Albert Jörimann - IPCC
ID 110666
Das waren ja lustige Bilder von diesem afghanischen Soldaten mit einer Tasse Tee in der Hand, der treuherzig erzählte, wie die Taliban auf seine Stellung vorrückten. «Die haben auf uns geschossen! Die wollten uns totmachen!» Da hätten sie dem Gegner ihre Waffen ausgeliefert und sich ergeben. Und jetzt trinken sie Tee, statt sich im Paradies an 72 Jungfrauen zu erfreuen, welche der Herr, unser Gott, offenbar in einem fort neu erschafft, um all den verdienten Gotteskriegern die versprochene Menge Just in Time zur Verfügung zu stellen.
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11:58 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 17.08.2021 / 10:42
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Dateizugriffe: 124
Klassifizierung
Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung
AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 17.08.2021
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Das waren ja lustige Bilder von diesem afghanischen Soldaten mit einer Tasse Tee in der Hand, der treuherzig erzählte, wie die Taliban auf seine Stellung vorrückten. «Die haben auf uns geschossen! Die wollten uns totmachen!» Da hätten sie dem Gegner ihre Waffen ausgeliefert und sich ergeben. Und jetzt trinken sie Tee, statt sich im Paradies an 72 Jungfrauen zu erfreuen, welche der Herr, unser Gott, offenbar in einem fort neu erschafft, um all den verdienten Gotteskriegern die versprochene Menge Just in Time zur Verfügung zu stellen. An dieser Stelle meine Frage an die obersten Glaubensinstanzen des Islam: Ist diese Vorstellung künstlich geschaffener Jungfrauen, die also gar keine echten, auf der Erde weggestorbene Jungfrauen sind, sondern nur aus dem Willen des Schöpfers geschöpfte, was aber, mindestens im Sinne der christlichen Theologie, welche sich hoffentlich von der islamischen nicht wesentlich unterscheidet, eine permanente Wiederholung des Schöpfungsaktes wäre, wozu der allmächtige Gott zweifellos in der Lage wäre, was aber seiner eigenen Doktrin vom gottgleichen Menschen, den er nach dem Auszug aus dem Paradies in Sünde getunkt hat wie in rote Tinte, widersprechen täte und somit nicht im Sinne des Erfinders des Menschengeschlechtes wäre, ist diese Vorstellung also nicht radikal gotteslästerlich und damit todeswürdig, womit all die Gotteskrieger, welche sich auf die 72 Jungfrauen freuen, noch vor ihrem Märtyrertod hingerichtet werden müssten? – Soviel als Entr'acte aus der religionskritischen Ecke. – Aber darum geht es gar nicht, sondern um die Einstellung dieses kapitulierten Soldaten, dieses Mikro-Truppenteils in einem Land, das sich immerhin seit 40 Jahren mit wenigen Unterbrüchen im Krieg befindet. Was haben die US-Amerikaner da für eine Armee herangezüchtet? Vermutlich hatten die Amis Angst davor, die einheimischen Militärs allzu gut auszubilden, weil sie im Falle einer späteren Niederlage dann auf der Gegenseite hoch qualifiziert kämpfen täten, entsprechende Erfahrungen haben sie ja mit den Mudschaheddin gemacht nach dem Rückzug der Russen, aber grad so? Vermutlich wurden die afghanischen Soldaten auch mit deutschen Gewehren ausgerüstet, die um die Ecke schießen, abgesehen von all dem Kriegsgerät, welches die US-Amerikaner und die Alliierten sonst hätten teuer in Sondermüll-Öfen entsorgen müssen, jetzt befindet es sich in den Händen der afghanischen Armee beziehungsweise unterdessen in den Händen der Taliban, welche wohl bald die afghanische Armee darstellen werden, und richtet seinen Schaden so im Inneren der Besatzer an. Welche, wie ich schon früher ausgeführt habe, im Gegensatz zu den USA und Konsorten durchaus keine Besatzer sind, sondern die original Einwohnerinnen des Landes.
Ich muss sagen, wirKriegsgurgeln in der neutralen Schweiz hätten schon etwas mehr erwartet, durchaus auch die Vorbereitung für den Fall, dass die Taliban das Land überrollen, da kann man nämlich auch vorsorgen, zum einen mit einem Netz an Vertrauensleuten, das hinter der Front und unter dem islamischen Turban sofort zu funktionieren beginnt. Nun gut, so ein Netz sieht man nicht auf einem Satellitenbild, vielleicht existiert es ja, es ist nach nunmehr zwanzigjähriger Militärpräsenz der Vereinigten Staaten in Afghanistan nicht auszuschließen. Zum zweiten aber beziehungsweise in erster Priorität hätte man sich schon die eine oder andere militärische Option erhofft. Derart schnelle Geländegewinne, wie sie die Taliban hingelegt haben, bergen bekanntlich riesige Tücken, da müssten bloß im Rücken der Taliban-Armee an verschiedenen Orten ein paar halbwegs schlagkräftige Einheiten aus irgendwelchen Höhlen kriechen, das würde diesen Koranschülern doch schon ordentlich einheizen. Nichts dergleichen hat sich getan.
Die Taliban liefen nach dem Abzug der Amerikaner und der Nato-Truppen durch das Land wie ein heißes Messer durch Butter, und dafür kann es nur einen Grund geben, nämlich dass die Afghaninnen in ihrer breiten Mehrheit lieber die einheimischen Moralprediger an der Macht haben als die korrupte Saubande, welche vom Westen eingesetzt wurde; abgesehen davon ist die Hoffnung auf Frieden und ein Ende der Attentate deutlich realistischer, wenn die Attentäter selber an die Macht kommen. Die Befreiung der afghanischen Frauen muss aus technischen Gründen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden; sie stand immerhin auch beim militärischen Engagement der Vereinigten Staaten nicht auf der Liste der strategischen Ziele, einerseits wegen der USA-Streitkräfte selber, anderseits, weil so etwas halt tatsächlich eine minimale Basis, eine kritische Masse an tapferen Frauen und Feministinnen im Land selber voraussetzt. Wäre es anders und wären die Vereinigten Staaten die Signatarmacht der Frauenpower, dann müssten sie die arabische Halbinsel sofort militärisch besetzen und den Frauen die ihnen zustehenden Freiheiten verschaffen. Es ist aber nicht anders, und wenn wir, das heißt der halbwegs vernünftige Teil der Öffentlichkeit in den entwickelten Staaten, dies schon für Saudiarabien nicht verlangen, wie sollten wir es denn für Afghanistan fordern können? Nein, die Damen und Herren müssen dieses Thema selber anpacken. Vielleicht sind ein paar Lektionen Taliban in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts dann doch zuviel des Guten für verschiedene Afghaninnen und Afghanen, welche unterdessen in den Genuss der Mobiltelefonie und der sozialen Netzwerke gekommen sind.
Das unterscheidet die aktuelle Lage tatsächlich recht stark von jener in den 1990-er Jahren. Jedes Kind im entlegensten Bergdorf Afghanistan weiß heute, wieviel es kostet, von einem Schlepper an die iranisch-türkische Grenze gebracht zu werden oder in die ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Vermutlich ist die Absicht zu fliehen oder auszuwandern nicht so verbreitet wie zum Beispiel in Syrien, vor allem dann, wenn endlich einmal eine Phase relativen oder absoluten Friedens in Aussicht steht. Diese Aussicht lässt alles andere in den Hintergrund rücken, und sie ist eindeutig mit den Taliban verbunden. Da haben wir im Westen nicht viel zu munkeln, höchstens könnten wir uns fragen, weshalb wir als Nachhut der US-Amerikaner den Abgang nicht schon längsten vollzogen haben. Osama bin Laden, der eigentliche Grund für die Invasion, ist vor zehn Jahren getötet worden, notabene nicht in Afghanistan, sondern in der Nähe einer pakistanischen Militärakademie. Offenbar waren die Interessen der US-Rüstungsindustrie stark genug, um noch für ein paar hundert Milliarden Dollar Absatz und ein paar Milliarden Profit zu machen. Ich weiß gar nicht, wo die in nächster Zeit einen geeigneten Absatzmarkt finden. Wir werden es sehen.
In den Denkkesseln der Strategiefabriken wird ebenfalls ordentlich angeheizt, und wir armen Schweine müssen die Abfallprodukte davon konsumieren in unseren unabhängigen West-Medien. In erster Linie wird die Gefahr einer Ausdehnung des Einflussbereichs von China in grell gelben Farben beschrieben. Nun ja, geschätzte Hörerinnen und Hörer dieses Stadtradios: China hat immerhin ein zirka 60 Kilometer langes Stück gemeinsame Grenze mit Afghanistan, über welches zwar nie irgendjemand ein- oder auswandert, aber immerhin; wo aber liegen die gemeinsamen Grenzen von Afghanistan mit den USA oder mit Deutschland? – Und auch wenn wir uns ängstigen sollen vor der neuen Seidenstraße, welches ein Instrument im Dienste des neuen chinesischen Imperialismus sein soll und mit der Abzweigung Pakistan ans indische Meer einen wichtigen Bestandteil der strategischen Planung in den chinesischen Strategie-Dampftöpfen darstellt – was ist dagegen aus westlicher Sicht einzuwenden? Die Chinesererinnen haben ein gutes Recht zur Wahrnehmung ihrer Interessen, und sie sind in der Region mit Sicherheit einerseits regionaler und anderseits beliebter als die ehemaligen Kolonialmächte oder die neue Imperialmacht USA. Wenn auch durchaus ambivalent, wie man immer wieder erlebt.
Man wird sehen, wie gehaltvoll die Verhandlungen der chinesischen Führung mit den Taliban, mit Pakistan und dem Iran sein werden. Sofern die Taliban tatsächlich Wert legen auf den Koran, werden sie wohl eher Wert darauf legen, mit den Chinesinnen gewisse Erleichterungen für ihre Glaubensgenossen in Uigurien auszuhandeln als alles andere; dass sie selber auf Tausch und Austausch nicht besonders scharf sind, wissen wir seit Längerem. Und eben, die Chinesinnen drängen sich geradezu auf als Ersatz für die nun verschwundenen Amerikaner-Teufel. Diesem Theater können die US-Amerikaner nun aus sicherer Distanz zuschauen. Dass dabei in Pakistan auch noch die Interessen Indiens eine Rolle spielen, wird in einer späteren Phase der Entwicklung hin und wieder aufblitzen. Im Moment ist das aber nicht weiter relevant.
Was dagegen ist davon zu halten, wenn der englische Politclown Boris Johnson den Bericht des Internationalen Klimarates einen «Weckruf für die Welt» nennt, welche jetzt Maßnahmen ergreifen müsse, noch vor dem COP26-Gipfeltreffen in Glasgow im November? Nun, wie immer, wenn ein Clown spricht: nichts. Seit einem halben Jahr verhalten sich die Politikerinnen der meisten Parteien so, als könnte man das Thema Umwelt und Klima zu den Akten legen, nachdem die ersten Emotionen mal abgekocht und abgeflammt sind. Die Automobilkonzerne schalten keine Werbung mehr für Elektromobile und verkaufen wieder munter SUV, British Petroleum verspricht, seinen CO2-Ausstoß zu kompensieren, vermutlich durch die Überweisung von siebenhunderttausend Euro auf das Konto des Kompensationsweltmeisters myclimate, welcher mit dem Geld siebentausend neue Kochherde in den peruanischen Anden finanziert, welche den CO2-Ausstoß der indigenen Bevölkerung um doppelt so viel reduziert, wie es BP produziert, womit wir gleichzeitig den eigentlichen Urheber der Klimakatastrophe gefunden hätten: ein Indiojunge in Peru!
Eigentlich ist dies nicht die Zeit für billige Scherze, aber man kratzt sich doch am Kopf, wenn man sieht, wie ungerührt Industrie und Politik auf Wachstum durch Energieverbrauch setzen, anstatt eine ganz einfache Maßnahme zu ergreifen: das System konsequent umstellen von sinnlosem Energieverbrauch auf energiesparende Verfahren! Die sind längstens vorhanden, man braucht sie bloß auszurollen. Sie haben unter anderem den Vorteil, dass sie mindestens in der Übergangsphase Arbeitsplätze schaffen, also sogar ohne eine sozialistische Revolution realisierbar sind. Ein paar Ansätze sind seit einiger Zeit vorhanden, aber jetzt reichen Ansätze nicht mehr aus, jetzt geht es ums Ganze. Meinetwegen auch mit Notrecht für diesen Bereich; so ist es zum Beispiel absurd, wenn die Erstellung der systemnotwendige Stromtrassen durch Einsprachen von Einfamilienhaus-Besitzerinnen jahrelang blockiert werden. So war das ja noch nicht mal mit dem bürgerlichen Eigentumsbegriff gemeint. Aus der Verkehrspolitik muss der Einfluss der Automobilindustrie verschwinden, respektive: die Automobilindustrie muss sich selber von Grund auf wandeln, nicht nur in Richtung E-Mobilität, sondern generell in Richtung kollektive Verkehrsmittel anstelle von individuellen, weil die einfach hundert Mal weniger Energie verschwenden, wie man seit Jahrzehnten weiß. Das individuelle Fahrzeug wird reserviert für abgelegene Gebiete, für ein ausgebautes und billiges Taxi-System sowie für Menschen mit körperlicher Behinderung. Dafür sind die SUV richtiggehend prädestiniert, was umgekehrt den Rückschluss auf die Menge der SUV-Fahrerinnen zulässt: alles Menschen mit körperlicher Behinderung. Es gibt Heerscharen von Personen, welche mit einem SUV zum Fitnesscenter fahren. Das muss man ganz einfach umdrehen.
Eisenbahnen, öffentlicher Personen-Nahverkehr, Güterverkehr, all das braucht ziemlich gigantische Investitionen, wie gesagt, verbunden mit dem entsprechenden Bedarf an Human Resources. Dieser Bedarf ist nicht erst seit dem Bericht des Klimarates anerkannt, sondern ebenfalls seit Jahren; wenn man ihn aber einer Person wie eurem Verkehrsminister gegenüberstellt, dann bleibt einem die Spucke weg. Letzte Woche sah ich einen Film über die Deutsche Bahn, und da war auch der Scheuerandi zwei oder drei Mal zu sehen, wie er, sichtbar gegen seine innerste Überzeugung, verkündete, dass die nächsten Jahre die Jahre der Schiene seien. Guten Appetit, muss man da sagen, da ist sogar der britische Politclown Johnson besser.
Ich muss sagen, wirKriegsgurgeln in der neutralen Schweiz hätten schon etwas mehr erwartet, durchaus auch die Vorbereitung für den Fall, dass die Taliban das Land überrollen, da kann man nämlich auch vorsorgen, zum einen mit einem Netz an Vertrauensleuten, das hinter der Front und unter dem islamischen Turban sofort zu funktionieren beginnt. Nun gut, so ein Netz sieht man nicht auf einem Satellitenbild, vielleicht existiert es ja, es ist nach nunmehr zwanzigjähriger Militärpräsenz der Vereinigten Staaten in Afghanistan nicht auszuschließen. Zum zweiten aber beziehungsweise in erster Priorität hätte man sich schon die eine oder andere militärische Option erhofft. Derart schnelle Geländegewinne, wie sie die Taliban hingelegt haben, bergen bekanntlich riesige Tücken, da müssten bloß im Rücken der Taliban-Armee an verschiedenen Orten ein paar halbwegs schlagkräftige Einheiten aus irgendwelchen Höhlen kriechen, das würde diesen Koranschülern doch schon ordentlich einheizen. Nichts dergleichen hat sich getan.
Die Taliban liefen nach dem Abzug der Amerikaner und der Nato-Truppen durch das Land wie ein heißes Messer durch Butter, und dafür kann es nur einen Grund geben, nämlich dass die Afghaninnen in ihrer breiten Mehrheit lieber die einheimischen Moralprediger an der Macht haben als die korrupte Saubande, welche vom Westen eingesetzt wurde; abgesehen davon ist die Hoffnung auf Frieden und ein Ende der Attentate deutlich realistischer, wenn die Attentäter selber an die Macht kommen. Die Befreiung der afghanischen Frauen muss aus technischen Gründen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden; sie stand immerhin auch beim militärischen Engagement der Vereinigten Staaten nicht auf der Liste der strategischen Ziele, einerseits wegen der USA-Streitkräfte selber, anderseits, weil so etwas halt tatsächlich eine minimale Basis, eine kritische Masse an tapferen Frauen und Feministinnen im Land selber voraussetzt. Wäre es anders und wären die Vereinigten Staaten die Signatarmacht der Frauenpower, dann müssten sie die arabische Halbinsel sofort militärisch besetzen und den Frauen die ihnen zustehenden Freiheiten verschaffen. Es ist aber nicht anders, und wenn wir, das heißt der halbwegs vernünftige Teil der Öffentlichkeit in den entwickelten Staaten, dies schon für Saudiarabien nicht verlangen, wie sollten wir es denn für Afghanistan fordern können? Nein, die Damen und Herren müssen dieses Thema selber anpacken. Vielleicht sind ein paar Lektionen Taliban in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts dann doch zuviel des Guten für verschiedene Afghaninnen und Afghanen, welche unterdessen in den Genuss der Mobiltelefonie und der sozialen Netzwerke gekommen sind.
Das unterscheidet die aktuelle Lage tatsächlich recht stark von jener in den 1990-er Jahren. Jedes Kind im entlegensten Bergdorf Afghanistan weiß heute, wieviel es kostet, von einem Schlepper an die iranisch-türkische Grenze gebracht zu werden oder in die ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Vermutlich ist die Absicht zu fliehen oder auszuwandern nicht so verbreitet wie zum Beispiel in Syrien, vor allem dann, wenn endlich einmal eine Phase relativen oder absoluten Friedens in Aussicht steht. Diese Aussicht lässt alles andere in den Hintergrund rücken, und sie ist eindeutig mit den Taliban verbunden. Da haben wir im Westen nicht viel zu munkeln, höchstens könnten wir uns fragen, weshalb wir als Nachhut der US-Amerikaner den Abgang nicht schon längsten vollzogen haben. Osama bin Laden, der eigentliche Grund für die Invasion, ist vor zehn Jahren getötet worden, notabene nicht in Afghanistan, sondern in der Nähe einer pakistanischen Militärakademie. Offenbar waren die Interessen der US-Rüstungsindustrie stark genug, um noch für ein paar hundert Milliarden Dollar Absatz und ein paar Milliarden Profit zu machen. Ich weiß gar nicht, wo die in nächster Zeit einen geeigneten Absatzmarkt finden. Wir werden es sehen.
In den Denkkesseln der Strategiefabriken wird ebenfalls ordentlich angeheizt, und wir armen Schweine müssen die Abfallprodukte davon konsumieren in unseren unabhängigen West-Medien. In erster Linie wird die Gefahr einer Ausdehnung des Einflussbereichs von China in grell gelben Farben beschrieben. Nun ja, geschätzte Hörerinnen und Hörer dieses Stadtradios: China hat immerhin ein zirka 60 Kilometer langes Stück gemeinsame Grenze mit Afghanistan, über welches zwar nie irgendjemand ein- oder auswandert, aber immerhin; wo aber liegen die gemeinsamen Grenzen von Afghanistan mit den USA oder mit Deutschland? – Und auch wenn wir uns ängstigen sollen vor der neuen Seidenstraße, welches ein Instrument im Dienste des neuen chinesischen Imperialismus sein soll und mit der Abzweigung Pakistan ans indische Meer einen wichtigen Bestandteil der strategischen Planung in den chinesischen Strategie-Dampftöpfen darstellt – was ist dagegen aus westlicher Sicht einzuwenden? Die Chinesererinnen haben ein gutes Recht zur Wahrnehmung ihrer Interessen, und sie sind in der Region mit Sicherheit einerseits regionaler und anderseits beliebter als die ehemaligen Kolonialmächte oder die neue Imperialmacht USA. Wenn auch durchaus ambivalent, wie man immer wieder erlebt.
Man wird sehen, wie gehaltvoll die Verhandlungen der chinesischen Führung mit den Taliban, mit Pakistan und dem Iran sein werden. Sofern die Taliban tatsächlich Wert legen auf den Koran, werden sie wohl eher Wert darauf legen, mit den Chinesinnen gewisse Erleichterungen für ihre Glaubensgenossen in Uigurien auszuhandeln als alles andere; dass sie selber auf Tausch und Austausch nicht besonders scharf sind, wissen wir seit Längerem. Und eben, die Chinesinnen drängen sich geradezu auf als Ersatz für die nun verschwundenen Amerikaner-Teufel. Diesem Theater können die US-Amerikaner nun aus sicherer Distanz zuschauen. Dass dabei in Pakistan auch noch die Interessen Indiens eine Rolle spielen, wird in einer späteren Phase der Entwicklung hin und wieder aufblitzen. Im Moment ist das aber nicht weiter relevant.
Was dagegen ist davon zu halten, wenn der englische Politclown Boris Johnson den Bericht des Internationalen Klimarates einen «Weckruf für die Welt» nennt, welche jetzt Maßnahmen ergreifen müsse, noch vor dem COP26-Gipfeltreffen in Glasgow im November? Nun, wie immer, wenn ein Clown spricht: nichts. Seit einem halben Jahr verhalten sich die Politikerinnen der meisten Parteien so, als könnte man das Thema Umwelt und Klima zu den Akten legen, nachdem die ersten Emotionen mal abgekocht und abgeflammt sind. Die Automobilkonzerne schalten keine Werbung mehr für Elektromobile und verkaufen wieder munter SUV, British Petroleum verspricht, seinen CO2-Ausstoß zu kompensieren, vermutlich durch die Überweisung von siebenhunderttausend Euro auf das Konto des Kompensationsweltmeisters myclimate, welcher mit dem Geld siebentausend neue Kochherde in den peruanischen Anden finanziert, welche den CO2-Ausstoß der indigenen Bevölkerung um doppelt so viel reduziert, wie es BP produziert, womit wir gleichzeitig den eigentlichen Urheber der Klimakatastrophe gefunden hätten: ein Indiojunge in Peru!
Eigentlich ist dies nicht die Zeit für billige Scherze, aber man kratzt sich doch am Kopf, wenn man sieht, wie ungerührt Industrie und Politik auf Wachstum durch Energieverbrauch setzen, anstatt eine ganz einfache Maßnahme zu ergreifen: das System konsequent umstellen von sinnlosem Energieverbrauch auf energiesparende Verfahren! Die sind längstens vorhanden, man braucht sie bloß auszurollen. Sie haben unter anderem den Vorteil, dass sie mindestens in der Übergangsphase Arbeitsplätze schaffen, also sogar ohne eine sozialistische Revolution realisierbar sind. Ein paar Ansätze sind seit einiger Zeit vorhanden, aber jetzt reichen Ansätze nicht mehr aus, jetzt geht es ums Ganze. Meinetwegen auch mit Notrecht für diesen Bereich; so ist es zum Beispiel absurd, wenn die Erstellung der systemnotwendige Stromtrassen durch Einsprachen von Einfamilienhaus-Besitzerinnen jahrelang blockiert werden. So war das ja noch nicht mal mit dem bürgerlichen Eigentumsbegriff gemeint. Aus der Verkehrspolitik muss der Einfluss der Automobilindustrie verschwinden, respektive: die Automobilindustrie muss sich selber von Grund auf wandeln, nicht nur in Richtung E-Mobilität, sondern generell in Richtung kollektive Verkehrsmittel anstelle von individuellen, weil die einfach hundert Mal weniger Energie verschwenden, wie man seit Jahrzehnten weiß. Das individuelle Fahrzeug wird reserviert für abgelegene Gebiete, für ein ausgebautes und billiges Taxi-System sowie für Menschen mit körperlicher Behinderung. Dafür sind die SUV richtiggehend prädestiniert, was umgekehrt den Rückschluss auf die Menge der SUV-Fahrerinnen zulässt: alles Menschen mit körperlicher Behinderung. Es gibt Heerscharen von Personen, welche mit einem SUV zum Fitnesscenter fahren. Das muss man ganz einfach umdrehen.
Eisenbahnen, öffentlicher Personen-Nahverkehr, Güterverkehr, all das braucht ziemlich gigantische Investitionen, wie gesagt, verbunden mit dem entsprechenden Bedarf an Human Resources. Dieser Bedarf ist nicht erst seit dem Bericht des Klimarates anerkannt, sondern ebenfalls seit Jahren; wenn man ihn aber einer Person wie eurem Verkehrsminister gegenüberstellt, dann bleibt einem die Spucke weg. Letzte Woche sah ich einen Film über die Deutsche Bahn, und da war auch der Scheuerandi zwei oder drei Mal zu sehen, wie er, sichtbar gegen seine innerste Überzeugung, verkündete, dass die nächsten Jahre die Jahre der Schiene seien. Guten Appetit, muss man da sagen, da ist sogar der britische Politclown Johnson besser.
Kommentare
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17.08.2021 / 18:04 | Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar |
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am 17.8.. Vielen Dank! | |