Albert Jörimann - Die Schönheit, links zu sein
ID 113908
Wenn, sagen wir mal eine bulgarische Reinigungsfirma mit Stundenlöhnen von, sagen wir mal einem Euro und elf Cent auf dem deutschen Reinigungsmarkt auftreten will, dann muss sie in ihrem Zielmarkt eine Tochtergesellschaft gründen, weil sie ihre Reinigungskräfte nicht jeden Tag morgens um vier Uhr ins Flugzeug stecken und abends um 23 Uhr zurückholen kann.
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12:06 min, 28 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 15.02.2022 / 13:17
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Dateizugriffe: 132
Klassifizierung
Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Arbeitswelt, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung
AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 15.02.2022
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Wenn, sagen wir mal eine bulgarische Reinigungsfirma mit Stundenlöhnen von, sagen wir mal einem Euro und elf Cent auf dem deutschen Reinigungsmarkt auftreten will, dann muss sie in ihrem Zielmarkt eine Tochtergesellschaft gründen, weil sie ihre Reinigungskräfte nicht jeden Tag morgens um vier Uhr ins Flugzeug stecken und abends um 23 Uhr zurückholen kann. Sie kann in dieser Tochtergesellschaft durchaus bulgarische Reinigungskräfte beschäftigen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Stundenlohn fünf bis zehn Mal höher sein wird, ist auch dann noch bei hundert Prozent, wenn sie diese bulgarischen Reinigungskräfte schwarz beschäftigt, also den Mindestlohn umgeht, was im Reinigungssektor vielleicht etwas leichter fällt als bei der industriellen Produktion von, sagen wir mal Reißzwecken. Ein bulgarisches Transportunternehmen dagegen kann seinen Angestellten auch dann bulgarische Löhne zahlen, wenn sie für Aldi in Almeria Zucchetti und Granaten laden und nach Dresden fahren. Das ist eine der Besonderheiten dieses Sektors, und ich will der Vollständigkeit halber noch anfügen, dass ein bulgarisches IT-Unternehmen seinen Programmiererinnen sowieso bulgarische Löhne bezahlen wird, weil sie ihre Arbeit in Sofia oder in Burgas verrichten; aber bei den Programmiererinnen gelten etwas andere Gesetze, die zählen nicht zum Leichtlohnsektor, auch wenn die EU-Konzerne aller Länder über Jahre hinweg ihre Informatik-Abteilungen nach Krakau ausgelagert haben und in letzter Zeit gerne eben nach Bulgarien oder Rumänien. Aber für einen Euro und elf Cent pro Stunde kriegst du von einer bulgarischen Programmiererin noch nicht einmal ein Login.
Der gemeinsame Markt in der europäischen Union hat unzählige Facetten und ist eigentlich ein bewundernswertes Experiment, wenn man ihn vergleicht mit der früher üblichen Abschottung der einzelnen Länder, die wohl auch nicht so dicht gewesen ist, wie dies in den Diskussionen hin und wieder aufscheint; auch vor der Freigabe des EU-Marktes gab es schließlich schon den einen oder anderen wirtschaftlichen Austausch zwischen den Ländern und auch weltweit. Trotzdem! Und auch wenn die Marktfreigabe begleitet war von zahllosen Regelungen, mit welchen die verschiedenen Interessengruppen in Branchen und Ländern einige Privilegien absicherten, das Experiment bleibt bewundernswert. Es ist der erste groß angelegte Versuch, die Grenzen des Nationalstaates aufzuheben. Das Ziel war selbstverständlich jenes der Integration der ärmeren Staaten, einmal abgesehen davon, dass die reicheren Länder Zugriff auf das Reserveheer der Arbeitskräfte in diesen Ländern erhielten; unterdessen hat sich aber gezeigt, dass dieses Reserveheer nur bedingt für andere Arbeitsmärkte mobilisiert werden kann, aus unterschiedlichen Gründen; die Reisekosten, die ich einleitend erwähnt habe, sind so ein Grund beziehungsweise die zwangsläufige Anpassung der Arbeitskosten an die lokalen Kaufkraftverhältnisse, Fragen der Verständigung zählen dazu – aus diesem Grund suchen sehr viele Menschen aus Rumänien in Italien eine Arbeit – und weitere, die man sich selber aus den Fingern ziehen kann.
Was mich aktuell auf diese Überlegungen bringt, sind aber die Fernfahrerinnen, die Lkw-Chauffeure oder Trucker, und zwar nicht jene in Europa, sondern jene in Kanada, welche seit ein paar Tagen versuchen, die Großstädte zu blockieren und die Ambassador-Brücke in Windsor in Ontario gesperrt hatten, über welche ein Viertel des Handels zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada abgewickelt wird. Auslöser für den Trucker-Protest war offenbar eine Verordnung vom Januar dieses Jahres, gemäss welcher Chauffeure, die aus den USA nach Kanada zurückkehren, ein Impf-Zertifikat vorlegen müssen. Ein weiterer Auslöser befindet sich aber eine Etage weiter unten im kollektiven Bewusstsein, im Selbstverständnis der Trucker: Es sind die Werte der französischen Revolution von 1789, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit mit einem starken Akzent auf der Freiheit, welche den Lkw-Fahrern am Lenkrad den Schaum zwischen den Trensen hervor quellen lassen. Tatsächlich kenne ich kaum eine andere Berufsgruppe, deren Löhne sich aus einem derart mickrigen Grundlohn plus eine massiven variablen Lohnanteil an Ideologie zusammen setzt. Dabei wurde die ideologische Verhunzung des Cowboys, der auf seinem Pferd auf der Prärie in den Sonnenuntergang hinein reitet, bis zum Hungerlöhner auf seinem zum Massagestuhl umgebauten Fahrersitz noch von keinem gruppentherapeutischen Ansatz auf eine höhere, nämlich eben bewusste Stufe im kollektiven Bewusstsein angehoben. Man müsste dort beginnen, wo man festhält, dass der Cowboy nicht in die Prärie hinaus reitet, sondern immer seinen Rinderhintern nach; die Freiheit im Beruf ist also schon am Ursprung des Berufsethos beschädigt, und das setzt sich in der beruflichen Praxis fort: Man hat noch von keinem einzigen Lkw-Hersteller gehört, welcher einen Offroader gebaut hätte für diese Horde an Freiheits-Fanatikern. – Na gut, auch die normalen Offroader werden zu großen Teilen als Elterntaxi genutzt und nicht für Abstecher zwischen die Bäume des Thüringer Waldes, wobei die Verbindung zwischen protestierenden Lkw-Fahrer:innen und ihren Fahrzeugen und dem Thüringer Wald Ausgangspunkt einer ganzen Reihe von wissenschaftlichen Spekulationen sein könnte. Aber wie auch immer:
Im Gegensatz zu den Querdenkern, bei denen ich übrigens auch immer wieder auf die Ursprünge der Bezeichnung zurückgeworfen werde: War das nicht mal fast so etwas wie ein Kompliment für Menschen, die angeblich in der Lage waren, herkömmliche Denkmuster zu durchbrechen, hoch gelobt im Beratungs-Business als Out-of-the-Box-Denker:innen, Menschen, die also im Denken ungefähr so frech waren wie im Alltagsleben jene älteren Damen, die sich von ihrem Barbier schon vor vierzig Jahren eine rosa Mèche ins weiße Haar färben ließen oder Brillen mit farbigen Plastikgestellen trugen, als diese voll in Mode waren? – Ganz genau, das waren die Querdenker, Menschen, welche das Kopfkissen in ihrem Bett mal für einen Monat ans Fußende legten und anders rum schliefen. Ich glaube, das Schicksal hat sie mit den Corona-Protesten vollständig ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt. – Aber dies nebenbei. Eigentlich wollte ich sagen, dass die kanadischen Trucker im Gegensatz zu den Querdenkern als Querlenker ihre Fahrzeuge quer gestellt hatten und damit, und jetzt kommt's, Achtung: eindeutig einen Putschversuch unternommen haben.
Ja, darum handelt es sich nämlich. Die Lkws putschen im Staat. Gottseidank haben sie keine weiteren Verbindungen, sonst könnte dieser Putsch bei Gelegenheit noch eine politische Dimension annehmen. Die Verlockung besteht, wie die dankbare Rezeption der Straßenblockaden bei allen Lkw-Fahrer:innen weltweit beweist. Und da die Fahrer:innen unterdessen längst nicht mehr nur über den CBS-Funk verbunden sind, ist der Gedanke an eine politische Dimension auch nicht ganz abwegig. Dass der Trucker-Zug vom Westen Kanada nach Ottawa auch unter der Fahne der Konföderierten fuhr, also der Rassentrennungs-Staaten im Süden der Vereinigten Staaten, gibt auch ein paar Hinweise auf die queren Köpfe und Lenker, ebenso wie ihre Unterstützung durch die republikanische Partei und Donald Trump. Aber auch Elon Musk hat seine Sympathien für die Trucker-Proteste geäußert, und hier sehe ich dann wieder eine andere Verbindung: So ein Überland-Lkw-Fahrer ist eigentlich nichts anderes als ein Nerd, der den Programmierer-Kurs nicht bestanden hat. Ein Autist wie Elon Musk, welcher den Begriff der Automobilität auf den Kulminationspunkt bringt. Dass der mobile Autist seine Lebensform als Inbegriff von Freiheit versteht – und wie gesagt dafür eine unterirdische Bezahlung in Kauf nimmt –, ist seine Sache; unsere Sache dagegen ist es, dem autistisch-automobilistischen Begriff von Freiheit unseren eigenen Freiheits-Begriff entgegen zu stellen. Und der besteht im Falle der kanadischen Lkw-Blockade darin, den Lastwagen die Pneus aufzuschlitzen, ihre Benzintanks anzuzünden und die ganze Horde in den Knast zu werfen wegen sittlicher Verrohung.
Sprechen wir von etwas anderem. Ich hatte bisher nicht die Gelegenheit, über den fantastischen Neuen Philosophen Pascal Bruckner herzuziehen, weil er mir unbekannt geblieben ist beziehungsweise ich die Schnauze schon voll hatte von seinen Kollegen Bernard-Henri Lévy, dem ich im Übrigen eher seine Eitelkeit vorwerfe als sein philosophisches Mittelmaß, das weniger ihm selber anzulasten ist, obwohl er natürlich sein Träger ist, als vielmehr der französischen Denker-Elite, welche ihn als Wunderhirn gefeiert hat, bloß weil der den Hemdkragen ähnlich offen getragen hat wie verschiedene andere vor ihm, welche ihren Hals eben aus dem offenen Hemd der Guillotine und dem weiblichen Kusse entgegen reckten. Pascal Bruckner ist offenbar als Neuer Philosoph noch viel stärker ein Renegat als Bernard-Henri Lévy und vertritt seit Jahren Pegida- und AfD-Thesen, nämlich dass sich die christlich-westliche Kultur dem Islam in einem Akt der Selbstzerfleischung unterwerfe. Das ist nun seine Sache und nicht meine, aber ich entdecke in einem Artikel, den er in der Neuen Zürcher Zeitung publiziert hat, einen Absatz, welcher mich an einen anderen Artikel über den Niedergang der Linken im Le Monde Diplomatique erinnert, über welchen ich mich an dieser Stelle bereits geäußert habe. Ich lese mal kurz vor: «Nachdem die Linke alles verloren hat – die Arbeiterklasse, die UdSSR, China, die Dritte Welt – meinen heute manche ihrer Vertreter, dass der Islam, und sei es der extremste, das neue Proletariat verkörpere. Aus dieser Warte tragen nunmehr die Muslime, und sie alleine, das revolutionäre Versprechen, von dem die Arbeiter nichts mehr wissen wollen.» – Habt ihr das gehört? – Selbstverständlich habt ihr es gehört, aber weil es derart unglaublich doof ist und weil es derart halluzinogen ist, dass überhaupt eine Zeitung solch einen Blödsinn überhaupt publiziert, noch einmal: Die Linke ist der Ansicht, dass der Islamismus nicht nur das neue Proletariat verkörpert, sondern auch die kommunistische Revolution verspricht. So einen Hau in der Birne kriegt man nicht geschenkt; an so etwas muss man lange Jahre arbeiten.
Wenn ich solchen Blödsinn lese, werde ich immer ganz leicht und froh, weil ich weiß, dass «die Linke», soweit es sie je gegeben hat, also ich spreche natürlich wie alle anderen Linken von der «richtigen Linken», dass diese also ihr wichtigstes Bemühen auf das richtige Erfassen der Verhältnisse richtet und in diesem Zusammenhang auf korrekte, nämlich wissenschaftliche Denkweisen abstellt, mit Vorlieben aus dem Bereich der materialistischen Dialektik, aber ich will mich nicht darauf versteifen. Die Verhältnisse korrekt zu erfassen bedeutet heutzutage unter anderem die Einsicht, dass der Industriekapitalismus und mit ihm das ihn konstituierende industrielle Proletariat keine zeitgenössischen Subjekte mehr darstellen. Nicht dass sie völlig verschwunden wären; aber ihre historische Rolle haben sie ausgespielt. Wir befinden uns in einer Phase, in welcher die Menschheit ihre Existenzgrundlagen mit einem Minimum an Aufwand nicht etwa selber herstellen kann, sondern sie tatsächlich herstellt; daneben haben in den fortgeschrittenen Gesellschaften Ausdifferenzierungen in einem riesigen Ausmaß stattgefunden, welche die Vorstellung einer Revolution als Höhepunkt einer Auseinandersetzung zwischen zwei gegensätzlichen Polen als ziemlich romantisch anmuten lassen. Immerhin ist es eine Folge der Ausdifferenzierung, dass auch unerforschliche Bereiche wie zum Beispiel ein verkorkster Cowboy-Freiheitsbegriff plötzlich und für eine kurze Zeit zu Elementen jener Auseinandersetzung werden, in welcher die Gesellschaft um ihre zukünftige Organisation ringt. Die Linke lässt sich in dieser Auseinandersetzung nach wie vor von ihren Kernqualitäten leiten, nämlich eben der Vernunft zum einen und zum anderen vom ehernen Ziel der Emanzipation: jener Gesellschaft, in welcher wirklich alle Individuen die Chance haben, ihre Fähigkeiten zu entfalten und ihren Neigungen nachzugehen, selbstverständlich unter Rücksichtnahme auf die Rechte der Mitmenschen, lokal, regional, global. Deshalb ist es schön, links zu sein.
Der gemeinsame Markt in der europäischen Union hat unzählige Facetten und ist eigentlich ein bewundernswertes Experiment, wenn man ihn vergleicht mit der früher üblichen Abschottung der einzelnen Länder, die wohl auch nicht so dicht gewesen ist, wie dies in den Diskussionen hin und wieder aufscheint; auch vor der Freigabe des EU-Marktes gab es schließlich schon den einen oder anderen wirtschaftlichen Austausch zwischen den Ländern und auch weltweit. Trotzdem! Und auch wenn die Marktfreigabe begleitet war von zahllosen Regelungen, mit welchen die verschiedenen Interessengruppen in Branchen und Ländern einige Privilegien absicherten, das Experiment bleibt bewundernswert. Es ist der erste groß angelegte Versuch, die Grenzen des Nationalstaates aufzuheben. Das Ziel war selbstverständlich jenes der Integration der ärmeren Staaten, einmal abgesehen davon, dass die reicheren Länder Zugriff auf das Reserveheer der Arbeitskräfte in diesen Ländern erhielten; unterdessen hat sich aber gezeigt, dass dieses Reserveheer nur bedingt für andere Arbeitsmärkte mobilisiert werden kann, aus unterschiedlichen Gründen; die Reisekosten, die ich einleitend erwähnt habe, sind so ein Grund beziehungsweise die zwangsläufige Anpassung der Arbeitskosten an die lokalen Kaufkraftverhältnisse, Fragen der Verständigung zählen dazu – aus diesem Grund suchen sehr viele Menschen aus Rumänien in Italien eine Arbeit – und weitere, die man sich selber aus den Fingern ziehen kann.
Was mich aktuell auf diese Überlegungen bringt, sind aber die Fernfahrerinnen, die Lkw-Chauffeure oder Trucker, und zwar nicht jene in Europa, sondern jene in Kanada, welche seit ein paar Tagen versuchen, die Großstädte zu blockieren und die Ambassador-Brücke in Windsor in Ontario gesperrt hatten, über welche ein Viertel des Handels zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada abgewickelt wird. Auslöser für den Trucker-Protest war offenbar eine Verordnung vom Januar dieses Jahres, gemäss welcher Chauffeure, die aus den USA nach Kanada zurückkehren, ein Impf-Zertifikat vorlegen müssen. Ein weiterer Auslöser befindet sich aber eine Etage weiter unten im kollektiven Bewusstsein, im Selbstverständnis der Trucker: Es sind die Werte der französischen Revolution von 1789, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit mit einem starken Akzent auf der Freiheit, welche den Lkw-Fahrern am Lenkrad den Schaum zwischen den Trensen hervor quellen lassen. Tatsächlich kenne ich kaum eine andere Berufsgruppe, deren Löhne sich aus einem derart mickrigen Grundlohn plus eine massiven variablen Lohnanteil an Ideologie zusammen setzt. Dabei wurde die ideologische Verhunzung des Cowboys, der auf seinem Pferd auf der Prärie in den Sonnenuntergang hinein reitet, bis zum Hungerlöhner auf seinem zum Massagestuhl umgebauten Fahrersitz noch von keinem gruppentherapeutischen Ansatz auf eine höhere, nämlich eben bewusste Stufe im kollektiven Bewusstsein angehoben. Man müsste dort beginnen, wo man festhält, dass der Cowboy nicht in die Prärie hinaus reitet, sondern immer seinen Rinderhintern nach; die Freiheit im Beruf ist also schon am Ursprung des Berufsethos beschädigt, und das setzt sich in der beruflichen Praxis fort: Man hat noch von keinem einzigen Lkw-Hersteller gehört, welcher einen Offroader gebaut hätte für diese Horde an Freiheits-Fanatikern. – Na gut, auch die normalen Offroader werden zu großen Teilen als Elterntaxi genutzt und nicht für Abstecher zwischen die Bäume des Thüringer Waldes, wobei die Verbindung zwischen protestierenden Lkw-Fahrer:innen und ihren Fahrzeugen und dem Thüringer Wald Ausgangspunkt einer ganzen Reihe von wissenschaftlichen Spekulationen sein könnte. Aber wie auch immer:
Im Gegensatz zu den Querdenkern, bei denen ich übrigens auch immer wieder auf die Ursprünge der Bezeichnung zurückgeworfen werde: War das nicht mal fast so etwas wie ein Kompliment für Menschen, die angeblich in der Lage waren, herkömmliche Denkmuster zu durchbrechen, hoch gelobt im Beratungs-Business als Out-of-the-Box-Denker:innen, Menschen, die also im Denken ungefähr so frech waren wie im Alltagsleben jene älteren Damen, die sich von ihrem Barbier schon vor vierzig Jahren eine rosa Mèche ins weiße Haar färben ließen oder Brillen mit farbigen Plastikgestellen trugen, als diese voll in Mode waren? – Ganz genau, das waren die Querdenker, Menschen, welche das Kopfkissen in ihrem Bett mal für einen Monat ans Fußende legten und anders rum schliefen. Ich glaube, das Schicksal hat sie mit den Corona-Protesten vollständig ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt. – Aber dies nebenbei. Eigentlich wollte ich sagen, dass die kanadischen Trucker im Gegensatz zu den Querdenkern als Querlenker ihre Fahrzeuge quer gestellt hatten und damit, und jetzt kommt's, Achtung: eindeutig einen Putschversuch unternommen haben.
Ja, darum handelt es sich nämlich. Die Lkws putschen im Staat. Gottseidank haben sie keine weiteren Verbindungen, sonst könnte dieser Putsch bei Gelegenheit noch eine politische Dimension annehmen. Die Verlockung besteht, wie die dankbare Rezeption der Straßenblockaden bei allen Lkw-Fahrer:innen weltweit beweist. Und da die Fahrer:innen unterdessen längst nicht mehr nur über den CBS-Funk verbunden sind, ist der Gedanke an eine politische Dimension auch nicht ganz abwegig. Dass der Trucker-Zug vom Westen Kanada nach Ottawa auch unter der Fahne der Konföderierten fuhr, also der Rassentrennungs-Staaten im Süden der Vereinigten Staaten, gibt auch ein paar Hinweise auf die queren Köpfe und Lenker, ebenso wie ihre Unterstützung durch die republikanische Partei und Donald Trump. Aber auch Elon Musk hat seine Sympathien für die Trucker-Proteste geäußert, und hier sehe ich dann wieder eine andere Verbindung: So ein Überland-Lkw-Fahrer ist eigentlich nichts anderes als ein Nerd, der den Programmierer-Kurs nicht bestanden hat. Ein Autist wie Elon Musk, welcher den Begriff der Automobilität auf den Kulminationspunkt bringt. Dass der mobile Autist seine Lebensform als Inbegriff von Freiheit versteht – und wie gesagt dafür eine unterirdische Bezahlung in Kauf nimmt –, ist seine Sache; unsere Sache dagegen ist es, dem autistisch-automobilistischen Begriff von Freiheit unseren eigenen Freiheits-Begriff entgegen zu stellen. Und der besteht im Falle der kanadischen Lkw-Blockade darin, den Lastwagen die Pneus aufzuschlitzen, ihre Benzintanks anzuzünden und die ganze Horde in den Knast zu werfen wegen sittlicher Verrohung.
Sprechen wir von etwas anderem. Ich hatte bisher nicht die Gelegenheit, über den fantastischen Neuen Philosophen Pascal Bruckner herzuziehen, weil er mir unbekannt geblieben ist beziehungsweise ich die Schnauze schon voll hatte von seinen Kollegen Bernard-Henri Lévy, dem ich im Übrigen eher seine Eitelkeit vorwerfe als sein philosophisches Mittelmaß, das weniger ihm selber anzulasten ist, obwohl er natürlich sein Träger ist, als vielmehr der französischen Denker-Elite, welche ihn als Wunderhirn gefeiert hat, bloß weil der den Hemdkragen ähnlich offen getragen hat wie verschiedene andere vor ihm, welche ihren Hals eben aus dem offenen Hemd der Guillotine und dem weiblichen Kusse entgegen reckten. Pascal Bruckner ist offenbar als Neuer Philosoph noch viel stärker ein Renegat als Bernard-Henri Lévy und vertritt seit Jahren Pegida- und AfD-Thesen, nämlich dass sich die christlich-westliche Kultur dem Islam in einem Akt der Selbstzerfleischung unterwerfe. Das ist nun seine Sache und nicht meine, aber ich entdecke in einem Artikel, den er in der Neuen Zürcher Zeitung publiziert hat, einen Absatz, welcher mich an einen anderen Artikel über den Niedergang der Linken im Le Monde Diplomatique erinnert, über welchen ich mich an dieser Stelle bereits geäußert habe. Ich lese mal kurz vor: «Nachdem die Linke alles verloren hat – die Arbeiterklasse, die UdSSR, China, die Dritte Welt – meinen heute manche ihrer Vertreter, dass der Islam, und sei es der extremste, das neue Proletariat verkörpere. Aus dieser Warte tragen nunmehr die Muslime, und sie alleine, das revolutionäre Versprechen, von dem die Arbeiter nichts mehr wissen wollen.» – Habt ihr das gehört? – Selbstverständlich habt ihr es gehört, aber weil es derart unglaublich doof ist und weil es derart halluzinogen ist, dass überhaupt eine Zeitung solch einen Blödsinn überhaupt publiziert, noch einmal: Die Linke ist der Ansicht, dass der Islamismus nicht nur das neue Proletariat verkörpert, sondern auch die kommunistische Revolution verspricht. So einen Hau in der Birne kriegt man nicht geschenkt; an so etwas muss man lange Jahre arbeiten.
Wenn ich solchen Blödsinn lese, werde ich immer ganz leicht und froh, weil ich weiß, dass «die Linke», soweit es sie je gegeben hat, also ich spreche natürlich wie alle anderen Linken von der «richtigen Linken», dass diese also ihr wichtigstes Bemühen auf das richtige Erfassen der Verhältnisse richtet und in diesem Zusammenhang auf korrekte, nämlich wissenschaftliche Denkweisen abstellt, mit Vorlieben aus dem Bereich der materialistischen Dialektik, aber ich will mich nicht darauf versteifen. Die Verhältnisse korrekt zu erfassen bedeutet heutzutage unter anderem die Einsicht, dass der Industriekapitalismus und mit ihm das ihn konstituierende industrielle Proletariat keine zeitgenössischen Subjekte mehr darstellen. Nicht dass sie völlig verschwunden wären; aber ihre historische Rolle haben sie ausgespielt. Wir befinden uns in einer Phase, in welcher die Menschheit ihre Existenzgrundlagen mit einem Minimum an Aufwand nicht etwa selber herstellen kann, sondern sie tatsächlich herstellt; daneben haben in den fortgeschrittenen Gesellschaften Ausdifferenzierungen in einem riesigen Ausmaß stattgefunden, welche die Vorstellung einer Revolution als Höhepunkt einer Auseinandersetzung zwischen zwei gegensätzlichen Polen als ziemlich romantisch anmuten lassen. Immerhin ist es eine Folge der Ausdifferenzierung, dass auch unerforschliche Bereiche wie zum Beispiel ein verkorkster Cowboy-Freiheitsbegriff plötzlich und für eine kurze Zeit zu Elementen jener Auseinandersetzung werden, in welcher die Gesellschaft um ihre zukünftige Organisation ringt. Die Linke lässt sich in dieser Auseinandersetzung nach wie vor von ihren Kernqualitäten leiten, nämlich eben der Vernunft zum einen und zum anderen vom ehernen Ziel der Emanzipation: jener Gesellschaft, in welcher wirklich alle Individuen die Chance haben, ihre Fähigkeiten zu entfalten und ihren Neigungen nachzugehen, selbstverständlich unter Rücksichtnahme auf die Rechte der Mitmenschen, lokal, regional, global. Deshalb ist es schön, links zu sein.
Kommentare
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15.02.2022 / 18:08 | Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar |
in sonar
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am 15.2.. Vielen Dank ! | |