen fast ausschließlich in der Ukraine stattfinden, nicht in Russland. Außerdem hat Russland mit einem riesigen Aufrüstungsprogramm begonnen. Die regulären Streitkräfte sollen um 350 000 Mann verstärkt werden, wozu dann noch die eingezogenen Reservisten und Söldner in unbekannter Zahl kommen. Die noch immer beachtliche Rüstungsindustrie wird weiter angekurbelt. Das ist nicht nur militärisch, sondern auch politisch relevant. Man sollte auch nicht vergessen, dass mit jedem Fußbreit Boden, den Putin in der Ukraine gewinnt, seine Militärmacht weiter nach Westen rückt, sein politischer Einfluss wächst und seine Fähigkeit, Lebensmittelknappheit als Waffe einzusetzen. Wir sollten nicht denken, wir hätten noch eine Art sichere Maginot-Linie, wenn Putin die Ukraine niederringt.

Man kann nur hoffen, dass eine Kombination von schlechten Nachrichten von der Front und wirtschaftlichem Druck, Russland schließlich doch an den Verhandlungstisch bringen. Es sind nicht die in Anführungszeichen „guten Nachrichten“, sondern die schlechten Nachrichten, die einen Aggressor schließlich an den Verhandlungstisch bringen. Das ist kurzfristig leider nicht sehr realistisch, aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Eine schlechte Nachricht für Putin wäre auch, dass Europa endlich mit dem Ausbau der nichtfossilen Energiegewinnung ernst macht. Eine sinkende Nachfrage nach fossilen Energieträgern auf dem Weltmarkt wird Putin spüren, egal wohin er noch liefern kann. Erst so bekommen die anfangs nur wenig wirksamen Sanktionen wirklich Zähne.

Positive Veränderungen kommen in Gesellschaften nicht nach Siegen aber manchmal nach Niederlagen. So war es in Deutschland nach dem 1. und insbesondere nach dem 2. Weltkrieg. In Russland wurde die Leibeigenschaft erst nach dem verlorenen Krimkrieg abgeschafft. Die Monarchie kollabierte nach Niederlagen im 1. Weltkrieg, der Totalitarismus der Sowjetunion schaffte sich selbst nach dem verlorenen Krieg in Afghanistan ab. Der Co-Vorsitzende des Zentrums zum Schutz der Menschenrechte, Memorial Oleg Orlov schrieb dazu im November 2022: „Der Sieg der russischen Truppen wird den Faschismus in Russland für lange stabilisieren. Und umgekehrt…“


Definition des Begriffes Faschismus durch die Russische Akademie der Wissenschaften (1995; Quelle Memorial):
„Faschismus ist eine Ideologie und Praxis, die die Überlegenheit und Exklusivität einer bestimmten Nation oder Rasse behauptet. Er propagiert nationale Intoleranz und diskriminiert Vertreter anderer Völker, er verwirft die Demokratie und will einen Führerkult etablieren. Politische Gegner und jegliche Formen des Andersdenkens will er mit Gewalt und Terror unterdrücken. Er rechtfertigt den Krieg als Mittel zur Lösung zwischenstaatlicher Konflikte.“

Kommentare
19.01.2023 / 17:59 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 19.1.. Vielen Dank !
 
24.01.2023 / 19:28 Attac-Magazin, radio flora, Hannover
Danke!
am 24.01. gesendet