Das social Distel-Ding – Mensch ärger dich nicht

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Teil 54 der Kolumne aus dem social distancing - Diesmal mit den verspäteten Testergebnissen in Bayern und mangelhaften Konzepten
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Upload vom 13.08.2020 / 17:50

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 13.08.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Was für absurde Zeiten. Das geht diesem social Distel-Ding derzeit immer wieder durch den Kopf. Der Wahnsinn kennt keine Grenzen mehr und diejenigen, die nach erfolgreichen Grenzübertritt zurückkehren, bekommen jetzt kostenlose Corona-Tests, deren Wirkung dann aber, dank unzureichender Übermittlungsgeschwindigkeit der Ergebnisse, verpufft.
So wird das Glücksspiel „Urlaub im Risikogebiet“ eher zu einem „Mensch ärgere dich nicht“. Statt nach dem Urlaub dank schnellem Test den von Markus „Corona-Kanzler der Herzen“ Söder versprochenen Freifahrtschein „Corona-Negativ“ zu bekommen, erwarteten und erwarten heute ca. 44.000 Menschen endlich ihr Ergebnis zu bekommen. Der heutige Donnerstag ist also ein spannender Tag für die Risikogebiets-Rückkehrenden. Aus der Presse wissen sie ja schon seit gestern, dass ihre Chance an Covid-19 erkrankt zurückgekehrt zu sein bei 2,05% liegt.
Da werden vermutlich einige nicht nur des Sommers wegen daheim schwitzen. Allein sich in die Situation hineinfühlen zu müssen löst bei diesem social Distel-Ding Schweißausbrüche aus: Was wenn mein Test positiv ist? Wen habe ich seitdem alles getroffen? Wenn ich jetzt meine Eltern, meine Kinder oder meine Nachbarin angesteckt habe? Wie schlimm wird die Krankheit werden? Was sind die Langzeitfolgen? Hirnschäden? Haarausfall?
Wer gerade in diesem Wust an Fragen gefangen ist, der oder die wird vermutlich auch nicht so gut auf Söder zu sprechen sein. So sehr der Bayerische Ministerpräsident sich in letzter Zeit als Sicherheitsbedenkenträger dargestellt hat, so sehr zeigt sich jetzt, dass die Sicherheit, die er mit seinen Maßnahmen möglich machen wollte, eine trügerische ist. Einerseits, weil die digital rückständige Verwaltung nicht hinterherkommt, die Daten der Getesteten per Hand einzutragen. Andererseits, weil nach wie vor gilt: „Ein negativer Test ist kein Freifahrtschein.“ Die Vernunft kann den social Distel-Dingern eigentlich nur einen Rat geben:
Solange mensch nicht bestätigt an Covid-19 erkrankt ist, gilt es sich in Zeiten der Pandemie so zu verhalten als wäre mensch an Covid-19 erkrankt. Und wenn man mit einer hochansteckenden und potentiell tödlichen oder mit Langzeitfolgen verlaufenden Krankheit infiziert ist, achtet mensch darauf, andere Menschen nicht zu infizieren. Heißt: Keine Umarmungen, kein Händeschütteln, kein Annießen oder Anhusten, Händewaschen, Masken tragen, Abstand halten.
Heißt allerdings auch: 2020 sind wir alle krank. Eine kranke Gesellschaft, eine kranke Welt. Und krank sein ist verdammt anstrengend. Vor allem wenn es sich so anfühlt wie jetzt, da die Urlaubsrückkehrer, die bisherigen Lockerungen und unser Gewöhnungseffekt die registrierten Neu-Infektionszahlen wieder deutlicher ansteigen lassen. Wir haben wieder mehr registrierte Fälle als zuletzt im Mai. Deshalb „Mensch ärger dich nicht“ – zurück auf Los, wir wurden geschlagen, 2 Schritte vor, 5 zurück.
Schlimmer noch: Viele scheinen schon genau zu wissen, dass wir bald wieder von der Pandemie geschlagen werden und drängen sich deshalb enger zusammen, machen die Dinge, die sie vermutlich nicht tun sollten. Nach dem Motto: „Der nächste Lockdown kommt bestimmt, lasst uns das Leben genießen, so lange es noch geht“ steuern wir erlebnisorientiert auf eben jenes Schreckgespenst zu: Neue Kontaktbeschränkungen, geschlossene Geschäfte und Gastronomie, Übersterblichkeit, ausverkauftes Klopapier und natürlich die allgegenwärtige Angst, dass unser Gesundheitssystem überlastet wird und Kranke unbemerkt und allein auf den Gängen verrecken müssen.
Aber dieses Motto kennen wir ja auch schon von der Klimakatastrophe. Dort heißt es eben: „Bald verändert sich eh alles, lasst uns noch schnell einen fetten SUV kaufen, um die Welt jetten und billiges Fleisch auf dem Kohlegrill verbrutzeln – beim Sonderschlussverkauf der Erde machen wir ein gutes Schnäppchen.“
Nicht nur die ganze Gesellschaft ist krank, auch die Erde hustet in vielen Regionen staubtrocken oder übertrieben nass.
Und hier zeigt sich ein weiteres Problem. Der Wille auf selbst verursachte Veränderung ist viel zu schwach. Das gilt ganz besonders für die Politik der Bundesrepublik. Vor einigen Jahren hatten wir mal eine weltweit angesehene Klimakanzlerin, die in großen Worten einen selbstbestimmten Wandel anregen wollte. Die so bezeichnete Kanzlerin ist zwar immer noch an der Macht, aber aus der Klimarettung ist die Rettung der Kohlekonzerne, Automobilindustrie und Luftfahrt geworden. Der angenommene Vorsprung auf dem Weg hin zu einer ökologischeren Wirtschaft, wenn es so etwas denn geben kann, ist für den Erhalt der Machtstrukturen des Status Quo zurückgedreht worden. Mensch ärgere dich nicht – zwei Schritte vor, fünf zurück.
Demnach darf es eigentlich nicht verwundern, dass dieses, für sein schlagkräftiges Pandemiemanegment international als Vorbild geltende, Land den Vorsprung der frühzeitigen Eindämmung gleich wieder für die Aufrechterhaltung des Status Quo eingebüßt hat.
Statt großflächig Studien zu betreiben und Konzepte zu entwerfen, wie in der voraussichtlich noch Jahre anhaltenden Pandemie gelebt und gearbeitet werden kann, wurde lieber dem Bedürfnis auf Urlaub in Risikogebieten nachgegeben und das auch noch staatlich subventioniert.
Statt jetzt ein großes Konzert in Düsseldorf zum Anlass zu nehmen, um herauszufinden wie wir in nächster Zeit Konzerte sicher erleben können, wird alleine der Versuch Konzepte zu entwickeln als unverantwortlich abgetan.
Wir wissen immer noch zu wenig über sinnige und unsinnige Varianten sich und andere vor dem Virus zu schützen. Haben immer noch das Gefühl, dass wir all den Hygiene-Anforderungen nicht nachkommen können. Denn, sind wir mal ehrlich, wer hat seine Maske in den letzten 10 Tagen gewaschen?
Vieles was wir tun ist von Vorsicht geprägt und wird einfach hingenommen, aber tragfähige Konzepte, die darauf hindeuten, dass wir wissen was wir im Herbst und Winter sicher tun können haben wir weder in Schulen, noch in der Gastronomie oder in Kulturbetrieben. Während die Menschen in Flugzeugen wieder um die halbe Welt fliegen können, sind Konzerte, Theater und Partys als unverantwortlich gebrandmarkt. Wenn wir schon kein Medikament für die Krankheit haben, die wir potentiell alle verbreiten können, sollten wir doch wenigstens Wege und Möglichkeiten erforschen, das von der Pandemie behinderte Leben lebenswert und planbar zu gestalten. Nur sollten diese Konzepte ausgereifter sein, als Söders: „Ich teste euch alle!“
Sonst ist es eben wieder – Mensch ärger dich nicht! - zwei Schritte vor, fünf zurück

Kommentare
14.08.2020 / 18:02 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 14.8.. Vielen Dank!