Albert Jörimann - Zwei Billionen Dollar

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Zwei Billionen Dollar, dieser Betrag an Kryptowährungen zirkuliert im Moment auf der Welt, will sagen, natürlich zirkuliert er nicht beziehungsweise nur zum kleinsten Teil, sondern soviel Kapital ist in Kryptowährungen angelegt, oder auch: So hoch werden alle Investitionen in Bitcoin, Ethereum etcetera bewertet. Zum Vergleich: Die Marktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen belief sich 2019 auf 83.5 Billionen; die Gesamtsumme der globalen Kapitalanlagen bewegt sich irgendwo zwischen 150 und 200 Billionen Dollar.
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11:20 min, 26 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 24.12.2021 / 11:51

Dateizugriffe: 105

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Arbeitswelt, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 24.12.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Zwei Billionen Dollar, dieser Betrag an Kryptowährungen zirkuliert im Moment auf der Welt, will sagen, natürlich zirkuliert er nicht beziehungsweise nur zum kleinsten Teil, sondern soviel Kapital ist in Kryptowährungen angelegt, oder auch: So hoch werden alle Investitionen in Bitcoin, Ethereum etcetera bewertet. Zum Vergleich: Die Marktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen belief sich 2019 auf 83.5 Billionen; die Gesamtsumme der globalen Kapitalanlagen bewegt sich irgendwo zwischen 150 und 200 Billionen Dollar.
Die Kryptowährungen machen also noch nicht die ganze Welt aus, haben sich aber etabliert. Der Kauf und Verkauf solcher Geld- und Goldstücke erfolgt vermittels von Geldbeuteln, auf Englisch Wallets, deren Zugangsschlüssel man tunlichst nicht verhühnern sollte. Besonders gefallen hat mir dabei, dass für die Erzeugung solcher Schlüssel eine sogenannte Seed Phrase verwendet wird. Dabei handelt es sich um eine zufällige Kombination von 12 bis 24 englischen Wörtern. Die lernt man entweder auswendig oder notiert sie mit der Füllfeder auf ein Blatt Papier – von der elektronischen Speicherung wird dringend abgeraten, da diese offenbar von jeder zweitklassigen Bitcoin-Räuberin geknackt werden kann. Das behagt mir ganz außerordentlich: Das allersicherste Speichermedium ist Schreibpapier, wer hätte das gedacht. Und dann aber und vor allem: Auch wenn ich dies weiß, weiß ich noch lange nicht, was diese Kryptowährungen sind oder sein sollen. Ich meine, bloß weil eine Zahlen­kombi­nation garantiert einmalig ist, braucht sie ja noch nicht 50'000 Dollar wert zu sein, das ist meine ganz und gar laienhafte und gleichzeitig unverrückbar objektive und neutrale Einschätzung der Krypto­wäh­rungen. Aus neutraler Sicht muss ich das auch gleich relativieren: Zwei Billionen Dollar steht meiner Einschätzung entgegen.

Was sind und wozu braucht es Kryptowährungen? Was sie sind, habe ich halbwegs verstanden, wozu es sie braucht dagegen nicht. Wenn sie einfach ein Zahlungsmittel wären wie alle anderen, dann könnte man genauso gut alle anderen verwenden. Das einzige Alleinstellungsmerkmal, das auch kräftig vermarktet wird, ist jenes, dass die Geldflüsse nicht nachvollziehbar sind. Das sei wichtig in undemokratischen und diktatorischen Staaten, habe ich mal irgendwo gelesen. Über meinen erhobenen Mittelfinger gepeilt schätze ich den Anteil der in demokratischen und freien Gesellschaften angelegten Kryptowährungen am Total auf dreiundneunzig Prozent. In dieser Sorte von Staaten kann die Vernebelung von Geldflüssen nur zwei Zielen dienen: der Steuerhinterziehung und der außerlegalen Geschäftstätigkeit. Mir scheint tatsächlich, ich hätte in den letzten Jahren vor allem bei Datendiebstahl oder Angriffen auf Datennetzwerke immer nur von Lösegeldforderungen in Kryptowährungen gehört.

Selbstverständlich sind die Kryptowährungen auch beim Durchschnittspublikum beliebt, vor allem wegen der Spekulation auf Spekulationsgewinne und auch wegen der verschiedenen Legenden um die Schöpfung von Kryptowährungen. Man spricht in Analogie zum Goldrausch von Schürfen, was übrigens ein Prozess sein soll, der bald mehr Energie verbraucht als die Server von Black Rock bei der Berechnung der Unternehmensbewertung im Mikrosekundentakt. Ich weiß es wirklich nicht. Eine etwas plumpe Arbeitshypothese, wonach Kryptowährungen die jüngste in der Kette von Erfin­dungen der Finanzindustrie sei, um die gierigen Steuerbehörden auszutricksen, lässt sich jedenfalls nicht so einfach widerlegen, und der Vergleich mit dem Darknet und dessen Nachrichtendienst Telegram bleibt ebenfalls im Raum stehen. Schließlich werden auch im Darknet nicht nur Kalasch­ni­kows, Atombomben, Bayraktar-Drohnen und andere Geschäftsgeheimnisse gehandelt, sondern auch Erdbeermarmelade und Pelzmäntel. Und bei Telegram bin ich ja selber auch Mitglied. Im Gegensatz zur Kryptowelt, wo sich übrigens der Schweizer Kanton Zug nach einem substanziellen Verlust von Steuerprivilegien nun als neues Kompetenzzentrum etablieren möchte. Allein das ist ein recht interessanter Hinweis. Aber egal.

Am 21. Dezember jährt sich der Tag der Gründung der Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten zum dreißigsten Mal. Am 8. Dezember 1991 war sie von der Ukraine, Russland und Weißrussland aufgegleist worden, zwei Wochen später traten Aserbeidschan, Armenien, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau,Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan bei, zwei Jahre später auch noch Georgien. Ursprünglich war sie als gemeinschaftlicher Wirtschaftsraum gedacht, auch von einer gemeinsamen Währung war die Rede, aber in der Praxis hat sich für diese Hülle keine Substanz ergeben. Die tatsächliche Kooperation erfolgt im Rahmen kleinerer, bi- oder trilateraler Abkommen. Ich frage mich, weshalb die Ukraine und Georgien überhaupt noch in dieser GUS dabei sind, aber vielleicht sind sie unterdessen auch ausgetreten oder haben es angesichts der faktischen Bedeutungslosigkeit dieser Nachfolgeorganisation der Sowjetunion einfach vergessen.

Am 27. Mai 1997 wurde die Grundakte über die gegenseitigen Beziehungen und die Zusam­men­arbeit zwischen der NATO und Russland unterzeichnet. Sie markiert das Ende des europäischen Ostblocks, in erster Linie des Militärbündnisses des Warschauer Paktes, der vom Westen und eben von der NATO aufgesogen worden war. Einen Monat später, am 9. Juli, wurden Ungarn, Tsche­chien und Polen zum NATO-Beitritt eingeladen. Heute sind mit Ausnahme der Ukraine und von Moldawien alle ehemaligen Ostblock-Staaten NATO-Mitglieder. Die Europäische Union, die Vereinigten Staaten von Amerika und die NATO selber tun alles, um auch die Ukraine möglichst bald über den Tisch zu ziehen. Das sind die Rahmenbedingungen, welche in der Berichterstattung über die Massierung russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine und zum Ultimatum von Russland an die NATO in Bezug auf einen möglichen NATO-Beitritt der Ukraine gerne vergessen gehen. Auch eure neue Verteidigungsministerin Lambrecht kümmert sich offenbar nicht weiter darum, dass solche Verlagerungen im nach wie vor bestehenden Gleichgewicht des Schreckens gewisse Konsequenzen haben könnten – wenn wir mal die Logik anwenden: haben müssten, wenn nicht die eine Seite, nämlich Russland, eine empfindliche Einbuße ihres Gewichtes in diesem Gleichgewicht erleiden will. Dies ist nämlich das Feuerchen, mit dem die Europäische Union vor allem seit dem famosen Korruptionspräsidenten Barroso ununterbrochen spielt.

In Chile hat der Kandidat der linken Kräfte Gabriel Boric die Präsidentschaftswahlen gewonnen mit überraschend deutlichen 56 Prozent der Stimmen gegenüber dem Kandidaten der autoritären Rechten, José Antonio Kast. Trotzdem bleibt die Frage offen: Weshalb hatte der Pinochet-Verehrer Kast bei der Bevölkerung so starken Zuspruch? Es ist die gleiche Frage, die sich bei der gefärbten Zitrone Donald Trump stellt. Menschen, die eine anständige Ausbildung genossen haben, können doch einfach keine solchen Figuren wählen? Auch der Clown Boris Johnson. Was haben die Engländerinnen denn gefressen? Auch dass die sich seit Jahrzehnten den Murdoch-Boulevard reinziehen, lässt sich nicht rational erklären. Bevor ich aber schon wieder in dieses Phänomen eintauche, schaffe ich es mir vom Hals mit einem Begriff: Es scheint sich um das Paradox der Demokratie zu handeln. Punkt, Schluss.

Auch in Frankreich wird im nächsten Jahr gewählt. Ich gehe davon aus, dass der Amtsinhaber mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt wird. Nicht in den Einzelteilen, wo ihm zum Teil vehemente Proteste entgegen geschlagen sind, aber doch in der Summe repräsentiert er wohl am besten, was die nationalen Werte und Ambitionen Frankreichs sind oder sein sollten. Ich erkenne an ihm auch keine charakterlichen Defizite, wie sie zum Beispiel bei der Koksnase Sarkozy offensichtlich waren, oder der Mangel an Entschlusskraft und ein ständiges Lavieren, welche François Hollande zur Persona non Grata gemacht haben; der Mann macht mehr oder weniger das, was für das System Frankreich erforderlich ist, und das heißt natürlich auch, dass er den Eliten nicht auf die Füße tritt, auch wenn er die Kaderschmiede ENA geschlossen hat. Vielmehr: Wenn er ihr einen neuen Namen verpasst hat, was bekanntlich eine schöne Art ist, Probleme zu lösen. Ich verwende sie ja auch, wenn ich zum Beispiel vom Paradox der Demokratie spreche.

Nochmals zurück zu den Kryptowährungen. Ihr Aufblühen erfolgt parallel zur mehr oder weniger unbegrenzten Ausdehnung der Geldmenge durch die wichtigsten Notenbanken, welche sich ihrerseits mehr oder weniger unbegrenzt in die Ausdehnung der Finanzmärkte ergießt. Beides ist im Sinne der herkömmlichen Ökonomie irrational, egal, ob man die aus marxistischer Sicht betreibt oder aus der Sicht des ifo-Instituts. Irrational oder unökonomisch, und als Strafe winkt eine horrende Inflation, welche mindestens die ifo-Vertreterinnen seit Jahren in Aussicht stellen; nun, da sie sich Gottseidank endlich mal zeigt, hört man ihre Stoßseufzer der Erleichterung auf allen Kanälen, die Welt, nämlich ihre Lehrsätze und ihre Prognosen, scheinen endlich wieder ins Lot gerückt zu sein. Ich bin mir da nicht so sicher. Auch wenn in den Vereinigten Staaten die Inflationsspirale von Preissteigerungen einerseits, Lohnerhöhungen anderseits in ihrer klassischen Form aufzutreten scheint, einschließlich eines konjunkturell bedingten teilweisen Arbeitskräfte­mangels, so sind doch die Grundlagen völlig anders. Die Volkswirtschaft ist keine klassische Volkswirtschaft mehr, die Finanzmärkte haben mehrfache Metamorphosen hinter sich, und was bisher noch nicht richtig untersucht worden ist: Es bilden sich gerade neue Herrschaftsstrukturen heraus. Wir wissen, dass sich der wichtigste Wirtschaftstreiber, nämlich die Datenökonomie, im Kern um die Informationen über die Individuen organisiert; die Daten zur Produktion können als selbstverständlich unterstellt werden. Wie weit sich die Daten zu den Individuen eben zur Organisation von Herrschaft arrangieren, das ist die Kernfrage, inner- und außerökonomisch. Bisher stelle ich nur fest, dass so etwas möglich ist und in verschiedener Beziehung auch organisiert wird. Ich spreche hier nicht von den israelischen Firmen, die sich auf das Ausspionieren von Computern und Smartphones spezialisieren; dies ist mehr oder weniger Kriegstechnologie in Friedenszeiten. Ich spreche eher von den großen Datenmultis, welche die Technologie für Herrschaft in Friedenszeiten in den Fingern halten. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass sie diese Technologie auch selber nutzen können. Es toben mit Sicherheit hinter den Kulissen enorme Kämpfe um die Hoheit in diesen Bereichen, ich stelle mir vor, dass in erster Linie der alte militärisch-industrielle Komplex rund um die US-Rüstungswirtschaft Ansprüche geltend macht. Wie weit es ihm aber gelingt, die großen digitalen Player mit einzubeziehen oder aber in die Schranken zu weisen und wie weit die Gegenspieler in den zivilen Abteilungen der staatlichen Verwaltung oder sogar der verschiedenen Parlamente dazwischenfunken können, das ist im Moment noch ziemlich offen.

Kommentare
24.12.2021 / 18:00 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 24.12.. Vielen Dank!