"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Neues aus Turkmenistan

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Eine Bemerkung vorweg: Die öffentliche Meinung und die Medien sind mir in den letzten Tagen dauernd mit dem Begriff Kriegsgräuel in den Ohren gelegen. Während ich die Erschütterung über die Erschießung von Zivilisten in Butscha und andernorts als solche begreife, muss ich doch klar­stellen, dass der Krieg selber der Gräuel ist. Insofern gibt es keine Kriegsgräuel, so wenig wie Zukunftsprognosen oder Vogelvolièren, Beispiele, die man auf dem Internet findet, wenn man nach Tautologien und Pleonasmen sucht.
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11:07 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.04.2022 / 16:21

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 12.04.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich will damit nicht grammatikalische Spitzfindigkeiten aus­breiten; vielmehr unterliegt der Anklage der Kriegsgräuel die Unterstellung, dass es verschiedene Arten der Kriege und ihrer Führung gebe, die eine mit, die andere ohne Gräuel, dass es insonderheit freundliche und friedliche Großmächte gibt, welche nicht nur gerechte, sondern auch humane, ja geradezu menschenrechtskonforme Kriege führen. Das alles gehört zum großen Propaganda­rum­mel, selbstverständlich, und findet seine Wurzeln zum Beispiel in der Legende, wonach die Nazideutschen ihre Gräueltaten, die sich übrigens weit über das Kriegsgeschehen hinaus erstreck­ten, niemals vermittels der Wehrmacht begangen hätten. All dieser Propaganda soll sich das erwachsene Gehirn entraten. Der Krieg selber ist ein Gräuel, egal, ob in Afghanistan oder in der Ukraine, in Tschetschenien oder in Syrien oder im Jemen, in Bosnien, im Kongo, in Westafrika, in Kolumbien, in Guatemala, in Indonesien, man hat wirklich die Qual der Wahl. Stop the war, und vor allem, beendet die Ursachen für die Kriege; aber wer hier das Subjekt sein soll, das diese gewaltige Aufgabe übernimmt, weiß ich jetzt nicht gerade aus dem Stand heraus zu sagen.

Am vergangenen Samstag stattete Alexei Owertschuk, der stellvertretende Premierminister Russlands, dem turkmenischen Präsidenten Serdar Berdimuhammedow einen Arbeitsbesuch ab. Als erstes gratulierte er Berdimuhammedow zu seinem Erfolg bei den Wahlen Anfang März. Aber Achtung: Es handelt sich zwar um Präsident Berdimuhammedow, aber nicht um Berdi­muham­me­dow Vater, mit Namen Gurbanguly, sondern um Serdar, den Sohn. Die internationale Gemeinschaft geht nicht davon aus, dass sich mit diesem Machtwechsel sehr viel verändern wird in Turkmenistan; mindestens die Pressemitteilungen der staatlichen Nachrichtenagentur TDH sind sich gleich geblieben, und auch die Inhalte, welche im Falle eines Arbeitsbesuchs eines russischen Politikers rituell die Themen von wirtschaftlicher Zusammenarbeit, der Zusammenarbeit im Rahmen der internationalen Strukturen und am Samstag als Zitronenschnitz auf der Spitze des Eisbergs eine Zusammenarbeit im Bereich Schiffbau, vor allem im Kaspischen Meer abhandeln.

Weitere wichtige Meldungen der turkmenischen Nachrichtenagentur in der vergangenen Woche betrafen die Teilnahme von Präsident Serdar Berdimuhammedow an einer Velo-Demonstration, nein, an einem Massenanlass auf Fahrrädern anlässlich des Welt-Gesundheitstages. Am sechsten April entbot Serdar Berdimuhammedow seine Kondolenzwünsche an Wladimir Putin anlässlich des Ablebens des Gründers und Chefs der Liberaldemokratischen Partei Russlands, Wladimir Wolfowitsch Schiri­nowski, des Duma-Abgeordneten und rechtsextremen nationalistischen Populisten und Antisemiten jüdischer Abstammung. Wobei all diese Klassierungen in Russland und sowieso in Turkmenistan eine völlig andere Färbung haben als zum Beispiel in Frankreich.

In Frankreich zieht Marine Le Pen in die Stichwahl um die Präsidentschaft ein gegen Emanuel Macron. Sie tut dies ausnahmsweise vor allem deswegen, weil sie ihre rechtsextreme, nationalistische, populistische und meines Wissens nach nicht direkt antisemitische Haltung in den letzten Jahren deutlich gemäßigt hat. Auf ihren Plakaten findet man bestätigt, dass dies in voller Absicht geschehen ist: «Femme d'Etat», steht darauf, also Staatsfrau, die weibliche Form des Begriffs Staatsmann. Staatsfraulich gibt sie sich und hofft wohl darauf, dass ihre Wählerschaft das gar nicht mitkriegt; denn unter anderem hat sie dabei ihre Anti-EU-Positionen aufgegeben, ohne dabei eine in Feuer und Flammen stehende Europäerin geworden zu sein, aber immerhin; ansonsten ist ihr unterdessen die Erlangung der Macht deutlich wichtiger geworden als die Inhalte, und insofern könnten wir uns sogar dann im breiten Polster der Normalität zurücklehnen, wenn sie tatsächlich zur Präsidentin gewählt würde. Es geschieht auf der rechten Seite genau das gleiche wie dunnemals mit den Sozialisten, als der Franz Mit der Hand zum Vater des Vaterlandes gewählt wurde. Der Sozialist kam an die Macht, aber nicht der Sozialismus. Das ist auch der Grund dafür, dass die Kandidatinnen Zemmour und Pécresse ihrerseits mit rechtsextremen, nationalistischen und populistischen Sprüchen an die Wählerbasis von Marine Le Pen heranzukommen versuchten. Aber es ist in diesem Stadium noch zu früh, von der Enttäuschung der Le-Pen-Anhängerinnen zu profi­tieren, denn die Frau hat ja noch gar nicht gewonnen! – Und so, wie es aussieht, wird sie auch diesmal den zweiten Platz belegen, und zwar nicht mit 45% der Stimmen, wie dies einige Kommen­ta­torinnen vorhersagen, die wohl mit ihrer Vorhersage ihrerseits Stimmung machen wollen und die Wählerinnen gegen Le Pen mobilisieren wollen, sondern erneut mit unter 40%. Die Französinnen lieben nämlich Emanuel Macron nicht so innig, wie der es vielleicht gerne hätte, aber sie verehren seine Frau und den Präsidenten damit indirekt, indem sich dieser keine heimlichen Geliebten hält, sondern mit seiner Lehrerin ins Bett geht – dieses Motiv ist in der neueren Kulturgeschichte durchaus populär.

Etwas untergegangen ist in der Berichterstattung Jean-Luc Mélenchon bei seiner wohl letzten Kandi­datur; dabei hat er nur gerade eineinhalb Prozent weniger Wählerinnenanteile gewonnen als Marine Le Pen, und das wollen wir unseren Nachbarinnen hoch anrechnen. Unbeugsamkeit und Dickköpfigkeit sind Qualitäten, die zur Grundausstattung des Menschen zählen und ihn je länger, desto stärker positiv abheben von dem, was in Zukunft zur Bedingung der menschlichen Existenz zählen wird, nämlich von der künstlichen Intelligenz. Dass dabei ebenfalls eine gehörige Portion Populismus mit im Spiel ist, will ich nicht verhehlen, aber es ist halt eine Konstante von Demokratien, dass sich die Bewerberinnen andauernd um die Gunst des Volkes bemühen müssen und dass sie dies oft auf wohlfeile Art und Weise tun.

Aber nochmals zurück zu Serdar Berdimuhammedow beziehungsweise zur Nachrichtenagentur TDH; diese berichtete nämlich letzte Woche auch noch vom viertägigen Staatsbesuch des indischen Präsidenten Ramnath Kovind in Turkmenistan und natürlich vor allem vom Besuch mit Kranzniederlegung sowohl am Halk-Hakidasi-Denkmal für die tapferen Verteidiger des turkmenischen Vaterlandes als auch am Denkmal für Mahatma Gandhi im Sportkomplex Bagtyyarlik, welches vor sieben Jahren im Beisein des indischen Premierministers Narendra Modi eingeweiht worden war. Daneben gab es noch einen offiziellen Besuch im nahe beim Gandhi-Denkmal gelegenen Yoga-Zentrum, wobei TDH daran erinnert, dass Turkmenistan seinerzeit die Bemühungen Indiens um die Einführung eines internationalen Yoga-Tages unterstützt hatte, der ebenfalls seit sieben Jahren nun am 21. Juni gefeiert wird.

Und dann will ich nicht vergessen, dass dem indischen Staatspräsidenten auch das Zentrum für die Zucht der Akhal-Teke-Pferde gezeigt wurde, welche namentlich im Zirkusbereich international bekannt sind.

Ja, so nimmt das Leben in Turkmenistan seinen Gang. Von Serdar Berdimuhammedow ist ansonsten weiter nichts bekannt; er hat eine normale Laufbahn im diplomatischen Dienst hingelegt, unter anderem in Genf internationale Studien absolviert und bei der dortigen UNO-Niederlassung gewirkt. Bemerkenswert ist vielleicht die Akkreditierung des afghanischen Tailban-Botschafters Fazal Muhammed Sabir, die gleich am ersten Tag seiner Präsidentschaft erfolgte. Er nahm auch personelle Veränderungen bei der Führung des Sicherheits- und des Innenministeriums vor, aber damit werden die Betroffenen leben können. Mindestens ist mir nichts von ihrer Exekution bekannt. Dagegen kann ich noch die beiden Ehrentitel erwähnen, welche Serdar gemäß Wikipedia trägt, nämlich «Türkmenistanyi Watan goragcysy», Verteidiger Turkmenistans, aus dem Jahr 2021, und ebenfalls aus dem Jahr 2021 «Türkmenistanyi at gazanan itsynasy», Verdienter Hundezüchter Turkmenistans.

Im entwickelten Teil der Welt macht man sich derweil Sorgen um den Auftritt der Inflation, welche uns nun zehn Jahre lang im Stich gelassen hat. Am meisten Probleme entstehen vorübergehend dort, wo der Anstieg der Preise nicht mit einem Anstieg der Löhne und Renten kompensiert wird. Die entsprechenden Ausgleichsmechanismen sind selbstverständlich etwas eingerostet, sollten aber ohne weitere Probleme in Gang kommen, wobei ich darüber vor allem im Rentenbereich überhaupt keinen Überblick habe. Früher war ja eine der wichtigsten Funktionen der Inflation, dass sie Verlagerungen innerhalb von Konsumgüterbereichen einigermaßen vertuscht und zum Teil auch gedämpft hat. Nahrungsmittel, Textilien, elektrische und elektronische Güter, Dienstleistungen und so weiter konnten Preissteigerungen entweder durchsetzen oder nicht, das ging ohne überflüssige Reibungen vonstatten. Im Moment liegen die Hauptgründe für die Inflation in den steigenden Energiepreisen zum einen, dass sie auf den Markt durchschlagen zum anderen; und dann kommen noch die Spätfolgen der Pandemie dazu, namentlich bei den Verzögerungen in den Lieferketten. Diese beiden Bereiche sind überschaubar und dürften sich in den nächsten Monaten irgendwie einpendeln. Weniger klar ist die Lage in Bezug auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Abgesehen von den Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion in Europa spielt vor allem der Grad an Unsicherheit eine Rolle, die mit dem Krieg verbunden ist. Der ukrainische Präsident Selenski fordert verständlicherweise das volle Engagement der Vereinigten Staaten und der Nato zugunsten der Ukraine, was wiederum die Vorstellung einer Konfrontation zwischen der Nato und Russland heraufbeschwört, und hinter dieser Konfrontation lauern immer die beiden Bedrohungen Weltkrieg und Atomkrieg. Im Moment sieht es nicht so aus, als würden diese Optionen von einer der beiden Seiten aktiviert; aber immerhin in der öffentlichen Meinung hat man manchmal den Eindruck, dass ein Welt- und Atomkrieg das einzige richtige Mittel sei, um, ja eben, den Kriegsgräueln von russischer Seite Einhalt zu gebieten.