Das social Distel-Ding - In der Vor-Corona-Normalität waren wir Teil des Problems
ID 102903
Teil 44 der Kolumne aus dem social distancing - Diesmal mit der Beobachtung, dass nach der erzwungenen Pause die Verlockung zur Normalität, in der wir Teil des Problems waren, zurückzukehren nicht wirklich groß ist.
Audio
06:55 min, 6498 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 10.06.2020 / 18:45
06:55 min, 6498 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 10.06.2020 / 18:45
Dateizugriffe: 3692
Klassifizierung
Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Raus aus der Krise, zurück zur Normalität. So ungefähr fühlt sich die aktuelle Stimmung an. Die Konjunkturpakete sollen die Krisenfolgen abschwächen, das öffentliche Leben rollt wieder an und die Zahlen schauen so rückläufig aus, dass wir social Distel-Dinger gar nicht mehr das Gefühl haben täglich drauf schauen zu müssen. Also sind wir auf dem besten Weg zurück zu Normalnull, Startpunkt der wirtschaftlichen Aufholjagd im internationalen Wettbewerb, zurück zu den Plänen die wir bis März noch für den Start in das neue Jahrzehnt hatten.
Aber ganz so einfach ist es ja dann doch nicht. Einerseits spukt immer noch das Gespenst der zweiten Welle durch alle möglichen Pläne. Selbst die Werbung greift das Thema auf und will uns mittlerweile erfahrenen social Distel-Dingern Produkte zur Hand geben, die eine neuerliche Quarantäne-Zeit produktiver nutzbar machen.
Nur ist da andererseits die große Frage: Wollen wir das eigentlich?
Wollen wir wirklich
Ist das „Normal“ von Anfang des Jahres, wirklich der Zustand zu dem wir zurück wollen? Das „Normal“, in dem wir in einer angeblich planbaren Situation unser Leben von Anfang bis Ende durch getaktet hatten und jede Veränderung in der Gesellschaft, der Nachbarschaft, der Politik oder im eigenen Leben als Gefahr für diesen Plan empfanden?
Schließlich sind wir raus aus diesen Plänen und könnten daher neue schmieden. Neue Pläne und langfristige Ziele die nicht nur die eigene, abgesteckte Welt verbessern, sondern auch für die Allgemeinheit einen Weg raus aus dem Hamsterrad der alternativlosen Sachzwänge aufzeigen. Pläne hin zu einer Gesellschaft in der Mensch nicht das Gefühl hat durch das eigene Leben automatisch das Klima und die Umwelt zu zerstören und gleichzeitig den Krieg in die Welt zu tragen. Nachdem wir social Distel-Dinger so viel Zeit für Nachrichten und unsere eigenen Gedanken hatten, können wir doch jetzt nicht einfach weitermachen, obwohl uns bewusst ist, dass wir alle Teil des Problems sind.
Wir sind es, die mit einem Exportüberschuss Verbrenner mit überzogener Leistung und gefälschten Abgaswerten in alle Welt ausgeliefert haben. Wir sind es die das Verbrennen von fossilen Energieträgern zu einem Lifestyle gemacht haben, Stichwort: Freude am Fahren.
Wir sind es, die zulassen, dass Unternehmen die mit Steuergeldern liquide gehalten werden, ihre Gewinne an die Aktionäre ausschütten und unterstützen damit eine Umverteilung von unten nach oben. Wir retten profitable Unternehmen und schikanieren in Notlage geratene Menschen.
Wir liefern die Waffen in die Welt, statten Konfliktparteien auf beiden Seiten aus, und rufen danach gutgemeinte Friedensappelle über die verseuchten Schlachtfelder.
Wir sind es, die Arbeitskräfte aus aller Welt beim Spargelstechen, in den Schlachthöfen und teilweise auch in der Pflege unserer Alten und Kranken ausbeuten, entrechten und danach wieder zurückschicken.
Wir sind es, die Tierwohl fordern und mehr Geld für 1kg Haustierfutter ausgeben, als für ein Kilo Fleisch.
Wir sind es, die aus Sachzwängen noch die Mietsteigerungen mitmachen, die gewachsene und lebendige Viertel zu Wohlstands-Ghettos ohne öffentliches Leben machen.
Wir sind es, die für den Erhalt des eigenen Lebensstandards und der angeblich instabilen politischen Situation Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen und die Überlebenden als Abschreckung in menschenfeindlich überbelegte Flüchtlingslager sperren.
Wir sind es, die die Meere vor den Küsten Afrikas überfischen und danach Fischreste als Konserven zurückliefern, die die dortigen Preise für den spärlich gefangenen frischen Fisch unterbieten.
Wir sind es, die unsere Bauern und Bäuerinnen in einen menschen- und tierfeindlichen internationalen Weltmarkt für Milch drängen, auf dass sie ihr Leben lang verschuldet sind und das Tier nur noch als Kapital sehen.
Wir sind es, die Dinge produzieren und verkaufen, die nicht mehr zu reparieren sind und nach kurzer Zeit den Geist aufgeben. Wir sind es auch, die diese Produkte kaufen, weil Kaufen ein Reiz an sich geworden ist und das Kaufen uns mehr Mehrwert bringt, als der Nutzen des Erworbenen.
Wir sind es, die all diese Missstände erhalten wollen, weil die Wirtschaft angeblich nur so läuft.
Beziehungsweise waren wir all das. Jetzt standen mal die Bänder still, jetzt ist der Kleinwaffenproduzent Sig Sauer pleite gegangen, jetzt wurde mal nicht ständig eingekauft und jetzt waren wir mal kurzzeitig mit unserem direkten Umfeld und unseren Gedanken alleine. Natürlich ist in dieser Zeit nichts besser geworden. Und auch die Vorstellung, dass sich jetzt jede und jeder solche Gedanken machen konnte, ist nur einen kleinen Schritt weg davon, die Pandemie und ihre Folgen, die sowohl Menschenleben gekostet und versehrt hat als auch viele an den Rand des Ruins getrieben hat, zu romantisieren.
Trotzdem kann Mensch die Frage stellen: Wollen wir wirklich dahin zurück? Wollen wir wirklich daran weiter arbeiten ein elementarer Teil des Problems zu bleiben? Schöner, angenehmer und wirklich lebenswert wird das Leben doch erst, wenn das eigene Handeln auch langfristig Sinn ergibt und an der Lösung der globalen Probleme teilhat.
Nachdem wir in den letzten Monaten gesehen haben, wie schnell sich die Realität in der wir leben ändern kann, erscheint ein Ausbruch aus diesen um sich greifenden Wirtschaftszwängen plötzlich möglich. Nur bleibt die Frage, wie wir unseren gesellschaftlichen Wohlstand halten können, wenn wir eben nicht mehr ausbeuten, abschotten, Wegwerfprodukte produzieren und kaufen, falsche Bedürfnisse erzeugen und den Unternehmen die externen Kosten ihrer Produkte erlassen. Und damit eben die Fragen:
Wie wollen wir leben, wie wollen wir arbeiten, wie können wir als Gesellschaft Teil der Lösung werden?
Die erste Antwort auf diese Frage kann eigentlich nur sein: Ich denke mal darüber nach!
Die zweite Antwort: Ich bespreche mich mit anderen!
Und die dritte Antwort: Wir organisieren uns um Teil der Lösung zu werden! Wir machen Druck! Auch dafür, dass diejenigen, die sich selbst schon über lange Zeit als Teil des Problems offenbarten, aus Amt und Würden fliegen. So wie Andi „ein Tempolimit ist gegen jeglichen Menschenverstand“ Scheuer, der jetzt mit neuen Auflagen für die Seenotrettung aktiv dafür sorgt, die Fluchtroute Mittelmeer noch tödlicher zu machen. Mit solchen Repräsentanten, die jegliches Vertrauen und jegliche Integrität verloren haben, ist keine lösungsorientierte Politik zu machen.
Wie diese Lösung dann aussieht, dass können wir ja dann noch lang und breit besprechen und vielleicht sogar demokratisch abstimmen. So haben wir zumindest was, worauf wir uns freuen können.
Aber ganz so einfach ist es ja dann doch nicht. Einerseits spukt immer noch das Gespenst der zweiten Welle durch alle möglichen Pläne. Selbst die Werbung greift das Thema auf und will uns mittlerweile erfahrenen social Distel-Dingern Produkte zur Hand geben, die eine neuerliche Quarantäne-Zeit produktiver nutzbar machen.
Nur ist da andererseits die große Frage: Wollen wir das eigentlich?
Wollen wir wirklich
Ist das „Normal“ von Anfang des Jahres, wirklich der Zustand zu dem wir zurück wollen? Das „Normal“, in dem wir in einer angeblich planbaren Situation unser Leben von Anfang bis Ende durch getaktet hatten und jede Veränderung in der Gesellschaft, der Nachbarschaft, der Politik oder im eigenen Leben als Gefahr für diesen Plan empfanden?
Schließlich sind wir raus aus diesen Plänen und könnten daher neue schmieden. Neue Pläne und langfristige Ziele die nicht nur die eigene, abgesteckte Welt verbessern, sondern auch für die Allgemeinheit einen Weg raus aus dem Hamsterrad der alternativlosen Sachzwänge aufzeigen. Pläne hin zu einer Gesellschaft in der Mensch nicht das Gefühl hat durch das eigene Leben automatisch das Klima und die Umwelt zu zerstören und gleichzeitig den Krieg in die Welt zu tragen. Nachdem wir social Distel-Dinger so viel Zeit für Nachrichten und unsere eigenen Gedanken hatten, können wir doch jetzt nicht einfach weitermachen, obwohl uns bewusst ist, dass wir alle Teil des Problems sind.
Wir sind es, die mit einem Exportüberschuss Verbrenner mit überzogener Leistung und gefälschten Abgaswerten in alle Welt ausgeliefert haben. Wir sind es die das Verbrennen von fossilen Energieträgern zu einem Lifestyle gemacht haben, Stichwort: Freude am Fahren.
Wir sind es, die zulassen, dass Unternehmen die mit Steuergeldern liquide gehalten werden, ihre Gewinne an die Aktionäre ausschütten und unterstützen damit eine Umverteilung von unten nach oben. Wir retten profitable Unternehmen und schikanieren in Notlage geratene Menschen.
Wir liefern die Waffen in die Welt, statten Konfliktparteien auf beiden Seiten aus, und rufen danach gutgemeinte Friedensappelle über die verseuchten Schlachtfelder.
Wir sind es, die Arbeitskräfte aus aller Welt beim Spargelstechen, in den Schlachthöfen und teilweise auch in der Pflege unserer Alten und Kranken ausbeuten, entrechten und danach wieder zurückschicken.
Wir sind es, die Tierwohl fordern und mehr Geld für 1kg Haustierfutter ausgeben, als für ein Kilo Fleisch.
Wir sind es, die aus Sachzwängen noch die Mietsteigerungen mitmachen, die gewachsene und lebendige Viertel zu Wohlstands-Ghettos ohne öffentliches Leben machen.
Wir sind es, die für den Erhalt des eigenen Lebensstandards und der angeblich instabilen politischen Situation Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen und die Überlebenden als Abschreckung in menschenfeindlich überbelegte Flüchtlingslager sperren.
Wir sind es, die die Meere vor den Küsten Afrikas überfischen und danach Fischreste als Konserven zurückliefern, die die dortigen Preise für den spärlich gefangenen frischen Fisch unterbieten.
Wir sind es, die unsere Bauern und Bäuerinnen in einen menschen- und tierfeindlichen internationalen Weltmarkt für Milch drängen, auf dass sie ihr Leben lang verschuldet sind und das Tier nur noch als Kapital sehen.
Wir sind es, die Dinge produzieren und verkaufen, die nicht mehr zu reparieren sind und nach kurzer Zeit den Geist aufgeben. Wir sind es auch, die diese Produkte kaufen, weil Kaufen ein Reiz an sich geworden ist und das Kaufen uns mehr Mehrwert bringt, als der Nutzen des Erworbenen.
Wir sind es, die all diese Missstände erhalten wollen, weil die Wirtschaft angeblich nur so läuft.
Beziehungsweise waren wir all das. Jetzt standen mal die Bänder still, jetzt ist der Kleinwaffenproduzent Sig Sauer pleite gegangen, jetzt wurde mal nicht ständig eingekauft und jetzt waren wir mal kurzzeitig mit unserem direkten Umfeld und unseren Gedanken alleine. Natürlich ist in dieser Zeit nichts besser geworden. Und auch die Vorstellung, dass sich jetzt jede und jeder solche Gedanken machen konnte, ist nur einen kleinen Schritt weg davon, die Pandemie und ihre Folgen, die sowohl Menschenleben gekostet und versehrt hat als auch viele an den Rand des Ruins getrieben hat, zu romantisieren.
Trotzdem kann Mensch die Frage stellen: Wollen wir wirklich dahin zurück? Wollen wir wirklich daran weiter arbeiten ein elementarer Teil des Problems zu bleiben? Schöner, angenehmer und wirklich lebenswert wird das Leben doch erst, wenn das eigene Handeln auch langfristig Sinn ergibt und an der Lösung der globalen Probleme teilhat.
Nachdem wir in den letzten Monaten gesehen haben, wie schnell sich die Realität in der wir leben ändern kann, erscheint ein Ausbruch aus diesen um sich greifenden Wirtschaftszwängen plötzlich möglich. Nur bleibt die Frage, wie wir unseren gesellschaftlichen Wohlstand halten können, wenn wir eben nicht mehr ausbeuten, abschotten, Wegwerfprodukte produzieren und kaufen, falsche Bedürfnisse erzeugen und den Unternehmen die externen Kosten ihrer Produkte erlassen. Und damit eben die Fragen:
Wie wollen wir leben, wie wollen wir arbeiten, wie können wir als Gesellschaft Teil der Lösung werden?
Die erste Antwort auf diese Frage kann eigentlich nur sein: Ich denke mal darüber nach!
Die zweite Antwort: Ich bespreche mich mit anderen!
Und die dritte Antwort: Wir organisieren uns um Teil der Lösung zu werden! Wir machen Druck! Auch dafür, dass diejenigen, die sich selbst schon über lange Zeit als Teil des Problems offenbarten, aus Amt und Würden fliegen. So wie Andi „ein Tempolimit ist gegen jeglichen Menschenverstand“ Scheuer, der jetzt mit neuen Auflagen für die Seenotrettung aktiv dafür sorgt, die Fluchtroute Mittelmeer noch tödlicher zu machen. Mit solchen Repräsentanten, die jegliches Vertrauen und jegliche Integrität verloren haben, ist keine lösungsorientierte Politik zu machen.
Wie diese Lösung dann aussieht, dass können wir ja dann noch lang und breit besprechen und vielleicht sogar demokratisch abstimmen. So haben wir zumindest was, worauf wir uns freuen können.
Kommentare
|
|
12.06.2020 / 18:03 | Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar |
in sonar
|
|
am 12.6.. Vielen Dank! | |